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VII.

Doktor Fritz Beins religiöse Reminiszenzen hatten dem Justizrat Martin Moses alltäglich so viel zu denken gegeben, daß schon nach einer Woche sein Entschluß reif war.

Als er am nächsten freien Sonnabend mit seiner Frau einen Nachmittagsspaziergang durch den Tiergarten unternahm, weihte er die Gattin ganz vorsichtig in seinen Plan ein.

»Weißt du, Röschen, wie da der Kollege Bein so von seinem Vater geredt hat, dem Rabbiner in Grätz, ist mir eine Sehnsucht gekommen, wieder einmal das Grab meiner Eltern selig zu besuchen.«

Frau Moses entsann sich noch ganz genau, als junge Frau mit ihrem Mann vor neunzehn Jahren über Schrimm, seine erste Wirkungsstätte, nach Karrewo, einem polnischen Dorfe von tausend Seelen, dessen Domanialbesitz damals Adam Uhlig gehörig gewesen war, gereist zu sein. Sie überlegte also ganz kurz, ob etwa für die kommende Woche vorliegende Premieren oder Einladungen ihre Beantwortung vielleicht verneinend beeinflußten, und nur weil sie beruhigt eine gesellschaftliche Entspannung für die nächsten Abende feststellen konnte, gab sie ihrem Entgegenkommen vorsichtigen Ausdruck.

»Wenn nur in Schrimm jetzt bessere Hotelverhältnisse wären!«

Über diese ihre halbe Zusage war Moses ganz aus Häuschen.

»Du wolltest sogar selbst mit?« ergriff er – was sonst nicht erlaubt war – ihren fleischigen Arm und hakte sich ein. »E Frage, ob in Schrimm schöne Hotels sind. – E Frage! Sogar mit elektrischem Licht und – Wasserspülung. Mein Cousin Edmund Lehrer, der doch dort am Markt noch immer seine Destillation betreibt, hat mir schon vor Jahren geschrieben, wie man jetzt in Schrimm mit der Zeit mitgegangen ist. Nu, was sagst du jetzt? Du wirst Augen machen, Röschen.«

»Ob ich selbst mitfahre, weiß ich noch nicht, es war nur so meine Sorge um deine Bequemlichkeit!« ließ sie sich stolz weiterbitten.

»Geh', Röschen, komm schon mit, mein braves Leben; – die beiden Kinderchen nehmen wir auch mit. Das wird mir eine richtige Freude sein, in der Heimat mal meine Familie wiederzusehen. Dort im Posenschen leben die Menschen doch ruhiger. Dort gibt es auch heute noch solche fromme Jieden, wie sie der Doktor Bein geschildert hat.«

Jetzt aber war die Gattin ernstlich böse geworden. Indem sie sich ruckartig von seiner Seite losriß, gab sie ihm seine Lektion.

»Die Kinder verschone mir nur, bitte, mit einer so unbequemen Reise nach Schrimm. Im Bummelzuge womöglich! Wozu sollen sie überhaupt den mießen Osten Deutschlands kennen lernen?«

»Nu schön!« schloß sich Moses eingeschüchtert an. »Lassen wir die Kinderchen hier bei der Bonne. – Aber tu mir schon den Gefallen: Komm du mir wenigstens mit! Ich möcht' doch e Menschen mithaben, der mit mir fühlen kann, wie schön alles ist.« –

Der ganze Seelenspiegel aller jüdischen Heimatsehnsucht trat in sein treuherziges Mannesauge. Diesem stummen Flehen wollte sich die Gattin auch nicht länger entziehen.

»Meinetwegen!« machte sie seinem Bitten ein Ende. »Ich werde dich diesmal wieder begleiten, wie damals auf unserer Hochzeitsreise. Ausgeschlossen ist natürlich, daß ich auch nur eine Nacht in Karrewo schlafe. – Und wenn wir zurückkommen, gehst du dafür mit mir und den Kindern auf sechs Wochen nach Ostende!«

»Natürlich!« nahm er diese kostspielige Bedingung ohne Besinnen an; denn er schwelgte schon in Gedanken von der Heimat, deren Bild er schweigend im Innern für sich ausmalte. In solcher Abkehr glücklicher Gefühle unterbrach ihn nach einer Weile seine immer praktisch denkende Frau. »Nach einem Notarvertreter mußt du dich vor allem andern umtun.«

»Als Notarvertreter wäre doch der Doktor Uhlig da!« wandte er ein.

»Nein! Nein! Den will ich nicht in die Praxis reinriechen lassen, den getauften Schlemihl!« protestierte sie energisch, worauf Moses sofort wieder klein beigab.

»Also werd' ich den Kollegen Schey bitten, wie sonst in den Ferien auch diese paar Tage meine Unterschriften zu machen. – Aber ich sage dir, Röschen, es gibt beeses Blut.«

»Zustand!« entschied sie kurz. »Wir werden das zu tragen wissen.«


Schon am Abend des folgenden Tages waren beide Eheleute Moses in Richtung Posen abgereist.

