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VII.

Die sechs Wochen der Brautzeit verflogen, ehe man zum Bewußtsein kam. Bei Grünfeld hatte man die Wäsche bestellt, bei Lazarus Posen Witwe das Silberzeug, bei Gerson die Möbel und Kleider.

Artur war in der glückseligsten Verfassung. Er konnte es nicht begreifen, daß Agnes Jung bei allen Einkäufen eine so nachdenkliche Miene aufsetzte.

»Ich habe mein Lebtag jeden Groschen dreimal umdrehen müssen, bevor ich ihn ausgab, und wenn ich mir einmal eine seidene Bluse gönnte, habe ich einen halben Monat beinah hungern müssen. Mir fällt es schwer, so aus dem vollen zu schöpfen. Und wenn Du, ohne mit der Wimper zu zucken, für Tausende und aber Tausende einkaufst, wird mir schwindelig. Es geht so weit,« fuhr sie fort, »daß ich hinterher noch neidisch werde und zehnmal mich frage, mit welchem Rechte werfen diese Leute mit dem Gelde, während Du ... nicht einmal satt zu essen gehabt hast!«

»Es muß doch Reiche und Arme geben,« antwortete Artur lakonisch.

Sie sah ihn groß an.

»Du könntest mit dem gleichen Rechte behaupten, es muß Satte und Hungrige geben. Aber wenn Du zu den Hungrigen zähltest, glaube um Gottes willen nicht,« unterbrach sie sich, »daß ich aus Mitgefühl oder gutem Herzen so rede! Ich habe weder das eine noch das andere. Nein, nein, ich bin kein guter Mensch, niemand weiß es besser als ich. Aber ich habe unter den Hungrigen gelebt. Ich kenne sie und ihre Sorgen, ich weiß, wie man über Euch redet, und ich habe aus voller Überzeugung mit eingestimmt.«

»Ach, Agnesel, zerbrechen wir uns nicht den Kopf. Wir werden die Welt nicht umstürzen. Und Du wirst es endlich so haben, wie Du es verdienst.«

»Wer sagt Dir, daß ich es besser verdiene, und daß die Welt nicht einmal umgestürzt werden wird? Sieh einmal Mutter an, vielleicht wäre sie nicht so scheußlich verzerrt, hätte nicht ein so böses Mundwerk, das weder an Gott noch an der Welt ein gutes Haar läßt, wenn sie sich immer hätte satt essen können.«

»Nein, Liebstes,« widersprach Artur, »auch wenn Du im kleinen Finger tausendmal mehr Verstand hast als ich im ganzen Schädel, darin irrst Du. Man hat das große Mundwerk, oder man hat es nicht; man ist ein anständiger Kerl oder ein Lump, aber man wird es nicht. Es kommt mir so vor, als wenn ich aus einmal den starken Mann machen wollte, wo ich doch weiß, daß das meiner innersten Natur nicht liegt.«

»Du magst in dem, was Du sagst, recht haben, und es stimmt doch nicht ganz. Den inneren Menschen kannst Du nicht umkrempeln, aber sein äußeres Wachstum kannst Du fördern ober hemmen und gewisse Auswüchse und häßliche Triebe kannst Du beseitigen, wenn Du aufpaßt und rechtzeitig eingreifst.«

»Zugegeben,« antwortete er, »der Gärtner kann mit der Schere, der Chirurg mit dem Messer mancherlei Übel beseitigen, aber den Organismus von Grund aus zu verändern, ist weder der eine noch der andere imstande.«

»Schön! Indessen, wenn man den armen Menschen Licht und Wärme, Kleider und Nahrung in hinreichendem Maße schaffen, wenn man ihnen die Sorge nehmen würde, eines Tages auf der Straße zu liegen, so wäre damit schon ungeheuer viel getan. Ihr ahnt ja gar nicht, welch ein Neid und Haß in uns arbeitet, bis zu welchem Grade wir das Gefühl haben, von Euch unterdrückt, Eure Sklaven und Leibeigenen zu sein!«

Er sah sie erstaunt an.

