Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als Emil, vom »Erfolg« seines Werbungsbesuches gar nicht etwa unbefriedigt, in seine neue Wohnung trat und kindisch mit der flachen Hand einzeln über jeden der ganz geschmacklos zusammengewürfelten Gegenstände seines Hausrats fuhr, um sich so an allem neuen Besitz lachhaft zu erfreuen, war er nicht wenig erstaunt, bei dieser läppischen Beschäftigung im Sprechzimmer plötzlich seinen Vater auftauchen zu sehen.
»Was willst du denn schon wieder hier?« warf er ihm unwirsch als Begrüßung entgegen, worauf der Alte sehr schlagfertig erwiderte: »Wissen will ich, was bei der alten Ramme los war! Wieviel hat er dir als Mindestmitjift zujesagt? Die Hälfte wird er hinterher worthalten.«
Emil dachte an den eben erlebten Auftritt, und seine schon eingeschlummerte Erregung erwachte zusehends, so daß ihm der Mund hemmungslos überlief. Langatmig erzählte er dem Alten alle ihm vom Ehepaar Moses widerfahrenen Kränkungen bis ins einzelne, und Adams Hochmut kochte im Dünkel seiner gehobenen Abstammung auf. Rasend brüllte er nur immer: »Wir Uhligs sind Adel!! Und so ein Kerl ist nicht wert, mit unserem Waschwasser begossen zu werben!«
»Er erachtet uns jetzt aber als viel, viel wertloser!« reizte Emil seine Wut weiter, weil er ihm damit die Gegenwart klar veranschaulichte.
»Jetzt wirst du ihm zeigen, was eine Harke ist. Dafür werde schon ich sorgen!« schrie der Büffel rachsüchtig.
»Pst!« dämmte der Sohn besonnen seinen Ausfall etwas ein. »Das Personal wird ja aufmerksam!«
»Is mir janz ejal. Ich lass' mein Blut nicht beleidijen von so einem herjelaufenen Kerl!« grunzte Adam grob verdrossen fort. »Ihre lausige Bluse! Daran soll sich mein Kind vergriffen haben! Eine unerhörte Zumutung dieser dicken Danziger Mastpute!«
Nun holte Emil zu seiner persönlichen Ehrenrettung Hilfstruppen für das Ohr des Vaters.
»Aber wenigstens habe ich eine weitgehende Genugtuung: Seine Tochter kriegt so leicht keinen Mann, jetzt nicht mehr!«
Der Büffel begriff die Andeutung sofort, lachte gemein und klatschte sich in niedrigem Behagen mit seiner Hand das Knie.
»So hör' ich schön! So hör' ich schön!« jubelte er im Takt dazu teuflisch auf. »Das war das erste Vernünftije, was du in deinem Leben fertig jebracht hast.«
Emil feixte selbstgefällig und geschmeichelt.
»Die Rache ist mein … Nicht wahr?«
»Mein Respekt!« gab Adam grinsend und gesättigt zurück. »Offen jestanden, hätt' ich dir so viel Schneid jar nicht zujetraut. – Aber nun laß mich zu Wernern jehn, damit ich ihm vor allem die Adresse von der Wollmann aus der Nase ziehe.«
»Die weiß ich doch längst allein!« beruhigte ihn der Sohn altklug.
»Dann mach' dich mit mir auf! Wir müssen hin zu der Frau. Ich werd' mal sehen, ob ich ihre Auswahl nicht irgendwie durchkreuzen kann.«
»Meinetwegen. Sie hat gestern so wie so schon bei mir angerufen.« sagte Emil denkfaul und erhob sich willenlos.
»Ich will mir die Musterkollektion jedenfalls einmal ansehn. Ansehn kostet doch nischt!« grölte Adam laut lachend. »Komm'. Schon jehn wir hin.«
Er war mit dieser Aufforderung rührig aufgestanden und faßte Emil, der sich gutmütig in den Korridor führen ließ, unter den Arm.
»Nu werd' ich einmal Peipes Amor sein! Es wird schon mein Kind vergriffen haben! Eine unerhörte Zumutung dieser dicken Danziger Mastpute!«
Nun holte Emil zu seiner persönlichen Ehrenrettung Hilfstruppen für das Ohr des Vaters.
»Aber wenigstens habe ich eine weitgehende Genugtuung: Seine Tochter kriegt so leicht keinen Mann, jetzt nicht mehr!«
Der Büffel begriff die Andeutung sofort, lachte gemein und klatschte sich in niedrigem Behagen mit seiner Hand das Knie.