Emil Uhlig saß ziemlich verkniffen in seinem Bureau, schloß mißmutig den Schreibtisch ab und schritt über den Korridor nach der Kanzlei, um sich von Fräulein Neufeld, seiner Tippdame, die morgen wahrzunehmenden Termine genau ansagen und seine Handakten zurechtlegen zu lassen. Als er hier den Boten des Justizrats Schey erblickte, der Moses' Akten zu dessen Terminvertretung abholen kam, wurde seine Eitelkeit, von Moses nicht zum Vertreter bestellt zu sein, vor dem Personal nicht wenig verletzt. Die ihm dadurch widerfahrene Kränkung ließ auch den Wunsch aufkommen, sich demnächst von Moses zu trennen, sich mit Werners Hilfe auf eigene Füße zu stellen …

Als er unter diesen Erwägungen aus der Kanzlei trat und in sein Zimmer zurück wollte, begegnete ihm – von einem Ausgang heimkehrend – auf der Diele Lea Moses.

Dem warmen Wetter entsprechend, trug sie ein rosa Frottékostüm, hatte dazu einen gleichfarbigen Seidenhut auf. Hell und hinreißend sah sie aus und blickte ihn mit ihren schönen braunen Rehaugen freundlich an. Emil hatte vorläufig von der Familie Moses genug und wollte mürrisch mit stummer Verbeugung vorbeiwechseln, als das junge Mädchen ihn ganz unerwartet aufhielt.

»Guten Abend, Herr Rechtsanwalt!« sprach sie ihn gewinnend an. »Sehen wir uns auch einmal wieder. Wie geht's Ihnen?«

»Danke der Nachfrage!« erwiderte er galant und ließ seinen Blick sehr lüstern über ihren geschmeidigen Leib gleiten. Eben hatte sie das leichte Jäckchen ausgezogen und hob mit seltener Grazie den vollen Arm, um die Nadel aus dem Hute zu entfernen, den sie dann abnahm und schnell auf die Flurgarderobe hing. Ihr in der Abenddämmerung herrlich schimmerndes Rothaar floß im dichten Wuschelbund der Jungensfrisur um den gemmenfein geformten Kopf, so daß ihm bei dem umfassenden Genusse ihrer ganzen Erscheinung fast übel vor seiner Lene wurde.

»Hoffentlich haben Sie sich von dem etwas überstürzten Abbruch Ihres Teeklatsches wieder erholt?« faselte er dann ungewandt, um nur etwas zu reden …

»Teeklatsch!« widersprach sie eigenwillig und sah ihm voller Fremde ins Schellfischauge.

»Mir haben die Weisheiten Ihres Freundes ungleich mehr gegeben, als es ein Teeklatsch je sonst in Berlin W. getan hat. Und es tut mir nur sehr leid, daß Sie – als Proselyt – an Dr. Beins Kenntnissen so gar keinen Anteil nehmen konnten, daß Sie auch noch versuchten, seine unantastbare Bedeutung ins Lächerliche zu ziehen. Innerlich bedauerte ich ihre völkische Verarmung schmerzlich. Fehlt Ihr Judentum Ihnen nicht auf Schritt und Tritt? – Ich als Vollblutjüdin begreife gar nicht –.« Sie brach plötzlich ab, um schnell die Tür ins Eßzimmer zu öffnen. »Aber ich bitte,« nahm sie den Faden wieder auf, »treten Sie doch einen Moment näher. Wir können doch unmöglich so entre chien et loup – diese Dinge behandeln.«

Emil folgte jetzt nicht mehr ungern, während sie dringlich weitersprach.

»Und durchdenken möchte ich gerade mit ihnen, Herr Rechtsanwalt, als Gegner unserer Sache, gern einmal die ganze von Bein angeregte Reformfrage des Judentums.«

Geschmeichelt gefiel sich Emil in der ihm zugedachten Rolle eines Mitwissers, obwohl er keine blasse Ahnung hatte, welcher tieferliegende Umstand diese Zwiesprache mit dem schönen, jungen Menschenkinde verursachte. Deshalb warf er seine weiteren Worte auch ohne jede Überlegung hin. »Ich bin gar kein Gedankengegner von ihnen. Ich könnte es auch gar nicht sein, Fräulein Moses, weil ich überhaupt für alles, was Religion betrifft, total unempfindlich bin. Mir ist es ganz wurscht, was die Menschen glauben; es ist ja auch so nebensächlich. Ich – jedenfalls – glaube an nichts. Wozu soll ich meinen armen Kopf mit unnötigem Ballast beschweren?«

Eine leise Wolke der Mißachtung huschte über ihr hübsches Gesicht, und sie konnte sich nicht beherrschen, ein halblautes: »Schändlich, schändlich!« aus gepreßten Lippen hervorzuzischen.

Dann drückte sie auf den an der Krone hängenden Klingelknopf, worauf sehr bald das Hausmädchen erschien.

»Luise, stellen Sie noch ein Gedeck auf und öffnen Sie dazu eine Flasche Ungarwein, der vom letzten Osterfeste noch da sein muß.«

»Sehr wohl, gnädiges Fräulein,« tat die, wie ihr befohlen war.

Und als Lea ihn darauf einlud, am Tische Platz zu nehmen, fragte Emil doch etwas befremdet: »Nanu, wo steckt denn Ihr Fräulein Schwester?«

Lea sah ihn lächelnd an.

»Die Ruth kommt heut' wohl erst nach 11 Uhr heim. Sie ist mit der Bonne ins Neue Schauspielhaus, um sich Alt-Heibelberg zum vierten Male anzusehen. Ein halbes Dutzend Taschentücher hat sie zur Vorsicht mitgenommen. Harry Walden tritt nämlich nur noch heute abend als Karl-Heinz auf, bevor er an die Burg nach Wien geht.«

»Warum gingen Sie dann selber nicht auch mit?« fragte Emil wie ein Untersuchungsrichter weiter, so daß Lea ihn laut auslachte.