»Du sprichst fortwährend im Pluralis. Wenn man Dich hört, könnte man meinen, Du wärst auch Genossin.«

»Bin ich auch! Jedenfalls gehöre ich zu ihnen und vielleicht ist es eine Gemeinheit von mir, daß ich mich in Euer Wohlleben flüchte und den Drückeberger mache.«

»Agnesel, Agnesel, wie kannst Du nur ...«

»Laß mich ausreden. Im stillen habe ich mir das öfter als einmal gesagt. Aber was hilft's, ich habe die Misere satt, ich will vorwärts kommen. Ich habe es satt, mich Tag und Nacht zu schinden, um am Ersten froh zu sein, wenn ich meine lumpigen Zweihundert einkassiere. Und dann bilde ich mir ein, bei Euch positive Arbeit leisten zu können.«

»Wie meinst Du das?« fragte er gedehnt.

»Ich hoffe auf Vater und Dich einen gewissen Einfluß zu gewinnen.«

»Ach weißt Du, offengestanden, ich habe keine sozialen Instinkte. Ich finde die Welt, in der wir leben, in jeder Hinsicht ausgezeichnet! Und jetzt gar ...«

»Was hast Du eigentlich an mir?« unterbrach sie ihn. »Weder bin ich hübsch noch elegant, noch habe ich sonst irgendwelche Talente. Es ist doch eine Riesendummheit, daß Du Dich an mich hängst! Hättest zehnmal gescheiter getan, wenn Du ein reiches Mädel genommen hättest. Was können die nicht alles! Klavier spielen, singen und die neuesten Tänze obendrein! Und von alledem abgesehen: Du hättest Dir den Ärger mit Deiner Mutter erspart. An gebrochenem Herzen wärst Du nicht gestorben. Man stirbt nicht daran. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Das steht nur in dummen Büchern.«

»Gestorben wäre ich nicht, darin magst Du recht haben, aber ein unglücklicher Mensch wäre ich geworden. Und weshalb ich Dich liebe? Agnesel, ich liebe Dich eben, was ist da weiter zu sagen! Ich finde Dich schön und alle Mädel der Welt können mir gestohlen werden und Papa ist auch bereits verliebt in Dich, ich sehe es ihm an.«

Sie überhörte seine letzten Worte.

»Zu seltsam, wie zärtlich und gütig ihr untereinander seid, eines möchte für das andere durchs Feuer gehen!«

»Ach, Agnesel, übertreibe nicht, bevor wir durch das Feuer gehen, überlegen wir's uns dreimal, vor Feuer und Wasser haben wir eine gewisse Scheu. Ich bezweifle es auch stark, daß wir Juden wirklich durch das Rote Meer gegangen sind. Aber nimm einmal an, Du hättest recht, und in der Tat besitzen wir ein ausgesprochenes Gefühl der Zusammengehörigkeit, willst Du uns daraus einen Strick drehen?«

»Im Gegenteil. Es ist ein ungeheurer Vorzug. Darüber bin ich mir klar gewesen, bevor ich ahnte, daß ich einmal einen Salomon heiraten würde. Und doch ist etwas Wahres daran: bei Euch fängt es mit der Familie an und endet mit der Familie. Und dann kommt eine dicke, dicke Mauer, die Euch von der übrigen Welt gewissermaßen trennt.«

Artur ereiferte sich. Zum erstenmal wurde er heftig. Der weiche Mensch geriet in eine Art Leidenschaft.

»Total falsch! Nicht wir haben die Mauer gezogen, sondern Ihr habt sie zwischen uns und Euch aufgerichtet. Leben wir denn nicht heute noch in einem Ghetto? Und ihr allein seid schuld, wenn wir gewisse unangenehme Eigenschaften im Laufe der Zeit erworben haben. Es sind das übrigens nur Äußerlichkeiten, an die Ihr Euch klammert. Im Grunde genommen könnt Ihr uns nichts Übles nachsagen! Liebstes Agnesel, komme mir nicht mit dem Zeug, das ist auch bei mir die Stelle, wo ich verwundbar bin. Sieh meinen Vater an und sage mir, ob er nicht mit jedem den Vergleich aushalten kann! Es gibt Lumpen hier und Lumpen dort. Wir wollen den einen und den anderen nicht reinwaschen!«

»Gib mir einen Kuß, Artur! Du gefällst mir heute besser denn je. Schimpf' mich tüchtig aus, wenn ich solche Anwandlungen habe, denn ich fürchte, es wird noch eine Weile dauern, bis ich das Gift ausgespuckt habe. Hätte mir früher jemand prophezeit, ich würde einen Juden heiraten, ich hätte ihn ausgelacht. Es kommt im Leben alles anders, als man denkt.«

Solche Gespräche waren zwischen den Brautleuten nicht selten und brachten sie einander näher.

