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VI.

Man fuhr im Wagen nach der Genthiner Straße und die drei waren eine Weile stumm.

Fräulein Jung saß in sich versunken da, und der junge Salomon betrachtete sie verstohlen.

Sie dachte an ihren künftigen Schwiegervater und lächelte höchst seltsam.

Wenn Artur nur etwas von ihm besaß, mußte es ein erträgliches Leben geben, konnte alles noch besser werden, als sie es sich träumen ließ.

Sie schloß die Lippen hart aufeinander und zog dabei die Mundwinkel tief herab.

Dieser Bobsin! Wie niederträchtig hatte er sie abfallen lassen! Und wie hatte sie sich auf ihrem Bittgang gedemütigt, all ihren Stolz, ihr ganzes Selbstgefühl hatte sie zum Teufel gejagt und um Liebe gebettelt.

Was gäbe sie darum, wenn sie den Gang hätte ungeschehen machen können. Aber Artur hatte gedrängt. Er wünschte ja durchaus die Entscheidung. Und sie wollte nichts unversucht gelassen haben, um später sich nicht sagen zu müssen, sie sei an ihrem Glück vorbeigegangen.

Nicht mehr daran denken. Auslöschen. Ein neues Dasein beginnen! – – –

Der Wagen hielt.

Man war pünktlich zur Stelle. Um halb Acht war die Verabredung mit den Eltern, auf acht Uhr waren erst die Gäste geladen. So stand es im Programm der Frau Salomon, die sich darauf versteift hatte, erst am Verlobungsabend mit Agnes Jung zusammenzutreffen. Auf alle Vorstellungen Arturs und ihres Mannes hatte sie trocken erwidert: »Dazu komme ich noch immer früh genug!«

Herr Salomon begrüßte die Anwesenden in seiner schlichten, freundlichen Art, drückte Agnes herzlich die Hand und schob sie in das Nebenzimmer.

Frau Salomon erwartete sie bereits. Sie trug ein schwarzseidenes Kleid, das wie angegossen um ihren dürftigen Körper saß, und ihre kleinen Augen blickten starr und finster, als gelte es eine Toten- und nicht eine Verlobungsfeier abzuhalten.

Agnes Jung streckte ihr die Hand entgegen, die sie nur flüchtig berührte.

»Wir wollen uns gegenseitig keinen Wind vormachen, Fräulein!«

»Nein, das wollen wir nicht,« fiel Agnes Jung rasch ein.

Die alte Frau nickte, während ihr messerscharfes Auge das Mädchen mit einem einzigen Blick zu durchdringen suchte.

»Sie werden es also begreifen, daß ich von Arturs Wahl nicht gerade erbaut bin. Alle meine Zukunftspläne sind damit ins Wasser gefallen. Wenn es nach mir gegangen wäre, würde heute keine Verlobung gefeiert werden. Nun, Sie sind die Stärkere gewesen. Sie haben meinem Jungen den Kopf verdreht, so daß ich mit all meinen Warnungen tauben Ohren gepredigt habe. Ich kann Ihnen nur wünschen, daß Sie Ihren Sieg nie bereuen mögen. Denn, aufrichtig gesagt: ich sehe keinen Segen in dieser Verbindung, weder für meinen Jungen noch für Sie.«

Agnes Jung hatte zugehört, ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt ließ sie Frau Salomon eine Weile zappeln, ehe sie ohne Spur von Erregung, ja mit einer leisen Ironie im Ton entgegnete: »Gnädige Frau, ich habe sehr lange gezögert, ehe ich Arturs Werben nachgab. Von einem Siege meinerseits kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil ich niemals gekämpft habe. Im übrigen habe ich Ihre Bedenken immer geteilt, und es hat lange gedauert, ehe ich damit fertig wurde. Nun ich mich aber entschlossen habe, will ich auch nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Ich bringe in diese Ehe einen guten und festen Willen mit. Reicht er nicht aus, haben beide Teile das Spiel verloren. Was ist da viel zu reden? Man versucht's halt und wartet ab. Auch im Geschäft muß man ja das Risiko tragen. Und vielleicht kommt es besser, als wir beide heute glauben.«

»Mir tut mein Artur leid,« sagte Frau Salomon, und ein feindseliger Blick traf bei diesen Worten Agnes Jung. »Ich war darauf gefaßt, daß Sie in der Sache nichts weiter als einen Handel sehen, aber mein Artur ...«

Agnes Jung fiel ihr in die Rede.

»Wenn Sie sich kopfstellen, Frau Salomon, werden Sie mich nicht umkrempeln. Ich muß nun einmal so genommen werden, wie ich bin. Niemals habe ich Artur ein Gefühl vorgeheuchelt. Und darin haben Sie vollkommen recht: mich leiten Vernunftgründe. Ich will in geordnete und gesicherte Verhältnisse kommen. Ich habe immer gedacht, daß diese Auffassung der Ehe gerade in Ihren Kreisen gang und gäbe sei. Machen wir uns das Leben nicht unnütz schwer, Frau Salomon! Ich bin jetzt noch bereit ...«

»Pardon,« unterbrach sie Frau Salomon, »ich habe mich mit der Tatsache abgefunden – abfinden müssen. Ich habe keinerlei Auftrag an Sie.«

Draußen wurden Stimmen laut. Die ersten Gäste machten sich bemerkbar.

