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23. Die Krankenwärterin.

Am Abend des folgenden Tages langten sie auf dem Gut an. Eine traurige Öde und Stille empfing sie. Nichts regte sich in dem alten Schloß. Nur im linken Flügel brannte ein kleines Licht, nicht einmal in der Halle war eine Lampe. Der Forstmeister klingelte laut, niemand kam. Er klingelte heftiger – da trippelte etwas leise herbei, es war eine alte Frau, die ziemlich mürrisch und unfreundlich aussah. »Was bedeutet dies?« fuhr der Forstmeister sie an, »wo ist die Dienerschaft? Warum ist alles in Dunkelheit gehüllt?« »Wissen der Herr nicht, daß der größte Teil der Dienerschaft entlassen ist, daß die gnädige Frau in Schulden steckt und daß das Gut nächstens verkauft werden muß?« »Wohin geht denn die gnädige Frau?« »Die kann überhaupt nicht gehen, sie liegt schwer krank im Bett.« »Wer pflegt sie denn?« »Eigentlich die Minna, aber sie ist ein wenig ins Dorf gegangen; ich komme ab und zu und sehe nach ihr, aber wenn man nichts für seine Dienstleistungen bekommt – kann man auch nicht immer dableiben.« »Sie bekommen von heute an Ihren vollen Lohn, wenn Sie hier bleiben, um für die gnädige Frau und für uns zu sorgen. Für die geleisteten Dienste ist hier etwas.« Mit diesen Worten warf der Forstmeister ein Geldstück auf den Tisch, die Alte griff gierig danach und ihre Züge klärten sich sichtlich auf.

»Führen Sie mich zu der Kranken,« bat die Forstmeistern, die sich ihres Hutes und Mantels entledigt hatte. Die Alte ging mit ihr durch verschiedene große Zimmer, endlich kamen sie an eine Tür, die nur angelehnt war. Eine düstere Lampe brannte in dem Krankenzimmer. In der Ecke rechts stand das Bett, auf welches die Forstmeisterin zuging. Dort lag Magdas Großmutter, die reiche Frau, mit der Magda stets geprahlt hatte, bleich und elend, ohne Liebe, ohne Pflege. Die Freunde aus der guten Zeit blieben jetzt, in der Zeit der Not, fern; sie lag hier und hatte nur die allernotwendigste Aufwartung. Das Bett sah aus, als sei es lange nicht aufgeschüttelt, die Lippen der Kranken waren trocken. Als sie merkte, daß sich jemand näherte, flüsterte sie: »Ich habe Durst.« Frau Forstmeister sorgte für ein kühlendes Getränk, dann legte sie ihr die Kissen bequem, und auf die Frage: »Wer sind Sie?« antwortete sie nur: »Ihre Wärterin.« Befriedigt schloß die alte Dame die Augen und fiel bald in einen Schlaf.

Von nun an walteten die beiden Gatten vereint im Schloß, die Forstmeisterin mit stillem, sanftem Geist, ihr Mann mit Tatkraft und Verstand. Er sah sich überall um, in den Feldern und Scheunen, auf dem Hofe und in den Wirtschaftsgebäuden, überall Unordnung und Mißstände. Er ließ sich die Rechnungsbücher vorlegen und staunte, welche Mißwirtschaft seit Jahren geführt worden war. Während Frau von Busch der Meinung gewesen, sie sei reich und habe alles in Fülle, war das Gut vollständig heruntergewirtschaftet und tief verschuldet. In die Privatkasse untreuer Inspektoren war dagegen viel Geld geflossen. Der Zusammenbruch, der sich allmählich vorbereitet hatte, war der alten Dame unerwartet gekommen, der Schreck hatte sie fast gelähmt. Der Kaufpreis würde kaum die Schulden decken, was dann? Der Forstmeister stützte sorgenschwer das Haupt. Was sollte aus der alten, verwöhnten Frau werden, würde sie einwilligen, mit ihnen zu gehen, würde sie sich in ihrer einfachen Häuslichkeit wohl fühlen? Bis jetzt ahnte sie die Anwesenheit des Schwiegersohnes nicht, bis jetzt hielt sie die Schwiegertochter noch für ihre Wärterin, hatte sie aber als solche liebgewonnen und schien mit Angst dem Zeitpunkt entgegenzusehen, wo dieselbe sie verlassen würde. Sie konnte jetzt wieder aufstehen, hatte auch Appetit, war aber so niedergedrückt und traurig, daß Forstmeisters es für geraten hielten, endlich einmal mit ihr über ihre Lage zu sprechen. Die Forstmeisterin hatte eines Tages zum erstenmal die alte Dame in ihr Wohnzimmer gebracht, sie saß dort, wohl eingepackt in ihrem bequemen Lehnstuhl, eben hatte die Forstmeisterin ihr etwas Wein zur Stärkung gereicht, da begann Frau von Busch: »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wer Sie sind und wer Sie hergeschickt hat, mich zu pflegen?« Die Forstmeisterin errötete und sagte: »Mich hat die Liebe geschickt.« »Ich habe keine Liebe, ich habe keine Verwandte, keine Freunde, ich habe niemand, der sich um mich kümmert, ich bin eine arme, unglückliche Frau, die sich auf ihr Geld verlassen hat und betrogen ist.« Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und saß regungslos da, nur von Zeit zu Zeit tiefe Seufzer ausstoßend. »Sollten Sie wirklich keine Verwandte haben, die sich um Sie kümmern?« »Ich habe eine Enkelin, die mich vergessen hat. Nein, vergessen hat sie mich nicht, sie schreibt mir noch, kurz vor der Krankheit hatte ich einen Brief von ihr, der mich, einer besonderen Nachricht wegen, sehr aufgeregt hat. Doch davon will ich schweigen, das sind Familienangelegenheiten. Die Eltern meiner Enkelin habe ich tief gekränkt, sie werden nie zu mir kommen.« »Warum denn nicht?« »Ich habe die zweite Frau, die meiner verstorbenen Tochter Stelle eingenommen hat, nicht sehen wollen, ich habe häßliche Äußerungen über sie getan, deshalb hat der Schwiegersohn auch nicht wiederkommen mögen.« »Wissen Sie denn, daß diese Frau Ihnen darum zürnt?« »Natürlich tut sie es und das mit Recht.« »Ich glaube, wenn Sie ihr schrieben, wie es hier steht, sie würde gern kommen.« »Dazu wird sie keine Lust haben und auch nicht die Mittel; sie ist arm und mein Schwiegersohn lebt von seiner Pension, die auch nicht reichlich sein wird.« Frau Forstmeister sagte: »Wenn die Frau des Schwiegersohns nun doch käme, was würden Sie mit ihr machen?« »Das ist unmöglich, wer so beleidigt ist, wird nie verzeihen.« »Ich fühle mich aber gar nicht beleidigt, liebe Frau von Busch, ich möchte nur, Sie hätten mich ein klein wenig lieb und vertrauten mir.« Frau von Busch sah erstaunt und argwöhnisch auf. Von oben bis unten prüfte sie die Dame, die jetzt vor ihr stand. »Sie wären –?« rief sie. Die Forstmeisterin ergriff ihre Hand und führte sie an ihre Lippen. »Seien Sie mir nicht böse, daß ich mich bei Ihnen eingeschmuggelt habe; als wir hörten, daß Sie krank seien und in so großer Bedrängnis, beschlossen wir, sofort abzureisen und Ihnen beizustehen. Mein Mann ist mit mir gekommen und hat in der Wirtschaft auf Recht und Ordnung gesehen, während ich im stillen Krankenstübchen die Wärterin machte.« »Und mit welcher Aufopferung haben Sie mich gepflegt,« rief Frau von Busch ganz überwältigt und gerührt. »Sie haben feurige Kohlen auf mein Haupt gesammelt, wie habe ich das verdient? Sie haben wie eine Tochter an mir gehandelt, wollen Sie die Stelle derselben bei mir einnehmen?« Sie zog die Forstmeisterin, welche vor ihr niedergesunken war, an sich und küßte sie, und die einst so schwer gekränkte Schwiegertochter empfand die Erfüllung des Wortes: »Wer Liebe säet, erntet auch Liebe.«