»Sie scheinen meinen Geisteszustand aber sehr tief einzuschätzen, Herr Rechtsanwalt … Ich liebe Strindberg, Gjellerup, Aage Madelung, d'Annunzio, oder sagen wir –«

»Ich vermisse deutsche Namen, Fräulein Moses,« unterbrach er sie neugierig schmunzelnd.

»Deutsche Dichter?« Sie verzog abfällig ihre Achseln und Lippen. »Deutsche Dichter sind mir meist zu nüchtern. Der einzige – neben Goethe und Heine wäre – vielleicht Frank Wedekind, der tiefer schürft und mich zum Nachdenken anregt. Aber hören Sie, ich habe mir jetzt ein anderes großes Lesefeld erschlossen. Seit kurzem verschlinge ich die jüdischen Dichter. Ich habe Salomon ibn Gabirol gelesen und genossen. Dann durchweg seinen Schüler Moses ibn Esra und vor allem den herrlichen Jehuda ben Halevy, der die Krone jüdischen Gesanges erworben hat.«

»Alle diese Namen höre ich zum ersten Male,« bekannte er.

Sie aber ließ ihm im Überschwang ihrer Rassenfreude gar nicht zu Worte kommen.

»Schade,« übersprudelte sie sich, »daß ich diese urechten Dichtwerke nicht auch in ihrer Ursprache zu lesen vermag; aber es gibt treffliche Übersetzungen aus dem Spanischen.«

»Die Sache kommt mir wahrhaftig ganz spanisch vor, Fräulein Moses; was haben jüdische Poeten denn mit Spanien zu schaffen?« neckte er nun sein nettes Gegenüber ironisch-albern.

»Spanien,« belehrte sie ihn darauf ganz klug und ernst »war doch das Land ihres Lebens. Sie wissen ja gar nichts von der wechselvollen Geschichte unseres Volkes, von Judas weiten Wegen durch die ganze Welt … Samuel Hanagid war im elften Jahrhundert als Jude Minister in Granada. Unter seinem Schutze trieb der fast verkümmerte Baum altjüdischer Dichtkunst diese drei späten Blüten. Einfach wundervoll ist deren erhabene Kunst – und für mich wenigstens vollständiges Neuland.«

»Wir Juden,« erwiderte Emil verständnislos und banal, »lieben durch die Bank sonderbarerweise immer Exotisches in der Kunst. Ich schätze zum Beispiel meinen guten alten Horaz über alles!«

»Sie sind ja kein Jude mehr, Herr Doktor,« gemahnte sie vorwurfsvoll.

»Das ist doch ganz schnuppe. Das bißchen Weihwasser hat mich doch nicht von meinem Atavismus geschieden –! Das war doch kein Scheidewasser,« wollte er einen Wortwitz machen.

Mit einem hämischen Lachen goß er dabei den schweren, dickflüssigen Peßachwein in die Kristallkelche und hob ihr sein Glas zu.

»Prosit, Fräulein Moses! Es leben alle schönen Kinder Israels!«

Befangen stieß sie mit ihm an und nippte am Weine, während er wacker das ganze Glas austrank. Emil wußte sich seiner Partnerin nun – was den Weinzwang betraf – entschieden überlegen, weil er die Kraftentfaltung des angreifenden Mannes am Tisch von Werner regelrecht abgeguckt hatte. Sich also voll als Herr der Lage fühlend, duldete er ihre schüchterne Zurückhaltung keineswegs. Heiter drohend erhob er deshalb seinen knochigen Zeigefinger.

»Aber bitte auch mithalten, wenn von den schönen Töchtern Zions die Rede ist … Das geht Sie an! Sie vor allen anderen!«

Lea wurde über und über rot, und folgsam schlürfte auch sie nun das ganze Glas aus, so daß Emil die Kelche darauf ein zweites Mal füllte. Gleichzeitig aber wollte sie ihn wenigstens wissen lassen, daß ihr ein Austausch der Gedanken heute mehr galt, als ein bloßer Zeitvertreib, wie er wohl das gegenwärtige Zusammensein aufzufassen ganz gern geneigt war … Der genossene Wein machte sie in ihrer Wortwahl bald freier.

»Ich schwelge jetzt förmlich in jüdischen Fabeln und Geschichten und muß fortwährend an Rahel Kabua denken, die aus einem schlichten Schafhirten den großen Rabbi Akiba entwickelt hat. Und seit einer Woche wuchert in mir der hohe Wunsch, Sie, Herr Doktor, dementsprechend zu unserem Glauben zurückzuführen. Machen Sie mit?«

»Aber ich bin doch kein Schäfer,« lachte Emil kindisch und ergriff das Glas. »Der Vergleich ist gut … Prost! Oder sollte ich doch?«

Übermütig lächelte Lea mit, stieß in dieser Stimmung abermals an sein Glas und trank es schelmisch zwinkernd aus.

»Ein so hinkender Vergleich war auch nicht beabsichtigt,« beschwichtigte sie ihn dann schnell, »nur ein Gleichnis aus unserer entfernteren Geschichte. Zu Akibas Zeiten gab es auch kaum schon jüdische Rechtsanwälte in Berlin.«

»Pardon – aber sicher getaufte!« hakte er hänselnd ein. »Denn bei Akiba ist anerkanntermaßen schon alles da gewesen!«

Da wurde auch Lea etwas ausgelassen, lachte fidel und hob ihm ganz impulsiv nochmals ihren Weinkelch entgegen.