Die alte Frau Salomon fuhr zusammen und machte einen Schritt zur Tür.

Es war so zwecklos, mit diesem Menschen sich auseinanderzusetzen. Eine fremde Welt tat sich auf. Man redete ins Leere, es war eben eine »Goite, wie sie im Buche stand«. Was sollte die Person in einem jüdischen Hause! Es mußte ja über kurz oder lang zur Explosion kommen. Jammervoll nur, daß ihr Junge dabei der Leidtragende war.

»Ich denke, wir gehen hinein,« meinte sie.

Am liebsten wäre sie auf und davon gelaufen, nur um bei dem Getue nicht dabei zu sein. Mochten Salomon und Artur dann sehen, wie sie sich aus der Affäre zogen.

Sie öffnete die Tür und ließ Agnes Jung den Vortritt.

Die zögerte einen Moment und überlegte, ob es im Grunde nicht besser sei, gleich jetzt reinen Tisch zu machen und den Kampf zu Ende zu führen.

Nein, entschloß sie sich, es hat keinen Sinn. Sie wußten ja beide ohnehin, woran sie waren. Freundschaft würde es nie zwischen ihnen geben. Die Frage war lediglich die, ob ein erträgliches Zusammenleben zu ermöglichen war oder ob man so lange miteinander ringen mußte, bis ein Teil auf der Strecke blieb.

Wie Sie wollen, Madame, dachte Agnes Jung. Ich bin bereit.

Ihre Muskeln strafften sich, und ihr Gesicht bekam einen harten, drohenden, entschlossenen Ausdruck. Hatte sie sich einmal in das Abenteuer mit den Salomons eingelassen, so wollte sie es auch zu Ende führen. Halbe Arbeit zu verrichten, lag nicht in ihrer Art.

Nein, Frau Salomon, mich stellt man nicht wie einen Besen in die Ecke. Und wenn gefegt sein muß, so fege ich, bis der Staub in allen Stuben aufwirbelt, und ihr nicht mehr aus den Augen sehen könnt!

Sie trat in aufrechter Haltung in das Empfangszimmer, in dem die Gäste sie bereits mit Spannung erwarteten.

Artur nahm sie unter den Arm, und die Vorstellung begann.

Zuerst wurde sie zu Onkel Wachsmann und Tante Berta geführt.

Tante Berta war Frau Salomons Schwester. Sie hatte eine auffallend breite Nase, und ihre Stirn war so niedrig, daß man Mühe hatte, sie zu entdecken. Dafür waren ihre Augen groß, lebhaft und voller Neugier.

Die Wachsmanns wurden von Salomons unterstützt. Es ging ihnen seit Jahr und Tag jämmerlich, obwohl Wachsmann, wenn man ihn reden hörte, täglich die größten Geschäfte abschloß.

Trotz oder wegen ihrer Abhängigkeit waren sie auf Salomons schlecht zu sprechen. Tante Berta erzählte jedermann von dem schmutzigen Geiz ihrer Schwester, an der sie auch sonst kein gutes Haar ließ.

Frau Salomon ließ sie gewähren. Leute, die nichts leisten, und denen es überdies schlecht geht, müssen schimpfen, pflegte sie zu sagen. Man muß ihnen das Vergnügen gönnen.

Aber ihre Geduld wurde zuweilen auf eine harte Probe gestellt, denn Tante Bertas Mundwerk konnte, waren die Schleusen erst einmal geöffnet, gefährlich werden.

Über Arturs Verlobung hatten sich die Wachsmanns diebisch gefreut. Das gönnten sie Salomons! Bleichröders Tochter wäre ihnen nicht gut genug gewesen, nun hatten sie die Bescherung, und das Renettchen merkt endlich am eigenen Fleische, daß einem im Leben auch ohne Verschulden einmal etwas schief gehen konnte.

Mit übertriebener Herzlichkeit beglückwünschten sie Agnes Jung.

Tante Berta überpurzelte sich in Komplimenten.

»Die liebe Frau Mama haben wir zu unserer Freude bereits kennen gelernt.« Dabei warf sie einen perfiden Blick auf Frau Jung, die mit großartiger Sicherheit Figur machte und ohne jede Spur von Befangenheit sich angelegentlich mit Sanitätsrat Pulvermacher unterhielt.

»Und von Ihnen, mein liebes Fräulein, haben wir so viel Gutes gehört! Ist es nicht so, Simon?« apostrophierte sie ihren Mann.

»Und ob!« antwortete prompt Onkel Wachsmann. »Und was heißt gehört?« fuhr er fort. »Gehört heißt gar nichts, nachdem wir Sie jetzt mit eigenen Augen gesehen haben. Artur, ich mach' Dir mein Kompliment. Einen Geschmack hast Du – psch! – allen jüdischen Kindern gesagt! – Pardon, Fräulein Jung, Sie nehmen das doch nicht weiter übel?«

Agnes lachte herzlich. Die Leute belustigten sie.