Frau von Busch begehrte den Schwiegersohn zu sehen, erst jetzt lernte sie ihn und sein edles Herz kennen; es war ein reichbewegter Tag, der sie um zwei Kinder reicher machte. Am Abend, als sie das erstemal alle drei beisammen saßen, beratschlagte sie mit dem Schwiegersohn über die Zukunft. Verkauft mußte das Gut werden und es fragte sich noch, ob die Kaufsumme die Schuldenlast decken würde. »Auf jeden Fall kommst du, liebe Mutter, zu uns, nimmst an den Freuden und Leiden unseres einfachen Familienlebens teil. Unsere Kinder sollen dich liebhaben und pflegen.« Die Mutter wollte protestieren, mochte ihnen nicht die Last auflegen; erst nachdem beide immer wieder versichert hatten, daß es keine Last für sie sei, daß sie genug zu leben hätten für sie alle, willigte sie ein. »Ich wähnte mich einsam und verlassen, habe schwere Tage und Stunden durchgemacht, und nun habe ich zwei so liebe Kinder, die mich in der Not nicht verlassen wollen. Meine beiden eigenen Kinder sind tot,« fuhr sie mit einem tiefen Seufzer fort, – »ja tot, oder sollte mein Adolf wohl noch einmal wiederkommen?« Der Forstmeister fragte teilnehmend, ob die Mutter je eine Kunde von ihm gehabt. Sie schüttelte traurig den Kopf. »Wie unrecht habe ich in meiner Heftigkeit getan, daß ich ihn nicht anhören mochte, ihn gleich verdammte. Seine Schuld ist lange nicht so groß, als ich meinte, seine Heftigkeit hat ihn übermannt, wie schwer hat er dafür büßen müssen. Durch Magda höre ich, daß der Freund, den er meinte erschossen zu haben, lebt! Zwei Briefe, die derselbe nach seiner Genesung an Adolf geschrieben, welche die ganze Sache aufgeklärt haben würden, habe ich in meiner Verblendung vernichtet, weil ich nichts mit einem Mörder zu tun haben wollte. Wie schwer bin ich auch bestraft für meine Heftigkeit, für meinen Stolz.« Frau Forstmeisterin, besorgt, daß die Aufregung der alten Dame schaden möchte, meinte, es sei die höchste Zeit für sie, zu Bett zu gehen, und eingedenk ihres Wärteramtes führte sie Frau von Busch in ihr Schlafgemach, um ihr, wie gewöhnlich, beim Entkleiden zu helfen. »Wenn ich geahnt hätte, wer du wärest, würde ich mir diese Dienste nicht haben gefallen lassen.« »Eine Tochter kann es, ja noch viel eher als eine Wärterin tun, ich bin so glücklich, liebe Mutter, wenn du es von mir annimmst.« »Du liebes, edles Kind, hätte ich dich früher gekannt, wie viel Schweres wäre mir erspart geblieben, mein Stolz und mein Hochmut waren schuld daran.« Als die Gatten später allein saßen und von allem sprachen, was ihr Herz bewegte, waren sie dankbar, daß Haß und Bitterkeit der Liebe Platz gemacht hatten und das Herz der alten Dame ihnen fortan gehörte.

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