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6. Kleine Schwierigkeiten.

»Endlich hatte Mama Zeit, euch zu besuchen,« rief Lucie Laube, als sie mit ihrer Mutter in das Besuchszimmer trat und Magda begrüßte. »Ist Ihre Mutter zu Hause, liebes Kind?« sagte Frau Laube, mit prüfender Miene umherblickend. Magda erwiderte, daß die Mutter gleich kommen werde, und nötigte die Damen zum Sitzen. Frau Laube war eine Dame, der Reichtum und Luxus über alles ging. Sie hatte ein schönes Gut in der Nachbarschaft von Goldenau, hielt es aber für ihre Pflicht, mit ihrer einzigen Tochter den Winter in einer großen Stadt zu verleben, und hatte diesen Ort gewählt wegen zahlreicher Verwandte, die hier lebten. »Ich wollte Lucie selbst begleiten,« sagte sie zu Magda, »erstens, weil ich Ihrer Großmutter versprochen habe, nach Ihnen zu sehen, und dann, weil ich Sie gern zur Teilnahme an einigen Stunden, die Lucie nehmen wird, auffordern möchte, wozu es ja der Einwilligung der Eltern bedarf. Ich bin sehr gespannt auf die Bekanntschaft Ihrer –« Die Tür öffnete sich und die seine Gestalt der Forstmeisterin wurde sichtbar. Mit großer Gewandtheit begrüßte sie die Damen und war bald mit Frau Laube in eifrigem Gespräch. »Komm, Magda,« sagte Lucie, »zeige mir deine Zimmer, ich möchte gern sehen, wie du wohnst.« Magda ging mit ihr. »Himmel! wie einfach! da hattest du es doch bei deiner Großmutter zehnmal besser. Und das kleine Schlafstübchen, das teilst du wohl noch mit jemand?« »Meine kleine Schwester schläft mit mir.« »Na, du hast es ja nicht besser gewollt.« »Es gefällt mir auch ganz gut, ich schlafe in diesem Stübchen ebensogut, als in dem hohen, schönen Zimmer der Großmutter.« Lucie musterte alles genau, machte über jedes ihre Bemerkungen, zog überall Vergleiche, wünschte dann brennend, auch die übrigen Wohnräume zu sehen, was ihr schließlich das Wort entlockte: »Nun, es ist im ganzen hübscher bei euch, als ich es mir gedacht.«

Frau Laube suchte unterdes Frau Forstmeisterin für ihre Pläne zu gewinnen, stieß aber auf mehr Widerstand, als sie gedacht. Magda sollte dreimal in der Woche an dem Malunterricht ihrer Tochter teilnehmen, zweimal Gesangstunden mit ihr teilen und was der Dinge mehr waren. Die Forstmeisterin erklärte, Magda sei erst wenige Tage da, es sei bisher noch keine rechte Zeiteinteilung gemacht worden, es scheine ihr fast zu viel, wenn Magda so oft den weiten Weg in die entgegengesetzte Vorstadt machen solle, es werde ihre Zeit sehr zersplittern, da es noch andere Dinge zu lernen gebe. »Aber Sie werden dem jungen Mädchen doch seine Freiheit lassen, werden es doch nicht mit häuslichen Dingen plagen?« »Allerdings habe ich die feste Absicht, meine Tochter einen praktischen Kursus im Haushalt durchmachen zu lassen, ich bin der Ansicht, daß ein junges Mädchen nicht früh genug lernen kann, im Hause tätig zu sein und zu dienen.« »Die Großmutter hat die Kleine gut erzogen, in diesem Sinne sollten Sie fortfahren –« Frau Forstmeister überhörte diese Äußerung und erwiderte nur, daß sie mit ihrem Gatten, der augenblicklich nicht anwesend sei, alles überlegen wolle und dann bald Bescheid darüber geben werde.