In Agnes Jung steckte ein grüblerischer Zug. Sie wollte sich darüber klar werden, wie weit sie in Vorurteilen befangen war. Nun stand sie dicht vor dem entscheidenden Schritt ihres Lebens und konnte ihn ohne Überwindung tun, mochte sie auch zwischen sich und den Salomons noch genügend starke Gegensätze feststellen.

Gewiß hatte sich ihr Verhältnis zu Artur in den letzten Wochen wesentlich gebessert. Sie sah ihn mit anderen Augen. Sie suchte in ihm den alten Salomon. Sie wollte im guten Sinne an die Wahrheit des abgedroschenen Wortes glauben: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und mochte Artur ein schwacher Mensch sein, der von Hause aus einen Hang zur Trägheit und zum Genußleben hatte, irgendwo mußte es Züge vom Vater in ihm geben.

Ein reinlicher Mensch, zu keiner häßlichen Handlung fähig, war er in jedem Falle. Und dann konnte er, wie der alte Salomon, aus tiefem Grunde und von Herzen lachen. Es klang nicht so voll und sonor wie bei dem Alten, aber es klang doch immerhin.

Freilich, beim Vater gab es etwas Undefinierbares. Er stand wie ein prächtiger alter Baum da, unter dessen Schatten gut ausruhen war, und dessen mächtiger Stamm Halt und Stütze bot. In seiner Nähe schon hatte man die Gewißheit des Geborgenseins.

Und Artur, ach, Artur war ein Windhund, ohne Ziel und Richtung.

Und dennoch, hatte er nicht gerade in ihrem Falle Unbeugsamkeit und Charakter hinlänglich bewiesen?

Ihr Gesicht rötete sich ein wenig. Ein unangenehmes Empfinden stieg in ihr auf.

Er will Dich, will Deinen Körper das ist alles ...

Und ich, wollte ich nicht auch einen anderen, der meine Sinne erregt hatte? Weshalb spiele ich mich als das unschuldige Lamm Gottes auf, die ich doch von den gleichen Lüsten beherrscht bin wie er!

Wenn Agnes Jung bei dem Punkte angelangt war, verlor sie ihre Fassung. Sie wollte duldsam und gerecht sein und fand, daß es unsagbar schwer sei. Wenn man liebte, war es ein Kinderspiel, milde und gütig zu sein, aber wie sollte man mit liebeleerem Herzen geben und schenken!

Weshalb das Herz und Hirn martern, man gab nicht, man ließ sich nehmen und wartete ab, was die Zukunft bringen würde.

Und je näher die Hochzeit heranrückte, um so ruhiger und gefaßter wurde sie.

Artur sollte sich nicht zu beklagen haben. Den Vertrag, den sie eingegangen war, würde sie auch halten, schon um des Papas willen, dessen Vertrauen zu ihr von Tag zu Tag wuchs.

Er wurde immer väterlicher, nannte sie zuweilen sein allerliebstes Töchterlein und hängte sich schwer in ihren Arm.

Und wenn er sie fragte: »Drücke ich Dich, Kind?« so lachte sie ihm ins Gesicht. Seine Last tat ihr wohl. Sie hätte stundenlang so mit ihm gehen mögen.

Aber Salomon mußte sich die Minuten stehlen, wollte er vor Renette sicher sein. – – –

Man hatte eine reizende Fünfzimmerwohnung in der Derfflinger-Straße gemietet.

Artur hatte es nicht unter sieben machen wollen, aber Agnes' Vorhaltung hatte er schließlich nicht standhalten können.

»Ich bin eine Ladenmamsell, wie Deine Mutter sagen würde, und soll nun plötzlich die große Dame machen. Das geht mir gegen den Geschmack. Auch an den Reichtum muß man sich gewöhnen.«

In aller Stille wurde Hochzeit gemacht.

Frau Salomon war gegen jede Feierlichkeit gewesen, und Agnes hatte nachdrücklichst zugestimmt. Das erstemal, daß sie sich mit der Schwiegermutter in vollem Einklang befand.