»So hör' ich schön! So hör' ich schön!« jubelte er im Takt dazu teuflisch auf. »Das war das erste Vernünftije, was du in deinem Leben fertig jebracht hast.«
Emil feixte selbstgefällig und geschmeichelt.
»Die Rache ist mein … Nicht wahr?«
»Mein Respekt!« gab Adam grinsend und gesättigt zurück. »Offen jestanden, hätt' ich dir so viel Schneid jar nicht zujetraut. – Aber nun laß mich zu Wernern jehn, damit ich ihm vor allem die Adresse von der Wollmann aus der Nase ziehe.«
»Die weiß ich doch längst allein!« beruhigte ihn der Sohn altklug.
»Dann mach' dich mit mir auf! Wir müssen hin zu der Frau. Ich werd' mal sehen, ob ich ihre Auswahl nicht irgendwie durchkreuzen kann.«
»Meinetwegen. Sie hat gestern so wie so schon bei mir angerufen.« sagte Emil denkfaul und erhob sich willenlos.
»Ich will mir die Musterkollektion jedenjalls einmal ansehn. Ansehn kostet doch nischt!« grölte Adam laut lachend. »Komm'. Schon jehn wir hin.«
Er war mit dieser Aufforderung rührig aufgestanden und faßte Emil, der sich gutmütig in den Korridor führen ließ, unter den Arm.
»Nu werd' ich einmal Peipes Amor sein! Es wird schon ›wie‹ werden!«
Damit setzte er seinem so leicht lenkbaren Sohne den grünen Hut auf das fettglänzende Haar und stand bald darauf mit ihm vor dem Hause im geschäftigen Verkehrsbetrieb der Linkstraße.
Frau Wollmann kam persönlich an die Eintrittstür, um Vater und Sohn in ihr Witwenheim einzulassen.
»Ah, nun führen Sie mir gleich Ihren Herrn Vater zu!« begrüßte sie Emil. – »Sehr erfreut. – Bitte, näherzutreten und sich nicht weiter hier umzuschauen, da ich im Begriffe bin, zu verreisen.«
Adam stampfte mit seinen Schaftstiefeln, den steifen Hut krampfhaft in der Hand behaltend, in das durch Reisevorbereitungen etwas ungemütliche Balkonzimmer herein. Ihm folgte Emil, der draußen schicklich abgelegt hatte, etwas befangen, weil er den hier stark vorherrschenden Naphthalingeruch nicht vertrug.
»Werte Frau!« räumte der Büffel alle Verlegenheit fort, indem er sich zielbewußt auf das grau bezogene Plüschsofa setzte. »Mein Sohn hat mir erzählt, daß Sie unsern Vetter so vorteilhaft verheiraten werden, und dieser bestechende Erfolg führt uns beide her.«
Jetzt nahm auch endlich Emil in seinem Sessel Platz und schob das Einglas ins Schellfischauge.
Frau Wollmann schüttelte mit regen Zeichen des Mißbehagens verneinend den grauen Kopf, und ihre klugen, schwarzen Augen maßen Adams eigenwillige Hinterwäldlerkleidung mit entsprechender Tiefschätzung.
»Ich will Ihnen etwas sagen, meine Herren. Ihr Herr Vetter hat mir leider einen häßlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Er ist unbegreiflicherweise nicht nach Franzensbad gefahren; und damit ist der Erfolg meiner Tätigkeit mehr als in Frage gestellt.«
»So ein Schafsjesicht, dieser Werner!« brummte Adam höhnisch.
»Wenn er nicht will, werden Sie zehn andere finden, bei soviel Puttputt!« hastete er mit der Bewegung des Geldzählens noch asthmatisch hinterher.
»Sie täuschen sich, Herr Uhlig senior. Die Sache ist überaus diffizil, weil die Leute – und sehr mit Recht – kolossale Ansprüche stellen!« belehrte ihn Frau Wollmann bedächtig.
»Eine Frage. – Sally Hartstein. – Familie ist prima,« wieherte Emil naseweis und lümmelte sich dann freier in den Polsterstuhl hinein.
»Na, Schwamm drüber, Herr Doktor. Sprechen wir jetzt mal von Ihren Schmerzen,« nickte die alte Dame weiter sehr nachdenklich.