Die richtigen Gegenstücke zu Mutter, dachte sie. Laut aber erwiderte sie: »Nicht im mindesten. Ich gehöre ja jetzt dazu, Herr Wachsmann.«

Tante Berta strahlte.

»Salomon, Deine Schwiegertochter hat Chain, Chain = Chik. das muß man ihr lassen,« wandte sie sich an ihren Schwager, während Artur weiter vorstellte.

Man kam zu Justizrat Michalowski und Frau, die man in diesem Teil der Berliner Gesellschaft nur die beiden Fettflecke nannte.

Der Vetter Michalowski hatte einen mächtigen Bauch, der dadurch noch besonders in die Erscheinung trat, daß Michalowski seine beiden fleischigen Hände, wo er ging und stand, auf ihn zu legen pflegte. Der breite Hals quoll unter dem Kragen in eine sichtbare Falte, die bis zu den Ohrläppchen reichte.

Seine Ehehälfte gab ihm an Leibesfülle nichts nach. Ihr Kopf mit dem schneeweißen Turban und den ausdruckslosen, gläsernen Augen schien direkt aus dem Schaufenster eines Friseurladens bezogen und auf ihren Rumpf gesetzt worden zu sein.

Auch Michalowskis waren ausnehmend freundlich zu Agnes.

Der Großvater hoffte das Brautpaar bald gemütlich bei sich zu sehen, und seine Gattin, die die Gewohnheit hatte, beständig mit dem Kopf zu wackeln, so daß man seekrank wurde, wenn man sie länger ansah, nickte eifrig.

Als nun Agnes Jung mit Sanitätsrat Pulvermacher bekannt gemacht wurde, stutzte sie einen Augenblick.

Pulvermacher lächelte listig.

»Sind alte Bekannte! Natürlich kennen wir uns. Bin doch der erste gewesen, der unser Bräutchen begrüßt hat.«

Fräulein Jung hatte im Nu begriffen.

Das also war Pulvermacher, der vor Neugier es nicht ausgehalten hatte und zu Wertheim gelaufen war, um sie so rasch wie möglich in Augenschein zu nehmen.

Sie hatte es damals nicht begriffen, mit welchem Recht dieser wildfremde Mensch sich an sie gedrängt und mit pfiffigen Anspielungen und vertraulichen Fragen sie belästigt hatte.

»Schön wütend sind Sie gewesen! Ich weiß, ich weiß! Aber Pulvermacherchen ließ sich nicht einschüchtern, hat Sie gehörig aufs Korn genommen. Nun, seien wir gute Freunde, ich bin der Ihrige längst, und mit mir läßt sich's leben.«

Agnes schlug zögernd in seine dargebotene Rechte ein.

Alle taten mit ihr so gemütlich und vertraulich, als ob sie seit unendlich langer Zeit zu ihnen gehörte. Das berührte sie fremd und eigenartig.

Und nun trat Jaffé, der aus der Ferne all den Vorgängen mit einem ironischen Lächeln folgte, auf sie zu, küßte ihr ritterlich die Hand und gratulierte herzlich als alter, guter Kamerad.

Sie atmete ordentlich auf, eine ihr bekannte Gestalt entdeckt zu haben, und drückte fest seine Hand.

»Nur nicht den Kopf verlieren,« sagte er leise. »Im Handumdrehen werden Sie mit der Gesellschaft fertig. Übrigens läßt meine Freundin Sie schönstens grüßen und Ihnen von Herzen Glück wünschen.«

»Warum ist sie nicht hier?«

Jaffé zuckte die Achseln.

»Da kennen Sie die Leute schlecht! Seit wann werden illegitime Paare zu Familienfeierlichkeiten geladen? Haben Sie Ahnung!«

In diesem Augenblick wurden die Flügeltüren geöffnet.

Auf der festlich gedeckten Tafel brannten die Lichter in den silbernen Kandelabern, und auch die kristallene Krone strahlte von den Wachskerzen wider.

Vor jedem Platze lag das reiche, schwere silberne Besteck und in den silbernen Brotschalen duftete köstlich der schneeweiße Barchis.

»Aaah –!« machte Frau Jung, und konnte ihre Bewunderung nicht unterdrücken.

Pulvermacher, der sie zu Tisch führte, schmatzte nach dem Löffel Bouillon vernehmlich.

»Das ist ein Süppchen, wie es nur bei Salomons auf den Tisch kommt. Psch ... psch ... psch! Das Alwinchen hat sich heute wieder übertroffen. So eine Köchin muß sich Ihr Fräulein Tochter zulegen, denn das Arturchen ist an eine solenne Küche gewöhnt. Liebe Frau Jung, Sie mögen es mir glauben: zu kochen versteht man nur in den jüdischen Häusern, etwas fett freilich und für den Magen nicht immer ganz zuträglich, aber köstlich, einfach köstlich! Und ich als alter Doktor erkläre Ihnen: Nimmt man mir das gute Essen, so nimmt man mir das halbe Leben.«

Die alte Frau Jung lachte so laut über den Tisch, daß Frau Salomon zusammenzuckte und leise in sich hineinstöhnte.

