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III.

Werner Uhligs mittags schon vorgesehener kurzer Abstecher nach dem Bankhaus hatte sich nicht so schnell erledigen lassen. –

Udo Stettner-Herrlich mußte eine gute Weile auf der Straße lauern, bis sein Gönner nach getaner Arbeit erst die verdiente Muße für das Vergnügen wiederfand.

Als beide dann nach Verlauf zweier Stunden das Wilmersdorfer Palastcafé betraten, bot sich ihnen bald ein bizarres Bild.

Zunächst galt es, sich durch den mit Liebespärchen fünfter Garnitur vollbesetzten Vorderteil des Lokales hindurchzuwinden.

Von der auf einem breiten Podium untergebrachten, aus drei Mann zusammengesetzten »Künstlerkapelle« wurden die neuen Gäste beim Vorbeigehen devot begrüßt, und eine Weile später schon ließ der Kapellmeister Werners Lieblingslied »Der rote Sarafan« ertönen, eine zartfühlende Huldigung, die auch heute von seiten des Geehrten mit einer »Lage Pilsener« bedankt wurde.

»Na, endlich laßt ihr euch auch mal im neuen Kaffeehaus blicken! Wo die Eröffnung doch schon vor drei Wochen war! In Moabit habt ihr mich doch häufiger beehrt, 's war ja auch netter – das alte P. C.!«

Der Dicke, ein starker Hüne mit vollem, aufgedunsenem Trinkergesicht im blond-gestromten Silberbart, trat den Kommenden aus einem nach hinten zum Büfett führenden Schmalgang entgegen und drückte beiden die Rechte …

»Mahlzeit, Herr Uhlig, Mahlzeit, Herr Stettner, Willkommen im neuen P. C.! Was ist ihnen angenehm? – Ober, bringen Sie den Herren zunächst einen Curacao! – Wird nicht gebont! – Kommt auf meine Rechnung!« rief er dem dienernd herbeigesprungenen Kellner zu.

Dann deutete er mit einer einladenden Handbewegung nach rückwärts …

»Ihr kommt aber ziemlich spät! Emil und Lene sitzen schon lange hinten. Setzt euch nur ruhig auch ran! Wir dreschen an meinem Stammtisch gerade unsern gemütlichen Pfennigskat!«

Werner haßte längst Emils sonderbaren Hang zur Intimität mit diesem Bierwirt.

Um aber heute nicht als Spielverderber zu gelten, bezwang er das in ihm aufsteigende unangenehme Gefühl der Widerwilligkeit und folgte gegen seine Gewohnheit der Weisung des Wirtes nach der kleinen Nische.

Auf dem runden Marmortische stand, alles überragend, ein Sektkübel, der von einer steilen Batterie schon geleerter Flaschen umstanden war.

Am Tisch sah man Emil mit seiner Lene und einem beiden Kommenden fremden, älteren Mann sitzen. Ein noch freier Stuhl mochte dem Cafétier selbst gehören, worauf die auf der Tischplatte mit dem Rücken nach oben liegenden Karten hindeuteten, die Friedrich Wilhelm Quittschreiber wohl eben aus der Hand gelegt hatte, um seinen jede halbe Stunde wiederkehrenden Rundgang durchs Lokal zwecks Begrüßung neu eingetroffener Gäste anzutreten.

Dr. Emil Uhlig schien von des Tages Last sehr stark ermüdet und hatte es sich inzwischen schon recht bequem gemacht. Sein fürs Examen vorgeschriebener Frack hing bügellos am Kleiderständer. Und Werner grüßte in ihm einen alten Bekannten, den er dem Vetter vor zwei Jahren als unmodern vererbt hatte. Daneben hatte auch der viel zu hohe Kragen mit dem schmalen, weißen Selbstbinder eine gute Ruh gefunden.

Matt saß der Geprüfte in Hemdsärmeln mit bloßem Hals allein auf dem niedrigen kleinen Wandsofa, das immerhin auch zwei Menschen hätte aufnehmen können. Ein Auge Emils war vor Müdigkeit geschlossen, während das andere nur durch das noch immer fest eingeklemmte Einglas offen gehalten wurde.

Mit den Karten in der Hand winkte er dem Vetter blöde lächelnd zu, der den Eindruck gewann, Emil schlafe hier wie ein Hase auch mit dem leblos offenen Auge.