»Ja, ja,« fiel der Büffel sachlich ein. »Mein Sohn ist sogar schon heiratsfällig! Was würden Sie ihm aus Ihrem Material offerieren können?«
Diese rein geschäftskalten Redewendungen Adams verblüfften sogar Frau Wollmann, die in ihrer langen Praxis schon allerlei Spielarten der gottgleichen Gattung ›Mensch‹ in ihrem Stübchen empfangen und beraten hatte.
»Hm,« überlegte sie nach ein paar Minuten, bevor ein Leuchten endlicher Urteilsfindung über ihre sinnenden Züge zog.
»Ich bin janz Ohr!« ermunterte der Büffel mit Spannung und Neugierde ihren Gedankengang, während Emil am Gespräch völlig unbeteiligt, aus Langeweile vor sich hindöste.
»Sie sind getauft, Herr Doktor?« weckte ihn Frau Wollmann mit ihrem tiefen Organ aus seinem Halbschlaf, so daß er sich im Sessel aufrichtete.
»Bis auf weiteres: Ja!« hauchte Emil Bescheid.
»Also schön. – Da habe ich seit kurzem den Fall eines Fräulein Winter aus Wurzen in Sachsen zur Bearbeitung. Die Dame ist Christin, Vollwaise ohne jeden Anhang, und wünscht sich einen feschen Rechtsanwalt oder Dichter in Berlin. Da Sie ja gar nicht jüdisch aussehen, Ihr Name auch keineswegs verfänglich klingt, glaube ich, daß meine Kombination glücken könnte. – Der Vater hatte eine große Cakesfabrik und ist vor zwei Jahren gestorben. Die ältere Schwester ist mit einem Bürgermeister verheiratet. Die Sie Betreffende ist 22 Jahre alt, blond, schlank und gut gewachsen, spielt etwas Klavier und malt sehr talentvoll.«
»Zur Sache?!« fuhr Adam, wieder mit dem Daumen wackelnd, dazwischen, und Frau Wollmann wußte sofort, was er hören wollte.
»Jede der beiden Töchter hat ein frei disponibles Erbteil von 250 000 Mark,« stand sie Rede und Antwort.
»Und die Cakesfabrik?« forschte Adam geldgierig.
»Die ist in eine Kommandite umgewandelt. Die zwei Damen – wie gesagt – davon gänzlich unabhängig. Für Ihren Herrn Sohn ein sozusagen sehr passabler Vorschlag,« meinte sie Adams letzte Bedenken einzuebnen.
Aber Adam war nicht so leicht zu befriedigen.
»Nur ein bißchen knapp, was Pinkepinke anbelangt,« murrte er ziemlich verkniffen.
»Ich verstehe Sie nicht, Herr Uhlig. Die Sache ist doch wie geboren für Ihren Herrn Sohn,« sprach sie ihm gut zu.
»Pinunse, liebe Frau! Jeld regiert die Welt!« wand er sich, um danach aufdringlich weiter zu bohren. »Vielleicht haben Sie noch etwas Besseres im Musterkoffer? Wir sind doch Vorzugskunden!«
Frau Wollmann fühlte sich von seinem unangenehmen Betragen abgestoßen und schnitt darum jedes weitere Wandlungsverlangen Adams ab.
»Es tut mir leid, Ihnen zur Zeit nichts anderes bieten zu können!« Damit zog sie eine Schieblade ihres Schreibtisches auf und holte nach längerem Stöbern ein Lichtbild vor.
»Hier ist die Photographie der Dame. – Macht doch einen durchaus gediegenen Eindruck, wie eine Offizierstochter. Diese vornehme schlichte Eleganz in der Kleidung. Ich sehe immer mehr, daß gerade dieser Vorschlag Ihrer ganzen Richtung aufs zweckmäßigste entsprechen dürfte.«
Noch bei den letzten, mit großem Nachdruck gesprochenen Worten hatte sie Emil das Bild überreicht, der nun, gar nicht entzückt, ein fades, nichtssagendes Mädchenantlitz in provinzialer Aufmachung betrachtete und dann mit einem abfälligen: »Ganz nett!« an den Büffel weitergab.
Adam verzerrte den bärtigen Mund zu einer Grimasse.