Salomon schlug an das Glas und nun wurde es lautlos still.

Er sprach langsam, unbeholfen und nach Worten tastend. Nein, ein Redner war Herr Salomon gewiß nicht, aber aus seinen Worten klang eine verhaltene Erregung, die auf die Hörer sofort überging.

Er wolle, begann er, mit der Wahrheit marschieren, denn er habe zeit seines Lebens gefunden, daß man damit am weitesten komme. Und so müsse er denn sagen, daß es ihm und seiner Frau sauer geworden sei, der Wahl ihres Sohnes zuzustimmen. Nicht aus Bedenken persönlicher Art, ganz im Gegenteil hätten sie es einzuschätzen gewußt, daß Agnes Jung beinahe noch im kurzen Kleide für sich eingetreten und der Mutter eine Stütze gewesen sei. Die Gründe, weshalb sie sich anfangs so heftig gesträubt hätten, lägen in einer anderen Richtung, aber darüber brauche er wohl am heutigen Tage nicht zu reden. Und wenn sie schließlich nachgegeben hätten, so sei das auf Arturs zähes Festhalten zurückzuführen. Dieser Widerstand habe ihn persönlich davon überzeugt, daß sein Sohn aus tiefer, ernster Neigung, nicht aus flüchtiger Leidenschaft seine Wahl getroffen habe.

»Was wollen Eltern anders als das Glück ihrer Kinder!« Er machte plötzlich eine große Pause, und auf sein Gesicht trat ein ratloser Ausdruck, er schien mit sich zu kämpfen, ob er das letzte, was ihn in dieser Stunde bewegte, aussprechen dürfte.

Die Gäste blickten vor Verlegenheit auf ihre Teller. Nur Agnes Jung hielt ihren Blick fest und angespannt auf Salomon gerichtet. Der jedoch raffte sich auf und sagte leise: »Jeder Mensch möchte ein leichtes Sterben haben und Eltern können nur leicht sterben, wenn sie wissen, daß die Kinder gut geraten und glücklich geworden sind.« Und so trinke er auf das Wohl des Brautpaares und wünsche ihnen: Glück für alle Zeiten.

Die Gläser klangen.

Artur hielt Agnes Jung lange umschlungen, und zum ersten Male erwiderte sie seine Zärtlichkeit. Dann riß sie sich los und eilte zum Schwiegervater.

Salomon nahm sie in seine Arme und sie drückte ihren Mund fest auf den seinigen, küßte ihn mit der ganzen Kraft ihrer Jugend und in freudiger Ehrerbietung.

Und für niemanden hörbar flüsterte sie ihm zu: »Werden Sie mir ein guter Freund! Ich will alles tun, um Ihre Liebe zu verdienen.«

Salomon nahm ihren Kopf zwischen seine beiden Hände. Seine Augen schienen zu schimmern.

»Ich glaube, Du bist ein gerades, braves Mädel. Und von heute an sagen wir uns Du, denn Du bist ja nun mein Töchterchen.«

Bei diesen Worten zog er aus der Westentasche ein kleines Etui und überreichte es ihr.

Sie öffnete es und war wie geblendet. Ein funkelnder Diamant an einer seinen, dünnen Platinkette strahlte ihr entgegen.

Salomon hing das Kettchen um ihren dünnen Hals, und der Stein leuchtete, auf ihrer Brust.

»Das ist ja viel zu kostbar!« brachte sie statt allen Dankes beklommen hervor.

Salomon drängte sie zu seiner Frau.

Die aber rührte sich nicht, und Agnes Jung gelang es nur mit Mühe, ihre Hand zu fassen.

Und nun kam Artur und brachte sein Präsent: es war ein kostbarer Ring mit zwei wunderbaren grauen Perlen, die großen Tränen glichen.

Wachsmanns und Michalowskis und mit ihnen Pulvermacher brachen in Rufe des Entzückens aus.

Frau Jung war einen Augenblick starr. Dann drängte sie sich an Agnes heran und zupfte sie am Arm.

»Mädel, Du hast das Große Los gezogen! Vergiß nie, was ich an Dir getan habe.«

Agnes nickte. Sie hörte mit ihren scharfen Ohren, wie gerade Frau Wachsmann zu ihrem Manne sagte, der Ring sei unter Brüdern seine Dreitausend wert, und der Anhänger habe auch nicht viel weniger gekostet. Wenn die Goite eine Million Mitgift besäße, hätten Salomons auch nicht nobler sein können.

Die Pute wurde hereingetragen. Es war ein mächtiges Tier, das einen köstlichen Duft verbreitete.

Alles setzte sich wieder. Neue Gläser mit neuem Wein wurden serviert.

Frau Jung griff mit beiden Händen zu und ließ es sich wohl sein. Sie begann gehörig zu essen und zu trinken und wurde immer aufgekratzter und geschwätziger. Einmal ließ sie die bereits aufgehobene Gabel fallen, um sich einen Moment zu verschnaufen, und kniff Pulvermacher in den Arm.

