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XIII.

Salomon wohnte mit seiner Frau im Hotel Bellevue, mit dem Ausblick auf die Elbe.

Man sah Schleppdampfer und blitzblanke weißlackierte Elbkähne vorbeiziehen, und das Lachen fröhlicher Menschen drang zuweilen bis zu ihnen hinauf.

Nachmittags führte er Renette in den Englischen Garten, wo man den Kaffee zu sich nahm und unter den vielen schwatzenden, geputzten Leuten einsilbig dasaß, jedes seinen Gedanken hingegeben.

Wenn Salomon Renette ansprach und sie abzulenken suchte, fuhr sie schreckhaft zusammen.

Das fröhliche Lachen der Menschen tat ihr weh.

Aber Salomon hatte sich fest vorgenommen, einen Weg zu ihr zu finden, und mochte sie noch so störrisch und ablehnend sein, er versuchte es immer wieder.

Auf der Terrasse des Hotels wurde zu Abend gegessen.

Man konnte glauben, man sei auf einer abgeschiedenen Insel, so ruhig und einsam war es. Nur ein paar distinguierte Menschen hatten an den Nebentischen Platz genommen.

Der Kellner servierte lautlos die köstlichen Dinge.

Alles im Hause hatte Stil und Charakter. Es war vielleicht das älteste, sicher das vornehmste Hotel der Stadt, in dem Komfort und Tradition aufs glücklichste vereint waren.

Und dennoch fühlte sich Frau Salomon nicht behaglich. Und als sie hörte, daß die Fürstlichkeiten, der Adel und nur die reichsten Leute im Bellevue abstiegen, sagte sie unmutig: »Ausgerechnet müssen wir unter den Rosches Antisemiten. wohnen! Das wird doch ein Vermögen kosten!«

Und mit einem gehässigen Blick auf die Kellner fuhr sie fort: »Das striegelt und bügelt sich, und wir müssen es bezahlen.«

Salomon versuchte vergeblich, sie zu beruhigen.

»Ich werde mich auf meine alten Tage nicht ändern, das überlasse ich Dir! Ich habe das Geld zu sauer erarbeitet, um es zum Fenster hinauszuwerfen!«

»Ach, Renette,« erwiderte er, »Geld ist doch etwas Totes, wenn man es nicht in Lebensfreude umwechselt. Was nützen Dir alle Kupons, wenn Du Dir selber den Bissen im Mund nicht gönnst!«

»Laß gut sein, ich erinnere mich übrigens nicht, daß wir uns jemals etwas haben abgehen lassen. Und wer kann sagen, was noch kommt?«

Salomon zeigte ihr die Stadt, die ihm wie ein einziger großer Garten erschien, ohne ihre Teilnahme zu wecken.

»Was soll mir das alles, kannst Du mir damit meinen Kummer nehmen?« gab sie zur Antwort und verfiel wieder in ihre dumpfe Trostlosigkeit.

Trotz ihrem Sträuben zerrte er sie in, die Galerie.

»Man kann doch nicht in Dresden gewesen sein, ohne die berühmte Madonna von Raffael gesehen zu haben. Lies nur, was im Baedeker darüber steht.«

Als sie vor dem Bilde standen, meinte sie trocken: »Man glaubt nicht an Gott, und da malen diese Gojim Christen. noch die Mutter Gottes!«

Dann wurde sie auf einmal ernst und betrachtete aufmerksam das Gemälde.

»Die hat auch nicht gewußt, als sie ihm die Brust reichte, was er ihr alles antun würde. Das sieht so unschuldig aus, als könnte es kein Wässerchen trüben, und hinterher kann es einen zur Verzweiflung bringen. Wozu setzt man Kinder in die Welt?«

Und Salomon entgegnete: »Nicht für sich, Renette, nicht zu seinem Vergnügen.«

»Aber zu seinem Kummer, zu seinem Leid, meinst Du?«

Er zuckte die Achseln und brach ab. Er wußte, wohin das Gespräch führen würde.

Seine Hoffnung, daß ihr Zustand sich unter veränderten Verhältnissen bessern würde, erfüllte sich nicht. Sie wurde von Tag zu Tag unruhiger und wortkarger und konnte stundenlang, ohne einen Laut hervorzubringen, vor sich hinstarren.

Salomon wurde stumpf und müde.

Er kam zu der Erkenntnis, daß der Fall Renette aussichtslos war.

Und als er zufällig im Hotel den bekannten Nervenarzt Professor Cassirer kennen lernte und sich ihm anvertraute, bestätigte dieser seine Annahme.