Sie waren sich in diesen Wochen womöglich noch fremder geworden. Die alte Dame hatte sich immer mehr verkrochen. Sie wollte nichts von Aussteuer und Einrichtung wissen. Und wenn ihr Mann oder Artur davon zu erzählen begannen, schnitt sie ihnen das Wort ab.

»Tut, was Ihr wollt, aber verschont mich damit.«

Agnes sah wunderhübsch in ihrem Reisekleid aus, und Salomon stellte im stillen fest, daß sie einen distinguierten Eindruck machte und sich sehen lassen konnte.

Wenn Agnes vor der Hochzeitsreise ein leises Grauen gehabt hatte, so stellte sich heraus, daß alles viel besser verlief, als sie zu hoffen gewagt hatte.

Artur benahm sich äußerst delikat. Seine ganze Art war so behutsam und demütig, daß sie davon gerührt wurde und ein frauenhaftes Mitleid mit ihm hatte.

Und weil sie ein durch und durch gesunder Mensch war, machte sie nicht viel Federlesens, drehte das Licht ab und nahm ihn herzhaft und mütterlich in ihre Arme.

Der gute Mensch war im siebenten Himmel, und Agnes seufzte über seine Bescheidenheit.

Geben ist seliger denn nehmen, tröstete sie sich und damit war die Angelegenheit zunächst für sie erledigt.

Man war nach Westerland gefahren.

Agnes wäre ein kleines, stilles Nordseebad hundertmal lieber gewesen, aber dagegen hatte Artur lebhaft Einspruch erhoben. Er wollte seine elegante Frau aller Welt zeigen. Er war ordentlich stolz auf ihre Christlichkeit.

Agnes nannte ihn scherzhaft einen eitlen Herrn und obendrein einen Verräter. Sie drohte, Salomon zu berichten, was für ein schlechter Jude er im Grunde sei.

Es verfing jedoch nicht. Niemand konnte seliger sein als er.

Sie hatte im übrigen leichtes Spiel mit ihm, er war um den Finger zu wickeln. Es konnte keinen verliebteren jungen Ehemann geben. Sie war die schönste und aparteste Frau am Strande, das stand für ihn fest, und nebenbei war sie die klügste. Auch das stand außerhalb jeder Diskussion.

Die kurze Zeit der Hochzeitsreise genügte, um ihn in ein richtiges Abhängigkeitsverhältnis zu Agnes zu bringen.

Sie hatte es gar nicht nötig gehabt, darauf hinzuarbeiten. Es war höchst seltsam, wie es ihn drängte, sich ihr zu unterwerfen.

Ohne daß es in ihrer Absicht lag, lenkte ihn ein Blick ihrer Augen.

Ganz unmerklich begann sie an ihm herumzuerziehen. Er durfte bei Tisch ihre Hand nicht berühren und mußte sich daran gewöhnen, leise und ohne Gesten zu sprechen. Beides fiel ihm anfangs sauer, aber ein karges, aufmunterndes Lob aus ihrem Munde beglückte ihn.

Sie regelte von Anfang an in jeder Hinsicht ihre Ehe und er war dankbar für jede Freundlichkeit, die sie ihm erwies.

Dabei war er sich dieses Zustandes durchaus bewußt. Einmal sagte er: »Ich bin das eigenwilligste Kind gewesen und habe den Eltern mit meinem Trotz nicht wenig zu schaffen gemacht und jetzt bin ich so brav und gehorsam, daß ich über mich staunen könnte. Ich spüre Deinen Willen und Deine Hand und dieses Gefühl steigert noch mein Glück. Ich möchte es mir nicht anders wünschen, ist das nicht merkwürdig?«

»Ich glaube, Du redest Dir das ein,« antwortete sie, »und machst Dich über mich lustig, denn nichts liegt mir ferner, als Dich am Gängelbande führen zu wollen. Im Gegenteil: Dein Wille geschehe. Und wenn Du mir in Kleinigkeiten nachgibst, so ist das nett und lieb von Dir, beweist aber gar nichts.«

»Mit Speck fängt man bekanntlich Mäuse, und niemand geht Dir lieber in die Falle als ich.«

Beide mußten bei diesem Vergleich laut auflachen, und Agnes erklärte, gutmütig neckend, er würde mit jedem Tag dreister und nehme sich Scherze heraus, die unter so feinen Leuten wie Salomons es doch unzweifelhaft seien, sicherlich nicht am Platze wären.

Artur protestierte. Er wollte zärtlich werden und rückte ganz nahe an sie heran.