»Dokterchen, die werden ja noch ihr blaues Wunder an ihr erleben!« kicherte sie, und ein schadenfrohes Lächeln breitete sich über ihre Züge aus.

Pulvermacher verstand zuerst nicht.

»Was meinen Sie denn eigentlich?«

Sie rückte ganz nahe an ihn heran.

»Lehren Sie mich Agnes kennen! Die steckt die ganze Gesellschaft in die Tasche! So ein schlaues Frauenzimmer gibt es nicht zum zweiten Male. Was die sich in den Kopf gesetzt hat, führt sie auch durch.«

»Ja, was hat sie sich denn in den Kopf gesetzt?« fragte Pulvermacher halb belustigt, halb neugierig.

»Das bindet sie niemandem auf die Nase, darüber hüllt sie sich selbst mir gegenüber in Schweigen. Aber hundert gegen eins wette ich, daß sie ihre Pläne fix und fertig hat. – Sagen Sie mal, Doktorchen, die Salomons sind wohl schwerreiche Leute? Das riecht hier ja förmlich nach Millionen.«

»Na, na,« winkte Pulvermacher ab. »Sie dürfen sich auch keine übertriebenen Vorstellungen machen; das Hauptvermögen steckt doch im Geschäft.«

Frau Jung sah ihn ungläubig an.

»Mir kann es ja egal sein,« sagte sie in einem fast beleidigten Ton, »ich werde die Leute nicht anpumpen.«

»Damit würden Sie auch kein Glück haben,« gab Pulvermacher scherzend zurück, »Frau Salomon hält nämlich den Daumen auf das Portemonnaie, ja, das tut sie. Und nun passen Sie einmal auf, jetzt kommen Sie an die Reihe.«

Damit stand er elastisch auf, verschränkte die Arme, und alle wußten, daß Pulvermacher das Wort ergreifen würde.

»Meine verehrten Anwesenden!« hub er an, »wenn ich auch mit diesem Hause weder verschwägert noch verschwistert bin, so kenne ich es doch viele, viele Jahre und bin sozusagen amtlich dabei gewesen, als unser lieber Bräutigam das Licht der Welt erblickte. Damals wohnten Salomons freilich nicht in der Genthiner Straße, sondern ganz bescheiden in einer Dreizimmerwohnung der Alten Jakobstraße. Und als unser Arturchen pünktlich auf die Minute eintraf, war eitel Freude und Papa und Mama Salomon wußten vor Seligkeit nicht aus und nicht ein. Meine Herrschaften, es war aber auch ein appetitliches Jüngelchen, das sich da präsentierte. Über das erste Auftreten von Fräulein Agnes Jung bin ich begreiflicherweise nicht so genau unterrichtet, aber den Schilderungen meiner verehrten, mit keinerlei Vorurteil belasteten Tischdame, deren Freimütigkeit nichts zu wünschen übrig läßt, darf ich entnehmen, daß unsere Braut schon bei ihrem Erscheinen alle Welt in Entzücken versetzt hat. Wie sagt der Dichter? An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Und so ist es wohl erlaubt, von den Kindern auf die Eltern zu schließen, und – um noch einen Schritt weiter zu gehen – das verehrte Brautpaar daran zu erinnern, daß es sein Glück den Eltern schuldet. Und damit bin ich bei meinem eigentlichen Thema und auch am Schlusse meiner Rede angelangt, die in dem Rufe ausklingen möge: Herr und Frau Salomon und die Mutter unserer lieben Braut, Frau Jung, sie leben hoch!«

Alle erhoben sich von neuem und wieder klangen die Gläser.

Der Vetter Michalowski schnitt ein mokantes Gesicht, und als Tante Berta ihn fragte, was er denn auszusetzen hätte, erwiderte er: »Wenn sich dieser alte Narr doch nur das Reden abgewöhnen wollte! Es war ja der reinste Quatsch, ohne Sinn und Zusammenhang!«

Tante Berta versetzte ihm einen leichten Stoß.

»Du hast immer etwas zu mäkeln, Michalowski, es war jedenfalls gut gemeint und darauf kommt es schließlich an.«

Als Agnes Jung mit Frau Salomon anstieß, beugte sie sich in einem herzhaften Entschluß tief zu ihr herab und küßte sie auf die Backe.

Frau Salomon wurde rot vor Ärger. Dieses Luder macht sich noch über mich lustig, schoß es ihr durch den Kopf.

Tante Berta hätte sich schief lachen mögen. Sie trat dicht an ihre Schwester heran.

»Was wollt ihr eigentlich? Das ist doch ein reizendes Geschöpf!« sagte sie gleichsam herausfordernd. Sie hatte noch einige Niederträchtigkeiten auf der Zunge, aber der Blick, den ihr Renette Salomon zuwarf, machte sie verstummen. Es lag in ihm so viel Pein und Seelennot, daß sie unwillkürlich zusammenzuckte.

»Mach' Du andere Leute zum Narren,« entfuhr es Frau Salomon.

Tante Berta versicherte nun hoch und heilig, daß ihr jeder Spott ferngelegen habe.

