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22. Neue Entschlüsse.

Alle saßen längst in der Veranda beim Kaffee, Frau Ehrlich hatte schon die Tasse beiseite geschoben und strickte für die Enkel. Frau Schlick saß neben ihr und unterhielt sich angelegentlich mit der alten Dame. Ihre originellen, offenen Bemerkungen belustigten sie, und schließlich fand sie es ganz angenehm, nicht immer an ihre Toilette denken zu müssen; es gab ja niemand hier, mit dem sie wetteifern konnte. So nahm sie sich ein Beispiel an den fleißigen Strickerinnen und strickte auch für ihre Kinder. Letztere erholten sich hier merklich in der kräftigen Gebirgsluft und auch sie selbst konnte Besserung spüren.

Minchen und Jettchen sahen oft besorgt nach Magda aus, die noch immer nicht erschien. Nichts regte sich. »Als ich aufstand,« hatte das Luischen gesagt, »schlief Magda so fest, daß ich sie nicht wecken mochte, ich glaube, sie ist gestern sehr spät zu Bett gegangen.« Dann war das Kind fröhlich mit den Gespielinnen davongelaufen. »Wie wird sie nur kommen?« hatte Minchen Jettchen zugeflüstert. »Ja, wie wird sie kommen?« seufzte Jettchen, »wenn nur nicht die ganze Kur verloren geht.« »Und alles Geld umsonst ausgegeben wird,« fügte Minchen leise hinzu.

»Sie sehen ja beide so gedrückt aus,« rief eine wohlbekannte Stimme aus dem Hause, und Magda erschien, mit einem Ausdruck, den man sonst nicht an ihr wahrgenommen hatte. »Ich freue mich heute sehr auf den Kaffee, oder gibt's keinen mehr, weil ich nicht zur rechten Zeit kam?« Beide Mädchen sahen Magda erstaunt und verwundert an. Minchen eilte schnell, den warmgestellten Kaffee zu holen, wurde aber an der Haustür von Magda zurückgehalten. »Ich finde, Sie verwöhnen mich hier reichlich, ich schäme mich, daß ich es erst jetzt bemerke, wie Sie immer laufen und springen, um mir alles bequem zu machen.« Sie gingen miteinander in das Erdgeschoß, wo die Wirtschaftsräume lagen. Dort blieb Magda stehen in dem langen Gang, sah Minchen in die treuen Augen und sagte: »Minchen, mir sind in dieser Nacht die Augen über manches aufgegangen, besonders darüber, daß ich bis jetzt recht selbstsüchtig gewesen bin. Daraus ist viel Unheil gekommen, das glauben Sie mir.« »Sie liebes Kind,« rief Minchen innig und umschlang sie, »wenn Sie das einsehen, dann haben Sie einen großen Schritt vorwärts getan.« »Und mit wessen Hilfe? Wenn ich Sie jetzt nicht gehabt hätte, ich wüßte nicht, was aus mir geworden wäre. Nun wünsche ich nichts weiter, als denselben festen Grund unter den Füßen zu haben, Sie und meine Mutter werden es mich immer mehr lehren.« »Der Herr läßt sich finden von denen, die ihn suchen, in ihm haben wir Leben und volles Genüge. Sie liebes Kind, wie freue ich mich, daß ich Sie so finde. O, wie ich Sie lieb habe. Nennen Sie mich von heute an ›Tante‹. Wollen Sie? Ich habe mir immer eine Nichte gewünscht und habe nur die beiden lebhaften Jungen zu Neffen.« – »Das tue ich gern, Tante Minchen, aber dann muß ich auch ›Du‹ sagen.« »Natürlich, das gehört dazu, und mein Jettchen und ich sind eins.« »Versteht sich,« sagte Magda, »aber der Kaffee?« »Ja so, der Kaffee,« rief Minchen erschrocken.

»Wie reizend fängt dieser Tag an,« begann Magda aufs neue, »und dazu draußen der schöne Sonnenschein. Aber es ist mir auch, als ob drinnen im Herzen die Sonne schiene, ich fühle mich so leicht, so fröhlich.« »Wissen Sie, woher das kommt?« sagte Minchen, sie forschend ansehend, »Sie haben gebetet.« Magda nickte und Tränen traten ihr in die Augen. Da erschien Jettchen von der andern Seite des Ganges. »Mutter schickt mich, ob die Kaffeekanne zerbrochen oder sonst ein Unglück geschehen sei.« »Im Gegenteil,« sagte Minchen, »du bist eben Tante geworden.« »Ja, liebe Tante Jettchen, ich habe eben Brüderschaft mit euch beiden gemacht, wir wollen uns ewige Freundschaft geloben.« Die beiden alten Damen nahmen die junge wieder in die Mitte und bald drückte die eine sie an sich, bald die andere. Da erschien Frau Ehrlich selbst mit dem Strickstrumpf in der Hand. »Aber Kinder, ihr gebraucht ja ungebührlich viel Zeit, um eine Kanne Kaffee zu holen, wie gut, daß ich schon getrunken habe, ich hätte nicht darauf warten mögen.« »Wollen Sie meine Großmutter sein, darf ich Sie ›Großmutter‹ nennen,« rief Magda schelmisch und schlang beide Arme um die Alte. »Von Herzen gern, mein liebes Kind,« und nun wurde die dritte Liebeserklärung auf dem Gang gemacht, bis endlich die Wirtin den Kopf aus der Tür steckte und sagte: »Wissen die Damen, daß hier immer noch Kaffee auf dem Feuer steht für jemand, der noch nicht getrunken?« »Ja, jetzt wird's Zeit,« sagte Minchen energisch, »du hast nüchtern schon so viel Liebeserklärungen entgegengenommen, daß du dich unbedingt nun stärken mußt.« Fröhlich zog die ganze Gesellschaft in die Veranda zurück. Dort wurde über einen gemeinsamen Spaziergang beraten, der am Nachmittag unternommen werden sollte, dann ging man in die Badezellen.

