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IX.

Udo Stettner hatte sich nicht verrechnet.

Die Zeit arbeitete für ihn, während er selbst mit wahnwitziger Anspannung aller seiner Kräfte weiter an seinem Werk schaffte.

Für nichts anderes hatte er jetzt noch Sinn.

Selbst über den Verbleib seiner Ehefrau machte er sich seit einem Vierteljahre nicht die geringsten Kopfschmerzen mehr. Wußte er sie doch bei der Löhlinger gut versorgt und verpflegt, da er die tribadisch-passiven Neigungen seiner Gattin seit Jahren kannte und wertschätzte.

Mit seinem ersten Blich auf das wächsern-bleiche Mopsgesicht der Zahnärztin mit den blau schattierten Augen im Herrenhut und Stehkragen hatte er deutlich genug erkannt, wes Fleisches Kind sie sei …

Nun fest in seine Arbeit verwoben, begnügte er sich gern damit, allwöchentlich einmal nach dem Befinden beider Damen zu fragen, aber zugleich für die Inanspruchnahme seiner Frau ein durchaus angemessenes Gehalt von der Löhlinger einzuziehen, von dem er die am Monatsersten fälligen Lasten zu bestreiten in der Lage war.

In dieser Beziehung sah er streng auf strikte Formeinhaltung. So hätte er sich keineswegs gescheut oder geschämt, bei etwaiger Nichterfüllung der stillen Übereinkunft die sonst allzu lose gezogenen Saiten eines Sklavenhalters straff anzuspannen, dergestalt, daß er seine ihm wie eine Hündin hörige Frau kraft ehemännlicher Macht sofort für sich zurückforderte …

Frau Käthe Stettner-Herrlich indessen kannte ihren Gemahl und seine Geldgebote zur Genüge. Sie war froh, dank der großzügigen Freigebigkeit ihrer gegenwärtigen Freundin, für eine ziemliche Zeitspanne von seinem verhaßten und doch gefürchteten Anblick verschont zu bleiben. Seit Jahren hatte sie Udo mit ausstudierter Pirschkunst geschickt auf das Weib dressiert und verstand es entsprechend, aus ihren Fähigkeiten auch einträgliche Rechtstitel herzuleiten.

Sein eigener Frauenbedarf wurde mehr als vollauf vom Modellmarkt her gedeckt, doch nahm er jede fremde Liebesgelegenheit gründlich wahr, die ihm das lachende Leben in seiner völlerisch-triebhaften Verschwendungsfülle darbot …

Da war er »eben ein komischer Mensch drin!«

Palette und Pinsel auf seine Hände verteilt, pfiff er – an seinem »Vater Adam« wirkend – munter vor sich hin und versetzte sich in die heiterste Arbeitslaune, wie sie ihm der rüstige Anlauf beim Schaffen immer eintrug. Eben wollte er an die Kleinmalerei der Evafigur gehen.

Ärgerlich stutzte er dabei! Das Verhältnis vom Kopf zum Leib schien unmöglich.

Ellen Uhlig suchte sein Eigensinn!

Da sie schon eine Woche nichts von sich hatte sehen lassen, war er wutentschlossen, zum Ersatz zu greifen und seine Käthe durch eilige Einberufung zum Heimatdienst aufzuschrecken, teils um Ellen – sobald sie wieder auftauchte – durch die bildkräftige Demütigung seiner lüsternen Leidenschaft endlich ganz gefügig zu machen, teils aber um auch Fräulein Löhlinger durch die schwerwiegende Entziehung ihres Lusterregers bei der nächsten Abgabe des Liebeslohns zeitgemäß steigern zu können.

Eine helle Glocke weckte ihn aus seinen Zukunftsplänen.

Von der Straße her hörte er den Bollewagen leise läuten und legte hurtig sein Werkzeug fort, um nicht – was schon mehrfach geschehen war – den Einkauf seiner Kefirmilch zu versäumen.