»Schon gut,« antwortete Frau Salomon und machte eine abwehrende Handbewegung. Und mit gedämpfter Stimme fügte sie hinzu: »Wenn die Person sich einbildet, ich durchschaue sie nicht, befindet sie sich auf dem Holzwege!«

»Ach Renette,« erwiderte Tante Berta in dem gleichen Tone, »Du siehst alles zu trüb. Gönn' doch dem Jungen sein Glück, ihr könnt es Euch doch Gott sei Dank leisten, und daß sie eine Goite ist, ach du meine Güte! Es gibt Schlimmeres auf der Welt. Apart sieht sie in jedem Falle aus. Die Alte ist eine Bise, eine ausgesprochene Bise, das gebe ich ohne weiteres zu.«

»Und die Junge,« unterbrach sie Frau Salomon, »ist das durchtriebenste Ladenfräulein, das mir je begegnet ist. Und ich kenne mich doch in der Gesellschaft aus, eines Tages werden Salomon und Sohn die Augen aufgehen, dann werden sie an mich denken. Erinnere Dich daran!«

Tante Berta verstand den dunklen Sinn dieser Worte nicht. Etwas betreten ging sie auf ihren Platz zurück.

»Sieh mal,« empfing Wachsmann sie lachend, »die Olle hat bereits einen Schwips, das kann ja noch gut werden.«

In der Tat machte Frau Jung bereits einen bedenklichen Eindruck. Von dem ungewohnten und reichen Genuß des Weines und der fetten Speisen hatte ihr Gesicht ein rotes, gedunsenes Aussehen und ihre Augen einen verschwommenen Glanz bekommen. Sie sprach überlaut und begleitete ihre Worte mit heftigen Gesten.

Pulvermacher, der selbst kaum am Glase nippte, versuchte auf freundliche Art, ihr Einhalt zu tun, dem Anschein nach ohne jeden Erfolg.

Jetzt wurde auch Agnes Jung aufmerksam und ihre Züge wurden brennendrot vor Arger und Verlegenheit.

Die führt sich ja schön auf, dachte sie im stillen. Laut aber sagte sie zu Artur: »Sieh Dir nur einmal Mutter an! Was machen wir nur mit ihr? Ich möchte mir am liebsten einen Wagen nehmen und sie nach Hause bringen.«

»Gönn' ihr doch das bißchen Vergnügtsein. Und was schadet es denn, wenn sie bei so festlicher Gelegenheit,« dabei drückte er zärtlich ihre Hand, »wirklich ein bißchen angeheitert ist?«

Davon wollte Agnes nichts wissen, und über der Nasenwurzel zog sich ihre weiße Stirn in eine tiefe Falte zusammen, die etwas Drohendes hatte.

Artur erhob sich. Er war ein wenig ängstlich geworden.

»Wenn es Dir recht ist,« sagte er, »bringe ich die Mama unbemerkt in mein Zimmer; dort kann sie eine Weile ausruhen.«

Sie sah ihn dankbar an und bewunderte die Gewandtheit, mit der er Frau Jung beiseitelockte, um dann in aller Eile mit ihr zu verschwinden.

»Das hast Du ausgezeichnet gemacht,« empfing sie ihn, als er gleich darauf zurückkehrte.

Ein Hauch des Unmuts flog für einen flüchtigen Moment über seine blassen Züge.

»Das erste Lob aus Deinem Munde. Ich wünschte,« fügte er leise hinzu, »Dir auch in anderer Richtung zu gefallen.«

Agnes Jung machte eine höchst erstaunte Miene.

»Das ist doch ganz wider die Abrede. Und seit wann zieht man Wechsel ein, die nicht fällig sind?«

Aber gleich darauf taten ihre Worte ihr leid und ohne daß jemand es merkte, streichelte sie seine Hand.

Er wurde rot wie ein Schuljunge.

»Agnesel, liebes Agnesel, Du sollst sehen, eines Tages hast Du mich ein wenig lieb, und wenn ich wie Jakob um Rahel sieben Jahre um Dich werben sollte.«

Sie erwiderte mit guten Augen seinen Blick.

»Nein, Artur, so lange darf es nicht dauern. Das wäre traurig für uns und unsere schönsten Jahre gingen darüber hinweg.«

»Hast recht, es wäre schlimm. Und wer weiß, ob ich so lange lebe.«

»Ja, wie kommst Du denn auf solche Gedanken?«

»Ich habe mir immer eingeredet, ich müßte früh sterben. Vielleicht lag es daran, daß ich als einziges Kind auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Bei der geringsten Kleinigkeit wurde ich ins Bett gesteckt, und Pulvermacher mußte kommen.«

»Ich glaube, Deine Mutter liebt Dich abgöttisch.«

»So ist es. Ich hatte unter ihrer Liebe gewissermaßen zu leiden, daher auch ihre Eifersucht auf Dich. Denn im Grunde ist es nur Eifersucht. Eigentlich müßtet Ihr Euch brillant verstehen, Ihr habt nämlich in manchen Dingen eine frappante Ähnlichkeit.«

Sie warf einen flüchtigen, Blick zu Frau Salomon hin.

