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II.

»Bobsin,« sagte sie leise mit einem Ausdruck tiefer Entschlossenheit, »ich liebe Sie, ich mußte es Ihnen sagen. Und alles hängt jetzt von Ihrer Antwort ab.«

Bobsin saß mit verschränkten Armen ihr gegenüber und schwieg.

Agnes Jung war blond, strahlend blond, und ihre hellen, blauen Augen glichen den seinen und glichen ihnen nicht. Den Leuten wurde angst, wenn Bobsin sie messerscharf ansah, aber hinter Agnes Jungs kühlem Blick, hinter ihrer Herbheit lag noch verhaltene Wärme.

Sie war schlank gewachsen und trotz ihren sechsundzwanzig Jahren fast mager.

Die Kolleginnen von Wertheim, die sie hochmütig nannten, sprachen mit Neid von ihren geraden Beinen. Man hielt sie dort für schlau und behauptete, daß sie mit dieser Zurückhaltung, die sie sich zurechtgemacht habe, die Männer einfing. Aber niemand konnte Agnes Jung etwas Positives nachsagen.

Bobsin schwieg hartnäckig, und sein kantiges, eckiges Gesicht schien undurchdringlich.

Sie sah ihn mit äußerster Selbstbeherrschung an. Dann glitt ihr Auge über sein kahles Zimmer.

»Wie ärmlich Sie wohnen.«

Sie schloß ihre roten, schmalen Lippen fest aufeinander.

Bobsin stand auf.

»Warum sagen Sie mir das alles, Fräulein Jung? Es ist so zwecklos!«

»Mögen Sie mich nicht?«

Bobsin zuckte mit den Achseln: »Hören Sie, Fräulein Jung, schlagen Sie sich die Sache aus dem Kopf. Ich habe mir das Leben zu sauer werden lassen, als daß ich es mir jetzt mit einer Dummheit verpfuschen würde.«

Ohne jedes Gekränktsein ging sie auf ihn ein.

»Was nützt das ganze Schuften, wenn man dabei elend und einsam bleibt.«

Bobsin zog ein kleines Notizbuch aus seiner Seitentasche und schlug es auf.

»Sehen Sie,« sagte er, »fünfzehntausend Mark habe ich mühsam gespart und fünftausend verdiene ich jährlich. Hätte ich nicht Nebeneinnahmen, müßten meine Leute zu Hause verhungern. Nein, Fräulein Jung, da ist jedes Wort überflüssig. Ich heirate nicht.«

»Wir brauchen nicht zu heiraten. Leben wir zusammen, solange es uns gefällt. Werfen Sie mich fort, wenn Sie mich über haben. Herr Gott, wollen Sie denn alt und grau werden, zeitlebens in dieser Bude hausen? Man friert ja, wenn man alt wird, und wir beide sind noch jung, Bobsin. Ich werde Sie nichts kosten, ich schlage mich selbst durch, versuchen wir es! Sehen Sie doch Jaffé an,« fuhr sie eifrig fort, »der ist lebendig, lebt, während Sie ...«

Er unterbrach sie mit einer abwehrenden Handbewegung.

»Sie vergessen, daß Jaffé sich das leisten kann. Jaffé ist von Hause aus vermögend.«

»Sie sollen mich ja nicht heiraten, Sie sollen frei bleiben, hören Sie denn nicht?« schrie sie.

Bobsin lachte kurz auf.

»Das ist Betrug,« antwortete er. »Nein, Fräulein Jung, das glauben Sie wohl selbst nicht. Wer sich mit Ihnen zusammentut, kommt nie mehr los. Es wäre die größte Dummheit, ein Verbrechen gegen Sie und mich.«

»Und weiter haben Sie mir nichts zu sagen?« Sie war um einen Schatten blasser geworden, ohne ihre Haltung zu verlieren. Ihre dünnen Nasenflügel bewegten sich unaufhörlich.

»Doch,« entgegnete er und schritt ein paarmal durch das Zimmer, bevor er dicht vor ihr stehen blieb. »Ich will Ihnen einen guten Rat erteilen.«

»Danke,« antwortete sie kurz, »ich brauche keine Ratschläge, mit Eitzes Eitzes = Rat. bin ich versorgt, wie Artur Salomon zu sagen pflegt.«

»Von Artur Salomon wollte ich gerade reden. Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Geben Sie sich nicht mit ihm ab. Er ist ein schlechter Kaufmann und ein weicher Mensch. Er wird sich mit Ihnen einlassen und Sie werden das Nachsehen haben. Es täte mir leid.«

Ihre Augen funkelten.

