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XVII.

Wenn es nach den geheimsten Wünschen der alten Frau Salomon gegangen wäre, hätte Gott den Knoten anders lösen müssen. Warum war das unschuldige kleine Wesen zum Opfer gefallen? Hätte nicht dieses unselige Frauenzimmer gehen können? Dann wäre Frieden gewesen, und das verschandelte Leben hätte nach all dem Elend wieder einen Sinn bekommen.

Nein, auch das mußte sie einem antun, damit der Becher nur ja bis zum Rande gefüllt würde.

»Nun siehst Du,« sagte sie zu Frau Wachsmann, »daß auf der Ehe kein Segen ruht, daß ich mit jedem Wort recht hatte.«

Tante Berta schüttelte heftig den Kopf. Nein, da konnte sie nicht mit! Diese grausame Art, die Dinge zu betrachten und alle Schuld auf Agnes zu bürden, lehnte sie ab.

»Gewiß ist es ein Unglück,« erwiderte sie, »niemand wird es leugnen. Aber was kann die arme Person dafür, und wieviel Frauen haben vor ihr das gleiche durchmachen müssen! Mir tut sie schrecklich leid, und wenn ...«

Frau Salomon unterbrach sie: »Laß mich mit Deinem Rachmonis Mitleid. ungeschoren, tausend Fälle gehen glatt, ausgerechnet muß das Malheur meinem Artur zustoßen. Leid tut sie Dir! Sei bedankt für Dein gutes Herz. Ich brauche mir meinen Jungen nur anzuschauen, und die Galle geht mir über. Was hat sie aus dem gemacht?«

»Einen glücklichen Menschen,« entgegnete Tante Berta.

Frau Salomon lachte grell auf: »Du hast eine Ahnung, Du verstehst Dich auf die Menschen, das muß Dir der Neid lassen. Das eine kann ich Dir sagen: in einer guten Haut steckt mein Artur nicht, mir wird niemand erzählen, wie es in seinem Innern aussieht. Und wenn er heute noch einmal vor der Entscheidung stünde, ach, was hat es für einen Zweck, darüber zu reden, und wenn ich mit dem Kopf durch die Wand gehe, ich kann es nicht ändern. Er muß die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hat.«

Ein trostloser Ausdruck umschattete ihr Gesicht.

»Nichts ändern können, siehst Du, das ist es,« stieß sie nach einer Weile hervor, »was einen verrückt macht! Meinst Du,« setzte sie tonlos hinzu, »ich wüßte nicht, wie es mit mir steht?«

Und plötzlich brüllte sie laut auf: »Um den Verstand haben sie mich gebracht, einsperren werden sie mich, weil ich meine fünf Sinne nicht mehr zusammenhalten kann. Mitleid soll ich mit der haben? Weil sie mich zugrundegerichtet hat? Weil sie mich ratzekahl bestohlen hat, daß der letzte Schnorrer mehr besitzt als ich? Nein, meine Liebe, krepieren kann sie von mir aus! Und wenn sie vor meinen Augen ertränke, und ich könnte sie retten, indem ich ihr die Hand entgegenstreckte, einen. Fußtritt gäbe ich ihr obendrein und schrie: ›Ersauf', Du Luder!‹ Und glaube mir, Berta, das wäre nach Jahr und Tag die erste Stunde, in der ich mich wieder wohl fühlen würde!«

Frau Wachsmann erwiderte kein Wort. Was hätte sie auch sagen sollen!

Gott allein mochte wissen, was aus der armen Renette noch würde.

In tiefer Nachdenklichkeit machte sie sich auf den Heimweg. Ihr Gesicht war so versorgt, daß Simon Wachsmann bei ihrem Eintritt ängstlich die große Pfeife aus dem Munde nahm.

»Was ist denn wieder los?« fragte er ärgerlich. »Man kommt ja aus dem Zores Kummer, Ärger. gar nicht mehr heraus.«

Und Berta erwiderte: »Bei Renette ist nun tatsächlich eine Schraube los, und wenn das so weiter geht, erleben wir noch etwas. So eine Härte und Unversöhnlichkeit, so einen Haß gibt es nicht zum zweiten Male in der Welt. Agnes möchte sie am liebsten vergiften. Du wirst sehen, es nimmt einen bösen Zoff Schluß, Ende.

Der kleine Herr Wachsmann reckte sich. Seine Augen glänzten vor unbarmherziger Schadenfreude.

»Siehst Du,« entgegnete er, »früher hast Du die Mischpoche beneidet, und heute möchtest Du mit ihr nicht tauschen! Wie haben sich die Leute aufgespielt, und wie schofel haben sie sich uns gegenüber benommen. Was für Geschäfte hätte ich machen können.«

»Ach, Wachsmann, hör' von Deinen Geschäften auf, mir wird übel, wenn ich nur daran denke! Und auf Salomons zu schimpfen haben wir gewiß keinen Grund. Erinnere Dich nur, wie oft sie uns aus der Patsche geholfen haben! Wann hat Salomon uns je im Stich gelassen? Unter vier Augen, Simon: wie wohl wäre uns, wenn wir das besäßen, was Du verposamentiert hast!«

Wachsmann hatte einen roten Kopf bekommen: »Was weißt Du von meinen Ideen?! ...«


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