»Jetzt trinke ich auf die Erneuerung Ihres angestammten Judentums; denn ich gebe ja meine Hoffnung nicht auf. Auf gutes Gelingen meines Plans!«

Er blickte tief in ihre glänzenden Augen und dachte nur an das eine: sie noch heute küssen zu können, weil sie wonneverheißend wie das gelobte Land herübergrüßte … Sein Begehren nach ihrer fesselnden Schönheit flammte aus der glimmenden Glut seiner sinnlichen Natur zu lodernder Leidenschaft auf, die er nur mühsam unter äußere Gleichgültigkeit zwang.

»Also meinetwegen – auf Milch und Honig!« stieß er helltönend stark an ihr Glas, und beide leerten mit einem Zuge den vollen Inhalt, worauf Emil mit gut gespielter Ruhe dazusetzte: »Mir ist es ja ihm Grunde so wurscht, was ich bin …«

Da sprühten ihn ihre überfließenden Augen wie zwei aufglühende Leuchtkugeln an.

»Es soll Ihnen aber jetzt nicht mehr wurscht sein, sondern voll und ganz sollen Sie es wieder neu erwerben, ihr verlorenes Judentum.«

Erregt war Lea aufgesprungen, stampfte mit ihren Füßchen trotzig den Teppich und warf sich nach einem kurzen Gange wütend in einen der tiefen Klubsessel …

Emil fühlte genau, sich ins Unrecht gesetzt zu haben. Er beobachtete eine Warteweile, wie sie schluchzend im Klubsessel lag und sichtbar unter seinem Widerstand litt. Dann stand er entschlossen auf und setzte sich frech seitwärts auf die Armlehne ihres Liegestuhles. Und als sie das ohne jeden Einspruch geschehen ließ, hob er ihr Kinn mit dem Zeigefinger an, daß sie ihm mit umflorten Augen ganz ungewiß ins Gesicht sah.

»Helfen Sie mir bei meiner heiligen Mission nach Kräften, Herr Doktor,« flehte sie noch und setzte damit den ganzen Zündstoff seiner wilden Begierde in lichte Flammen.

Im nächsten Augenblick fühlte sie ihren keuschen Leib von seinen harten Armen erhoben und das glückfiebernde Köpfchen in das Daunenpolster zurückgebogen …

Auf ihren blühenden Lippen brannte Emil Uhligs heißer Mund.

Zeitlos lag Lea in seinem bebenden Arm. Sie wußte nicht mehr, ob es Minuten waren oder Stunden, die hier in wonniger, noch nie gefühlter Lust verronnen.

Immer wilder und immer aufs neue herzte und küßte sie ihr Widersacher und Liebhaber, und mit glückseligem Lächeln gab sie sich ganz dieser neuen Neigung ihres Innern hin, da sie ja – still bei sich – seine Seele dem Judentum nun wiedergewonnen wußte.

Um so stärker Emils Küsse sie umloderten, desto schwächer ward ihre weichende Widerstandskraft seinem schonungslosen Willen gegenüber. Und von der fixen Idee besessen, mit dem Besitz seines Leibes auch seine verlorene Seele fest an sich zu ketten, gab sie sich völlig jenem heiligen Liebesrausche hin, aus dem es ein Erwachen erst nach der restlosen letzten Erfüllung gibt …

Unter heißen, heiligen Liebesbeteuerungen Emil Uhligs ward Lea Moses hemmungslos die Seine, ohne dabei an irgend etwas Weiteres zu denken als an die süße, Seligkeit spendende Gegenwart und – an die zukünftige Seligkeit ihres Beglückers im Worte Gottes …


An diesem Sommerabend aber wartete Helene Strupat zum ersten Male vergeblich in ihrem möblierten Parterrezimmer an der Apostelkirche auf Emil Uhligs einlaßbegehrenden Pfiff.


Voll innerer Unruhe sagte sich Emil Uhlig am nächsten Morgen vom Anwaltszimmer des Landgerichts I aus mittels Fernsprecher bei seinem Vetter Werner zu Tisch an. Hier hoffte er, etwas Zuspruch und Beruhigung seiner heillos aufgebrachten Nerven zu finden. Rückhaltlos wollte er sich dem besten Freunde anvertrauen, um nach Möglichkeit sein ganzes inneres Gleichgewicht durch Werners weitmessende Ratschläge wiederherstellen zu lassen.

Als ihm eben in dem vornehmen alten Hause vom Diener Max lautlos geöffnet wurde, befiel ihn eine bedrückende Herzbeklemmung, eine Angst davor, wie er dem immer nur vornehm denkenden Vetter das gestern Vorgefallene beibringen sollte, ohne dabei seine bewußt niedrige Handlungsweise selbst an den Pranger zu stellen.

»Ist jemand da?« fragte Emil nun lauernd, weil er einen eleganten Damenschirm im Ständer gewahrte.

»Eine Dame, Herr Doktor!" kam es devot zurück, und gleichzeitig atmete Emil etwas befreit auf; so durfte er seine beschönigte Beichte noch für kurze Zeit aufschieben.