Im Sprungschritt sauste er die steilen vier Treppen herab. Den Milchtopf in der Rechten, drängte er sich frech durch die Reihe der harrenden Dienstboten und war gerade daran, sich vom Bollebengel den Kefir einfüllen zu lassen, als er – seinen Augen kaum trauend – Ellen Uhlig auf dem seinem Heim gegenüberliegenden Bürgersteige erblickte. Beinahe hätte er vor freudigem Schreck den Topf fallen lassen. Dann faßte er sich und beobachtete voller Genugtuung, wie Ellen – ihren Blick dauernd nach oben gerichtet – ihm eine regelrechte Fensterpromenade zu machen schien.

In teuflischer Freude an dieser Überraschung erstickte Udo ein gemeines Lachen im ersten Laut …

Aber zu spät!! Im gleichen Moment sichtete ihn Ellen auch schon unter der am Milchwagen durch den Zufall zusammengemischten Menschenmenge, floh wie eine ertappte Taschendiebin schnell vor eine Schaufensterscheibe und kehrte ihm recht beschämt den Rücken zu.

Vom Bimmelbolle noch immer gefangen, ließ Udo – mit ungesunder Genußgier ungeduldig lauernd – zunächst den Tontopf voll Kefir sickern. Dann schlich er – seine Wollust kaum noch bemeisternd – frech an das Schaufenster, stellte die Milch vorsichtig auf die Erde neben Ellen und hielt ihr mit seinen breiten Händen von hinten die Augen zu, wobei er ihren Kopf etwas zurückbog und leicht mit seinem Bart streifte.

»Nanu?« fragte er gleichzeitig frech, »heute nicht im Geschäft?«

Ellen schauerte unter seiner Berührung schreckhaft zusammen und drehte sich langsam zu ihm um.

»Ich war vormittags beim Kassenarzt und hatte hieran anschließend doch einmal nach Ihrer Eva sehen wollen. Als ich sie aber plötzlich unter den Milchkunden gewahrte, erschien mir meine Absicht schon hinfällig.«

»Ihre Absicht war mehr als nett. Was heißt da hinfällig? Rauf gehn wer sofort und sehn uns die Eva an,« entschied er sehr bestimmt, daß sie unschlüssig schwieg.

»Aber nur fünf Minuten!« gab sie dann nach. »Ich muß ja bald zurück ins Geschäft.«

»Höchstens zehn!« lachte er zustimmend, ließ sie vor sich ins Haus treten und folgte ihr, ihre feinen Fußgelenke und Waden mit innerem Genuß bewertend, die vier Treppen nach …

Oben angelangt, wollte er sie gleich vor das Bild führen.

Sie aber lehnte dessen Ansicht zunächst ab und ließ sich erschöpft in einen der Korbsessel fallen.

»Erst muß ich mich einmal mit Ihnen seelisch auseinandersetzen«, begann sie schwermütig. »Die ganzen letzten Tage habe ich um ihretwillen gekämpft.«

»Ach nee!« wandte er frivol ein.

»Ja, ja. Ganz im Ernst!« zwang sie ihn aus seiner Leichtfertigkeit heraus. »Endlich habe ich mich zu einem schwerwiegenden Entschluß durchgerungen.«

»Das war auch Zeit!« scherzte er unverbesserlich weiter. »Denn wir werden täglich älter, gnädiges Fräulein.«

Ellen sah ihn durchdringend groß an. Eine eigentümliche Veränderung ging in ihren Augen vor.

»Mißverstehen Sie mich bitte nicht, Herr Stettner. Und verlassen wir mal endlich Ihre etwas ausgelassene Behandlung der Dinge, wenn Sie überhaupt von mir weiter ernst genommen zu werden wünschen.«

Jetzt begriff er ihren Tadel, stutzte einen Moment und faßte sich zu mannhafter Würde.