Man merkte es der Forstmeisterin an, daß sie nach diesem Besuch etwas gedrückt war. Frau Laube hatte allerdings sehr störend in ihre Pläne eingegriffen. Die ersten acht Tage sollte Magda als Besuch angesehen werden; sie sollte zu Eltern und Geschwistern Vertrauen gewinnen, erst dann wollte die Mutter eine feste, geregelte Tätigkeit, wie sie für jedes junge Mädchen, sie sei reich oder arm, nötig ist, einführen. Sie erzählte ihrem Manne von dem Besuch und den Wünschen der Dame. »Es wird einfach mit ›nein‹ geantwortet,« erwiderte dieser nachdrücklich. »Wenn ich Magdas rechte Mutter wäre, würde ich es gleich abgelehnt haben, als Stiefmutter muß ich manches bewilligen, da es sonst verkehrt aufgefaßt wird.« »Laß mich nur machen,« sagte der Forstmeister freundlich, »wir wollen die Sache heute abend im Familienrat erwägen.« Nach dem Abendessen, als die Familie sich im gemütlichen Eckzimmer zusammengefunden hatte, rief der Forstmeister munter: »Nun, Magda, du willst eine berühmte Malerin werden? Ich habe so etwas von Malstunden und dergleichen vernommen.« »Malstunden habe ich schon lange gehabt,« antwortete Magda etwas selbstbewußt. »Großmutter meint, ich solle es fortsetzen, da ich Talent habe.« »Komm einmal her, mein Töchterchen. Versprichst du mir, wenn ich dir diese Stunden geben lasse, daß du mir nebenbei meine Strümpfe in Ordnung hältst?« Magda sah den Vater verwundert an, als habe sie ihn nicht verstanden. »Ich meine,« fuhr dieser scherzend fort, »ob du auch nachher den ganzen Tag malen willst und deinen armen Vater mit durchlöcherten Strümpfen laufen läßt?« Magda sah nach der Mutter. Diese sagte lachend: »Magda denkt, dafür kann die Mutter sorgen.« »Ich möchte aber, daß meine älteste Tochter der Mutter hilft, da diese für viele Füße zu sorgen hat, nun?« »Ich werde wohl nichts davon verstehen, die Strümpfe wurden stets von der Jungfer in Ordnung gebracht.« – »Aber wir lernen es, mein liebes Kind,« sagte die Mutter freundlich, »du sollst sehen, die Stopfnadel ist ein ebenso angenehmes Handwerkszeug als der Pinsel.« »Hast du denn von deinen Malereien etwas aufzuweisen?« fragte der Vater. »Sehr viel,« versetzte Magda, wie es schien, recht befriedigt von ihren Leistungen. »Zeig uns doch einmal deine Sachen, Mutter und ich verstehen etwas von Malerei, wir wollen prüfen, ob es sich der Mühe verlohnt, daß du den Unterricht fortsetzest.« Magda verschwand und kam mit einem ganzen Stoß von Zeichnungen und Malereien zurück. Während den Kindern laute Rufe der Bewunderung entschlüpften, als sie die verschiedenen bunten Bilder zu Gesicht bekamen, prüfte der Vater, der wirklich Kunstkenner war, mit ernsten Mienen die künstlerischen Leistungen seiner Tochter. Die Mutter, die schon an Vaters Gesicht merkte, daß er nicht ganz befriedigt war, lobte dies und jenes, meinte, Landschaften seien wohl Magdas Lieblingsfach, sie seien besser geraten als das andere. Der Vater sagte lange gar nichts, nun legte er das letzte Blatt aus der Hand und sagte: »Eine Künstlerin wirst du nicht, mein Kind. Deine Malereien verraten kein Talent; einiges ist ja ganz hübsch und mit Geschick angefertigt, da scheint der Lehrer nachgeholfen zu haben: aber diese Landschaft ist ganz verzeichnet –« Er wollte eben Magda, die neben ihm stand, auf einige Fehler aufmerksam machen, da nahm sie das Blatt aus des Vaters Hand und – ritsch, ratsch – war es mitten durchgerissen. »Ich brauche ja keine Malstunden, wenn ihr sie nicht bezahlen könnt –« mit diesen Worten raffte sie alle Blätter zusammen, packte sie in die Mappe und verließ das Zimmer. Eben so schnell folgte der Vater, während der übrige Teil der Familie erschrocken und stumm zurückblieb.