»Bleibe mir hübsch vom Leibe,« drohte sie ihm, »sonst setzt es ein Unglück. Ich bin eine ehrbare Frau und lasse mich von niemandem verführen!«

»Auch von Deinem Manne nicht?«

»Ach, lieber Artur, reden wir davon nicht, es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.«

Und es blieb dabei.

Artur mußte sich noch in anderen Dingen bescheiden. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, bei der Heimkehr den Vater beiseitezunehmen und ihm die große Neuigkeit ins Ohr zu tuscheln. Und wenn die Mutter es erfuhr, so würde das Eis gebrochen sein, und der unerquickliche Zustand, unter dem alle litten, ein Ende haben.

Damit hatte er gerechnet. Und nun hatte Agnes auch durch diese Rechnung einen dicken Strich gemacht.

Sie erklärte ihm mit aller Bestimmtheit, daß sie nicht daran denke, Kinder zur Welt zu bringen, bevor sie nicht eine gesicherte Existenz erobert habe.

Arturs Gesicht wurde platt vor Schrecken. Er begriff sie einfach nicht. Ob sie die Salomons dafür strafen wollte, daß sie durch andauernde Arbeit zu Wohlstand gekommen und vor der Sorge des Tages geschützt seien?

»Du siehst die Situation etwas einseitig,« entgegnete sie. »Ich will lediglich in keine dauernde Abhängigkeit von Euch geraten und will mein freier Herr bleiben. Stellt es sich heraus, daß ich mir durch eigene Kraft bei Euch eine Position mache, so daß ich im Notfall ein Kind selbst erhalten kann, dann in Gottes Namen.«

Und dabei beharrte sie, und all sein gutes Zureden, sein Bitten und Drängen waren vergeblich.

»Was verstehst Du eigentlich unter Notfall?« forschte er beklommen.

Sie wollte erst nicht mit der Sprache heraus, schließlich aber sagte sie: »Es könnte doch immerhin möglich sein, daß wir beide eines Tages es für gut und anständig hielten, in aller Freundschaft auseinanderzugehen. Mißverstehe mich nicht! Ich setze den Fall, daß Du selbst es bist, von dem der Vorschlag ausgeht. Tritt das ein, so will ich nicht von Eurer Gnade abhängig sein und deshalb muß ich festen Boden unter den Füßen haben, muß wissen, daß ich mich auf meine Kraft verlassen kann. Das ist auch der Grund, weshalb ich in das Geschäft will.«

»Ach, Agnes,« meinte er bekümmert, »ich glaube, eher hält man einen Gießbach auf als Dich, wenn Du Dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast. Ich habe außer meiner Mutter wohl nie einen Menschen gesehen, der einen so eisernen Willen hat wie Du. Angst und bange kann einem werden. Ich bin überhaupt gegen die Arbeit, Arbeit ist etwas Ekelhaftes. Und hinge es von mir ab, würde ich den Laden nicht betreten. Ich bin gewiß nicht fromm, aber wenn mir in der Bibel etwas eingeleuchtet hat, so ist es dieses, daß Arbeit die größte Strafe Gottes ist, und daß er sie erst verhängt hat, als er hinter die Niedertracht der Menschen kam und ihrer sich nicht zu erwehren wußte.«

»Und was würdest Du mit dem Tage anfangen, mein Lieber?«

»Ich würde mit der Zeit kaum reichen. In der Frühe käme der Masseur. Hierauf Bad mit allen Schikanen. Dann Morgenritt. Solennes Frühstück mit den herrlichsten Dingen. Zeitunglesen. Spazierfahrt im Auto, und der Vormittag ist im Handumdrehen erledigt. Und mit dem Nachmittag wird man doch spielend fertig. Man diniert, schläft, trinkt seinen Kaffee, und mittlerweile ist es Abend geworden, und man hat die Wahl zwischen Gesellschaft, Konzert oder Theater. Kann man den Tag nützlicher ausfüllen? Oder hältst Du es für feiner und sittlicher, hinter dem Ladentisch zu stehen, und die Ware an den Mann zu bringen? Ich für mein Teil finde es, wenn nicht überflüssig, so doch scheußlich!«

»Du hast Dir ja ein feines Programm zurechtgelegt. Man könnte ordentlich neidisch werden. Wie stellt sich denn Papa dazu, von Deiner Mutter gar nicht zu reden?«

»Agnesel, laß die alten Leute aus dem Spiel, die kommen von dem Schlendrian ihrer Anschauungen nicht mehr los, bei denen fängt der Mensch mit dem Lasttier an.«

Ein spöttisches Lächeln huschte über ihr Gesicht.