»Ich danke Ihnen für ihre offene Kritik und will mich bessern.«

»Gut,« nickte sie befriedigt. »Sie sollen wissen, daß meinen neuen Willen schwere innere Kämpfe zur Reife gebracht haben. Ich sagte ihnen ja schon, daß ich ein lebenskarger Einspänner bin, daß ich mich nur sehr schwer jemanden erschließe! Aber ihr Bild hat eine eigene Regung in meinem Inneren erstehen lassen, hat einem Neidsgefühl Platz gemacht, das mir sonst fremd war. Ich versteh' mich selbst nicht, aber ich will einfach nicht, daß die Eva nur – im Antlitz meine Züge trägt – Nicht nur – mein Gesicht soll das Vorbild sein –«

Mit einer scheuen Scham brach sie tief erglühend ab.

Und Udo wußte genug. ›Die will es auf diese Tour! Kann sie haben!‹ grinste sein von allen Lastern gewitztes Gewissen. Und seine überreiche Erfahrung ließ sie sich klug in ihrer Beichte ausleben, bevor er die letzten Hemmungen beiseite riß.

In solcher Unterdrückung seiner unbezähmbaren Begierde schwelgend, ließ er sein dadurch begrenztes Lustgefühl in dem Wunsche nach heimlichen Zukunftszechen frönen. Wie einen gefangenen Fisch wollte er sie vor seelischem Sadismus noch ein Weilchen in dem Wasser ihrer prüden Gedankenwelt zappeln lassen, bevor er die Angel nach Belieben mit einem Ruck anzog.

Also färbte er seine Stimme schlau mit einem pastoraldunklen Ton.

»Ich fühle wohl, was Sie bewegt, gnädiges Fräulein. Und mein Mitgefühl richtet aus tiefster Brust eine innige Bitte an Sie. Zaudern Sie nicht länger mit Ihrem Vertrauen: Schenken Sie einem einsamen Künstler das große Glück, Sie als ganze, echte Eva auf seinem Lebenswerke zu verewigen!« winselte er immer durchtriebener.

Ellen fieberte vor innerer Erregung, als er mit seinem Flehen ihrem eigenen Wollen so inbrünstig entgegenstrebte.

Während ein ganz fremdes Empfinden plötzlich ihr sonst so nüchternes Blut hastig durch ihre Pulsadern peitschte, senkte sie nur stumm bejahend den heißen Kopf.

Fast unhörbar fielen, wie abgehackt, die drei Worte: »Ich will es!« von ihren dürftig ausgetrockneten Lippen.

Da lief er wie ein Teufel blitzschnell zur Tür, verschloß sie für alle Fälle und kniete mit einem Satze stracks vor ihr nieder, um ihr in flammendem Brande seines Ichs – die Schnürsenkel zu lösen und Schuhe wie Strümpfe auszuziehen. Mit nervös zitternden Händen gelang es ihm langsam. Ellen wußte kaum, was sie tat, als sie jetzt zögernd die Druckknöpfe ihrer Seidenbluse aufknipste, während er ihr stieren Blicks den Rock öffnete und ein abgetretenes Eisbärfell als Unterlage begehrlich bebend vor ihre bloßen Füße breitete.

Immer lüsterner unterstützte er sie vollends auch bei der übrigen Entkleidung, und mit neugierigem Staunen nahm er von ihren schneeweißen, festen Formen Kenntnis und Witterung, als mit dem duftigen Batisthemd ihre letzte Hülle gefallen war.

Die Ebenmaße ihres etwas eckigen Körperbaus und die herbe Geschlossenheit ihrer keuschen Bewegungen raubten ihm, als sie jetzt aus dem Kleiderhaufen heraustrat, um in stolzer Nacktheit zum Podium zu schreiten, fast die Besinnung. Um sich noch etwas abzulenken, ergriff er beherzt sein Stiftbund und versuchte, die Gliedmaßen ihres gertenschlanken Leibes in einer Skizze aufzufangen …

Nur eine kurze Weile aber behielt er die Vollmacht über seine Sinne, die letzte Selbstbeherrschung!

Dann übermannte der herrliche Anblick ihrer unberührten Schönheit, deren reifes Fleisch noch keinem Manne gedient haben konnte, sein Hirn im Rausche seines Blutes …

Er schleuderte die Stifte brutal aus der Hand, stürzte mit wankenden Knien zu ihr hin und warf sich vor dem nackten Weibe nieder, beschwörend wie ein brünstig Betender.