»Alt oder jung wird sich wohl als überflüssige Nachfrage erweisen, Max?«

»Nein, Herr Doktor. Doch nicht! Die Dame da drin ist ausnahmsweise mal eine ältere. Sogar über fünfzig!«

Diskreten Gesichtes öffnete er mit diesen Worten die weiße Glastür zum Empfangssalon.

Emil trat ein … In dem weichen Smyrnateppich versinkend, befiel ihn seine Haltlosigkeit aufs neue. Verängstigt tat er durch die offenstehende Schiebetür einen Blick nach Werners Arbeitszimmer. Der Vetter saß – ein ungerahmtes Lichtbild mit weißem Rande in der Rechten – am Schreibtisch, ihm gegenüber im schwarzen Atlaskleide eine schon ergraute Dame, die mit ungewöhnlich tiefem Tonfall des Organs dringend auf ihn einsprach. Emil konnte nur noch ihre letzten Worte verstehen, die »dem Wege auf der Basis der Vernunft« geweiht waren.

Als Werner den im Salon angekommenen Besucher gewahrte, erhob er sich sofort elastisch und winkte Emil freundlich zu sich herein.

»Ah, da ist er ja, mein Vetter Emil, von dem ich Ihnen vorhin schon flüchtig sprach. Der hat's nämlich entschieden eiliger als ich! Und ist auch noch jünger …«

Indessen war Emil näher getreten und verbeugte sich vor der Fremden auf seine ungeschickt steife Art. Seine Hand erfassend, klopfte ihm Werner mit der Linken auf die Schulter.

»So, meine gnädigste Frau, gestatten Sie – mein Vetter, Herr Rechtsanwalt Uhlig – Frau Natalie Wollmann.«

Die Dame war sitzen geblieben und nickte ihm zu … Wohlwollen, mit Neugierde gemischt, sprach aus dem klugen Dunkelauge, das Emils Erscheinung aufs genaueste abschätzend ausmusterte.

»Sehr erfreut, Herr Doktor!« begann sie mit tiefster Stimme das Gespräch. »Ihr Herr Vetter hat mir sehr viel Gutes von Ihnen gesagt. Darf ich selbst nun einige Fragen an Sie richten?«

»Worum handelt es sich denn? Ist es eine berufliche Inanspruchnahme, meine Dame?« gab Emil geschäftsmäßig und kühl zurück.

»I wo denn. – Nein!« klärte Werner ihn auf. »Frau Wollmann pflegt – mußt du wissen – die denkbar besten Beziehungen zu den guten Gesellschaftskreisen. Nun hat sie mir heut' einen netten mütterlichen Vorschlag gemacht: Denk' mal, sie will mich unter die Haube bringen!«

Emil lachte ungezwungen, obwohl ihm ein leises Nagen in der Herzgegend an Lea Moses mahnte. Plötzlich hatte er nun alle Angst vor der bevorstehenden Beichte überwunden und sah sich diese Heilsbringerin sehr interessiert etwas näher an. Ihr graumeliertes Haar verlieh ihr eine gewisse Würde; große Klugheit verrieten ihre scharf forschenden Augen, die zwei stark zusammengewachsene Brauen wie ein dicker Strich von der ungewöhnlich hohen Stirn trennten, während das schon etwas faltige, von feinen Runen durchfurchte Gesicht durch eine leicht gebogene starke Nase und einen ganz normalen Mund jugendlich belebt war. Ihre an sich kleine Figur wirkte durch leichten Fettansatz schon etwas behäbig, als sie sich jetzt erhob, nachdem Emil seelenruhig: »Heiraten? Nun – warum denn nicht? Wenn die Betreffende genug Geld hat! …« gesagt hatte.

»Das hängt ganz davon ab, was der andere Teil zu bieten hat, Herr Doktor. Zu meinen Mandanten gehören die am höchsten, aber auch mittler begüterten Familien unserer jüdischen Gesellschaft!« war ihre klare Antwort.

»Mein Vetter ist getauft!« unterbrach sie Werner und blickte ihr verlegen aus dem Gesicht.

»So – hm – das erschwert die Sache natürlich,« überlegte Frau Wollmann etwas betreten, worauf Emil sie ziemlich abgebrüht zu gewinnen versuchte.

»Wenn sie reich genug ist, trete ich sofort zum Judentum zurück. Bei mir ist das eine Kleinigkeit.«

Frau Wollmann schien innerlich sichtlich erbittert, wandte jedoch das recht heikle Gespräch weltgewandt in neutralere Bahnen.

»Wie lange sind Sie niedergelassen?«

»Etwa drei Monate!« gab Emil einen dazu.

»Und wie hoch wäre Ihr Einkommen somit jährlich zu fixieren? – Entschuldigen Sie die Frage, aber ich muß das für meine Auftraggeber ganz präzise wissen!« forschte Frau Wollmann geschäftsgewandt weiter.

»Noch höher!« scherzte Werner lachend, um dann sachlich hinzuzufügen: »Seine Praxis geht ganz erstaunlich gut und wird sich hoffentlich naturgemäß ebenso weiterheben.«

Die Fünfzigerin nickte verständig.

»Und Ihre Ansprüche, Herr Rechtsanwalt?«

»Nach oben unbegrenzt!« lachte Emil platt.

»Und nach unten? Wie gesagt, ich muß mir, bevor ich zu einem entsprechenden Vorschlag schreite, ein ungefähres Bild machen können. Also bitte ich, mit offenen Karten zu spielen!« machte Frau Wollmann ihren Standpunkt geltend.