»Deshalb bin ich auch ins Bankgeschäft gegangen,« fuhr er unbeirrt fort, »ich dachte, man hätte dort am wenigsten zu tun und könnte am bequemsten Geld verdienen. Statt dessen stellte sich heraus, daß man es nirgends leichter los wird. Ich bin heute noch bei Jaffé in der Kreide,« entschlüpfte es ihm wider Willen.

Sie runzelte die Stirn.

»Das sind ja schöne Geschichten! Spielen tust Du auch?«

»Es sind lumpige Fünftausend, die reine Vergeßlichkeit, daß ich es nicht ausgeglichen habe. Im übrigen lassen wir das. Ich bin Jaffé dafür gut,« schloß er etwas verärgert.

»Wie kann man nur anderer Leute Geld vertun?«

Er wollte einen Einwurf machen, aber sie ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Gut, sagen wir fremdes Geld; denn Du hast es doch nicht erworben! Und überhaupt auf der Börse spielen, pfui Teufel!«

»Bin ich ein Esel! Warum habe ich es Dir überhaupt erzählt? Nun machst Du aus dieser Bagatelle eine Tragödie. Das Geld meines Vaters gehört doch am Ende auch mir.«

»Das ist ein Grundirrtum. Gehören tut einem, was man aus eigener Kraft erarbeitet hat. Meine Jungfernkleider, die eingepackt sind und modern, gehören mir. Du magst es mir glauben, bei jedem neuen Stück, das ich jetzt anziehe, habe ich ein unbehagliches Gefühl.«

»Das ist lächerlich,« gab er zurück. »Ich würde, ohne eine Miene zu verziehen, alles von dir nehmen. Du bist doch meine geliebte Frau, wie kannst Du da zwischen mein und dein trennen? Das kommt mir kleinlich vor, verzeih' den Ausdruck. Im übrigen will ich mich nicht schlechter machen, als ich bin. Du tust gerade so, als ob ich ein gewerbsmäßiger Spieler wäre. Davon kann gar nicht die Rede sein. Ich habe, wie alle jungen Leute, einmal mein Glück versucht. Dazu hat es mich gelockt. Spielen ist etwas Phantastisches, kannst es mir glauben. Es ist nicht der Gewinn, der einen reizt, es ist das Risiko, das Abenteuer. Man ist mit einem Schlage aus dem Alltag heraus und erlebt etwas so Neues, daß einem der Atem stockt. Nun, ich habe mich nicht lange dabei aufgehalten. Als Jaffé zu mir sagte: ›Laß die Hand davon, erstens hast Du keinen; Riecher für das Börsengeschäft, und zweitens fehlt es dir an Masel Glück.‹, habe ich Schluß gemacht. Mehr kannst Du doch nicht verlangen. Jaffé hat natürlich recht. Zum Spiel gehört Glück, und das habe ich nicht.«

»Woraus schließt Du das?« fragte sie aufhorchend.

»Aus tausend kleinen und großen Dingen, erst jetzt glaube ich wieder an meinen Stern, jetzt, da ich Dich habe, aber um ein Haar wäre das ja auch schief gegangen. Komm, gib mir einen Kuß und hab' mich lieb, ich brauche einen Menschen wie Dich, der stark und gütig ist. Denn mir fehlt es an jedem Selbstbewußtsein.«

»Ich und Güte? nicht eine Spur habe ich davon.«

Er küßte sie auf den Hals.

»Agnesel, Du bist viel liebenswerter, als Du ahnst. Und arbeiten werde ich von nun an wie ein Ackergaul, wenn es Dir Spaß macht.«

»Das ist ein Wort, und den Spaß wirst Du davon haben. Warte es nur ab. Wir beide wollen um die Wette schuften. Papa soll die Augen aufreißen.«

Artur seufzte.

»Ich bin nicht ehrgeizig, und auf Lob und Anerkennung bin ich auch nicht versessen. Ich tu's lediglich deinetwegen.«

Bei diesen Worten hatten seine Züge einen schwermütigen Ausdruck angenommen, der ihr im höchsten Grade unangenehm war.