»Eva, laß mich dein Adam sein!« schrie er mehr, als er sprechen konnte.

Im gleichen Augenblick sprang er wieder auf, hob sie mit übermenschlicher Gewalt von ihrem Standpunkt auf und schleppte sie wie ein beutelechzender Leopard mit einem Sprungschritt zum Diwan, wo er ihren reinen, weißen Leib in ungestümer Genußgier mit unzähligen Küssen überflutete.

Ellen schien unirdisch abgewandt und wußte nicht mehr, was ihr geschah. Durch den dichten Schleierflor ihres erdentrückten Dämmerzustandes sah sie nur noch in verschwommenen Umrissen, wie er sich plötzlich steil emporreckte und fühlte dann, daß er, einer gefällten Eiche gleich, wuchtig über sie auf den Diwan fiel …

Was dann kam, war ihr nichts als benebelnde Nacht und ein letztes Aufbegehren gegen das unvermeidliche Erliegen im Albdruck seiner Umarmung.


Ellens endliches Erwachen war mehr als entsetzlich …

Die ganze Welt schien ihr ein einziger Fluch. Und eine grelle Helle tat sich ihr auf … Nur Abscheu und Grauen hatte sie jetzt noch vor ihrer eigenen Person.

Einen elenden Ekel empfand sie aber erst vor diesem ungepflegten Trunkenbold, der sie wie ein erobernder Eindringling in tollem Taumel genommen, dessen widerwärtige Zärtlichkeiten sie nur aus Neugierde heraufbeschworen hatte, um das große Rätsel ›Mann‹ endlich aber auch in seiner krassesten Spielart vor sich enthüllt zu haben.

Innerlich schüttelte sie sich dauernd vor ständigem Brechreiz, und wie Rautendelein kam sie sich besudelt vor das schließlich in Wassermanns feuchten Flossen zu verkommen verurteilt ist.

Udo hatte sich eben im Nachgeschmack seines ersten Freudenbechers satt von ihrer Seite erhoben, um ihr nach gestillter Leidenschaft dankbar etwas Schönes zu sagen.

»Eva, du mein engelgleicher Schatz!« stammelte er süßlich, noch ganz unter der Nachwirkung seines leckeren Liebesmahls.

Und dieses banale Flötensolo tat ihr körperlich weh.

»Rühren die mich nicht an!« zischte sie ihn geharnischt an und stieß so heftig seine Hände zurück, daß er für einen Augenblick fast Angst vor ihrem Zorn empfand.

Hastig richtete sie sich auch sofort auf und verhüllte ihren geschändeten Leib mit dem schützenden Hemd vor seinem weiteren Faunsblick … Dann begann sie – von einer tiefen Scham erschüttert – sich wortlos anzukleiden.

»Was ist dir nur, Kind?« wollte Udo, vom Ausbruch ihrer Laune wie von Keulen getroffen, noch einmal anknüpfen.

Aber der böseste Blitz ihres wild rollenden Augenpaares bannte diesen letzten Versuch im Keime.

»Weg, die Unflat!« herrschte sie ihn abermals hysterisch an. »Ich muß beileibe verrückt gewesen sein, mich an ein so scheußliches Bartgespenst wegzuwerfen!« Zwei dicke Perlen rollten dabei über ihre purpurroten, eben noch von ihm heiß geküßten Wangen.

Und Udo, dem weinende Weiber stets eine Qual waren, wurde innerlich über die von ihr gewählten Koseworte mehr als ungehalten.

Von dem stolzen Gefühl geleitet, sie durch seinen leiblichen Zugriff tief genug gefällt zu haben, sah er sich aber durch ihre zur Schau gestellten Tränen nun vollends befriedigt und tat ihren – wie er meinte – grundlosen Unmut deshalb als ihn gar nicht berührend ab.