Nach einer Weile erschienen Vater und Tochter wieder. Magda sah sehr rot aus und hatte verweinte Augen; der Vater war ruhig und sagte mit freundlicher Stimme: »Komm, mein Töchterchen, setze dich zwischen Vater und Mutter, wir wollen uns etwas erzählen von unsern gegenseitigen Erlebnissen.« Mutter und Kinder sahen immer noch erschrocken aus, heftige Szenen kamen eigentlich gar nicht vor in ihrem Familienkreis. Besonders der kleine Rudolf, der Magda gegenübersaß, sah sie groß an; er mochte sich wundern, daß seine schöne Schwester, die er für ein Bild der Vollkommenheit hielt, sich so vergessen konnte. »Nicht wahr, Vater,« platzte er endlich heraus, »Magda« – Luischen, die neben ihm saß, hielt ihm die Hand vor den Mund, da sie ahnte, daß er etwas sagen würde, was für Magda unangenehm sein würde. Er ließ sich nicht irre machen. Kaum war der Mund befreit, begann er aufs neue: »Nicht wahr, Papa, Magda hat sich« – Wieder legte sich das weiche Händchen auf den Mund, und die Mutter sagte freundlich: »Rudolf, sei jetzt ruhig und hole dir dein Lesebuch.« Rudolf tat, was ihm befohlen. Aber die zweimal unterbrochene Frage mochte ihm sehr am Herzen liegen. Nach einer Weile stand er plötzlich auf, lief auf seinen Vater zu, zupfte ihn am Bart und sagte: »Nicht wahr, Vater, Magda hat sich erst vom Zorn übermannen lassen?« »Laß du dich nicht vom Ungehorsam übermannen und verhalte dich ruhig, wie Mutter dir befohlen hat,« sagte der Vater ernst, worauf Rudolf zwar an seinen Platz ging, aber von Zeit zu Zeit über sein Buch weg nach der großen Schwester hinübersah, die, wie er in seinem kleinen Gemüt erwog, auch noch unartig sein konnte. Magda war über ihre Handarbeit gebeugt, sah immer noch sehr rot aus und beantwortete alle Fragen einsilbig, es wollte die gewohnte Heiterkeit, die sonst den kleinen Familienkreis belebte, nicht aufkommen. Da klopfte es und herein trat – Frau Ehrlich mit ihren beiden Töchtern.

»Wir wollen endlich unsern Gegenbesuch machen, müssen aber um Entschuldigung bitten, daß wir so spät kommen. Die Töchter haben immer bis zum Abendbrot zu tun, wir glaubten auch jetzt am wenigsten zu stören.« Alles atmete erleichtert auf, eine bessere Störung hätte jetzt gar nicht kommen können, und mit doppelter Liebenswürdigkeit wurden die Hausbewohner empfangen. Die alte Dame hatte etwas so Offenes, Zutrauliches in ihrem Wesen, bewunderte so unverhohlen alles, was sie sah, wußte auch Magda, die ihr neu und interessant war, mit ins Gespräch zu ziehen, daß die Wolke, welche sich am Familienhorizonte gebildet hatte, vollständig verschwand. Beim Abschied bat Frau Ehrlich Magda, sie auch einmal zu besuchen, was diese versprach, obwohl sie diesen Leuten gegenüber eine etwas zurückhaltende Stellung einnahm.

Als Magda diesen Abend im Bett lag, hörte Luischen ein leises Schluchzen. Die Kleine mit ihrem weichen Gemüt eilte zur Schwester und umfaßte sie. »Ach, liebe Magda, weine nur nicht, ich will die Eltern recht bitten, daß sie dir Malstunden geben lassen.« – »Der Vater hat mir schon gesagt, daß ich die Stunden mit Lucie haben soll, darüber weine ich nicht. Ich denke an meine verstorbene Mutter, der ich versprochen habe, die Heftigkeit abzulegen, und nun kommt der böse Fehler immer wieder. Es tut mir leid, daß ich euch ein so schlechtes Beispiel gegeben habe.« »O, das schadet nichts,« tröstete die kleine Schwester, »wir andern tun auch oft Unrecht. Ich bin zwar nicht heftig, habe aber viele andere Fehler, die gewiß noch schlimmer sind. Bitte, liebe Magda, weine nicht so sehr, es schadet deinen schönen Augen.« Dieser Bitte des Kindes konnte Magda nicht widerstehen, sie umschlang sie und drückte einen innigen Kuß auf ihren Mund. Luischen schlüpfte vergnügt in ihr Bett zurück, und bald hörte Magda an den regelmäßigen Atemzügen, daß die kleine Schwester eingeschlafen war. Sie selbst lag noch lange wach.