Werner lenkte seinen Blick sodann auf Lene, die – wie er wußte – tagsüber im Kaufhaus des Westens die Pelzabteilung dirigierte …

Auch Udo Stettner-Herrlich bezeugte der jungen Dame sofort sein reges Interesse und erwog schon im stillen die aus seiner besonderen Freundlichkeit vielleicht zu ermöglichenden Einnahmequellen …

Doch ein großer Rembrandhut entzog ihr Antlitz noch beiden Beschauern. – Man sah nur die schwarze Samtform und einen vollen Busch weißer Hahnenfedern, der wie die Helmzier eines preußischen Generals für Paradetage anmutete. Erst, nachdem sich beide gesetzt hatten, gelang es ihnen, auch in das Gesicht des Mädchens zu schauen, das Stettner von Emil vorher als Fräulein Strupat vorgestellt worden war.

»Herr Klempnermeister Robert Boß,« vermittelte der eben zurückkehrende Dicke auch noch die Bekanntschaft mit dem unbekannten Dritten, der dazu bescheiden aufschnellte, um sich ungelenk zu verneigen …

Lene Strupats Gesichtsfarben glichen eben dem weißen Tischtuch, das Quittschreiber zur Feier des Tages über den Marmortisch hatte breiten lassen.

Denn eine solche Auszeichnung verpflichtete die Gäste sicher zu einer besonders hohen Zeche!

Lenes Haar erschien, soweit es unter dem Hut hervorquoll, tiefschwarz. Ebenso schwarze, mandelförmig geschlitzte Augen, eine kleine, mongolisch aufgeworfene Nase und ein großer, häßlich breiter Mund gaben ihr den Ausdruck gröbster Sinnlichkeit, der auch durch ihre üppige Gelbsternfigur keineswegs gemildert wurde.

»Gnädiges Fräulein langweilen sich wohl, wo die Herren nur immer spielen?« wurde Stettner gleich agressiv, was den dösenden Assessor etwas munter machte.

»I wo! Mein Emil hat mich schon ans Langweilen gewöhnt. Er spielt doch immer abends seinen Skat. Was soll ich dagegen tun?« antwortete das Kind aus dem Volke, das sich durch die verbindliche Anrede des Malers als Dame gewissermaßen geehrt fühlte. Da ihr aber weder Verstand noch Anmut zur vollen Ausfüllung der ihr zugedachten Würde erwuchsen, sprach sie nicht gern, um durch ihren Bildungsmangel nicht zu verlieren …

Aus diesem Grunde war sie auch am liebsten mit Emil allein. Denn da beide für überflüssiges Gerede weder Sinn noch Stoff hatten, fanden sie sich in jenem rein körperlichen Gefühle zueinander, das jede seelische Zwiesprache nur zu gern vermied. –

Udo Stettner fing Emils eifersüchtigen Blick wohl auf, wurde aber dadurch nur noch stärker gereizt. All seine nur niedrigen Instinkte drängten ihn zu einem Angriff gegen das derbe, gesunde, kräftige Mädchen. Und schon dachte er an den ersten Vorstoß. Er versuchte die Unterhaltung schlau unter den Tisch zu verlegen, indem er mit Lene zu fußeln begann. Aber damit hatte er bei der Betroffenen kein Glück; denn scheu entzog sie ihm diese immerhin ziemlich breite Angriffsfläche …

Udo ersann jedoch alsbald einen neuen Feldzugsplan! Inzwischen kam das Dreimännerspiel wieder in den gewohnten Gang.

Zwar wurde auch Werner vom Dicken wiederholt zum Mitspielen aufgefordert. Er begnügte sich jedoch charakterfest mit der Rolle des Kiebitz'.

Ruhig gab Quittschreiber seine Karten zu, die man ihm stumm paffend vorspielte.

Endlich raffte sich auch Emil wieder zu einem Satz auf, der nicht auf das Spiel Bezug hatte.

»Herr Boß hat mir bereits mehrere Mandate in Aussicht gestellt,« suchte er die Bekanntschaft bei dem Vetter verlegen zu entschuldigen, was Werner mit einem gut gemeinten »Na, da gratulier' ich!« quittierte.

Die unermüdliche Kapelle unterhielt ihn übrigens mit ihren feschen Operettenweisen vollkommen. Und nur ab und zu tat er einen flüchtigen Blick auf den Spieltisch, während Udo schnapsbenebelt mit seinem spitzen Zeigefinger den Takt zu den Klängen der Musik schlug …

Emil Uhlig hatte eben einen »Grand mit zweien« glänzend gewonnen und berechnete freudig das Resultat, den Betrag der ihm zufließenden Geldsumme. »Sechzig Pfonige pro Mann und Nase,« dekretierte er in albernem Stolze, um sofort das ihm von beiden Partnern in blanken Nickeln zugezahlte Geld fröhlich einzustreichen …

»Du, schenk mir mal einen Böhm – ach, ich mein' natürlich einen Groschen, Emil!« rief ihn Lenes schlesische Mundart aus seiner Seligkeit, »ich muß nämlich e mal rausgeh'n, uff de Toilette!« kicherte sie dazu.

