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12. Ein Wiedersehen.

»Wie lange haben wir uns nicht gesehen!« rief Lucie eines Tages, es war Mitte Februar, als Magda in feinem Gesellschaftsanzug in das Zimmer trat. »Wie gut, daß du die erste bist, Magda, ich habe dir allerlei zu erzählen; zunächst muß ich dir sagen, daß es heute bei uns ganz großartig wird. Mama hat zur Feier meines Geburtstages einige junge Herren unserer Bekanntschaft eingeladen, es soll getanzt werden. Das große Zimmer ist ausgeräumt, wir haben einen Klavierspieler und werden uns gewiß herrlich amüsieren.« Frau Laube kam auch dazu und begrüßte Magda sehr herzlich. »Heute habe ich einen Brief von Ihrer Großmutter erhalten,« sagte Frau Laube, »aber die alte Dame schreibt recht bedrückt. Sie hat große Unannehmlichkeiten mit einem Inspektor gehabt, derselbe hat sie vielfach betrogen; es ist schon viel an den Tag gekommen, und die Untersuchung, die im Gange ist, wird noch mehr enthüllen. Es taugt nichts, wenn eine alte Dame so allein auf einem großen Gute lebt. Großmama hätte besser getan, es zu verkaufen, sie würde viel weniger Sorgen haben.« »Das tut Großmama nicht,« versetzte Magda stolz, »Großmutter bleibt auf dem Erbe ihrer Väter.« »Nun, wir wollen wünschen,« sagte Frau Laube, welche schon allerhand hatte munkeln hören, »daß sie doch nicht eines Tages gezwungen wird, an einen Verkauf zu denken. Es ist schade, daß der einzige Sohn ihr den Kummer machte, in die weite Welt zu gehen.« »Ja, das konnte Großmama nie verwinden, sie hat mir zuweilen, wenn wir ganz allein waren, von Onkel Adolf erzählt, welch ein gutes Kind und was für ein gehorsamer Sohn er stets gewesen, bis – bis –« Sie errötete und brach ab.

Sie hatte einmal von dem Schrecklichen gehört, was er in der Heftigkeit sollte begangen haben, aber es war ihr verboten, davon zu sprechen. Sie setzte deshalb schnell hinzu: »Er ist gewiß längst tot, sonst würden wir doch einmal etwas von ihm gehört haben.« »Hat Großmutter dir denn geschrieben?« »Nur einige Male, sie zürnt mir immer noch ein wenig, daß ich sie verlassen habe.« »Nun, kleine Magda, möchten Sie denn nicht wieder mit uns gehen, Ende April oder Anfang Mai denken wir auf unser Gut zurückzukehren, wenn Ihnen also zu Hause etwas nicht paßt, kommen Sie nur wieder mit zur Großmama.« Magda wollte eben etwas darauf erwidern, da traten andere Gäste ein, und die Aufmerksamkeit wurde anderweitig in Anspruch genommen. Die jungen Mädchen schienen heute sehr belebt. »Denke dir,« sagte eine zur andern, »er kommt auch heute, Lucie sagte eben, er hat Besuch gemacht und ist eingeladen worden.« »Das ist ja reizend,« riefen sie alle und einige klappten vor Vergnügen in die Hände. »Von wem ist denn die Rede?« fragte Magda neugierig. »Von einem jungen Doktor oder Privatdozenten an der hiesigen Universität, der gewiß bald Professor wird. Er soll sehr klug sein, man sieht es ihm gleich an,« sagte eins der jungen Mädchen, das andere fügte hinzu: »Du solltest ihn nur auf dem Eise Schlittschuhlaufen sehen, er läuft brillant, alle sagen, es tut's ihm keiner zuvor.« »Ob er wohl ebensogut tanzt?« So schwirrte alles durcheinander, und Magda war sehr gespannt auf die Erscheinung dieses jungen Herrn, für den die Mädchen alle zu schwärmen schienen.