Diese Ruhe reizte ihren Zorn gegen sich, ihn und die ganze Welt noch stärker.

»Das soll nun mein großer Traum, mein Lebensgehalt gewesen sein! So ein Monstrum!« stöhnte sie qualvoll auf.

Jetzt fand es Udo am Platze, gemein zu werden und ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen. Mit einem: »Pah! Mach' bloß deine Gefühlskiste wieder zu, alberne Gans!« wischte er ihr für alle Beschimpfungen einen geistigen Geißelhieb aus.

Wutverkrampft fuhr Ellen weiter in ihre Kleider, und ein schaler Bittergeschmack der Ohnmacht vor seiner Erbärmlichkeit legte sich auf ihre trocken im Gaumen klebende Zunge.

Ihm aber wurde plötzlich um das Schicksal seines Bildes bange, weshalb er sie in einer ihr unverständlichen Aufdringlichkeit abgebrüht zu hänseln begann, als ob nichts geschehen wäre.

»Ich dachte, wir wollen jetzt die Eva weiter ausführen?«

Ellens Trachten und Sinnen stand mit allem andern mehr als mit seinen Sorgen in Zusammenhang. Nur der maßlose Satz gegen diesen frechen Frevler an ihrem so lange keusch gehaltenen Körper blieb und wuchs mit jeder Minute. Schneller hieß er sie ihren Anzug beenden … Als sie dann erst wieder ganz bekleidet und beschuht vor ihm stand, fiel eine blitzhafte Erkenntnis von der Schwere seiner Tat in ihr umnachtet gewesenes Bewußtsein.

»Mir geschieht ganz recht!« begehrte sie aus tiefstem Innern auf. »Ich bin ja nichts Besseres als eine schmachbesudelte Dirne. Alberne Gans war nicht der rechte Ausdruck für meinen Leichtsinn, sich an einen so anrüchigen Kerl zu vergeuden!«

Nachdem er seiner Gehässigkeit genugsam die Zügel hatte schießen lassen, gewann seine ausgeprägte Schläue gleich wieder die Oberhand. Und bald hatte er sich wieder ganz in der Gewalt, da er sich jetzt weniger aus dem Mädchen, um so mehr aber aus dem Modell Ellen etwas machte.

Sein Wesen floß also von gewinnendem Zuvorkommen über, mit dem ihre ihn post festum unbegreifliche Gegenwehr beseitigt werden sollte. Denn wenn es ums Ganze ging, hatte er sich und seine Handlungen stark im Zaume.

»Beruhigen Sie sich doch bitte, gnädiges Fräulein!« begann er tanzmeisterhaft. »Ihr Nervensystem ist von der Fülle der Ereignisse nur etwas überreizt. Solche Gemütsdepression nennt man bei uns am Rhein Katerstimmung. Sie wird verfliegen, sobald Sie wieder mit sich im reinen sein werden. Und dann sehe ich Sie wieder. Unsere Eva muß doch fertig gemacht werden!«

»Nie, Sie widerliches Ungetüm! Sie Brechmittel!« fuhr sie ihn fuchtig an und schlug damit knallend die Korridortür zu.

Ihren verzweifelten Versuch, sich aus der ihr zugefügten Pein wenigstens durch häßliche Widerworte zu befreien, fand Udo auf einmal begreiflicher. Müde tat er einen tiefen Atemzug; aber damit hatte seine Leichtlebigkeit auch schon wieder gesiegt, so daß er den Hochmut zu diesem tröstenden Selbstgespräche aufbrachte: »Wiederkommen muß sie doch! Die will ich schon noch kirre kriegen, mit Kinnkette und Kandare!«


Die nächste Nacht wurde für Ellens Seele ein Spießrutengang. Zerknirscht quälte sie sich durch die boshaftesten Vorwürfe und zermürbte ihr armes gemartertes Hirn wegen ihrer heutigen Haltlosigkeit. Unverzeihlich schalt sie ihr pflichtloses Tun, das Elternhaus und vor allem sich selbst, mit dem Wertvollsten tändelnd, vollkommen vergessen zu haben.