»Als Lückenbüßer nich von der Hand zu weisen. Aber mein Trachten jeht höher hinaus. Jetzt will ich Ihnen mal einen Vorschlag zur Jüte machen. Ich bin doch auch nicht auf den Kopp jefallen.«
Dabei tippte er sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Wenn mein Vetter Werner die Sache Hartstein aufjeschoben hat, können Sie meinem Sohne doch wenigstens die Jelegenheit zu einer Beschau jeben. Er ist doch Rechtsanwalt, hat jetzt eine komplett einjerichtete Wohnung und wäre somit allen noch so hochjeschraubten Ansprüchen immerhin jewachsen.«
»Herr Uhlig,« verwies ihn Frau Wollmann standhaft mit zürnender Schärfe. »Ich bitte Sie, hier jeden Versuch einer Interessenkollision zu vermeiden. Dieser Vorschlag gehört bis zu seiner definitiven Ablehnung Ihrem Herrn Vetter, und dabei muß es ohne Winkelzüge sein Bewenden haben, auch wenn er unklugerweise die Erledigung verzögert hat.«
»s' is' jut, zu wissen!« brummelte Adam zunächst bissig wegen der deutlichen Zurechtweisung. »Also bleibt uns nur noch die Wurzener Cakesjeschichte,« fügte er sich dann verdrießlich.
»Ganz recht! Diesen Vorschlag hat mir, ebenso wie den Fall Hartstein, eine Mietsfrau zugetragen, die auch an der Provision partizipiert,« verbreiterte sich Frau Wollmann.
»Wer ist das und wo wohnt sie?« fragte Adam scheinbar ganz beiläufig und erhielt sofort weiteres Wasser auf seine Mühle.
»Eine Frau Dille aus der Massenstraße. – Sie müßten sich schon deshalb mit ihr ins Einvernehmen setzen, weil ich – wie Sie sehen – bereits meine Brücken abgebrochen habe und morgen Mittag nach Salzschlirf zur Brunnenkur abdampfe. Darum hatte ich gestern Ihren Herrn Sohn extra noch telephonisch hergebeten.«
»Schön,« nahm Adam ihr Anerbieten hämisch erfreut an. »M.+W., wird jemacht. Also jehn wir hin.«
Frau Wollmann war aber noch nicht am Ende.
»Fräulein Winter befindet sich augenblicklich an der Ostsee in Warnemünde. Die genaue Adresse, in welchem Hotel sie abgestiegen ist, erfahren Sie durch Frau Dille, die ich sofort telephonisch über Ihr Erscheinen informieren werde.«
Emil war indessen aufgestanden, und Adam folgte ihm auf dem Fuße, nachdem er Frau Wollmann katzenfreundlich die Hand gedrückt hatte.
»Auf guten Erfolg! Ich höre also von Ihnen. Sieg und Platz!« rief die alte Dame Emil noch scherzhaft nach, als er schon die Flurtür in der Hand hatte.
Vom Magdeburgerplatz schritt Adam sofort rüstig in der Richtung Nollendorfplatz aus, ohne daß Emil mit seiner raschen Gangart auch völlig einverstanden war.
»Wo führst du mich heute noch hin?« fragte er den Vater gedehnt.
»Dumme Frage,« grunzte der Büffel. »Zu der Jesindevermieterin. Da werde ich deutsch reden. Und was ich bei dem alten Drachen mit dem Mopsjesicht nicht fertig bekommen habe, wird desto leichter bei der jewerbsmäßigen Stellenvermittlung jedeichselt.«
»Was wird gedeichselt?« fragte Emil lässig mit unterdrücktem Gähnen.
»Daß du die Partie mit Sally Hartsteins Tochter schiebst, du Tranlampe!« schrie der Vater überlaut.
»Das glaubst du wohl selber nicht, daß ich einen solchen Vertrauensbruch an Werner begehe,« widersetzte sich der Sohn mit plötzlichem Moralgefühl und blieb stehen.
»Halt' die Luft an!« brüllte der Büffel. »Jeder Vorteil gilt. Was heißt hier Vertrauensbruch. Jeder muß sehen, wie er vorwärts kommt!«
»Aber nicht mit so gemeinen Mitteln!« weigerte sich Emil immer noch, weiterzugehen. »Werner ist mein einziger Wohltäter.«
»Werner wird dich auch nicht immer mit Schokolade begossen haben. Er hat seinen Vorteil stets im Auge behalten. Also, mach' dich von jeder Gefühlsduselei frei.« Damit packte er seinen haltlosen Sohn resolut unterm Arm und brüllte: »Vorwärts! Los von der Agenda!«
An der Ecke Massenstraße und Winterfeldplatz stiegen sie bald darauf vier Stufen tief ins Kellergeschoß hinab, allwo sich das Vermietungskontor der Frau Martha Dille befand.