Es kam ein Herr nach dem andern und wurde vorgestellt, bei jedem fragte Magda ihre Nachbarin: »Ist dies der berühmte Schlittschuhläufer oder der kluge Mann?« Bei jedem hieß es: »Nein, dieser nicht,« bis sich abermals die Tür auftat und Magdas Nachbarin sie in die Seite stieß mit den Worten: »Das ist er.« Ja, ein feiner und klug aussehender Herr war das, die Mädchen hatten recht, der konnte schon gefallen. Er verbeugte sich nach rechts und links und ließ sich vorstellen, bis die Reihe auch an Magda kam. Sie achtete nicht so auf seinen Namen wie er auf den ihrigen. Als er sie nennen hörte: »Fräulein Magda Binder,« da stutzte er und sah sie scharf an, als besänne er sich, ob er die junge Dame nicht schon einmal gesehen habe. Dann folgten andere Vorstellungen, und bald war Dr. Wendt, so hieß der Herr, mit der Dame des Hauses im Gespräch; Magda wurde von einem andern Herrn angeredet, daß sie ihn und er sie nicht weiter beobachten konnte. Die Herren waren meistens Brüder der jungen Mädchen, nur Dr. Wendt war als Freund dieser Brüder mit aufgefordert, an dieser kleinen Geselligkeit teilzunehmen.

Das Tanzen begann, der Klavierspieler tat seine Schuldigkeit, er schlug mit den Händen auf die Tasten und wiegte mit seinem Körper den Takt dazu. Die Paare drehten sich zierlich im Kreise. Jetzt hatte Dr. Wendt Magda aufgefordert, sie tanzte leicht und gut, und so flogen sie dahin in schnellem Walzer. Bei eintretender Pause führte der Doktor seine Dame an ihren Platz, stellte sich neben sie und begann eine Unterhaltung, sie immer scharf fixierend. Endlich sagte er lächelnd: »Fräulein Binder, wir sind eigentlich noch Bekannte von früher her, erinnern Sie sich nicht, mich schon einmal gesehen zu haben?« Treuherzig versicherte Magda, ihn heute zum erstenmal in ihrem Leben zu sehen, sie kenne ihn gar nicht, habe überhaupt heute zuerst durch die jungen Mädchen von ihm gehört. Er lächelte und beharrte darauf, sie habe ihn gesehen. »Sagen Sie mir, wann und wo?« bat Magda, »ich weiß es wirklich nicht.« »Nein, das sage ich nicht,« war die Antwort, »Sie müssen es selbst herausfinden.« »Ist es in Goldenau bei meiner Großmutter gewesen?« fragte sie nachdenklich. »Doch nein, das müßte ich ja wissen, so kurz von Gedanken bin ich nicht.« Er zuckte mit den Achseln, und da die Musik wieder einsetzte und er den nun beginnenden Tanz einem andern jungen Mädchen zugesagt, so bat ihn Magda noch einmal schnell, ihr doch von dieser Begegnung zu sagen. Er versprach solches zu tun, aber nicht heute, sondern das nächstemal, wenn sie sich wieder begegneten, bis dahin solle sie nachdenken, ob sie vielleicht von selbst darauf käme. Sie glaubte, er sei in einem Irrtum befangen und verwechsele sie mit irgend einem andern jungen Mädchen. Nun kam ein bekannter, junger Herr zu ihr und bat um den Tanz, so verflog der Abend in bunter Abwechslung. Bei Tisch saß Dr. Wendt ziemlich weit von ihr entfernt, und als ihr Wagen gemeldet wurde, war er gar nicht zu sehen. Sie kam in sehr heiterer Stimmung nach Hause, die guten Eltern saßen, wie gewöhnlich, und warteten auf sie. Es war ihnen gar nicht recht, daß Magda in diesem Winter öfters ohne sie ausgegangen war, doch da sie mit Laubes keinen eigentlichen Verkehr hatten, dort auch meist nur junge Damen eingeladen wurden, so mußten sie Magda schon allein gehen lassen. Als der Forstmeister hörte, daß es Musik und Tanz mit jungen Herren gegeben, meinte er, das sei ihm nicht lieb, es wäre nur von einer Geburtstagsfeier die Rede gewesen, wenn er das gewußt hätte, hätte Magda von der Mutter begleitet werden müssen. »O, Vater,« rief Magda, »es waren ganz bekannte Herren, Brüder und Vettern von Luciens Freundinnen; es war nur ein fremder Herr dabei, der behauptete mich zu kennen.« »Nun, dann kennst du ihn doch jedenfalls auch.« Magda verneinte dies energisch, und der Vater sagte kopfschüttelnd: »Das ist ja sonderbar, hättest du dir nur den Namen gemerkt.« »Es wurden so viele Namen genannt, daß ich sie gar nicht alle behalten konnte.« »Für morgen,« meinte die Mutter, »ist schon wieder etwas vor, der Vater und ich haben eine Einladung von Professor Müllers erhalten, du sollst uns begleiten.« Dies war eine den Eltern befreundete Familie, in der sie gern verkehrten. Die zahlreichen Töchter, zum Teil in Magdas Alter, waren Mädchen, deren Umgang die Eltern sehr für ihre Tochter wünschten. Sie hatten alle ein ernstes Streben, waren wohl unterrichtet und hatten ihre Pflichten zu Hause, die ihnen nicht gestalteten, nur dem Vergnügen zu leben.