»Nein, wie besorgt Sie um mich sind! Es ist zum Kobolzschießen! So lassen Sie sich denn gesagt sein: Artur Salomon will mich heiraten, von der Stelle weg heiraten. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Von Ihrer Antwort mache ich meine Entscheidung abhängig. Artur Salomon weiß, daß ich bei Ihnen bin. Ich habe es ihm gesagt. Mit seinem Einverständnis bin ich hier. Das ist einer, der mich auf Händen tragen wird.«

»Er wird Sie nicht heiraten. Die Salomons geben es niemals zu und gegen ihren Willen wird er sich nicht auflehnen.«

Sie sah ihn mit einem überlegenen Ausdruck an, und mit bitterem Hohn sagte sie: »Wissen Sie denn, welcher Opfer ein Mensch fähig ist, der einen anderen liebt? Ach, Sie ahnen es ja nicht einmal! Wenn Artur Salomon zwischen mir und seinen Eltern zu wählen hat, so besinnt er sich auch nicht einen Augenblick.«

Bobsin dachte ein paar Sekunden nach und maß sie mit einem langen, prüfenden Blick. Und noch einmal glomm in Agnes Jung die Hoffnung auf.

»Er hat mich gefragt, ob ich Ihr Verhältnis sei,« begann sie von neuem.

»Sie haben ihn ausgelacht?«

»Nein. Ich habe ihm geantwortet, es habe damit seine Richtigkeit. Ich wollte ihn abschrecken. Ich liebe ihn ja nicht. Ich liebe Sie!«

»Das ist unerhört,« sagte Bobsin. »Wie konnten Sie den Menschen so narren, und noch dazu auf meine Kosten? Und wie verhielt er sich dazu?«

»Er habe mich mit der Frage nicht kränken wollen, er habe sie lediglich gestellt, um aus meinem Munde die Wahrheit zu hören. In meiner Aufrichtigkeit sehe er einen Beweis des Vertrauens. Meine Vergangenheit gehe ihn im übrigen nichts an.«

Bobsin schlug sich auf die Schenkel.

»Das ist wirklich ein verstiegener Narr,« sagte er, und ein dünnes, verächtliches Lächeln spielte um seine Lippen.

Ihre Augen wurden leer und hoffnungslos.

Warum kam sie von dem Menschen nicht los? Sie machte eine Bewegung zur Tür.

»Warten Sie noch einen Moment.«

Seine Züge waren straff und gespannt.

»Sie werden es mir einmal danken, daß ich ... nein,« unterbrach er sich, »gar nichts sollen Sie mir danken. Wenn Salomon Sie wirklich heiratet, so sagen Sie Ja. Er ist ein schlechter Kaufmann, dafür hat er das sogenannte jüdische Herz. Und im Geschäft werden Sie ihn schon ersetzen. Oder glauben Sie, daß Sie mit einem Juden nicht leben können?«

Sie glaubte gar nichts mehr. Sie hatte sich den breitkrämpigen Strohhut aufgesetzt und schickte sich zum Gehen an.

»Leben Sie wohl.«

Ihre Stimme klang ruhig und fest. Alle Gefühlsseligkeit war von ihr gewichen.

Er zauderte.

Sie streckte ihm die Hand entgegen und wiederholte noch einmal: »Leben Sie wohl, Bobsin. Ich habe es eilig. Artur wartet unten auf mich.«

Er wollte ihr zurufen: »Nehmen Sie sich Zeit, sonst laufen Sie Ihrem Schwiegervater in die Arme,« aber Agnes Jung ließ ihn nicht zu Worte kommen. Ehe er sich's versah, war sie aus der Tür.

Er blieb verdutzt stehen und pfiff leise vor sich hin. Nein, es war gut so; es war gut, daß er in dieser Stunde stark geblieben war. Jahr und Tag hatte sie um ihn geworben, und er hatte sich einen kühlen Kopf bewahrt, obwohl er nie zuvor eine Frau getroffen hatte, die körperlich und seelisch ihm gleich wesensverwandt gewesen wäre wie Agnes Jung.

»Schade,« murmelte er vor sich hin, und während er mit einem Blick seine armseligen vier Wände überflog, hatte er das Gefühl, trotz des heißen Julitages zu frieren. Er schlug mit einer energischen Bewegung die Hacken zusammen. Es war das einzig Vernünftige gewesen, Klarheit zu schaffen, Schluß zu machen. Etwas weniger Selbstbeherrschung, und er wäre ihr für immer verfallen gewesen. Denn sie gehörte zu dem Schlage von Frauen, die, wenn sie sich erst einmal festgebissen hatten, nicht mehr locker ließen.

Die Hände in den Hosentaschen, trat er an das Fenster. Da hatte man die Bescherung! ... Just in dem Augenblick, wo Artur im Begriff war, mit ihr um die Ecke zu biegen, tauchte, wie aus dem Erdboden gewachsen, des alten Salomons breite, massige Gestalt auf.

Und nun gab es kein Ausweichen mehr.

Bobsin sah ganz deutlich, wie Artur mit einer hilflosen Bewegung Agnes Jung seinem Vater vorstellte.

Bobsin grinste schadenfroh. So ist's gut! Er zündete sich eine Zigarette an und zog sich erleichtert vom Fenster zurück.

Um die Unterredung wäre ich glücklich gekommen, dachte er, während er langsam und gemächlich den Rauch einzog.


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