Emil schwieg schüchtern einen Augenblick. Dann faßte er sich und forderte frech: »Na, sagen wir – mindestens doch eine halbe Million!«

Frau Wollmann betrachtete ihn eine Weile kopfnickend, bevor sie ihm darauf sicher und klar antwortete: »Ich möchte nur wissen, woraufhin Sie sich für berechtigt halten, eine solche Summe zu fordern. Eine halbe Million ist heutzutage schon ein schönes Vermögen … Sie selbst bieten vorläufig wenig oder gar nichts. Zudem sind Sie auch noch getauft!!«

»Ich sagte Ihnen bereits, daß ich jederzeit zu einer Abänderung nach Wunsch bereit wäre,« wandte Emil unsicher schwankend ein.

»Auch das dürfte wenig Zweck haben. Es steht ja doch alles haarklein in der Auskunft und würde nur schiefe Schatten auf ihren Charakter werfen, Herr Doktor. Wir können da also zunächst nichts verschweigen. Aber immerhin will ich mir ihren Fall durch den Kopf gehen lassen. Es mag sein, daß ich vielleicht etwas passendes für Sie finde. Ihr Herr Vetter hat mir ihre Adresse aufnotiert. Meine Fernsprechnummer ist ihm bekannt. Es wäre mir lieb, wenn ich im Laufe der nächsten Woche einmal das Vergnügen ihres Besuches hätte, Herr Doktor.«

Damit wandte sie sich zu Werner.

»Und Sie, Herr Uhlig, überlegen Sie sich bitte mein Angebot. Darf ich Sie – pardon – noch einen Moment allein sprechen?« warf sie einen Seitenblick auf Emil der sich gleich in den Salon zurückziehen wollte.

»Natürlich!« Werner hielt den Vetter dabei zurück. »Wir sind so befreundet, daß wir keinerlei Geheimnisse voreinander haben.«

»Also gut," wurde sie freier. »Die Sache Hartstein scheint mir für Sie das Beste. Das Mädchen ist hübsch, reich, gut erzogen, musikalisch und hochgebildet, dazu erst zweiundzwanzig. – Und die Mutter will sie aus den genannten Gründen partout verheiraten. Tun Sie mir den Gefallen, fahren Sie mal auf zwei Tage nach Franzensbad rüber. Das kostet doch nicht den Kopf … Und bei Ihnen spielt's wahrhaftig keine Rolle.«

»Wissen Sie,« meinte Werner bedächtig, »ich habe mir die Sache schon etwas überlegt. – Die Herrschaften wohnen hier – wie Sie sagen – in Schlachtensee und kommen in vier Wochen wieder nach Berlin zurück. Solange wird die Sache doch noch Zeit haben?« »Nein – das hat sie eben nicht, Herr Uhlig,« unterstrich Frau Wollmann bestimmt jedes einzelne ihrer Worte. »Jetzt gerade reist der Vater nach der Schweiz zu seiner Freundin. Und in vier Wochen ist er wieder zu Hause in Schlachtensee. In der Zwischenzeit muß ich das Mädchen plaziert haben. Die Sache hat also die höchste Eile. Die Leute sind sehr anspruchsvoll, und mit Recht. Aber bei Ihrem Einkommen scheint mir jede Schwierigkeit ausgeschlossen. Die Mutter hat sich – wie ich hörte – bereits erschöpfend erkundigt und will brennend gern. Und bei Ihrer bestechenden äußeren Erscheinung ist es für mich kristallklar, daß es Ihnen ein Kinderspiel sein wird, das Mädelchen in sich vernarrt zu machen.«

»Sagen Sie das nicht so gewiß, verehrte gnädige Frau,« zweifelte Werner. »Gesetzt den Fall, ich fahre morgen nach Franzensbad, und übermorgen gefällt Fräulein Gabriele Hartstein meine Nase nicht. Dann habe ich außer meiner kostbaren Zeit 150 Mark in das Geschäft gesteckt, die Unbequemlichkeit einer Reise unberechnet, und kann als Versager wieder abziehen!«

»Das ist ausgeschlossen, Herr Uhlig,« ereiferte sich jetzt Frau Natalie Wollmann. »Alle äußeren Umstände deuten – wie schon gesagt – nur auf einen glatten Erfolg hin. Auf der ganzen Linie! – Die Reise selbst ist bei der glänzenden D-Zugverbindung ein Katzensprung. Sie fahren früh 8 33 vom Anhalter fort und sind mittags 12 45 an Ort und Stelle.«

»Ich bin Kaufmann und denke darum stets als kühler Kaufmann,« wünschte Werner der Unterredung ein Ende zu machen; »ich will Ihnen in spätestens drei Tagen Bescheid geben, ob ich fahre oder nicht.«

»Schön, Herr Uhlig,« gab sie sich taktvoll zufrieden. »Dabei verbleiben wir. In drei Tagen.« Sie wandte sich bereits zur Tür, als sie der Rechtsanwalt durch eine Ansprache nochmals zurückhielt.