»Das ist ja gerade das größte Hindernis zwischen uns.«

Und ablenkend fuhr sie fort: »Sind Deine Eltern immer gut miteinander ausgekommen?«

»Den möchte ich sehen, der mit Vater uneinig sein könnte!«

»Ist Vater so nachgiebig?«

»Nachgiebig ist nicht die richtige Bezeichnung. Im Gegenteil, Vater ist in gewisser Hinsicht unbeugsam, aber er hat eine so unerschütterliche Ruhe und eine solche Milde, daß dagegen nicht aufzukommen ist. Und dazu diese Unbestechlichkeit, diese Sauberkeit!«

Sie hatte ihm sehr aufmerksam zugehört.

»Das freut mich, daß Du so von Deinem Vater sprichst. Ich kann Dir nicht sagen, wie nahe ich mich ihm fühle. Auch seine Rede – vielleicht war es gar keine Rede – hat mich gepackt. – Ach, komm, laß uns zu ihm gehen, denn jetzt hebt er die Tafel auf.«

Alles war von den Plätzen aufgestanden, wünschte sich Gesegnete Mahlzeit und reichte sich die Hände.

Salomon kam ihnen entgegen. Und wie sie Arm in Arm vor ihm standen, betrachtete er beide mit einer großen Zärtlichkeit, und indem er seine Hand wie segnend auf ihren blonden Scheitel legte, sagte er: »Kinder, nun würde ich an Eurer Stelle nicht lange fackeln und so rasch wie möglich Hochzeit machen.«

»In sechs Wochen, Papa, wenn wir bis dahin fertig werden.«

»Was heißt fertig werden? Und wenn nicht gleich alles komplett ist, tut es auch nichts. Ich finde es überhaupt schauderhaft, wenn die Menschen immer gleich fix und fertig sein wollen.«

Artur lachte.

»Wir können doch nicht eine leere Wohnung beziehen.«

Aber Salomon ließ sich nicht aus dem Texte bringen.

»Mit dem Racker da hielt' ich es auch in einer leeren Wohnung aus,« entgegnete er schmunzelnd.

Agnes Jung machte sich von Artur los.

»Papa, gib mir einen Kuß! Du bist der geliebteste alte Herr, den ich je gesehen habe.«

Und ohne seine Zustimmung abzuwarten, küßte sie ihn herzhaft auf beide Backen.

»Ich finde das nicht fein,« sagte Salomon. »Erstens ist das Diebstahl an Artur, und zweitens macht man nicht aus mir einen Mummelgreis, ich will mit Euch noch einmal jung werden.«

»Du bist ja jung!« rief sie entzückt, »ich fühle es. Und das mit dem alten Herrn war nur eine Finte, um das Gegenteil aus Deinem eigenen Munde zu hören!«

»Höre einmal, vor Dir muß man sich gehörig in acht nehmen!«

»Du nicht, Papa!«

»Und andere Leute, ja?«

»Ich weiß nicht, vielleicht!«

Salomon schüttelte den Kopf.

»Aus Dir werde einer klug! Tausend Teufel sitzen hinter Deiner Stirn.«

»Und man könnte sie alle so leicht verjagen, glaube mir, Papa.«

Sie wunderte sich selbst, wie geläufig ihr das »Papa« über die Zunge kam. Und ganz spontan fügte sie hinzu: »Ich habe ein so großes Vertrauen zu Dir, als ob wir uns seit Jahr und Tag schon kennen würden.«

Salomon streichelte zärtlich und väterlich ihr weiches Haar, und ein Gefühl von Wohlbehagen und Kraft ging bei dieser Berührung durch ihren Körper.

Wie eine Störung empfand sie es, als Jaffé jetzt zu ihnen trat.

»Komm' einmal zur Mama,« sagte Salomon und nahm Artur unter dem Arm.

»Nun, wie behagt es Ihnen im neuen Familienkreis?«

Sein Ton war von leichtem Spott gefärbt.

»So fragt man Bauern aus,« entgegnete sie übermütig. Dann aber wurde sie ernst. »Ich habe es mir schwerer vorgestellt, viel schwerer. Ihr Juden seid Gefühlsmenschen, während unsereins sparsamer damit umgeht. Aber ich glaube schon, daß ich mich bei Salomons zurechtfinden werde. Mir ist heute abend viel leichter ums Herz geworden.«

Er fixierte sie einen Moment.

»Bitte, sprechen Sie nicht von Bobsin!« kam sie ihm zuvor. »Damit bin ich fertig. Ich will eine gute Frau werden.«

»Sie werden es bei Salomons ausgezeichnet haben; man wird Sie verwöhnen und auf den Händen tragen.«

»Na, na,« antwortete sie lachend, »dazu eigne ich mich wohl kaum.«

»Warten Sie's nur ab! Der Alte ist ja schon jetzt verliebt in Sie, nota bene ein prächtiger Mensch!«

»Finden Sie?« fragte sie scheinbar obenhin, während eine leichte Unruhe von ihr Besitz ergriff.