Ein junges, etwa sechzehnjähriges Mädchen empfing die Herren.
»Sie suchen sicher eine Wirtschafterin für Ihren frauenlosen Haushalt? Können Sie haben,« tat sie sich vorlaut wichtig.
»Leider bin ich noch nicht soweit!« grinste Adam und kniff die Kleine in die Backe. »Erst will ich mal Frau Dille selbst sprechen.«
»Jut, ich werde Mutta rufen.«
Das Mädchen war unter Adams Berührung leicht errötet und verschwand flugs im Hintergrunde.
An ihrer Statt erschien bald darauf eine dick aufgeschwollene ältere Frauensperson, deren erster Eindruck sofort auf vorgeschrittene Wassersucht schließen ließ. Unter einer Fülle kastanienbraunen, in der Mitte madonnenhaft gescheitelten Haares schimmerte ihr krebsrotes Gesicht mit der stupid aufgeworfenen Nase. Die glanzlosbraunen Augen verschwanden fast über zwei schwammigen Tränensäcken, und nur einige Zahnstümpfe lugten aus dem sich zu einer Ansprache öffnenden Lippenpaar.
»Jewiß, die Herren Uhlig und Sohn? Frau Wullmann, mit der ich jeschäftlich arbeete, hat Sie mir schont anjekindigt.«
»Ja, das sind wir,« sagte Adam und ließ sich großspurig in einem schwarzen, mit weißen Randnägeln beschlagenen Glanzledersessel fallen.
»Sehr erfreut!« knickste die alte Frau. »Also, es handelt sich um Fröllein Melanie (– sie sprach: Melan–ihé –) Winter. Diese Anjelegenhet wird sich schont anlassen. Der Herr Sohn hier, man derf doch sagen: Herr Dokta, fahren nach Warnemünde rüber und steigen im Strandhotel ab. Fröllein Winter wohnt dort mit ihre Jesellschaftsdame uff Zimmer 14 im ersten Stock. Det Fröllein heeßt Luise Reifland. Der lassen Se sich durch den Ober vorstellen und richten ihr'n scheenen Jruß von de Dillen aus. Alles andere klappt denn woll schont alleen.«
Durch die dumpfe Kellerluft nervös gemacht, stand Emil vor dem vergitterten Kellerfenster und schlug mit seinem dünnen Spazierstöckchen gelangweilt auf die Stiefeln ein.
Adam hatte aber bis jetzt nur mit einem Ohr zugehört. Nun erst hielt er sein Eingreifen für geboten.
»Sagen Sie mal, liebe Mutter Dillen, was schaut für Sie bei dem Geschäft eigentlich groß heraus?«
Die Alte sah ihn treuherzig an und begriff sehr langsam.
»Ach, darieber brauchen Se sich nicht zu beunruhigen. Ich arbeete öfters mit Madame Wullmann zusammen. Die jifft mer stets zehn Prozent, ooch fuffzehn von ihrem Jewinnst ab. Sie hätten an mir nischte nich auszubezahlen. Nee, nee! Det machen wir Frauensleut schont hibsch unter sich ab.«
Der Büffel hatte sie noch nicht da, wohin er sie letzten Endes lenken wollte.
»Und wer hat der Madame das janze Jeschäft überhaupt jebracht?« suchte er ihren Instinkt für Gewinnvergrößerung zu unterstützen.
»Wer denn sunst als icke?« antwortete sie gutmütig. »Det machen wa jewehnlich so: Sie liefert den Herrn. – Und ick habe den Damennachweis.«
Jetzt war der Büffel in seinem Gleise.
»Warum zahlt sie Ihnen dann nicht auch die halbe Provision aus? Ich meine zu jleichen Teilen?« fragte er sehr bestimmt.
»Nu doch nee. Det jinge doch nich. Madame Wullmann hat alleen doch die ville Unkosten und macht doch mit ihre Büldung manches zustande, wat ick selba alleene nich kennte, uff keenen Fall nich kennte,« erhielt er als schlichten Bescheid.
»Kennen Sie die Familie Hartstein in Schlachtensee?« führte Adam die Untersuchung fort.
Der zahnlose Mund der Alten lachte breit.
