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IX.

Als Agnes mit ihrem Manne nach Hause kam, erwartete sie eine neue Überraschung.

Auf der Schwelle trat ihr Frau Jung entgegen, die bereits seit mehreren Stunden in der Wohnung Umschau gehalten und mit dem Dienstmädchen eifrig konferiert hatte.

»Das ist ja reizend,« begann sie ohne Umschweife. »Ihr kommt an und haltet es nicht einmal für nötig, mir eine Nachricht zu geben. Ich muß mich ja vor Euren Bolzen schämen. Übrigens liegen vorn zwei Riesenpakete von Wertheim.«

Agnes ging mit einem stummen Gruß in das Wohnzimmer. Frau Jung und Artur folgten.

Es waren zwei kostbare, mit der Hand gestickte Kissen, die die Wertheim-Mädchen ihrer ehemaligen Kollegin zur Hochzeit gestiftet hatten.

Das Gesicht der jungen Frau erhellte sich.

»Sieh einmal an,« sagte Frau Jung, »das nenne ich anständig.«

»Ich finde es furchtbar nett von den Mädeln. Sie haben mich also doch ein bißchen gern gehabt. Und nächsten Sonntag laden wir die ganze Rasselbande zum Kaffee ein, das heißt, wenn Du es erlaubst, Artur; denn mir ist, als ob ich selbst zu Gast hier wäre, und über Deinen Kopf hinweg ...«

»Nun höre gefälligst auf,« unterbrach er sie lachend. »Deine Freunde sind meine Freunde, und umgekehrt, hoffe ich, wird es auch der Fall sein.«

»Es sind zwar keine Freundinnen von mir, aber es sind liebe, nette Geschöpfe unter ihnen. Habe übrigens keine Furcht, es sind nur die Kolleginnen aus meiner Abteilung. Mehr als ein Dutzend werden es nicht.«

Sie klingelte und ließ das Essen auftragen.

Für Frau Jung wurde nachgedeckt.

»Ich wollte mit meinem Manne beim ersten Mittagbrot allein sein, und darum habe ich Dir nicht geschrieben, Mutter,« erklärte sie kurz.

Frau Jung geriet außer sich.

»Na, das wäre ja noch schöner,« meinte sie, »wenn die Mutter als Störenfried angesehen würde! Und allein seid ihr weiß Gott jetzt lange genug gewesen. Mir hätte eine Erholung auch gut getan, aber daran hat natürlich kein Mensch gedacht.«

Artur wollte begütigen, aber das brachte sie noch mehr in Harnisch.

»Ich habe es ja gleich gewußt, Sie lassen sich von ihr unterkriegen. Das versteht sie aus dem ff, und weil wir darüber gerade sprechen: In meiner Wohnung bleibe ich nicht, da graule ich mich viel zu sehr. Gekündigt habe ich auch schon.«

»Wo willst Du denn hinziehen, Mutter?«

»'ne Frage! Wo soll ich hinziehen! Zu Euch natürlich. Meine Siebensachen sind bald gepackt.«

Artur wollte sich vor Lachen biegen, aber Agnes bemerkte trocken: »Wenn Du denkst, daß Mutter sich einen Scherz erlaubt, bist Du schief gewickelt.«

Und zu Frau Jung gewandt: »Das ist völlig ausgeschlossen, auf Dauergäste ist unsere Wohnung nicht eingerichtet. Seit wann hast Du es denn mit der Furcht bekommen? Das ist ja das Neueste von Dir!«

»Ob es neu oder alt ist,« antwortete Frau Jung tiefgekränkt, »laß meine Sorge sein! Ich bleibe in der Bude nicht! Und einzurichten geht es bei etwas gutem Willen auch! Warum soll ich nicht im Herrenzimmer auf der Chaiselongue schlafen können? Für mich ist da reichlich Platz. Und mit dem Hausmädchen habe ich bereits geredet.«

»Sehr freundlich von Dir, Mutter, daß Du hinter meinem Rücken das nötige angeordnet hast. Es wird Dir aber, fürchte ich, verdammt wenig nützen. Davon kann selbstverständlich nicht die Rede sein, in dem Punkt wirst Du weder bei Artur noch bei mir Gegenliebe finden, ich kann Dir also nur raten: zieh die Kündigung zurück.«

»Ne, mein Kind, ich denke nicht daran, und auf die Straße wirst Du mich wohl nicht setzen. Du bist zwar ein Gemüt, aber das wirst Du Dir dreimal überlegen. Mir gefällt es hier, ich finde es hübsch bei Euch!«

Agnes erwiderte nichts. Sie kannte die Mutter zur Genüge, um zu wissen, daß sie das letzte Wort behielt. Und sie gewissermaßen ignorierend, sprach sie angelegentlich mit Artur, der in dieser fatalen Situation ausgezeichnet seine Haltung bewahrte.