»Na und ob! Lernen Sie ihn nur erst richtig kennen!«

»Warum sagt man immer: der alte Salomon, er ist doch noch in den besten Jahren!«

»Gewiß ist er das. Er kann kaum über Fünfzig sein, Artur ist Fünfundzwanzig, stimmt auf ein Haar! Älter als Zweiundfünfzig ist er gewiß nicht. Und wie alt sind Sie, Fräulein Jung?«

»Muß ich darauf antworten?«

»Von Müssen kann gar nicht die Rede sein!«

»Ein Jahr älter als Artur!«

»Ach was?! Ich hätte Sie viel jünger taxiert.«

»Besten Dank!«

»Die Salomons heiraten offenbar mit Vorliebe ältere Frauen, Frau Salomon ist vier Jahre älter als ihr Mann. Artur erzählte es mir.«

Sie sah sich bei diesen Worten unwillkürlich nach der Schwiegermutter um. Sie entdeckte sie ganz abseits im Gespräch mit Michalowski.

»Wie die mich haßt!« entfuhr es ihr, während ein dünnes, feindseliges Lächeln ihre Miene verhäßlichte.

»Kann sein,« entgegnete Jaffé. »Immerhin, sie hat Ja gesagt und sich damit abgefunden. Meine Mutter hätte sich eher die Zunge aus dem Munde gerissen.«

Agnes Jung zuckte geringschätzig die Achseln.

»Das kann ich ihr unmöglich hoch anrechnen! Gewiß hat sie Ja gesagt, aber aus purem Egoismus, um meiner schönen Augen willen hat sie es nicht getan. Lediglich die Angst, Artur zu verlieren, hat sie dazu bestimmt.«

»Das ändert doch nichts an der Tatsache,« wandte Jaffé ein.

Fräulein Jung warf den Kopf zurück, so daß ihr dünner Hals ganz sichtbar wurde.

»Ich mag sie nicht!« sagte sie kurz. »Reinen Tisch machen, darauf kommt es an. Entweder Ja oder Nein, nur keine halben Sachen! Auf der einen Seite zustimmen und auf der anderen mich wie eine Art Dienstboten behandeln, ich finde, das geht nicht!«

»Fräulein Jung, Sie haben doch eben selbst erklärt, daß wir Juden Gefühlsmenschen sind.«

»Das hat damit nichts zu schaffen. Sehen Sie sich meinen Schwiegervater an ... Übrigens glaube ich, wir werden beobachtet. Widmen wir uns also der Mischpoche.«

»Donnerwetter! Sie haben es aber rasch gelernt!«

Sie eilte lachend davon.

Inzwischen redete Michalowski beständig auf Frau Salomon ein.

»Du bist eine Schwarzseherin, Renette, und hast doch nicht den mindesten Grund dazu. Ich finde sie reizend, und meine Frau ebenfalls. Sie bewegt sich, als ob sie die beste Erziehung gehabt hätte, ist bei aller Zurückhaltung gewandt und bleibt einem keine Antwort schuldig!«

»Kunststück, wenn man zehn Jahre hinter dem Ladentisch gestanden und mit Krethi und Plethi verkehrt hat. So eine soll keine Suada haben!«

»Nun willst Du ihr gar einen Strick draus drehen, daß sie sich geschunden und mit Anstand durchgeschlagen hat!«

»Gar nichts will ich!« brach Frau Salomon los. »Vom Leibe möchte ich sie mir halten! Meinetwegen hätte sie die größte Partie machen können, wenn nicht ausgerechnet mein Artur die Kurkosten bezahlen müßte! Ach, Michalowski, es geht über meine Kraft. Ich komme nicht darüber hinweg. Und Euch alle verstehe ich nicht. Mir ist sie bis hier herauf zuwider!«

Sie machte bei diesen Worten die entsprechende Bewegung, und ihre Züge verzerrten sich.

»Dein Mann scheint doch ganz anderer Meinung zu sein,« begann Michalowski von neuem.

»Mein Mann, mein Mann ...« Ihre Stimme überschlug sich. »Den hat sie doch auch bereits eingewickelt, der ist ihr ebenfalls auf den Leim gegangen, macht sich auf seine alten Tage zum Schauten!«

Michalowskis Gesicht war immer länger geworden. Er legte seiner Gewohnheit gemäß die Hände auf den Bauch, und kaum hörbar erwiderte er: »Schlimm, schlimm, Renette, daß Du die Dinge so siehst.«

Er zog langsam seine Uhr aus der Tasche, und mit leichter Verlegenheit reichte er ihr die Hand.

»Gute Nacht, Renette, es ist Zeit, schlafen zu gehen. Und laß den Kopf nicht sinken. Im Leben pflegt es nie so schlimm zu werden, wie man fürchtet und nie so gut, wie man hofft.«

Michalowski fand die Gesellschaft bereits im Aufbruch.

Artur hatte in aller Stille einen Wagen besorgen lassen, und mit Not und Mühe war es Agnes gelungen, die Mutter herunterzuschaffen. Kaum daß sie in ihrem Polster saß, fiel sie zusammen und begann von neuem zu schnarchen.

Fräulein Jung lehnte den Kopf zurück und starrte ins Leere.

Wie einen das Leben zurichtet, dachte sie und betrachtete mit feindseligen Blicken die alte Frau ...


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