»Nu natierlich, Madame Hartstein mietet seit mehr als 20 Jahren ihre Mächen nur durch mir! Det wollt' ick meenen!«
»Wie wäre es, wenn mein Sohn, der Herr Rechtsanwalt, sich um Fräulein Hartstein bemühen konnte?« tastete Adam vorsichtig weiter.
Frau Martha Dille legte ihre Hand mit den krummen, mohrrübengleichen Fingern an die dick aufgetriebene Backe und glotzte ihm groß ins Gesicht.
»Det sein ja jiedische Herrschaften,« wandte sie baß verwundert ein.
»Wir sind ja ebenfalls Juden,« stellte sich der Büffel stolz.
»Det hätt' ich aber nich fier meeglich jehalten!« rief sie jetzt elegisch aus und schlug beide Hände erstaunt zusammen.
Emil benutzte die Gesprächspause dazu, seinem Vater einen sanften Rippenstoß zu versetzen.
»Mach' schon Schluß! Ich muß doch ins Bureau,« mahnte er mürrisch.
Adam ranzte ihn darauf nur mit einem lakonischen »Schweig!« an, um dann den letzten Anlauf zur Sache zu nehmen.
»Sie kriegen von mir einen Wechsel über 100+000 Mark ausjestellt, fällig am Hochzeitstage, wenn Sie meinem Sohn die Verbindung mit Franzensbad herstellen helfen.«
Die Alte war von seinem verlockenden Vorschlag völlig verdutzt. Ein erster Widerstand aber ließ sich wohl noch hören.
»Da mißt ick mal mit Madame Wullmann räden!« Doch Adam war jetzt ganz in seinem Element.
»Wozu bloß? Stören Sie die Dame doch nicht bei der Abreise. Wir können auch allein reden und brauchen ihre Hilfe nicht,« drängte er ihr seinen Willen auf.
»Nee, nee, det nich,« lenkte die Alte denkverloren ein.
»Den Schmutz fabrizieren wir selbst. Mein Sohn spricht wie ein Buch. Also topp! Ich stelle Ihnen den Wechsel auf 100+000 Mark, fällig in sechs Monaten aus – falls mein Sohn bis dahin die Hartstein jeheiratet hat,« sprach er weiter auf die Alte ein, die jetzt vor Staunen fast sprachlos wurde. Und Emil amüsierte sich innerlich über Adams zähes Zielbewußtsein, das er ihm nie zugetraut hätte …
Seinem energischen Vorgehen blieb Frau Dille denn auch nicht länger gewachsen.
»100+000 Mark! Det sin ja een Kapital!« dachte sie wonnetrunken und wurde innerlich immer schwankender.
»Zwar mißte ich Madame Wullmann eijentlich ins Benehmen setzen, aber wennse nu wechreist, muß ick ma selber helfen!« gab sie endlich ganz erobert nach.
Um das heiße Eisen zu schmieden, eilte der Büffel jetzt.
»Lassen Sie rasch ein Wechselformular aus 'm Papierjeschäft holen!«
»Friedel!« rief die Alte kreischend nach hinten, und die Halbwüchsige erschien unter einer Wolke von Bratzwiebelduft aus der Küche.
»Hol' mal bei Sperlingen for'n Groschen Wechselscheine.«
Damit drückte sie ihr das Nickelstück in die Hand, und die Kleine hüpfte mit einem koketten Schmachtblick auf Adam die vier Steinstufen hoch nach draußen.
Nunmehr begann Frau Dille – zum Zeichen, daß sie ganz gewonnen war – eine erschöpfende Belehrung an Emil.
»Wenn Sie also Hartsteins treffen mechten, junger Herr Dokta, missen Sie aber standepede nach Heringsdorf. Da sins se jestern angelangt von Franzensbad. Der Vata hat in Heringsdorf nehmlich eine scheene Filla am Strande. Und da triffta in eine Woche oder zwee mit seine Frau und Tochta zusammen. In der Zwischenzeit mißten Sie det Fröllein nu jewonnen haben. Zur Empfehlung jebe ick Ihnen einen Schreibebrief für die Frau Mutta mit.«
Emil rang währenddessen mit einem Entschluß. Auf der einen Seite sah er aus der Wüste seiner dürstenden Armut die Fata Morgana einer sorgenfreien Zukunft in bequemer, jedem Lebensgenuß erschlossener Faulheit winken.