Mit einem abgeschmackten »Bitte« warf er ihr das Geldstück herüber, worauf sich das Mädchen erhob und in flottem Kürassierschritt durch den Schmalgang verschwand.

Es war dies ein ihr nötig erscheinender Fluchtversuch vor Udo Stettners immer dringlicher werdenden Blicken …

»Apropos, Papa Stettner! Ham Se nu endlich det Plakat für mein neues Palast-Café fertig?« fragte der Bierwirt Udo jetzt plötzlich. »Bezahlt hab' ick es Ihnen doch schon, als Se mir vor vierzehn Tagen den Entwurf dazu vorlegten!«

Udo fuhr sich etwas verlegen durch seinen Bart … Kleinlaut beteuerte er dann: »Ich will's Ihnen in drei Tagen liefern! Ganz gewiß! Nee, da bin ich ein komischer Mensch drin! Ende der Woche wird's noch auf den Stein gezeichnet!"

»Da hast du aber einen Kardinalschnitzer gemacht, Dicker! Diesem Manne darf man nie im voraus Zahlung leisten! Mit dem macht man nur Zug um Zug-Geschäfte. Hier Ware – da 's Geld,« scherzte Emil voll juristischer Diktion drauf los, – was auch Werner ulkend bekräftigte.

»Wenn auch Monde vergehen, Jahre verstreichen,
Mit Vorschuß ist nichts bei ihm zu erreichen …«

improvisierte der und faßte Stettner dabei lustig an seinen Bart, was er sich mit grinsendem Behagen und frommer Lammesgeduld ruhig gefallen ließ.

Dann erst hob Udo lachend sein Glas.

»Lieber Herr Quittschreiber, seien Sie froh, daß Sie hier einen so netten, kleinen Kreis echter, guter Freunde um sich geschart haben! Was sollen Ihnen denn neue Gesichter? Neue Menschen, die im günstigsten Falle Unfrieden in Ihr gemütliches Lokal tragen? Seien Sie froh über uns, die Ihnen ganz gehören, und schenken Sie sich deshalb bloß das dammliche Plakat. So ein Plakat von mir würde wie ein Störenfried wirken. Sie sehen, ich rate Ihnen nur gut!« predigte er pastoral, während der Dicke ganz verwundert dazu große Augen machte und seinen blau belippten Mund verwundert aufsperrte. Nach einer Weile hatte er sich besonnen und entschlossen.

»Na, also jut! Denn rücken Se aber vor allem die dreißig Merker retour, die ick Ihnen uff Wunsch vorjeschossen hab' –. Wenn 'ck mir ooch fier ihre Filosofie nicht bejeistern kann. Neue Jesichter bringen nämlich neues Jeld. Sie verrickter Stiebel, wat Se sind! Und ohne Jeld is man een Schwein!« Quittschreiber muckte plötzlich derb auf. Aus Udos Augen blitzte es jedoch listig zurück.

»Da bin ich ein Oberschwein – ein Riesenschwein! Ich habe nie Geld! Nie! Lieber Quittschreiber, wir sind doch immerhin beide deutsche Männer. Ja! Deutsche Männer unterstützen einander – werden sich doch nicht wegen der läufigen paar Kröten in die Haare kriegen! Wie kleinliche Gewürzkrämer! Nee, so seh'n wir doch nicht aus? Kommen Sie her, Quittschreiber! Ich bin eine Künstlernatur! Jawoll! Ganz und gar! Da bin ich ein komischer Mensch drin! Prost! Woll'n Fiduz trinken! Ich und du! Friedrich Wilhelm Quittschreiber! Ich, Udo Stettner-Herrlich, bitte um deine Bruderschaft« –.

Dies Gesuch wurde von dem anderen mit dem Humor des Auchsäufers aufgenommen …

»Scheen, 's jut! Komm her, Bengel! Hab' ick doch wenigstens wat fier 't Jeld!« Der Dicke hatte sich erhoben, ergriff ein Glas, rankte seinen Arm in den Stettners, und beide Männer ließen den sauren Wein auf einen Schluck in ihre Kehlen rinnen.

Dann stellten sie – wie auf Kommando – die Gläser auf den Tisch und umarmten sich.

Der Anblick, wie die beiden Bärtigen sich spontan im kurzen Kusse berührten, bedeuteten für Werners Schaulust den Höhepunkt dieses bilderreichen Tages …

»Prost, Udo!« fauchte der Dicke dann und schüttelte des Malers breite Rechte.