Also wieder ein Besuchsabend für Magda, wenn auch in anderer Weise, als der gestrige. Es war ein Kreis von älteren Herren und Damen, junge Mädchen gab es nur sechs, die fünf Töchter des Hauses und Magda. Zwei kamen sehr erfreut auf Magda zu und legten Beschlag auf sie. Sie nahmen sie mit sich in ihre hübsche Stube und fragten, ob sie ihnen wohl später etwas helfen werde beim Decken des Tisches. »Wo sind Ihre Schwestern?« fragte Magda, nachdem sie sich gern dazu bereit erklärt hatte. »Ach, wir nennen uns doch nicht ›Sie‹,« sagte Anna, die älteste von den beiden, das ›Sie sagen‹ ist so steif.« »Nun denn ›Du‹, mir ist es auch lieber,« sagte Magda. »Dann mache ich es aber für die abwesenden Schwestern auch gleich aus, es ist ihnen lieb, wenn es gleich in Ordnung gebracht wird. Es ist Sitte bei uns, daß wir uns mit allen jungen Mädchen dutzen.« »Mir ist es sehr recht,« war Magdas Antwort, »wo sind denn aber die andern?« »Sie haben alle zu tun,« sagte Else wichtig, »wir wollen sie aufsuchen, zwei sind in der Küche.« »In der Küche, heute abend?« »Ja, sie haben die Woche. Wir haben eine sehr gute Köchin, aber die Eltern wollen, daß wir alles selbst lernen; heute haben sie schon tüchtig geschwitzt, aber das hilft nicht, nächste Woche kommen wir wieder dran. Komm, Magda, wir wollen ihnen einen kleinen Besuch abstatten, das wird ein Lichtblick für sie sein.« Sie gingen mit Magda in das Untergeschoß der hübschen Villa, welche der Professor bewohnte, und fanden dort Marie und Lena, die mit erhitzten Angesichtern den Braten begossen, Eier zu einer Speise einschlugen und hier und da von der Köchin angestellt wurden.