»Gerade bei Eltern kommt es nicht selten vor,« erklärte ihm der Professor, »daß sie bis zu einem krankhaften Grade an ihren vermeintlichen Rechten den Kindern gegenüber festhalten. Gehen Sohn und Tochter innerhalb einer naturgemäßen Entwicklung ihre eigenen Wege, so bildet sich beim Vater, beziehungsweise der Mutter die fixe Idee heraus, es sei ihnen das schwerste Unrecht angetan worden, und durch keine Vernunftsgründe ist ihnen beizukommen.«

Salomon unterschlug dem Professor die besondere Komplikation des Falles.

Wozu sollte er ihm erzählen, wie weit persönlicher Haß, Rassengegensätze und gekränkte Liebe noch im Spiele waren!

An der Diagnose wurde dadurch nicht das mindeste geändert.

Immer wieder sagte er sich: Sei gütig gegen sie, werde nicht abgestumpft gegen ihre Qualen, zumal du weißt, daß unsichtbare Kräfte und unheimliche Gewalten in ihr arbeiten, und daß weder Vorsatz noch freier Wille sie bewegen und treiben.

Seine Gedanken waren bei den Kindern. Der Tag ohne sie war leer und freudlos.«

Und im Wachen wie im Träumen tauchte das Bild der Schwiegertochter auf.

Eine krankhafte Sehnsucht ergriff ihn.

Er suchte sich zuerst einzureden, daß er es ohne regelmäßige Beschäftigung nicht auszuhalten vermöge. Doch schließlich gestand er sich ein, daß ihm an allen Ecken und Enden die Kinder fehlten, daß er es nur ihnen dankte, wenn seine Spannkraft nicht völlig gebrochen war.

Einige Male dachte er daran, ihnen zu schreiben. Aber eine innere Scheu hielt ihn davon zurück.

Nein, es war gut, wenn man eine Zeitlang nichts voneinander hörte. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit konnte dadurch nur inniger werden und wachsen.

Er empfand es ja am eigenen Leibe.

Auch für Artur erwachte eine ganz neue Zärtlichkeit in ihm.

Im Grunde genommen machte der Junge genau das nämliche durch wie er: er hing an der Mutter, war immer der beste und zartfühlendste Sohn gewesen, und nun hatte sie sich von ihm abgewandt, mied seine Schwelle, weil er seiner Neigung gefolgt war.

Und war es nicht ein guter und sicherer Instinkt gewesen, der ihn, den weichen Menschen, trotz allen Widerständen, an Agnes hatte festhalten lassen?

Er sehnte sich nach dem Geschäft, um die Kinder bei der Arbeit zu sehen, um mit Agnes über alle wichtigen Vorkommnisse sich zu unterhalten, an ihren klugen und überlegten Maßnahmen sich zu freuen.

Und er vermißte ebenso schmerzlich die kurze Frühstückspause im Kontor wie die langen gemütlichen Teeabende in der Wohnung der Kinder, wo man alle Sorgen vergaß und sich glücklich fühlte, bis die Stunde schlug, die an den Heimweg und die traurige Wirklichkeit gemahnte.

Und eines Tages hielt er es nicht länger aus, er mußte wenigstens ihre Stimmen hören.

Kurz entschlossen schützte er bei Renette einen Gang zum Friseur vor und lief ins Hotelbüro, wo er ein dringendes Gespräch mit Berlin verlangte.

Und als nach verhältnismäßig kurzer Zeit die Verbindung hergestellt war, fühlte er, wie seine Hand unsicher war, als sie nach dem Hörrohr griff.

»Sind Sie es, Trübsand? Hier Salomon, ich möchte meinen Sohn und meine Schwiegertochter sprechen, stellen Sie rasch ins Kontor um.«

Und unmittelbar darauf rief eine süße Stimme: »Papa, geliebter Papa!«

Salomon hätte vor Freude aufschreien mögen.

Agnes' erste Frage war: »Wie geht es Dir?« und die zweite: »Wann kommst Du wieder?«

Und Salomon antwortete prompt, ohne sich zu besinnen: »Übermorgen, mein geliebtes Kind, mir ist ja so bange nach Euch!«

»Und uns nach Dir mehr, als sich sagen läßt!«

Halb anklagend setzte sie hinzu: »War denn diese Reise wirklich so notwendig, Papa?«

»Ja, mein Kind, aber darüber wollen wir lieber nicht reden! Und jetzt möchte ich Artur einen Augenblick, sprechen.«

»Artur ist auf der Bank, Papa!«

»Dann grüße ihn herzlich von mir!«

Und plötzlich fragte Salomon: »Hast Du mich denn wirklich ein bißchen vermißt, mein Kind?«

»Das ist ein Kuß durchs Telephon, den ich am liebsten ...«

Salomon hörte nichts mehr.