Auf Frau Jung machte diese Methode nicht den mindesten Eindruck. Sie mischte sich beständig in die Unterhaltung und suchte Artur krampfhaft ins Gespräch zu ziehen. Dabei entwickelte sie einen blühenden Appetit, häufte sich den Teller voll, daß Agnes der Schweiß auf die Stirn trat, denn sie wußte nicht, wie sie die Mädchen satt machen sollte.

Die Mutter aß für zwei, bediente sich, solange die Schüssel auf dem Tisch stand, in der Hoffnung, Agnes damit zu ärgern.

Als der Kaffee gebracht wurde, sagte sie mit Aplomb: »So gut habe ich lange nicht gegessen!«

Frau Agnes war dem Heulen nahe.

Sie zog Artur aus dem Zimmer.

»Schöne Schwiegermütter haben wir beide! Nun wirst Du mir wohl glauben, daß ich nicht übertrieben habe!«

Er legte seinen Arm um ihre Taille.

»Warum nimmst Du es so tragisch? Ich hätte mich köstlich amüsiert, wenn Du nicht so böse und verstimmt dreingeschaut hättest. Laß mich nur mit ihr reden, ich bringe die Geschichte in Ordnung, verlaß dich darauf!«

Damit begab er sich wieder zu Frau Jung.

»Na, haben Sie sich von ihr ordentlich aufputschen lassen?«

Er nahm sie unter dem Arm.

»Kommen Sie, Mama, gehen wir in das Herrenzimmer.«

»Ach was,« entgegnete sie mürrisch, »ich kann mir schon denken, was Sie vorhaben.«

»Warten Sie's erst ab. Es ist ja kein böser Wille von uns. Sie müssen doch zugeben, daß ein junges Ehepaar das Bedürfnis hat, allein zu sein. Und Ihnen selbst würde es bald unbehaglich werden. Das ist doch nun einmal kein Schlafzimmer! Wo wollen Sie sich waschen? Wo ...«

»Flausen, lieber Salomon,« fiel sie ihm unwirsch in die Rede. »Bei etwas gutem Willen läßt sich alles einrichten. Was wollen Sie von dem Zimmer?«

Und während sie den Raum noch einmal prüfend überflog, als wollte sie nur auf Grund gediegener Sachkenntnis urteilen, fuhr sie fort: »Ich finde es sehr gemütlich und mollig hier, ich habe gegen das Zimmer nichts einzuwenden. Lassen Sie sich doch von Agnes nichts weismachen. Umstände?! Sind das Umstände, wenn man meine paar Betten abends auf den Diwan legt, und ein Nachtgeschirr darunter stellt? Das mache ich mir schließlich allein. Und mit dem Waschen hat's auch keine Schwierigkeit, das Badezimmer ist ja nicht außerhalb der Welt! Ne, ne, so ins Blaue hinein red' ich nicht, das hab' ich mir alles gründlich überlegt.«

Artur wäre gern losgeplatzt. Ihre Unverfrorenheit amüsierte ihn königlich. Weil er aber zu gutem Ende kommen wollte, entgegnete er ernsthaft: »Allen Respekt, Frau Jung, Sie sind eine sehr gescheite Frau, und was Sie sagen, hat Hand und Fuß. Aber trotzdem: es geht nicht! Mein Arbeitszimmer gehört mir allein. Ich bin nämlich so veranlagt, daß ich zuweilen mitten in der Nacht erwache, den Schlafrock umwerfe und zu meinen Büchern laufe.«

»Ja, wer hindert Sie daran? Meinethalben können Sie alle Flammen andrehen und bis morgens früh schmökern, mich geniert das nicht, ich habe einen festen Schlaf.«

»Schön, aber ich würde daran Anstoß nehmen, und das allein müßte doch für Sie, Mama, ein Grund sein.«

Frau Jung machte eine heftig abwehrende Handbewegung.