»Guten Tag, Magda, wir haben jetzt gar keine Zeit, nach Tisch genießen wir uns,« rief Marie, und Lena sagte: »Geht doch lieber wieder nach oben, wenn wir jetzt schwatzen, könnte uns etwas Dummes passieren, wir kochen heute zum erstenmal am Gesellschaftsabend.« »Nun, dann gehen wir zu Sophie, die oben lernt,« sagte Elsa. »Was lernt sie denn?« fragte Magda. »Erschrecklich viel, ich kann's nicht alles aufzählen, sie will Lehrerin werden und nächstes Jahr ihr Examen machen.« »Sie ist wohl sehr klug?« »Die klügste von uns, sie ist so klug, daß sie eigentlich –« »Bst, Elsa, du sagst es nicht –« »Warum nicht, es ist doch kein Unrecht.« »Nein, Unrecht nicht, aber du weißt doch, wie Papa böse geworden ist und wie er gesagt hat, sie solle ihm nie wieder mit so etwas kommen,« Anna ging die Treppe vorauf und Magda, die sehr neugierig geworden war, fragte Elsa leise: »Was wollte Sophie eigentlich?« »Sie wollte studieren,« flüsterte sie leise, »aber laß dir nichts merken.« »Studieren? Wie die Herren?« fragte Magda halblaut. Anna wandte sich um und sagte: »Pfui, Elsa, nun hast du es doch gesagt. Na, wenn Magda es einmal weiß, können wir ja auch davon sprechen. Ja, denke dir nur, Magda, studieren wollte Sophie, sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, ein Doktor zu werden. Vater sagte, er wolle sich viel gefallen lassen, aber das denn doch nicht. Seine Töchter sollten nicht die Grenze überschreiten, die den Frauen gesetzt ist, sie sollten nicht ihre Weiblichkeit verlieren. Andere möchten anders darüber denken, aber aus seinem Hause sollten keine emanzipierte Frauen hervorgehen. Da wollte er lieber im Mittelalter gelebt haben, wo die Edelfrauen mit ihren Mägden am Spinnrad gesessen und wo edle Weiblichkeit höher geschätzt worden als das Jagen nach Dingen, die die Männer einmal besser verstehen als die Frauen. So glaube ich, sagte er, und noch viel mehr, es hat alles großen Eindruck auf uns gemacht, denn Vater ist so gelehrt und dabei so gut.« »Ja, er will, wir sollen alle etwas Tüchtiges lernen,« fügte die kleine Elsa hinzu. »Müßig sein dürfen wir gar nicht. Anna, die sehr musikalisch ist, wird in Gesang und Klavier ausgebildet –« »Ja, um später Stunden darin zu geben,« fügte Anna hinzu. »Und was willst du denn lernen, Elsa?« fragte Magda, welche die Kleine so gern mochte. »Ich werde jedenfalls etwas recht Gutes werden, ich denke schon viel darüber nach,« versetzte diese treuherzig.

Nun war man oben angekommen, Anna öffnete eine Tür und die jungen Mädchen betraten ein Zimmer, das ein sehr gelehrtes Ansehen hatte. Mitten in der Stube war ein großer Tisch mit einer Hängelampe darüber und auf dem Tisch lagen viele Bücher in bunter Unordnung. An dem Tisch saß ein junges Mädchen, eifrig mit Schreiben beschäftigt. »Bitte, stört mich nicht, noch einen Augenblick, dann bin ich fertig, aber bitte sprecht nicht mit mir, es ist der Aufsatzschluß, es liegt viel daran.« Neben Sophie saß ein lang aufgeschossener Jüngling mit roten Haaren, der eifrig zu lernen schien. »O, Vetter Julius,« rief Anna und kam von der andern Seite auf ihn zu, »wie kommt es, daß du hier sitzest?« Er machte Magda eine leichte Verbeugung und sagte seiner Cousine, daß er sich hierher begeben, da die Herren in seinem Zimmer ihre Sachen ablegten und ihn das gestört habe, er lerne die Glocke von Schiller. Dann stopfte er sich beide Ohren zu und lernte weiter, so daß Anna resigniert sagte: »Wir sind überall nicht zu brauchen.« »Ich bin fertig,« sagte Sophie, »nimm es mir nicht übel, Magda, daß ich dich nicht gleich begrüßte. So, nun wollen wir lustig sein heute abend.« Damit tauchte sie ihre Feder voll ins Tintenfaß und spritzte sie auf den Kopf des nichts ahnenden Vetters aus. Magda sah sie erstaunt an. »Das schadet nichts,« sagte sie fröhlich, »wir necken ihn immer ein bißchen. Nun wollen wir hinuntergehen, ich helfe euch den Tisch decken.« Sie ließen Julius mit seinem Schiller allein und liefen fröhlich hin und her, um die Tafel zu ordnen und zu schmücken: dabei wurde manche Kurzweil getrieben und Scherzworte flogen hin und her.

