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2. Der Abschied.

Das schöne Osterfest war vorüber. Karfreitag und Ostern waren im Forsthause diesmal in besonders ernster Weise vorübergegangen. Am Todestag des Herrn war die arme, leidende Mutter sanft im Glauben an den Heiland entschlafen und am zweiten Osterfeiertag hatte man sie zur Ruhe gebettet. Im Garten blühte und duftete es wie vorher, die Vöglein sangen um die Wette, aber am Fenster stand ein verweintes, blasses Mägdlein und sah trübsinnig hinaus. Plötzlich wandte sie sich um zu dem Vater, der gebeugt in einer Ecke des Sofas saß. »Kommt denn Mutter wirklich nie wieder, was sollen wir nur machen ohne sie?« rief sie klagend aus. Der Vater nahm sie in seine Arme und küßte sie. »Mit uns sieht's traurig aus, mein Vögelchen,« sagte er schmerzerfüllt und schaute mit inniger Liebe auf das kleine Wesen, das nun die Mutter entbehrte. »Mein Vögelchen« hatte seine Frau das Kind genannt, weil es sie mit seinen muntern, klugen Äuglein und dem vergnügten Hin- und Herflattern an die Vögel des Waldes erinnerte. Nun ließ sie das Köpfchen hängen und die Augen waren trübe vom Weinen. »Bei Johanna kann ich doch nicht immer bleiben,« fuhr sie fort. »Sie hat in der Wirtschaft zu tun und wenn sie freie Zeit hat, geht sie ins Dorf und läßt mich allein. Auch kann ich nichts bei ihr lernen, es ist so langweilig!«

Der Vater schwieg und sah still vor sich nieder. Dann zog er einen Brief aus der Tasche, den er heute bekommen. Er hatte ihn schon verschiedene Male durchgelesen, las ihn aber noch einmal, da er ihn sehr zu beschäftigen schien. Vom Brief gingen die Augen immer wieder auf die Kleine; der Inhalt desselben mußte sich wohl hauptsächlich auf Magda beziehen. Und so war es. Frau von Busch, die Großmutter Magdas mütterlicherseits, hatte geschrieben, daß sie in nächster Zeit eintreffen werde, um die Kleine, wie ihre Tochter gewünscht hatte, zu sich zu nehmen. »Du kannst,« schrieb sie dem Schwiegersohn, »dich nicht genug um das Kind kümmern, einfachen Dienstboten darf sie nicht überlassen werden und einer fremden Hausdame soll meine Enkelin auch nicht in die Hände fallen. Zudem hat meine arme Magdalene mir vor ihrem Tode geschrieben und mich selbst gebeten, die Erziehung Magdas in die Hände zu nehmen. Ich werde also in den nächsten Tagen kommen und das Kind holen.« Wohl lag es dem armen Mann wie eine Zentnerlast auf dem Herzen, sich auch von diesem letzten Kleinod trennen zu müssen. Aber wenn es zum Besten des Kindes war und wenn gleichzeitig der Wunsch seiner sterbenden Gattin damit erfüllt wurde, so mußte er wohl oder übel das Opfer bringen.

Eines Tages fuhr eine elegante Kutsche durchs Dorf und hielt vor dem Forsthause. »Ich komme nun in ein Schloß und werde sehr reich,« sagte die kleine Magda mit wichtiger Miene zu Fritz Wendt, mit dem sie längst wieder in bestem Einvernehmen stand. »Du?« sagte Fritz und sah sie von der Seite an. »Ja, ich! Meine Großmutter ist heute morgen gekommen, die solltest du einmal sehen; ein schönes Seidenkleid hat sie an mit einer langen Schleppe, und Samt und Federn hat sie auf dem Hut. Johanna sagt, eine so schöne Dame habe sie noch nie gesehen. Ich werde wohl auch schöne Kleider bekommen und gewiß immer Schokolade zum Frühstück trinken.« »Prahle nur nicht so,« sagte Fritz, »das macht mir gar keinen Eindruck. Wann werden wir uns denn wieder sehen?« »Das kann ich nicht sagen. Die Großmutter wohnt viele, viele Meilen von hier, deshalb wollte es der Vater erst gar nicht. Wenn ich erst einmal dort bin, komme ich sobald nicht wieder. Meine Mutter ist ja nun gestorben und mein Vater hat so viel zu tun, daß er sich nicht um mich kümmern kann.« »Na,« meinte Fritz, »wenn du wieder kommst, wirst du mich wohl nicht mehr kennen, dann hast du auch ein seidenes Schleppkleid an und nickst mir gnädig zu. Du wirst wohl recht stolz werden.« Er drehte sich um und wollte gehen. »Fritz, bleibe doch nur, du bleibst doch mein Freund, wenn du auch arm bist.« »Arm bin ich, aber wenn ich einmal viel gelernt hab, dann bin ich auch reich, dann hab ich die Schätze im Kopf. Dort verliert man sie nicht. Hier hast du noch eine Flöte zum Abschied, sie ist eben erst fertig geworden.« »Ich flöte jetzt nicht, aber ich will sie mir zum Andenken aufheben. Jetzt muß ich hinein, wir fahren bald.« Sie gab ihm die Hand und sagte: »Lebewohl, grüße auch deine Mutter.« Dann lief sie ins Haus und Fritz setzte sich gegen eine Weide, dem Forsthaus gegenüber, um die Abfahrt des Wagens zu beobachten. Eine Stunde etwa mußte er warten, dann kam die Kutsche; eine alte Dame in rauschendem Gewande stieg ein, der Forstmeister küßte sein Töchterchen und setzte es in den Wagen. Eine andere Dame, wahrscheinlich die Gesellschafterin, folgte. Magda sah Fritz jenseits des Weges an der Weide gelehnt stehen. »Lebewohl, Fritz,« rief sie ihm zu und bog sich weit aus dem Wagen. Er schwenkte die Mütze und rief: »Bleib nicht zu lange.« Sie hörte es nicht mehr, der Wagen war schon um die Ecke gefahren und in schnellem Trabe ging es zum Dorf hinaus, der nächsten Bahnstation zu.

Der Forstmeister stand noch eine Weile und sah betrübten Herzens dem davoneilenden Kinde nach. Wie gern hätte er das kleine, muntere Vögelchen behalten, aber Verwandte hatte er nicht, die ihm den Haushalt hätten führen können, und die Großmutter hatte es ihm vorgestellt, wie viel besser in ihrem Hause für die Erziehung des Kindes gesorgt würde, wie es überhaupt des Kindes Glück sein würde, wenn sie ihm ihre Teilnahme widme, sie sei reich und Magda voraussichtlich die einzige Erbin. Das Gut der Großmutter lag freilich in weiter Ferne und das Wiedersehen war dadurch erschwert, aber der Gedanke, sein Kind wohl versorgt zu wissen, mußte über die schwere Trennung hinweghelfen.

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