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Fetischismus und Hörigkeit

Sacher Masoch hat einen der stärksten Fetische des Hörigen erwähnt: den Pelz. Die nackte Frau im Pelz ist für den Masochisten der höchste Begriff des herrischen, fordernden, befehlenden Weibes. »Der Kleidungsgeschmack des Metatropisten«, sagt Hirschfeld, »ist ganz vom fetischistischen Symbolismus abhängig. Als den eigentlichen Fetisch des Masochisten bezeichnet Krafft-Ebing den Schuh. Ich lasse es dahingestellt, ob sämtliche Schuh- und Stiefelfetischisten, von denen es unter den Männern eine recht beträchtliche Anzahl gibt, metatropisch sind, die Mehrzahl ist es sicherlich. Sie verbinden die Vorstellung des bekleideten Fußes mit dem Gedanken eines strammen Auftretens des Weibes oder auch des eigenen Getretenwerdens. Unter den Utensilien gewerbsmäßiger Spezialistinnen auf diesem Gebiet fehlen selten die bis an die Waden reichenden Knöpfstiefel mit hohen Absätzen, ebenso wie die bis an den Ellbogen gehenden Glacéhandschuhe. Ein Metatropist schreibt: »Die behandschuhte Hand, trotzdem sie gleich dem Fuße kleiner und zierlicher ist als die des Mannes, schwingt kraftvoll die Peitsche über dem Sklaven, dessen höchstes Glück darin besteht, nach oder schon während der Züchtigung das Schuhwerk der Herrin zu küssen.«

Ein anderes Kleidungsstück, das auf fast alle Metatropisten einen tiefen Eindruck macht, ist wie gesagt, der Pelz. Mit ihm verbindet sich auf der einen Seite im Unterbewußtsein die Vorstellung majestätischer Vornehmheit, auf der andern Seite der Gedanke an wilde Bestien, mit deren schönem Fell sich nun die grausame Gebieterin schmückt. Aber nicht nur die Stoffe, die Tieren abgezogen sind, Leder und Pelz, liebt der Metatropist, auch die rauschende Seide, der weiche Samt und kostbare Spitzen ziehen ihn an. Als Symbol von Reichtum, Eleganz und Macht. Ähnlich ist es mit kostbarem Schmuck. Doch gibt es auch Metatropisten, die gerade einfache, einfarbige, schmucklose, enganliegende Kleider mit hohem Stehkragen lieben, weil sie in ihren Augen etwas Feierliches, Gediegenes, Strenges und Ernstes verkörpern, und selbst solche Masochisten habe ich kennengelernt, die Frauen in liederlichen, »schlampigen«, unmodernen, geschmacklosen oder schlecht sitzenden Anzügen den Vorzug geben. Sie fühlen sich erst recht dadurch gedemütigt, wenn sie als gebildete Männer, vornehm gekleidet vom Scheitel bis zur Sohle, vor solchen vernachlässigten, schmutzigen »Vetteln« im Staube liegen. Viele Metatropisten haben auch eine Vorliebe für männlich gekleidete Frauen. Es gibt manche, denen die Kriegszeit trotz aller Entbehrungen und Gefahren lieb geworden ist, weil sie ihnen als Augenweide die Massenerscheinung der Frau in der Hose gebracht hat.

Bordellszene
L. Legrand

Es gibt aber noch eine Menge anderer Gegenstände, die den Masochisten zu fetischistischer Verehrung drängen. Der Wäschefetischist ist eine sehr bekannte Erscheinung. Er hat seine Spezialitäten, auf die es ihm ankommt. Manche Masochisten lieben Strümpfe, andere ganz sinnlose Gegenstände, die irgendwie mit der Frau in Berührung stehen. Die Geruchfetischisten mögen hier nur erwähnt werden. Der Drang, die ekelerregendsten Gegenstände zu beriechen, die die Vereinigung mit dem Weibe vortäuschen, kennt keine Grenzen.

Der Zopfabschneider ist bekannt. Der Bubikopf hat ihn aus der Mode gebracht.

 

Auch Krafft-Ebing führt einen interessanten Fall von ausgesprochener masochistischer Hörigkeit an, ein Selbstgeständnis, das einen äußerst interessanten Einblick in das Seelenleben der Masochisten gestattet. Dieser Masochist war aber Vorstellungsmasochist, dessen Triebe durch mangelnde Gelegenheit an einer Entfaltung zurückgehalten wurden. Sein Triebleben ist aber durchaus dem eines masochistischen Aktiven, resp. Passiven gleich.