»Prost, Fritze Willem!« lachte Stettner dazu und entfernte sich hierauf ganz unbefangen, während Emil schon zum zweiten Male ermahnend: »Dicker, du gibst Karten!« schrie.

Bald kam Quittschreiber dieser ungeduldigen Aufforderung nach, und Werner las währenddem zu eigener Ablehnung auf seinem aufgeschwemmten Antlitz … Er wollte wissen, wie sich die Welt in dem alkoholversetzten Kopfe dieses ›Trinkers aus Leidenschaft‹ wohl malen mochte –? Er wollte wissen! Aber ergründen ließ sich aus diesen gedunsenen Zügen nichts! Sie sprachen nichts.

Schon hatten die drei ihre erste allerletzte Runde gedroschen, und Herr Klempnermeister Boß schob dem Assessor ehrfurchtsvoll das Pasch Karten zu, als Lenes schwerer, sonst immer so ruhig-gleichmäßiger Tritt im beschleunigten Eiltempo hörbar wurde.

Nach wenigen Augenblicken erschien sie selbst mit hochgerötetem Gesicht und heftig atmend am Tische.

»Emil, hilf mir! – Ich bitte euch alle um Schutz! Dieser Stettner hat mir hinten vor der Toilettentür aufgelauert, wollte mich durchaus und durchum dazu verleiten, daß ich zu ihm rauf in sein Atelier komme. Aber dem Emil sollt' ich natürlich nischte davon sagen. Der Kerl ist gutt! Kissen wollt' er mich dazu ooch durchaus! I – diese wülstigen Lippen. Emil, was sagste nur zu so'nem Schweinskopp! Ein verheirateter Mann biet't mir a suwas an, su'ne Schweinerei verflischte!«

»Det brauchste dir nich jefallen zu jelassen! Du bist doch een anständiges Bürgermächen, wenn ooch allerdings mit 'n Hausschlissel!« fiel der Dicke hetzend ein und lachte dazu gewöhnlich in seiner überlauten Art …

Emil war sofort wütend aufgesprungen und fällte erregt folgendes Urteil: »Ich muß das als groben Vertrauensbruch bezeichnen, als Einbruch in ein umfriedetes Gehöft! Ja!« brachte er – sich mühsam beherrschend – heraus und dachte dabei immerhin feige an Stettners Fäuste. »Dicker, ich mahne dich an dein Amt eines Büttels!«

»Jawoll,« brummte Quittschreiber. »Da wird mir weiter nischt übrig bleiben –, muß meinen jüngsten Duzbruder am Schlawittchen packen und an die Luft spedieren! Wo steckt er denn?«

Faul und schwerfällig ermannte er sich dazu.

»Das hab'n Sie gar nicht mehr nötig, Herr Quittschreiber!« beruhigte ihn Lene. »Als er sah, daß mit mir äben ooch absolut nischte zu machen war, is er von alleene ausjerückt … Durchs ganze Lokal im Laufschritt."

»Gott sei Dank, sind wir das Ekel los!« atmete Emil ganz erleichtert auf, weil ihm jede Schlägerei ein Greuel war.

»Aber da hängt doch sein Malerhut! Dort steht auch noch sein Stock!« lachte Werner und wies mit den Fingern zum Kleiderständer.

Alles lachte im Durcheinander.

Wie von einem Alpdruck befreite dies Lachen sie alle.

Denn obwohl er stark und stämmig war, hatte selbst der Dicke von dramatischen Auftritten bisher keinerlei Vorteil für sein Lokal und seine Kasse gehabt. Auch haßte er das Eingreifen der Polizei. Feixend hob er jetzt Stettners Schlapphut und Spazierstock auf.

»Dreißig Merker wer'n sie woll beede zusammen nich wert sind? I wo!« grinste er.

»Vielleicht doch – ich meine später einmal, wenn er sich erst zur höchsten Unsterblichkeit heraufgehungert hat!« kicherte Werner …

»Der nie! So jar nich mal unbejabt. Nee, nee! So jar janz talentiert – aber total verschlammt, total verlumpt! Der nie!« Damit betrachtete der Dicke resigniert die beiden erbeuteten Trophäen.

»Versengeld hat er wenigstens gezahlt! Und wir sind ihn vielleicht auf einen Monat los!« beruhigte Emil spitzfindig seine verletzte Eitelkeit und setzte sich wieder an den Tisch, um mit dem so wiedergefundenen seelischen Gleichgewicht die Karten für die wirklich allerletzte Runde zu mischen. Denn auch der kindhafte Spielbetrieb gehörte zu seiner persönlichen Erbschaft vom Vater Adam.


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