Trotzdem schmiegte sie sich an ihn, als wollte sie durch die Berührung mit ihm ihrer inneren Kälte Herr werden und von feindseligen Gedanken sich gewaltsam befreien.

Immer wiederholte sie sich: Er ist ein sauberer, anständiger Mensch, und nachdem du einmal seine Frau geworden bist, ist es deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihm ein guter Kamerad zu werden.

Ach, das war so leicht gesagt und so furchtbar schwer durchgeführt! Was nützte alle verstandesgemäße Erkenntnis, wenn jene geheimnisvolle Blutsgemeinschaft fehlte, durch die ein Zusammenleben erst seinen tieferen Sinn bekam!

Sie begriff seine Bescheidenheit nicht. Er ging an ihr ahnungslos vorbei und hatte nicht den leisesten Instinkt für ihre Frauennatur. Wie ein harmloser Junge war er, selig und zufrieden, wenn er nur auf seine Rechnung kam.

Sie hatte sich ihr Leben anders geträumt. Sie wußte, daß sie verschwenderisch in der Liebe sein konnte und, ihrer äußeren Herbheit zum Trotz, sich mit einer Leidenschaft und Intensität hinzugeben vermochte, die den geliebten Menschen in Entzücken versetzen mußte.

Und nun hieß es die Zähne zusammenbeißen und sich bescheiden. Es kamen Stunden, in denen sie glaubte, sie müßte ihm davonlaufen. Denn es war doch eine Versündigung an ihrem Fleisch und Blut, wenn die Flamme in ihr langsam verlöschte und das Lebendige in ihr verdorrte und abstarb.

Irgendein Ton, eine Bewegung von ihm konnte sie zuweilen bis aufs äußerste reizen, aber der Schrei, der ihre Brust sprengen wollte, wurde jedesmal unterdrückt.

Sie blieb gegen ihn gleichmäßig kühl und freundlich und duldete seine Zärtlichkeiten, so schwer sie darunter litt, daß sie ihren Körper mißbrauchen ließ.

War ihre Selbstbeherrschung in Gefahr, so brauchte sie nur an Salomon zu denken. Denn zwischen ihr und dem Schwiegervater war ein geheimes Band, das sie letzten Endes auch mit Artur verknüpfte.

Sie konnte dem alten Salomon gegenüber nicht schuldig werden, durfte sein blindes Vertrauen nicht täuschen, wollte sie an ihrer Seele nicht Schaden nehmen.

Aber wenn sie Herrin ihrer Tage war, so mußte sie zu ihrem Schrecken erfahren, daß ihr Wille von ihren Nächten eingefangen wurde.

Einmal schrie sie mitten im Traum gellend auf, und als Artur entsetzt in die Höhe fuhr und das Zimmer hell machte, sah er in ein angstverzerrtes, totenblasses Gesicht, aus dem zwei weitaufgerissene Augen ihn bewegungslos anstarrten.

Sie klammerte sich an ihn, aber trotz seines Drängens brachte sie keinen Laut hervor.

Er kroch in ihr Bett, und sie ließ es ohne Widerstand mit sich geschehen.

Aber während er beglückt und erfüllt rasch wieder in Schlaf verfiel, tat sie in dieser Nacht, von Grauen geschüttelt, kein Auge zu.

Sie hatte geträumt, daß plötzlich Bobsin neben ihr lag und sie küßte, und dann war es auf einmal nicht mehr Bobsin gewesen, sondern Arturs Vater, der sie fest umschlungen hielt und dessen inbrünstige Umarmung sie mit aller Leidenschaft erwiderte, bis ein leises, wehes Weinen Arturs an ihr Ohr drang und Salomon sie entsetzt losließ.

Da war sie mit einem Aufschrei erwacht.

Es war ein abscheulicher Traum gewesen, über den sie sich bis zum Morgengrauen nicht beruhigen konnte. – –

Die für die Hochzeitsreise bestimmte Zeit ging ihrem Ende entgegen.

Salomons hatten von Artur eine Fülle von Briefen und Ansichtskarten erhalten, die vor Seligkeit überströmten.

Frau Salomon ließ sich nicht bewegen, sie zu lesen.