»Wenn Sie mich für dumm kaufen, können Sie mir leid tun, Herr Salomon, nicht piep dürfen Sie sagen, und tanzen müssen Sie, wie die pfeift, das sieht doch ein Blinder.«

»Mama, wenn Sie in dem Ton von Agnes reden, muß ich das Gespräch abbrechen, ich dulde das nicht.«

»Machen Sie sich nicht in die Hosen, Herr Salomon. Ich werde doch meine Tochter kennen, mir imponiert sie nicht, weder mit ihrer neuen Kledage noch mit den feinen Möbeln. Zuletzt bezieht sie dieselbe Villa wie ich, und was übrigbleibt, ist für die Würmer und Maden.«

»Nun ist's genug, Frau Jung! Ich habe keine Lust, mich länger von Ihnen anpöbeln zu lassen!«

Und mit einer ärgerlichen Bewegung erhob er sich und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.

»Na, was denn, was denn!« brachte sie, ein wenig eingeschüchtert, hervor.

»Wenn Sie meine Geduld auf eine zu harte Probe stellen, so fürchte ich, werden Sie den kürzeren ziehen! Und damit Sie sich darüber im klaren sind: einen Zwang lasse ich innerhalb meiner vier Wände nicht auf mich ausüben. Bis jetzt habe ich Ihre Zumutungen von der scherzhaften Seite genommen! Nötigen Sie mich nicht, eine andere Tonart anzuschlagen!«

Er hatte mit solchem Nachdruck gesprochen, daß er über sich selbst in Staunen geriet.

Auch auf Frau Jung war sein Ton nicht ohne Wirkung geblieben. Sie nahm plötzlich eine veränderte Haltung an.

»Wie soll ich denn mit lumpigen dreitausend Mark auskommen? Die Wohnung allein kostet mich achthundert. Wissen Sie, was sie mir erzählt hat? Sie gebe das Geld aus ihrer eigenen Tasche und müßte es in Ihrem Geschäft verdienen. Sie bekomme wie jeder Angestellte ihr Gehalt. Nun frage ich Sie, Herr Salomon, bin ich auf den Kopf gefallen – und bildet sie sich wirklich ein, daß ich auf den Schwindel reinfalle?«

»Es ist die volle Wahrheit, Mama. Diese Bedingung hat sie am Tage der Verlobung gestellt. Sie hat es strikt abgelehnt, daß ich für sie eintrete. Sie sehen daraus, wie man sich irren kann.«

Frau Jung blickte ihn argwöhnisch an.

Als aber Artur auf Ehre und Gewissen erklärte, daß dem so sei, zuckte sie verächtlich die Achseln.

»Die ist übergeschnappt!« sagte sie, »im übrigen kann sie mir was, ich komme jedenfalls mit dreitausend nicht aus. Und das ist für mich der Hauptpunkt. Oder will sie am Ende gar, daß ich ins Spittel gehe?«

»Schämen Sie sich, Frau Jung, wie können Sie so etwas nur denken, geschweige denn aussprechen! Aber damit wir zu Rande kommen, mache ich Ihnen einen Vorschlag: Ich lege jährlich tausend Mark dazu, unter der einen Bedingung, daß meine Frau nichts davon erfährt. Und langt das nicht, können wir uns später über den Gegenstand weiter unterhalten! Einverstanden?«

Frau Jung zögerte noch.

»Natürlich wird es nicht langen, und nehmen Sie es mir nicht übel, Artur: für einen Millionär sind Sie ein bißchen knauserig. Und wenn es tatsächlich damit seine Richtigkeit hat, daß Agnes die dreitausend aus ihrem Portemonnaie nimmt, dann machen Sie sich's ein bißchen leicht, dann sind, aufrichtig gesprochen, tausend Mark Zuschuß etwas schofel. Die Frau, die mit mir auf einem Flur wohnt ...«

»Interessiert mich nicht,« unterbrach er sie. »Und dann möchte ich Sie zu Ihrer Beruhigung darüber aufklären, daß ich ebenfalls von meinen Eltern abhängig bin und über deren Vermögensverhältnisse Ihnen keine Auskunft geben kann.«

»Die Sorge kann ich Ihnen abnehmen, Arturchen, steinreich sind Ihre Eltern. Jedes Kind in der Stadt weiß es. Aber, in Gottes Namen will ich vorläufig Ja sagen. Alles weitere wird sich später finden. Und nun grüßen Sie Agnes schön von mir. Ich glaube, sie und ich haben für heute genug voneinander. Sie können ihr auch bestellen, ich habe nicht im Traum daran gedacht, mich bei Euch häuslich niederzulassen. Da weiß ich mir was Besseres. Ich muß nicht von allem haben, das gönne ich Ihnen, mein Lieber!«

Artur sah sie verdutzt an.

»Ja warum haben Sie dann ...«

Frau Jung lächelte verschmitzt.