»Bevor Sie gehen, Frau Wollmann, bitte, noch eine prinzipielle Frage. – Welche Gebühr erheben Sie für Ihre Tätigkeit?«

Die alte Dame sah ihn gefaßt an. Dann sagte sie ganz ehrlich und offen: »Ich erhalte für meine Bemühungen in der Regel eine Provision, die sich nach der Höhe der Mitgift richtet. Und zwar zwei Prozent davon. Der Betrag ist am Tage vor der standesamtlichen Trauung zu erlegen. Außerdem ist es üblich, bereits nach der Verlobung eine Abschlagszahlung zu leisten. Ich verlasse mich in dieser Beziehung völlig auf die vornehme Gesinnung meiner Mandanten.«

Mit einer kurzen verbindlichen Verbeugung des Kopfes schritt sie aus dem Zimmer.

»Die ist blendend,« schüttelte sich Emil und meckerte vor Lachen.

»Wieso kommt sie dir lächerlich vor?« entgegnete ihm Werner ganz ernst. »Sie ist eine makellose Maklerin, lieber Junge, und richtet sich genau nach dem Objekt. Objekt tief – oder Objekt hoch! Ich finde das nur gerecht und zielbewußt. Ich kenne sie bereits längere Zeit, und auf mich hat die Frau einen sehr guten Eindruck gemacht. Da kannst ja gelegentlich mal zu ihr gehen. Sie wohnt in der Magdeburger Straße.«

»Machen wir mit Wonne,« gab Emil ausgelassen zurück. »Die Dame ist gut! Ich wundere mich bloß, daß sie nicht auch Gebührenvorschüsse erhebt, wie wir Anwälte … Sie sprach ja wie unsereins von Mandanten pp.«

»Nein, Vorschüsse verlangt sie nicht … Sie nimmt ihren Beruf aber ernst und verläßt sich demnach ganz auf das Ehrgefühl ihrer Auftraggeber,« erwiderte Werner mit einer Mahnung im Unterton.

»Daß muß sie auch, denn gesetzlich würde ihr Anspruch keinen Bestand haben, da Ehevermittlung vom Richter totsicher als unsittliches Geschäft betrachtet wird,« pflichtete ihm Emil bei.

»Diese Judikatur ist kaum gerecht zu nennen. Bismarck hat schon gesagt, daß jeder Makler seines Lohnes wert sei. Hier haben wir also einen Fall, wo wirkliche Mühewaltung aus falschem Vorurteil vor dem Auge des Gesetzes keine Anerkennung gefunden hat. – Denn bei dem heute herrschenden Mammonismus ist es doch immerhin eine wertvolle Hilfsleistung, zwei Menschen glücklich zu machen.«

»Oder unglücklich,« widersprach Emil. »Geschäft ist aber doch Geschäft. Und für mich wird eine Eheanbahnung bald zur dura necessitas. Denn jetzt bin ich nämlich schon so weit, deinem warnenden Weitblick wieder mal vieles abzubitten. Denk dir mal, Werner, dieser Kerl von Chananje ist vorgestern auf eine Woche fortgereist und hat mir – vom kollegialen Gesichtspunkt einfach unverständlich – sein offenbares Mißtrauen dadurch bekundet, daß er einen anderen Herrn, also nicht mich – was doch auf der Hand lag –, zu seinem Vertreter bestellte. Dadurch bin ich vor dem ganzen Bureau bis auf die Knochen blamiert.«

»Das ist ja unerhört! Das ist ja direkt empörend!« bestärkte ihn der ganz mit ihm fühlende Vetter. »Und auf solche Perfidie gibts keine andere Antwort als sofortige Sezession. Da bist du sogar moralisch verpflichtet, Zug um Zug Vergeltung zu üben. – Ich würde an deiner Stelle fortziehen, bevor dieser Herr Moses überhaupt wieder zurückkommt.«

Emil dachte an Lea, und ihn beschlich von neuem seine duckmäuserische Furcht.

»Das wird nicht so plötzlich gehen,« bemäntelte er deshalb seine Feigheit. »Ich wünschte ja, ich könnte mich lieber heute als morgen von dem alten Ekel loseisen. Aber du weißt doch am besten selbst, daß mir dazu die nötigen Mittel fehlen. – Sonst zöge ich mich auf der Stelle von diesem eingefleischten Hebräer zurück.«

Werner wurde für eine Minute mürrisch.

»Na, mit seiner Religion hat seine dir bewiesene Gesinnung ja doch nichts zu tun. – Aber ich wußte es ja von vornherein, daß du eines Tages deshalb herkommen würdest.«

Emil machte nervös einen kurzen Gang durch das geräumige Zimmer. Plötzlich blieb er stehen, und sein Blick fiel auf Werners Schreibtisch.

»Was ist das für eine Photographie?« griff er neugierig nach einem dort liegenden Lichtbilde.

Werner belachte heimlich seinen einfältigen Wissenswunsch, den keinerlei Hemmschuh aus der Kinderstube her beschränkte.

»Das ist eine junge Dame, die mir Frau Wollmann durchaus als Gattin anhängen will. Fräulein Gabriele Hartstein, Spezialaufnahme für mich.«

»Ist die verwandt mit den Hartsteins von der Tuchfirma Philipp & Hartstein A.-G.?« brachte Emil hastig heraus.

»Ja natürlich! Sie ist die Tochter eines der Inhaber. Ich glaube, Sally heißt der Alte mit Vornamen und soll wegen Überfluß an Geld vor kurzem aus der Firma ausgetreten sein,« gab Werner gutmütig und offen Bescheid.

»Na, da gratuliere ich! Die hat mindestens zwei Millionen Mitgift. Und der Großvater in Warschau – ich kenne die Verhältnisse durch meine Mammusch genau – der hat geradezu phantastische Gelder. Mach doch die glänzende Sache!«

Er hatte des Vetters Rechte aufgeregt erfaßt und schüttelte sie so kräftig, wie es seine stupide Schläfrigkeit zuließ.