»Bleib' mir mit dem Zeug vom Leibe,« sagte sie kurz. »Er ist ein Chammer Dussel. und wird nebbich Gott behüte. früh genug erwachen!«

Was blieb Salomon anders übrig, als das Glück seines Jungen für sich allein auszukosten?

Er tat es ausgiebig, wenn er allein in seinem Kontor saß und immer und immer wieder diese Briefe las und die Grüße, die Agnes daruntergesetzt hatte.

Er freute sich an ihrer kühnen, großen Handschrift, die auf Kraft, Willen und Persönlichkeit schließen ließ. Und er zählte mit Ungeduld die Stunden bis zur Heimkehr der Kinder.

Ohne daß Renette es ahnte, machte er sich fürsorglich in der Wohnung des jungen Paares zu schaffen und bereitete, insbesondere für Agnes, allerhand heimliche Überraschungen vor.

Die schönste Mappe und das feinste Papier, vom großen Bogen bis zur kleinsten Karte, geschmückt mit ihren Initialen, lagen auf ihrem Schreibtisch. In einer Lade war ein silbernes Zigarettenetui, in der anderen ein kostbares Petschaft mit zierlichen Siegellackstangen in allen Farben.

Und als Artur in einer kurzen Depesche ihre Ankunft mitteilte, war er eine Stunde vor Eintreffen des Zuges bereits auf dem Bahnhof und ging ungeduldig auf und nieder, bis endlich der Zug signalisiert wurde.

Ihm war zumute, als ob er auf einmal jung und lebendig geworden wäre, eine Art von Schlafkrankheit überwunden hätte.

Er wollte an dem Glück der Kinder seinen Teil haben, mochte Renette noch so sehr murren und abseits stehen.

Mit einem: »Papa, geliebter Papa!«, das wie himmlische Musik in seinen Ohren klang, sprang ihm die junge Frau Salomon entgegen.

Man fuhr gemeinsam nach der Derfflinger-Straße, und Agnes konnte sich vor Entzücken nicht fassen, als sie ihre Wohnung betraten.

Erst während ihrer Abwesenheit waren die Möbel fertig, die Teppiche gelegt, die Bilder gehängt worden. Und nun erwies sich, daß man mit sicherem Geschmack gewählt hatte, daß alle Räume einen gefälligen und dabei gemütlichen Eindruck hervorriefen.

Zwischen den modernen Möbeln standen ein paar echte, alte Stücke, die sich wunderbar ausnahmen und dem Ganzen einen höchst soliden Charakter aufdrückten.

Die schönen Perserteppiche, die Salomon mit Liebe und Sorgfalt selbst ausgesucht hatte, taten mit ihren seltsamen und originellen Mustern, mit ihren leuchtenden Farben ein übriges, um die Wirkung der Räume noch wesentlich zu erhöhen.

In allen Zimmern, Entree und Küche nicht ausgenommen, hatte Salomon große Blumensträuße aufstellen lassen, so daß der jungen Frau, wie sie ging und stand, ein süßer Duft entgegenströmte.

»Wunderhübsch, Wunderhübsch,« sagte sie beständig und hängte sich in beide Salomons ein, um Stück für Stück zärtlich zu betrachten. 1

Und dann entschlüpfte es ihr: »Es ist so schön, daß man sich gar nicht davon trennen möchte.«

Der Alte schnappte sofort ein: »Wer zwingt dich dazu, laß Geschäft Geschäft sein und freue dich an deiner Häuslichkeit.«

Sie entzog ihm ihren Arm.

»Ist es Dir leid geworden, Papa? Sag' ganz aufrichtig, Du möchtest mir am liebsten den Stuhl vor die Tür setzen.«

»Davon ist keine Rede,« entgegnete er, und seine Miene umschattete sich. »Ich dachte nur. Du selbst hättest vielleicht Deinen Sinn geändert. Natürlich bleibt unsere Abmachung bestehen.«

Sie atmete auf.

»Nichts hat sich bei mir verändert, und morgen früh treten Artur und ich pünktlich an. Das Faulenzen muß nun ein Ende haben.«

»Das ist ihre fixe Idee, Papa, und daran läßt sie nicht rühren.«

Sie nahm des Schwiegervaters Hand.

»Ich freue mich auf die Lehrzeit. Du sollst sehen, ich werde Dir keine Schande machen.«

Salomon seufzte in sich hinein.

Niemand hörte es.

Er dachte an die Kämpfe, die ihm bevorstanden.


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