Luischen sah immer verstohlen nach Magdas Gesicht, sie konnte sich den Wechsel zwischen gestern abend und heute nicht erklären, wurde aber immer froher, als sie wahrnahm, daß Magdas Fröhlichkeit standhielt, ja, daß sie die Liebenswürdigkeit angelegt hatte, welche sie bei jedermann beliebt machte. Wie viele Menschen gab es doch, die man liebhaben konnte, welche Befriedigung gewährte es, andern etwas zuliebe zu tun; das Leben sah gar nicht so öde und trostlos aus, wie es Magda gestern erschienen war. Wieviel gute Vorsätze faßte sie; sie wollte den Eltern eine gehorsame, liebevolle Tochter sein, ihr Leben sollte einen höheren Zweck, ein edleres Ziel haben wie bisher, sie wollte nichts für sich wünschen als das eine, daß sie wachsen und zunehmen möchte am inwendigen Menschen, daß sie Gottes liebes Kind sein möchte, aus seiner Hand nehmend Freude und Leid, wie er es gut für sie ersehen. Nun konnte sie ruhig an Dr. Wendt und Irene denken, sie bat Gott, ihr zu helfen, gegen Irene freundlich zu sein, wenn sie dieselbe wiedersehen würde. – Jettchen und Minchen waren so lieb und gut mit ihr, seit jenem Abend noch in verstärktem Maße. Sie pflegten sie nach Kräften, dies und die guten Bäder bewirkten, daß Magda wieder frisch und rosig wurde, und als der Tag der Abreise gekommen, versicherte Frau Ehrlich, Magdas Aussehen sei vortrefflich, sie könne sich wohl vor den Eltern sehen lassen. Als der Wagen vor der Tür hielt, welcher Frau Ehrlich mit ihren Töchtern und Pflegebefohlenen wieder nach Hause bringen sollte, da kamen aus allen Ecken und Enden die Badegäste herbei, um ihrer lieben Mutter, wie sie sie gern genannt hatten, Lebewohl zu sagen. Sie kamen mit Blumen und Erinnerungszeichen, es war ein Händedrücken und Abschiednehmen! Dann ging es fort, der städtischen Heimat zu. Magda aber behielt diesen kleinen Badeort zeitlebens im Gedächtnis, weil sie hier so viel durchlebt und durchkämpft hatte.

Man kam ziemlich spät zu Hause an. Die Eltern standen mit den Brüdern an der Haustür und breiteten die Arme aus, ihre Kinder zu begrüßen. Wie herzlich und liebevoll war der Empfang! Die Mutter sah Magda forschend an. »Bist du denn kräftiger geworden, liebes Kind?« »So kräftig, daß ich den ganzen Haushalt allein führen kann, Mütterchen.« »Es wird wohl so werden,« sagte die Mutter ernst, »der Vater und ich müssen morgen eine große Reise antreten, doch davon später, nach dem Essen sollst du alles erfahren.« Und Magda hörte, daß die alte Großmutter sehr krank sei, und nicht allein das – die Vermögensverhältnisse waren derart, daß das Gut verkauft werden mußte und der alten Dame wahrscheinlich wenig oder gar nichts bleiben würde. Nun hatten Magdas Eltern beschlossen, Frau von Busch, sobald sie reisen könne, zu sich zu holen und ihr den Lebensabend so angenehm als möglich zu gestalten. Magdas Mutter, die von ihr so gekränkte und mißachtete, fühlte, daß nun der Augenblick gekommen sei, wo sie der alten Dame Böses mit Gutem vergelten dürfe; deshalb wolle sie selbst mit, weil es der Erfahrung und Weisheit einer schon im Leben geprüften Frau bedurfte, um die alte Dame nicht nur in ihrer Krankheit zu pflegen, sondern sie in der Trübsal zu trösten und ihr dann schließlich ihr Heim anzubieten.

»Magda,« sagte Frau Forstmeister, als sie am Abend vor der Abreise ein Weilchen allein mit ihr war, »ich könnte mir nun eine Wirtschafterin nehmen, die das Hauswesen besorgte, aber da du während meiner Krankheit alles aufs beste versehen hast, habe ich das Zutrauen, daß du auch während meiner Abwesenheit ein gutes Hausmütterchen sein wirst. Ich lege alles vertrauensvoll in deine Hände, willst du?« Magda umschlang die Mutter, Tränen traten ihr in die Augen, mit bewegter Stimme sagte sie: »Ich will alles so machen, daß du mit mir zufrieden sein kannst.« »Da Ehrlichs mir versprochen, daß sie dir mit Rat zur Seite stehen wollen und euch bemuttern, so glaube ich, daß wir ruhig reisen können.« »Wer hat euch denn von der Krankheit der Großmutter geschrieben?« »Der Pfarrer des Ortes. Der alte Herr ist ja, wie du weißt, gestorben, und der jetzige Geistliche ist ein junger Mann, der die Verhältnisse nicht kennt. Er schrieb nur, die alte Dame sei krank und verlassen; da er in Erfahrung gebracht, daß noch ein Schwiegersohn lebe, so wende er sich an diesen mit der Bitte, womöglich selbst zu kommen. Mein Entschluß, mitzureisen, stand gleich fest.« Wie edel war es von der Mutter, daß sie so dachte; Magda hatte häufig gehört, wie die Großmutter von der zweiten Frau ihres Vaters geringschätzig geredet hatte.

Die Eltern reisten noch in derselben Nacht ab und Magda war stolz darauf, daß ihr die Verwaltung des Hauses übertragen worden war.

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