Vom Amt ertönte eine schrille Stimme: »Abhängen, die sechs Minuten sind vorbei.«

Er protestierte heftig, wollte weitersprechen. Umsonst, das Gespräch war getrennt.

Trotz diesem Mißgeschick war Salomon nach langer Zeit wieder in guter Laune.

Beim Klange ihrer Stimme schon war ihm warm ums Herz geworden.

In diesem Augenblick vermochte er nicht zu Renette zu gehen, er wollte seine Freude noch ein Weilchen auskosten.

Er begab sich auf die Terrasse und blickte auf die Elbe, die an diesem grauen Regenmorgen träge und traurig dahinfloß.

Das bißchen Leben muß sie einem vergällen, dachte er, wo alles so klar und schön hätte sein können.

Der Zorn stieg in ihm auf.

Eine Stimme rief: Schäme dich, Salomon.

Sein Gesicht wurde leidensvoll.

Ich kann nicht, ich kann nicht! Ich bin auch nur ein Mensch.

Der Kellner trat auf die Terrasse, und Salomon sagte, ohne es sich erklären zu können: »Schreiben Sie sofort meine Rechnung aus. Wir reisen heute nachmittag.«

»Sehr wohl, Herr Salomon.«

Der Kellner verbeugte sich.

Salomon stand verdutzt da und begriff sich nicht. Was ist mit mir los? Wohin treibe ich?

Eine ihm fremde Erregung teilte sich seinem Körper mit. Er trommelte mit den Fingern ein paarmal auf die Tischplatte, und dieses Geräusch machte ihn noch unruhiger.

Er nahm Hut und Stock, ging eilends zum Friseur und ließ sich den Bart stutzen.

Als er in das Hotel zurückkam, fragte er den Portier, ob ein Telegramm für ihn eingetroffen sei.

Der verneinte höflich.

»Ich erwarte auch kein Telegramm,« entgegnete Salomon mit sachlichem Ernst und stieg die Treppe hinauf, um Renette seinen Entschluß mitzuteilen.

Der Portier schüttelte geringschätzig den Kopf. Ihn brachten derartige dumme Zwischenfälle nicht aus der Fassung. Er war an andere Dinge gewöhnt. Ein richtiggehendes Hotel war ja mehr oder weniger ein Irrenhaus für Passanten.

»Es hat bei dem miserablen Wetter keinen Zweck, länger hier zu bleiben,« meinte Salomon, als er zu Renette wieder ins Hotel trat. »Es wird ungemütlich im Hotel. Wie wär's, wenn wir noch auf ein, zwei Tage nach Schandau gingen?«

Renette lehnte ab.

Ob er unerwarteter Weise geerbt hätte, daß er so mit dem Gelde um sich werfe.

Salomon lachte gutmütig auf.

»Ich bin, offen gestanden, auch nicht für Schandau. Und wenn es Dir recht ist, machen wir Schluß und reisen heute nachmittag ab.«

Es schien ihm, als ob sie ihn mißtrauisch fixierte, und Salomon schnäuzte sich, weil dieser Blick ihm unangenehm war.

»Wo warst Du denn solange?« fragte sie unvermittelt.

»Ich sagte es Dir doch: beim Friseur, übrigens bin ich kaum eine halbe Stunde fort gewesen.«

»Hast Du nicht auch mit Berlin gesprochen?«

Die Röte stieg ihm ins Gesicht.

»Ja, ich habe mit dem Geschäft gesprochen, seit wann spionierst Du hinter mir her?«

»Was hat Artur gesagt?« erwiderte sie, ohne auf seine Frage zu achten.

»Ich habe nur Trübsand gesprochen, Artur war auf der Bank, ich bitte Dich, Renette, bitte Dich, höre auf.«

»Dann hat sie also unsere Rückreise bestimmt?«

Er nahm ihre Hand.

»Das ist ja Verfolgungswahnsinn! Zu Deiner Beruhigung: Weder Artur noch seine Frau haben eine Ahnung davon, daß wir heute reisen. Und hast Du Lust, können wir immer noch nach Schandau fahren.«

»Nein, mein Lieber, ich will Dein Vergnügen nicht stören. Du sollst Deinen Tee heute abend in der Derfflinger-Straße trinken. Denkst Du, ich hätte nicht längst gemerkt, daß es Dir unter den Sohlen brennt?«

»Schön, Renette, wenn Du es gemerkt hast, wollen wir kein Wort darüber verlieren, und ein Verbrechen ist es am Ende nicht, wenn ich mich nach den Kindern sehne.«

Er ging zur Tür hinaus, ohne ihre Entgegnung abzuwarten.


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