Auf der anderen Seite stand – wie ein Gespenst – die niederträchtigste, schamloseste Gemeinheit, die er in seinem Leben verüben würde, eine schnödesten Undankes übervolle Handlung gegen seinen fördernden Freund und immer gütigen Gönner. Sein ohnedies nicht sehr strenger Moralmaßstab machte trotzdem kurzen Prozeß, und die leichteren Gewichte seines untiefen Gewissens erwiesen sich auf der Wage der Entscheidung als nicht so zugkräftig, wie die andererseits mit einem Schlage zu erobernde Lebensfreude in Dauerpacht.
»Schön!" sagte er sehr schnell entschlossen. »Ich will sehen, ob ich in einer Woche das Kind schaukeln kann!" setzte er zur Bemäntelung seiner inneren Zerrissenheit noch burschikos dazu.
Adam grinste vollbefriedigt … Und Frieda Dille brachte eben – in Seidenpapier eingerollt – die Wechselvorlagen.
Während Adam nun sofort wichtig daran ging, ein Formular als Akzeptant von 100+000 Mark querzuschreiben, saß ihm zur Seite Frau Martha Dille und mühte sich, den Einführungsbrief an Frau Johanna Hartstein, so gut es eben ging, zusammenzustoppeln … Außerdem ließ sie durch Frieda noch ein Ferngespräch nach Heringsdorf anmelden.
Im Bureau erwartete Werner Uhlig seinen Vetter Emil, um – wie fast täglich – mit ihm gemeinsam zu Mittag zu speisen.
Vater Adam war, glücksgetränkt, direkt nach Hause gefahren, um der Gattin tatenfroh seine unterirdischen Maulwurfserfolge zu versetzen.
Emil fühlte sich bei Werners Anblick wie ein entlarvter Verbrecher erbleichen.
»Mensch, du kommst ja so spät! Es ist ja bereits halb vier durch,« begrüßte ihn Werner vorwurfsvoll.
»Ja,« erwiderte Emil scheu und verlegen. »Wir waren sehr beschäftigt. Ich muß heute noch verreisen – nach Warnemünde –.«
»Ich weiß bereits von der Wollmann. – Sie hat mir telephonisch Andeutungen gemacht,« lächelte Werner gütig. »Es würde mich riesig freuen, wenn du endlich in geordnete Lebensmöglichkeiten kommen solltest, mein lieber Junge. Ich glaube, in unserem Alter ist die Heirat das einzig Wahre. In vier Wochen, wenn mein großer Urlaub beginnt, will ich dann auch meiner Verlobungsgeschichte nähertreten.«
Emil hatte sich bereits soweit in Verstellungsgewalt, daß er völlig unbefangen lachen konnte.
»Die Wollmann ist ein kluger Geschäftsgeist! – Mir hat sie im Sommer einen Winterschlaf zugedacht. Ich gondele noch heute abend los an die Ostsee. Du entschuldigst mich deshalb, wenn ich heute nicht mit dir esse. – Aber vor allem muß ich mir einen Koffer kaufen, um meine Sachen einpacken zu können.«
»Darf ich dir dabei behilflich sein?« bot sich Werner in sorgsamer Freundschaft an.
»Ach danke, bemüh' dich nicht. Du wirst ohnedies Hunger haben,« gab Emils schlecht gewordenes Gewissen zurück.
»Wann fährst du präzis?« fragte der Vetter noch.
»Mit dem D-Zuge 7 36,« atmete Emil erleichtert auf.
»Gut,« schritt Werner zur Tür. »Ich bin bestimmt an der Bahn. –«
Am Ausgang drehte er sich besonnen nochmals um.
»Und was soll ich Chananje ausrichten, wenn ich ihn etwa mal treffe?«
Emil, dachte gar nicht mehr an die letzte Vergangenheit, so beschäftigte die rosige Zukunft sein Inneres schon.
»Chananje? – droxte er. Ach so – Chananje –! Ja, grüß' ihn schon, und er soll mich gefälligst am – Aschermittwoch besuchen.«
»Du bist ja der reine Tausendsassa!« lachte Werner im Gehen. »Auf Wiedersehen!«
»Man entwickelt sich eben!« gab Emil eingebildet zurück und kicherte kindisch.
Als der Büffel tags darauf schon am frühen Morgen in Emils Bureau anrückte, um nach dessen Abreise als sein Verweser die Post zu öffnen, empfand er ein schlüpfriges Behagen, unter den eingegangenen Briefhäufchen auch einen gelben Umschlag mit dem ihm nur zu gut bekannten Kopfdruck: »Justizrat Martin Moses, Rechtsanwalt und Notar«, zu entdecken.