Er war 35 Jahre alt, geistig und körperlich normal. In den weitesten Kreisen seiner Verwandten – in gerader wie in der Seitenlinie – war kein Fall von psychischer Störung bekannt. Der Vater, der bei Geburt des Sohnes 30 Jahre alt war, hatte, so viel bekannt wurde, eine Vorliebe für üppige und große Frauengestalten.

Schon in früher Kindheit schwelgte der Masochist in Vorstellungen, die eine absolute Herrschaft eines Menschen über den andern zum Inhalt hatten. Der Gedanke an die Sklaverei hatte für ihn etwas höchst Aufregendes, und zwar gleich stark vom Standpunkt des Herrn wie von dem des Dieners aus. Daß ein Mensch den andern besitzen, verkaufen, prügeln könne, regte ihn ungemein auf, und bei der Lektüre von » Onkel Toms Hütte« (welches Werk er etwa zur Zeit der eintretenden Pubertät las), hatte er Erektionen. Besonders aufregend war für ihn der Gedanke, daß ein Mensch vor einen Wagen gespannt würde, in welchem ein anderer, mit einer Peitsche versehener Mensch saß und den ersteren lenkte und durch Schläge antrieb. (Also zunächst unbewußter Sadismus!)

Bis zum 20. Lebensjahr waren diese Vorstellungen rein objektiv und geschlechtslos, d. h. der in der Vorstellung entstandene Unterworfene war ein Dritter (also nicht der Erzähler selbst), auch war der Herrscher nicht notwendig ein Weib.

Diese Vorstellungen waren daher auch ohne Einfluß auf den geschlechtlichen Trieb, beziehungsweise auf die Ausübung. Wenngleich durch solche Vorstellungen Erektionen eintraten, so hat der Erzähler in seinem Leben doch nie onaniert, auch koitiert er von seinem 19. Lebensjahr an ohne Beihilfe der erwähnten Vorstellungen und ohne jede Beziehung auf diese. Immerhin hatte er eine große Vorliebe für ältere, üppige und große Frauenspersonen, wenngleich er auch jüngere nicht verschmähte. (Diese Vorliebe für üppige Frauen, die an sich selbstverständlich nichts Unnormales an sich hat, kehrt bei fast allen Masochisten wieder.)

Die Diva
›Screenland‹

Vom 21. Jahr ab fingen die Vorstellungen an, sich zu objektivieren, und als Essentuale trat hinzu, daß die »Herrin« eine über 40 Jahre alte, große starke Person sein mußte. Von jetzt an war der Masochist – in seinen Vorstellungen – der Unterworfene. Die »Herrin« war ein rohes Weib, das ihn in jeder Beziehung, auch geschlechtlich, ausnützte, die ihn vor ihren Wagen spannte und sich von ihm spazieren fahren ließ, der er folgen mußte wie ein Hund, der er nackt zu Füßen liegen mußte, von der er geprügelt, beziehungsweise gepeitscht wurde. Das war das feststehende Gerippe seiner Vorstellungen, um welche sich alle andern gruppierten.

Er fand in diesen Vorstellungen unendliches Behagen, welches Erektion, niemals aber Ejakulation verursachte. Infolge der entstandenen geschlechtlichen Aufregung suchte er sich dann irgendein Weib, mit Vorliebe ein äußerlich seinem Ideal entsprechendes, und koitierte mit demselben ohne irgendwelches reale Beiwerk, zuweilen auch ohne beim Koitus von den obigen Vorstellungen befangen zu sein. Daneben hatte er jedoch auch Neigung zu anders gearteten Weibern und koitierte auch, ohne durch masochistische Vorstellungen gezwungen zu sein.