Dann wieder fahndete sie nach der Möglichkeit einer milderen Auffassung ihres Fehltritts und fand angesichts der Zerrüttung ihrer Familie durch die schwere Vorschuld des Vaters ihre Handlungsweise nur zu erklärlich.

Ihm ganz allein schrieb sie die einzige und volle Verantwortung an ihrer Verirrung zu.

Wäre er nicht durch verfehlte Geldanlagen verarmt, so hätte sie in Paul Kurtius den Schirmherrn besessen, der ihre reine Weibheit vor Abwegen, wie die verwerfliche Liebeslaune für den Maler, wohl sicher bewahrt hätte.

Aber auch ihn, Paul Kurtius – spintisierte sie weiter –, konnte sie von einer Mitschuld an ihrem Schicksal nicht freisprechen. Durch seinen niedrigen Verrat ihrer Liebe hatte er sie den brutalen Fallstricken dieses harten, herzlosen Lebens preisgegeben!

Eine Riesenwut auf alles, was Mann war, glomm in ihr hoch … O, wie sie diese drei Männer haßte: Adam Uhlig – Paul Kurtius – und Udo Stettner … Überhaupt alle Mannsbrut schien nicht wert, von ihr angespien zu werden.

Aber sie wollte Rache nehmen, fürchterliche, schonungslose Rache am ganzen Geschlecht!

Mit diesem Entschlusse schlief sie schließlich beim Morgengrauen ein und erwachte erst gegen Mittag im Fieber.

Vergrämt saß die Mutter, die gerötete Stirn in Sorgenfalten, an ihrem Bett, und der Onkel Ignaz stand ernsten Gesichts davor.

Im ersten Schreck riß sie die lockerliegende Steppdecke fester an sich, um durch diese instinktive Abwehr jede Entdeckung ihres Geheimnisses zu verhüten.

»Eine starke Influenza«, sagte der Sanitätsrat leise zur Mutter, »mit neuralgischen Erscheinungen,« und reichte der Nichte dann freundlich lächelnd die Hand.

»In drei bis vier Tagen dürfte das vorbei sein,« beruhigte er beide Damen. »Wenn das Fieber bis abend nicht gefallen ist, bitte ich, mich zu verständigen.«

Nachdem er dann noch ein Rezept ausgeschrieben und es Frau Hulda besorgt überreicht hatte, schied er mit nervöser Hast von den Verwandten, weil er nicht die geringste Lust hatte, mit seinem Schwager-Grobian irgendwie zusammenzustoßen. Zu dieser dringlichen Eile stand gewissermaßen also das Leibgedinge in einem Verhältnis von Wirkung zur Ursache.

Frau Hulda wandte sich nach seinem Fortgange besorgt zu Ellens aufbegehrender Ungeduld.

»Im Geschäft habe ich schon anklingeln lassen und dein Ausbleiben entschuldigt.«

Gleich und blutleer mutete sie ihr Kind an, dessen Kopf mit einem kurzen Nicken schlaff in die Kissen fiel.

»Mammusch, hat Onkel Ignaz mich denn genau untersucht?« flüsterte sie dann mit Aufbietung ihrer schwachen Lungenkraft.

»Dein, leider nur Temperatur gemessen!« gab die Mutter ahnungslos zurück. »Es sind 38,9 Grad.«

Dazwischen drang Adams brummiges Baßorgan aus dem Nebenzimmer, so daß Ellens blaß-vergeistigtes Gesicht sich düster grollend verfinsterte. Schwere Stiefeltritte kamen näher und näher.

Aber der Alte trat doch nicht in die Krankenstube herein.

Er schien eben im Begriff, fortzugehen, ohne vorher noch ein liebes Wort für sein erkranktes Kind zu finden.

Nur für einen Augenblick steckte er den dicken Glatzkopf durch die Tür, um seiner Frau die Entfernung böse bellend anzusagen: »Hulda, ich will in die Stadt! Vor abend kann ich kaum zurück sein!«


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