In der Nebenstube war auch eine rege Unterhaltung, der Forstmeister sprach besonders eifrig mit einem jungen Herrn, der nun aufstand und sagte: »Da seh' ich Fräulein Magda, darf ich gehen und mich ihr vorstellen als alten Bekannten?« »Natürlich,« rief der Forstmeister, »sie wird große Augen machen, wer sich da entpuppt; ich habe Sie ja selbst nicht wiedererkannt, mein lieber, junger Freund.« Herr Dr. Wendt, denn dieser war es, betrat das Eßzimmer, wo eben Magda allein am Tisch stand und Blumen in einer Vase ordnete. »Fräulein Magda,« sagte nun Dr. Wendt, »ich freue mich, daß wir uns schon heute wiedersehen. Haben Sie wohl darüber nachgedacht, wo wir uns zuletzt gesehen haben?« Magda drehte sich nach dem Sprecher um und sah in die freundlichen Augen des jungen Mannes, der schon gestern so bekannt getan. Es war, als tauchte plötzlich eine Erinnerung aus längst vergangenen Tagen in ihr auf, diese Augen, die so freundlich blitzten, wo hatte sie sie doch gesehen? »Ich sehe schon, ich muß Ihrem Gedächtnis zu Hilfe kommen,« sagte Dr. Wendt. »Denken Sie noch an den Tag, da Sie in der schönen Kutsche mit der reichen Großmutter aus dem Forsthof fuhren, erinnern Sie sich des Knaben, der an der Weide lehnte, dem Sie ein lebhaftes Lebewohl zuriefen? Damals haben wir, die wir täglich miteinander verkehrten, uns zuletzt gesehen.« Magda sah ihn starr an. Endlich fand sie Worte: »Sie wären!« – rief sie voll Staunen und betrachtete ihn von oben bis unten – »Fritz Wendt, der arme Junge, der Ihnen im Frühling von den biegsamen Weiden die Flöten schnitzte.« »Sind Sie Fritz Wendt!« sagte Magda noch einmal, »was ist aus Ihnen geworden!« »Damals wollten Sie es nicht glauben, daß noch einmal etwas aus mir werden könnte, und heute scheinen Sie es auch noch anzuzweifeln.« »Nein, durchaus nicht,« war Magdas Antwort, »Sie haben es ja durch die Tat bewiesen. Ich kann es mir nur noch nicht denken, daß der alte Spielgefährte meiner Kindheit vor mir steht.« »Und so gewachsen,« sagte Dr. Wendt lachend, indem er sich noch in die Höhe reckte. – »Nun, ich doch auch,« rief Magda fröhlich, »es liegt ja aber auch ein großer Zeitraum dazwischen, viele Jahre!« – »Welch' ein vertrauliches Zwiegespräch,« sagte Anna Müller zu ihrer Schwester Elsa, als sie mit der Suppe ins Zimmer traten. Magda, welche die Äußerung hörte, erzählte nun, sie seien ganz alte Bekannte und haben sich eben wieder erkannt. Neugierig kamen die Mädchen herzu, auch Sophie, welche noch an den Servietten zupfte, gesellte sich zu ihnen, da tauchten auch die roten Gesichter von Marie und Lena auf, es währte nicht lange, so war Dr. Wendt von sechs jungen Mädchen eingeschlossen, die alle gespannt zuhörten, was er aus der Jugendzeit erzählte.