Die Eltern saßen noch zusammen. Der Vater erzählte der Mutter, wie Magdas Heftigkeit schon seiner ersten Frau viel Sorge gemacht habe, er habe zuversichtlich gehofft, der Fehler sei überwunden, und sei selbst erschrocken, denselben wieder zum Ausbruch kommen zu sehen. »Welches war denn das Zauberwort, wodurch du Magdas Gemüt so schnell zur Ruhe brachtest?« fragte die Gattin. »Ich erinnerte sie nur an ihre verstorbene Mutter.« Die Forstmeisterin seufzte. Er sah sie forschend an und sagte: »Du verlierst doch nicht den Mut, Mutter?« »Wenn diese Laubes nicht dazwischen gekommen wären, würde meine Aufgabe leichter sein.« »Was sagst du denn zu Magda selbst?« »Sie hat für mich etwas Anziehendes, das kann ich nicht leugnen. Sie ist ein kluges Mädchen, von Natur frisch und fröhlich angelegt, wie es scheint, aber die Erziehung hat manches verkehrt und verdreht. Magda prahlt gern mit der vornehmen und reichen Großmutter, mit dem Schloß und was darin ist; mir scheint es, sie sieht auf uns etwas herab, hält besonders mich für eine unter ihr stehende Persönlichkeit! sie wird sich, glaube ich, nicht so glücklich bei uns fühlen wie ich es gehofft. Wenn sie nur nicht jetzt schon bereut, nicht bei der Großmutter geblieben zu sein.« »Es war die höchste Zeit, daß wir sie kommen ließen,« rief der Forstmeister. »Ich glaubte es gut zu machen und habe nicht bedacht, daß die Großmutter Magda eine Erziehung geben würde, die sie untauglich macht für ein einfaches Haus wie das unsrige.« »Der Großmutter wollen wir keine Vorwürfe machen,« sagte die Mutter sanft. »Magda ist erzogen, wie heutzutage viele junge Mädchen erzogen werden, auch in den bürgerlichen Ständen. Alles mögliche müssen sie lernen, von allen Künsten etwas nippen, gleichviel, ob sie Talent haben oder nicht; das Notwendige wird aber meistens vernachlässigt, darum gibt es so viele, unordentliche Haushaltungen, so viele unglückliche Ehen. Ich möchte so gerne, daß Magda bei uns lernte, daß der Reichtum nicht glücklich macht, sondern daß das Glück von innen heraus kommen muß, daß diejenigen, welche wenige Bedürfnisse haben, bei weitem glücklicher sind als die, welche sich mit ihrem Gelde alles verschaffen können.«

»Es scheint mir,« sagte der Forstmeister, »als ob Ehrlichs zu der Klasse der zufriedenen Menschen gehören.« »Gewiß,« erwiderte die Gattin, »deshalb wünsche ich auch, mit ihnen freundschaftlichen Verkehr anzuknüpfen. Es kann für unsere Töchter nur vorteilhaft sein. Laß uns Gott bitten, daß er unser Kind aus der Fremde heimisch bei uns mache, daß er uns aber die rechte Weisheit gebe, ihr Herz richtig zu leiten.« Der Forstmeister nickte zustimmend. Sie verständigten sich nun noch darüber, daß sie Magda vorderhand die Malstunden gestatten wollten, bis sie freiwillig zu dem Entschluß kommen würde, das, wozu sie so wenig Talent hatte, aufzugeben.

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