Aber damit konnte er sich noch nicht beruhigen.

»Werner, wenn du den Coup landest, hast du ein geradezu fabelhaftes Schwein. Und bedenke den Neid deiner sowieso schon eifersüchtigen Kollegen! Sie werden Augen machen, wenn du erst die ›Platzkarten‹ als Vermählungsanzeigen verschickst!«

Emil hatte sich ganz in Eifer geredet und kämpfte auch keinen Augenblick mehr mit sich, ob er dem Vetter seine Untat an Lea Moses noch anvertrauen sollte. Er fürchtete nur zu gut, wegen seiner niedrigen Handlungsweise auf der Stelle von Werners hochgesinnter Denkart fallen gelassen zu werden. Darum entschloß er sich, alles Böse von gestern hübsch für sich zu behalten und sah den ahnungslosen Vetter mit einem gemacht flehenden Fischblick in dessen ehrlich offenes Auge.

»Werner, geliebter Vetter und Freund! Ich bitte dich aus tiefem Herzen um deinen Rat … Was soll ich in dieser Chananjesache tun? Du siehst mich vor dir, durch den Dauerdalles der letzten fünf Jahre eingeengt und scheu gemacht. Habe ich so ein schwarzes Schicksal verdient? Es ist mir kaum an der Wiege gesungen worden. Dieser blödsinnige Büffel von einem Bollusch trägt allein alle Schuld, daß ich heute nicht einmal in der Lage bin, mir ein eigenes Bureau einzurichten. Daß meine Anfängerpraxis das natürlich nicht hergibt, obwohl sie dank deiner Empfehlungen in der Handelswelt schon so ersprießlich läuft, ist doch klar wie Kloßbrühe.«

Werner sah den um Hilfe Bettelnden eine Weile mitleidig an. Menschlich bedauerte er den jungen Anwalt und seine Abhängigkeit vom Leben. Er dachte an seinen eigenen Anfang als jüngster Stift bei einer kleinen Provinzbank, erlebte im Rückblick nochmals seinen durch zähen Fleiß langsam erzielten Aufstieg, bis er plötzlich durch die blitzartige Erkenntnis seines neuen Direktors in seine jetzige Vertrauensstellung emporgeschnellt war. Dann mokierte er sich innerlich darüber, daß diese Akademiker sich immer noch anmaßten, ihn – den Selbstmenschen – gesellschaftlich nicht ganz als voll zu zählen. »Stümper seid ihr!« dachte er still. Aber innerlich hatte er auch schon die nun fällige Entscheidung über Emils Schicksal getroffen.

»Ich fühle vollkommen mit dir, daß du so nicht weiter kommst, und will darum recht gern mithelfen, dich endlich in jeder Beziehung freizumachen. In der Linkstraße besichtigte ich vorige Woche eine leere Fünfzimmerwohnung, die einer Zweigstelle unserer Bank als Archiv angeboten war. Für unseren Zweck war sie zu klein, aber schau du sie dir einmal an. Für ein Anwaltsbureau wäre sie wohl nicht ungeeignet.«

»Fünf Zimmer?« fragte Emil ängstlich. »Ist das nicht viel zu viel?«

»Unsinn, mein Junge!« beschwichtigte Werner gütig seine Furcht. »Du könntest dann ja gleich deine Wohnung dabei haben. Denn schließlich kannst du doch nicht ewig mit deinem Bruder Otto in dem kleinen Loch zusammen hausen. Das paßt doch auf die Dauer für einen Rechtsanwalt nicht.«

»Aber woher soll ich nur das viele Geld nehmen, vier bis fünf Zimmer auszumöblieren?« setzte Emil ihm schreckhaft und ratlos entgegen.

Werner wurde durch diese Unselbständigkeit ärgerlich. »Stell' dich nur nicht dümmer, als du es in Wirklichkeit gar nicht bist, Emil,« wischte er ihm darum eins aus. »Deine Geldgebarung werde jetzt ich in die Hand nehmen. Und zwar sollst du endlich einmal lernen, selbständig mit Geld umzugehen. Das geschieht folgendermaßen: Ich richte dir bei der Ostbank A.-G. einen Bankkredit von 30 Mille ein und hinterlege noch heute die dafür nötigen Sicherheiten. Morgen spätestens also wird alles von mir aus erledigt sein. Und übermorgen werde ich dich bei der zuständigen Depositenkasse persönlich vorstellen, damit du deine Unterschrift abgibst und ein Checkbuch ausgehändigt erhältst. Von diesem Checkbuch, bitte ich dich möglichst großzügigen Gebrauch zu machen, mein lieber Junge. – Die Geizkrämerei, wie du sie von seiten deines Vaters gewöhnt bist, hört also von übermorgen an – hoffentlich! – auf. Der Kredit soll dir zunächst auf ein Jahr eröffnet werden. In der Zwischenzeit wirst du dich schon irgendwie verheiraten können. Ich diskontiere also lediglich einen Primawechsel auf deine Zukunft.«

»Hoffentlich ist der Wechsel auch prima!« ironisierte Emil spitz. – Dann schwieg er beschämt, weil sein Hühnerhirn keine Worte fand, die seinem Dank den rechten Ausdruck verliehen hätten.


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