Da guckte der Forstmeister durch die Tür und rief lachend: »Nun, haben Fritz Wendt und Magda Binder sich in die Kindheitsjahre zurückversetzt?« Er kam näher und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, er meinte, derselbe dürfe es ihm nicht übel nehmen, daß er ihn so vertraulich anrede, er sei doch seinerzeit sein väterlicher Freund gewesen. »Und mein Wohltäter,« setzte Dr. Wendt ernst hinzu, »ohne Ihre Hilfe hätte ich das Gymnasium nicht besuchen können.« Die sechs jungen Mädchen standen nun mit beiden Herren zusammen in fröhlicher Unterhaltung, bis plötzlich die Professorin rief: »Da steht die Suppe auf dem Tisch und wird kalt und meine fünf Mädchen rufen nicht einmal zum Essen. Herr Doktor, was haben Sie hier vor, daß Sie mir meine Mädchen so gedankenlos machen.« »O, Mutter,« riefen sie alle fünf durcheinander, »Magda und Herr Doktor haben sich schon als Kinder gekannt. Wie ist dies interessant!« »Interessanter finde ich es, wenn wir unsere Suppe warm essen, darf ich die Herrschaften bitten?« Man erhob sich im Nebenzimmer, die Herren führten die Damen zu Tisch. »Ich darf mir wohl meine kleine Spielgefährtin von früher ausbitten,« sagte der Doktor, Magda seinen Arm anbietend. So konnten sie das angefangene Gespräch fortsetzen und vertraulich von alten Zeiten plaudern. Dr. Wendt hatte eine liebenswürdige Art, von seiner Vergangenheit zu sprechen, mit treuherziger Offenheit schilderte er den andern jungen Mädchen, die in seiner Nähe saßen, seine frühere Armut, die kleine Hütte, worin er mit der Mutter gewohnt, welch ein Großes es ihm gewesen, wenn er habe in den Forsthof kommen dürfen, wie gerne er mit Magda gespielt und welch ein Schmerz es für ihn gewesen, als sie in der großmütterlichen Kutsche von dannen gefahren sei. »Sie wollten reich werden,« fügte er halblaut mit einem fragenden Blick auf Magda hinzu. Sie errötete. »Ich bin auch reich gewesen,« war die Antwort, »ich hatte alles, was ich nur wünschen konnte.« »Sie waren also ganz glücklich?« »Doch nicht ganz, es blieb –« »Und jetzt?« unterbrach er sie. »Jetzt bin ich bei meinen Eltern.« »Und sind mit Ihrem jetzigen Lose natürlich ganz zufrieden?« Sie errötete wieder und sagte endlich: »Sie fragen so viel, mein Vater wollte mich gern wieder haben, meine zweite Mutter kannte ich noch gar nicht.« Er wollte eben wieder eine Frage tun, da wurde ein Trinkspruch ausgebracht, und die Unterhaltung wurde allgemein. Der Forstmeister forderte den jungen Mann natürlich auf, bald seinen Besuch zu machen, was dieser versprach. Er meinte, wenn er eine Ahnung gehabt, daß Binders in der Stadt wohnten, wäre er längst gekommen. Erst gestern habe er davon gehört, wo er so eigentlich ohne seinen Willen in ein Mädchentanzkränzchen geraten sei, er, der eigentlich sonst nie Tanzgesellschaften besuche.

Magda meinte, nie einen so schönen Abend verlebt zu haben. Wie reizend waren die Mädchen, und welchen Eindruck hatte es ihr gemacht, daß die Erziehung eine ganz ähnliche war, wie sie in ihrem elterlichen Hause gehandhabt wurde; zur Arbeit und zum Fleiß wurden die jungen Mädchen angehalten, obwohl man von Professor Müllers wußte, daß sie in außerordentlich guten Verhältnissen lebten. Dann kehrten ihre Gedanken immer wieder zu Fritz Wendt zurück. Wie waren sie und er doch vergnügt zusammen gewesen, alles mußte er wissen, alles mit ihr teilen. Wie deutlich stand er jetzt vor ihr mit seinem treuherzigen Gesicht, mit seinem entschlossenen Wesen. Daß sie ihn so ganz hatte vergessen können! Das erste Jahr hatte sie wohl noch oft an ihn gedacht, dann aber war sein Bild mehr und mehr erloschen und zuletzt hatte sie kaum noch gewußt, daß es einen Fritz Wendt in der Welt gab. Nun stand er auf einmal vor ihr als gebildeter, feiner Herr, ihr weit überlegen an Gelehrsamkeit und Weisheit, was konnte alles aus einem Menschen werden! Sie freute sich schon auf das nächste Mal, wenn sie wieder zusammen sein würden; dann wollte sie ihn fragen, wie er es angefangen hatte, daß er ein so angesehener Mann geworden sei.

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