Obwohl Emils Anschrift durch den Rotstiftzusatz » Persönlich« versichert war, riß Adam den Umschlag mit seinem dicken Zeigefinger neugierig auf und las:
Berlin, 29. Juli 1912.
Sehr geehrter Herr Kollege!
In der uns beide betreffenden Privatsache hat sich allerdings eine Änderung meiner Ansicht, wie Sie sie vorauszusetzen berechtigt waren, eingestellt.
Ich stehe nicht mehr an, Ihnen heute auszusprechen, daß unsererseits Ihre Wünsche nunmehr voll und ganz gewürdigt werden sollen, und eine kurze Aussprache jedwedes Hindernis beheben dürfte.
In diesem Sinne bitte ich um Ihren baldigen Besuch und zeichne
mit kollegialer Hochachtung
Moses,
Justizrat.
Ungesäumt rief Adam, nachdem er voller Schadenfreude die Wandlung Moses' boshaft ausgekostet hatte, Emils Tippdame herein, um schamlos – wie er war – die Antwort an den Justizrat gleichfalls durch die Schreibmaschine, dafür aber um so weniger verblümt, zu erteilen.
Sie sah so aus:
Berlin, 31. Juli 1912.
Herrn
Justizrat Moses
Hier.
Ich bekenne mich zum Empfange Ihres Vorgestrigen und kann mein großes Erstaunen darüber kaum in die rechten Worte kleiden.
Abgesehen davon, daß jenes schimpfliche Betragen Ihrer Frau mir, als Ehrenmann, ein nochmaliges Betreten Ihrer Behausung direkt verbietet, danke ich jetzt für Ihre angebotene Genugtuung, weil Leute, mit denen ich mich dauernd verbinden will, doch aus ganz anderem Holze geschnitzt sein müssen, als Sie und Ihre Sippschaft.
Ich bemerke, daß ich noch heute meine Ferienreise antrete, um damit jeden Versuch Ihrerseits, diese für mich erledigte Sache etwa aufwärmen zu wollen, zurückzuweisen.
Hochachtungsvoll
Der Rechtsanwalt:
Dr. Emil Uhlig.
Wie eine platzende Bombe schlug dieses von Adam mit verstellter Handschrift an seines Sohnes Statt vollzogene Schreiben im Schoße der Familie Moses ein.
Der Justizrat hatte für Stunden das entsetzliche Gefühl, auf einem Aste zu sitzen, der erbarmungslos abgesägt wird. – – –
Frau Rosalie hätte sich vor Ohnmacht und Verzweiflung am liebsten die Haare ausgerauft und beschwor ihren Gatten, dem »Kinde« nichts davon zu verraten.
Er aber nickte traurig, um eine Wahrheit gewitzter, den matten Kopf und sagte ergebungsvoll: »Sobald als möglich fährst du mit Lea nach Ostende voraus; in Brüssel machst du ein paar Tage Halt. – – – Ich selbst will mit Ruth eine Woche später nachkommen.«
Dann ging er schwer aufstöhnend in Leas Stübchen und las dem Mädchen ohne alle Schönfärberei Emils Brief vor; denn er wollte die Wunde ausbrennen. Als sein tapferes Töchterchen sich tonlos an der Tischplatte festkrampfte, um nicht vor Schmerz zusammenzubrechen, da legte der müde Mann ihr tröstend seine Vaterhand aufs Haar.
Lea biß die Lippen fest zusammen und unterdrückte standhaft jede Äußerung ihres inneren Wehs.
Der Vater nickte ihr gütig zu.
»Siehst du jetzt ein, daß ich recht hatte? Dieser Mensch ist ein Aussätziger, den man meiden soll wie die Pest! Und in deinem Unglück verbirgt sich das große Glück, seine geistige Verwesung noch rechtzeitig erkannt zu haben. Dafür sei Gott gelobt, und sein Name gepriesen!«
Mutig kämpfte Lea die kommenden Tränen noch immer nieder …
Den Vater hatte sie voll verstanden. – Und in hingebender Anerkenntnis seiner verneinenden Lebensweisheit beugte sie sich über seine gütige Hand zum Dankeskuß.
Dann sprach sie mit verhaltenem Schluchzen: »Gott wird auch mir beistehen, damit fertig zu werden!«