Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXI.

Wie ein aufgescheuchter Nachtvogel war die alte Frau in das Zimmer gerauscht. Das schwarzseidene Kleid, das prall an ihrem Körper lag, knisterte und knasterte, als ob die Seide brechen wollte. Der glanzlose, dunkle Schal war um den Kopf geschlungen, tief über die Stirn gezogen und bot gewissermaßen den düsteren Rahmen, in den dies kummervolle Gesicht gespannt war.

»Laß uns allein, Salomon«, sagte sie, nachdem sie mit einem Blick der funkelnden Augen den Raum überflogen und sich davon überzeugt hatte, daß von der anderen das Feld geräumt war.

Salomon nickte lautlos und verließ das Zimmer.

Und nun ging etwas merkwürdiges in der alten Frau vor. Über alles Leid hinweg füllte sie ein Gefühl des Taumels aus, während sie den Sohn betrachtete, der mit geschlossenen Augen elend und verfallen dalag.

»Hast mich doch in Deiner Not gerufen, Arturdl,« flüsterte sie, und um ihre Lippen zuckte es in schmerzhaftem Triumph. »In der Not besinnt man sich auf die Mutter, wenn sie noch so eingeschrumpft und noch so alt und häßlich ist.«

Sie setzte sich auf seinen Bettrand, und tiefbekümmert redete sie weiter, als müßte sie sich ihr ganzes Weh vom Herzen sprechen.

»Weißt Du noch, wie ich Dich gehätschelt und getätschelt habe, wie ich an Deinem Bett gesessen bin und Dir erzählt habe von Abraham und Isaak, von Jakob und Rahel, von Joseph und Potiphar, von David und Goliath, und wie die hellen Tränen über Deine Backen gelaufen sind? Nicht genug konntest Du bekommen. Hast nicht geruht, bis ich immer wieder von neuem anfing. Und nicht eher ließest Du Deine Hand locker, bis Du fest und tief eingeschlafen warst. Und wie oft hast Du mich aus dem Schlafe geweckt, mein Jüngelchen, wenn Dich böse Träume quälten. Hast es vergessen, Arturdl? Tut nichts! Kinder sind Kinder, und die Mutter ist dazu da, daß man ihr das Blut abschröpft.«

Ihr Gesicht verhärtete sich plötzlich.

»Warum hast Du mir die Schickse ins Haus gebracht?« stöhnte sie.

Und auf einmal schlug Artur die Augen auf und stierte sie mit vergeisterten, leeren Blicken an.

»Nein, nein,« schrie sie, »ich rede kein Wort mehr. Du sollst Deine Ruhe haben.«

Und ohne zu wissen, was sie tat, knöpfte sie ihm das Hemd auf und legte ihr runzliges Gesicht auf seine weiße, schmächtige Brust, als wollte sie den Schlag, seines Herzens hören.

Er rührte sich nicht. Ließ alles mit sich geschehen. Nur einmal schien ein dürftiges Lächeln um seine blutleeren Lippen zu huschen.

»Mami,« sagte er mit leiser, dünner Stimme. Es klang wie eine durchlöcherte Kindertrompete. Dann schloß er wieder die Augen. Unmittelbar darauf röchelte er kaum hörbar und verschied lautlos.

Die alte Frau Salomon faltete die knöchernen Hände.

Stumm, bewegungslos verharrte sie, unablässig den Blick auf den Sohn gerichtet, als wollte sie sich jeden Zug seines wächsernen Gesichtes einprägen.

Irgendein Geräusch schreckte sie auf.

Sie hob die Schultern ein wenig empor und duckte sich dabei.

Ein Kältegefühl machte sie erschauern.


 << zurück weiter >>