»Meine Rente wollte ich mir aufbessern, weiter nichts, und das ist ja nicht vorbeigelungen. Wie wollen Sie es eigentlich mit der Zahlung halten, Arturchen? Unter uns gesagt, es wäre mir lieb, wenn ich die tausend auf ein Brett bekommen könnte.«

»Gern, – nur unsere Bedingung dürfen Sie nicht vergessen.«

»Ich werde mich hüten! Aus meinem Munde erfährt sie es nicht!«

Sie wandte sich zur Tür, drehte sich aber noch einmal um.

»Gleich bei der Hand haben Sie es wohl nicht?«

Artur war perplex.

»Nein, bei der Hand habe ich es nicht, ich denke indessen, bis morgen bin ich Ihnen sicher.«

»Das schon, aber wissen Sie, bei uns pflegt man zu sagen: frische Fische, gute Fische. Was wollte ich denn noch,« unterbrach sie sich, »ja richtig, wenn Agnes mich hier haben will, muß sie zu mir kommen. Aufdrängen tue ich mich nicht, dazu habe ich einen viel zu feinen Takt.«

Artur gab ihr vollkommen recht. Das sei ein Standpunkt, den er nur teilen könne.

»Na dann, auf Wiedersehn«, und vielleicht würde sie es so einrichten, daß sie jeden Sonntag bei ihnen speiste.

Artur bedauerte. Sonntag sei ausgeschlossen, da müßten sie in die Genthiner Straße. Den Sonntag hätten sich seine Eltern ein für allemal reserviert.

Frau Jung hatte noch etwas auf der Zunge. Sie unterdrückte es. Und mit einem: »Also morgen! Nicht wahr, Sie vergessen es nicht?« war sie aus der Tür.

Das ist ja eine Bise Bise = böses Weib, Xanthippe., wie sie im Buche steht, murmelte er vor sich hin. Und halb belustigt, halb verstimmt, berichtete er Agnes, wobei er alle peinlichen Einzelheiten beiseite ließ.

»Es hat gar keine besondere Mühe gekostet,« schloß er, »denn es war nur ein Bluff von ihr, und ein bißchen Gutzureden genügte, um die Sache ins reine zu bringen.«

Agnes blinzelte ihn mißtrauisch an. Sie dachte sich ihr Teil und vermied es, weitere Fragen zu stellen.

»Jedenfalls bin ich Dir dankbar, von der Sorge befreit zu sein. Ein schrecklicher Gedanke, sie hier im Hause zu wissen! Das mag lieblos erscheinen, aber Du darfst es mir glauben, das Zusammenleben mit ihr war in den letzten Jahren eine Marter.«

Und nachdenklich fügte sie hinzu: »Ich weiß nicht, wie ich zu dieser Mutter komme! Ohne Übertreibung kann ich Dir versichern, daß ich meine Kindespflicht ihr gegenüber immer erfüllt habe, und trotzdem hat sie, soweit meine Erinnerung reicht, nie ein gutes Haar an mir gelassen. Und neben Deiner Mutter weiß ich wahrhaftig keinen Menschen, der mir feindlicher gesonnen wäre als sie. Ist das nicht merkwürdig? Mit den Müttern habe ich eben Pech.«

»Die meinige wird sich bekehren, wenn ich alles so sicher wüßte!«

»Niemals! Du bist ein großes Kind, wenn Du das für möglich hältst. Deine Mutter ist eine gute Hasserin, und ich bin ihr das rote Tuch. Sie leidet unter mir und geht daran zugrunde.«

»Ach, Agnesel, wie kannst Du so etwas nur aussprechen!«

Und unwillkürlich entschlüpfte es ihm: »Ein Jude brächte das nicht über die Lippen, vielleicht weil wir zu sentimental sind und um eine unangenehme Wahrheit uns lieber herumdrücken.«

»Ganz recht,« sagte sie, »das ist die christliche Gemütlosigkeit, von der ich auch mein Teil habe. Ihr lebt mehr mit dem Gefühl, und schließt lieber beide Augen, ehe ihr euch wehetut. Ich weiß nicht, welches die bessere Methode ist: den Tatsachen ruhig ins Gesicht zu sehen, oder den Kopf in den Sand zu stecken. Bequemer und vielleicht klüger ist das letztere.«

»Es kommt darauf an, ob es nicht auch zarter und gütiger ist,« meinte er schüchtern.

»Kann sein, ich leugne es nicht! Aber was nützt alles Reden, unsere Mütter werden wir beide nicht ummodeln!«


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