Obgleich der Berichterstatter nach alledem ein in geschlechtlicher Beziehung ziemlich normales Leben führte, traten doch die erwähnten Vorstellungen periodisch mit Sicherheit ein, blieben sich im wesentlichen auch stets gleich. Mit zunehmendem Geschlechtstrieb wurden die Zwischenräume immer geringer. Schließlich meldeten sich die Vorstellungen etwa alle 14 Tage bis drei Wochen. Durch vorherigen Geschlechtsverkehr konnte vielleicht dem Eintritt dieser Vorstellungen vorgebeugt werden. Der Versuch wurde aber niemals gemacht, auch nicht der, die sehr bestimmt und charakteristisch auftretenden Vorstellungen zu realisieren, d. h. sie mit der Außenwelt in Verbindung zu bringen. Stets begnügte sich der Berichterstatter mit Schwelgereien in Gedanken, weil er von der Überzeugung fest durchdrungen war, daß sich eine Realisierung seiner »Ideale« niemals auch nur annähernd würde herbeiführen lassen. Der Gedanke an eine Komödie mit bezahlten Dirnen erschien ihm lächerlich und zwecklos, denn eine von ihm bezahlte Person konnte in seiner Vorstellung niemals die Stelle einer »grausamen Herrin« einnehmen.

Trotz alledem: Wenn es dem Berichterstatter sogar passiert wäre, in die Sklaverei einer Messalina zu gelangen, so würde er, nach seiner Ansicht, bei den sonstigen Entbehrungen jenes von ihm erstrebten Lebens sehr bald überdrüssig geworden sein, und in den ucidis intervallis seine Freiheit unter allen Umständen erkämpft haben.

Der Masochist

Dennoch hat er ein Mittel gefunden, in gewissem Sinne eine Realisierung herbeizuführen. Nachdem durch vorangegangene Schwelgereien sein Geschlechtstrieb stark angeregt war, ging er zu einer Prostituierten und stellte sich dort irgendeine Geschichte des vorerwähnten Inhalts, in welcher er die Hauptperson bilde, innerlich lebhaft vor. Nach etwa halbstündiger, unter stetiger Erektion erfolgender innerer Ausmalung solcher Situationen gab er sich sodann mit gesteigertem Lustgefühl unter starker Ejakulation dem Verkehr hin. Nach dem war der Spuk verschwunden. Beschämt entfernte er sich sobald als möglich und vermied, auf das Vorangegangene zurückzukommen. Sodann hatte er etwa 14 Tage lang keine Vorstellungen mehr. Bei besonders befriedigendem Verkehr kam es sogar vor, daß er bis zum nächsten Anfall gar kein Verständnis für masochistische Situationen hatte!

Der nächste Anfall kam aber sicher früher oder später. Der Erzähler gab zu, daß er auch, ohne durch solche Vorstellungen präpariert zu sein, sich insbesonders auch mit solchen weiblichen Wesen einließ, die ihn und seine bürgerliche Stellung genau kannten, in deren Gegenwart er dann solche Vorstellungen vermied, ja verabscheute. In solchen Fällen war er jedoch nicht immer potent, während die Potenz unter dem Banne masochistischer Vorstellungen eine unbedingte war. Daß er in seinem übrigen Denken und Fühlen sehr ästhetisch veranlagt war und die Mißhandlung eines Menschen an sich im höchsten Grade verachtete, erscheint seltsam.

Auch die Form der Anrede war für ihn von Bedeutung. In seinen Vorstellungen mußte ihn die »Herrin« mit »Du« anreden, während er sie zwangsläufig mit »Sie« ansprach. Dieser Umstand des Gedutztwerdens von einer dazu geeigneten Person, als Ausdruck der absoluten Herrschaft, hat in ihm von früher Jugend an schon Wollustgefühle erregt.

Der Berichterstatter hat eine Frau gefunden, die ihm in allen Punkten, auch in geschlechtlicher Beziehung, durchaus zusagte, obwohl sie in keiner Weise masochistischen Idealen ähnelte.

Sie war sanftmütig, jedoch üppig, ohne welche Eigenschaft sich der Ehemann keinen geschlechtlichen Reiz vorstellen konnte!

Die ersten Monate der Ehe verliefen normal, die masochistischen Anfälle blieben gänzlich aus, er hatte beinahe das Verständnis für den Masochismus verloren. Da kam das erste Kindbett und hiermit die notwendige Abstinenz. Pünktlich stellten sich mit eintretender Libido die masochistischen Anwandlungen wieder ein, die mit unabweisbarer Notwendigkeit einen außerehelichen Koitus herbeiführten – trotz aufrichtiger großer Liebe zu der angetrauten Frau. –

 

Krafft-Ebing ist der Ansicht, daß die Zahl der Masochisten, besonders in großen Städten, eine sehr große ist. Leider gibt es als Quelle für solche Forschungen fast nur die Aussagen der Prostituierten. Tatsache ist, daß jede erfahrene Dirne irgendein zur Flagellation geeignetes Instrument besitzt. Aber man darf nicht vergessen, daß Männer, die sich zur Erhöhung ihrer Geschlechtslust geißeln lassen, nicht immer masochistisch veranlagt sein müssen – im Sinne der Wissenschaft. Im Prinzip gehören sie natürlich alle dem Heere der Masochisten an, die Mißhandlung als Wollust empfinden. Reinste Masochisten sind die Männer, die »Sklaven« spielen, die sich schimpfen, treten und schlagen lassen und vor allem leidenschaftlich verlangen, gedemütigt zu werden.

Liebeswerben
Munch

Der oben geschilderte Masochist bekannte übrigens, »daß der Masochismus trotz seines stark pathologischen Charakters nicht nur nicht imstande sei, ihm den Genuß des Lebens zu vereiteln, sondern überhaupt auch nicht im geringsten in sein äußeres Leben eingreift.«

Im normalen Zustand ist der Masochist im Fühlen und Handeln ein Mensch der Masse. Während der masochistischen Anwandlungen tritt zwar in seinem Gefühlsleben eine große Revolution ein, aber seine äußere Lebensweise erleidet davon keine Änderung. Sein Beruf verlangt, daß er sich viel in der Öffentlichkeit bewegt, er übt ihn im masochistischen Zustand ebenso aus wie im normalen.

Der Verfasser dieser Aufzeichnungen schließt mit der Ansicht, Masochismus sei unter allen Umständen angeboren und nicht individuell gezüchtet.

Er betont, daß seine masochistischen Vorstellungen bereits vorhanden waren, ehe noch die Libido erwacht war.

Er schließt daraus, daß seine sexuellen Empfindungen auch keineswegs etwa durch Schläge in der Jugend usw. entstanden sein können.

Aber der Verfasser dieser Geständnisse befindet sich doch im Irrtum, wenn er meint, masochistische Gefühle müßten angeboren sein, weil er sie bereits gekannt hätte, ehe die Libido zur Entwicklung gelangt ist.

Die neuere Forschung auf diesem immer noch etwas dunklen Gebiet weiß, daß Kinder, deren Libido noch schlummert, bereits sehr starke masochistische oder sadistische Neigungen zeigen, ja, man kann sagen, Kinder sind in dieser Beziehung die dankbarsten Objekte für das Studium.

Jedermann kann beobachten, wenn er das Gefühlsleben drei, vier und fünfjähriger Kinder sorgsam beobachtet, wie ausgeprägt gerade in diesem Alter Eigenschaften sind, die man bei den Erwachsenen als Masochismus oder Sadismus zu bezeichnen pflegt.

So stellen sich Kinder mit Vorliebe Quälszenen vor oder solche, in denen sie selbst gequält werden. Freilich soll zugegeben werden, daß solche Vorstellungen bei erwachtem Geschlechtstrieb ganz besonders hervortreten, bei vielen Kindern überhaupt erst mit dem Geschlechtstrieb zu beobachten sind.

Aber über die Zeit, wann der Geschlechtstrieb bei Kindern erwacht, geben wir uns vielfach ganz falschen Vorstellungen hin. Es ist sicher, daß die Libido sich schon bei sehr kleinen Kindern regt, ohne von diesen Kindern selbst begriffen zu werden.

Nun kommt aber das merkwürdige: sehr häufig tritt in der Zeit der Pubertät eine Spaltung dieser Gefühle ein. Das heißt: Kinder, die in sadistischen Vorstellungen geschwelgt haben, werden masochistisch veranlagt und umgekehrt. Bei der Mehrzahl der jugendlichen Menschen verschwinden aber die jugendlichen Phantasien überhaupt und machen dann einem normalen Geschlechtsbewußtsein Platz.

Es ist also nicht wahrscheinlich, daß masochistische Neigungen angeboren sind. Das Gegenteil ist wahrscheinlich. Dafür spricht ja auch, daß viele Masochisten ihre abwegigen Neigungen auf Jugenderlebnisse zurückführen, unter denen Geprügeltwerden keine geringe Rolle spielt.


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