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Lachender Eros

Herr Lehmann wendet den Kopf zur Tür. Wittert wie ein Hühnerhund mit emporgezogenen Gichtbeinen. Herr Huber unterbricht sich mitten im Satz. Der Herr auf dem Sopha hüstelt nicht mehr. Der Choleriker wirft seine Zeitungen mit zerstreuten Bewegungen durcheinander und dreht den kleinen Kopf mit steifer Bewegung nach hinten.

Eine Dame erscheint!

Eine junge Dame. Dame oder Nicht-Dame! Egal!

Sie ist reizend!

Ein Bubikopf in sattem Blond, blaue spöttische Augen, ein Mündchen rot wie ein Rosenblatt, Kniee, die sich sanft und süß unter zitternder Seide bewegen, kraftvolle Waden, wie man ahnt, blonde Schuhe, klein, zierlich, ein kostbarer Pelz und eine Atmosphäre von bestimmungsloser Zärtlichkeit.

Venus von Urbino
Tiziano Vecelli, Uffizien, Florenz

Sie sagt: »Guten Tag!« und lächelt ...

Die Herren sind in Ekstase. Sie schauen plötzlich mit jener Würde und Feierlichkeit auf die Dame, die Männer zur Schau tragen, wenn sie über ihre Gedanken erröten. Dies ist die Klientin des Herrn Rechtsanwalts Dr. F., die jedes Wartezimmer mit Duft und Wohlgefallen erfüllt und immer das gleiche Anliegen hat:

Sie läßt sich scheiden!

Oh, es kommen auch andere Frauen! Kleopatras, die Perlen verschlucken, die nicht ihre eigenen sind. Messalinen, die die ungalante Polizei durchaus in ihrem Register haben will. Kompromittierte, Exmittierte, Manirierte. Von den Schauspielerinnen, die nicht die Rolle bekommen haben, die der Theatergewaltige ihnen in einem verhängnisvollen Augenblick versprochen hat, zu schweigen. Hysterikerinnen, die sich auf atemloser Flucht vor Attacken befinden, die unermüdliche Männer gegen ihre Ehe vorbereiten. Rachgierige, Sitzengebliebene, die wie Erinnyen ihr Opfer verfolgen. Indiskrete, die eine Vaterschaft zu vergeben haben, solche, die für ein Schäferstündchen auch ihr Schäfchen scheren wollen – sie alle füllen das Sprechzimmer des Anwalts, erzählen ihm unter leidenschaftlichen Atemzügen ihre Geschichte, dazwischen schnelle, feurige Blicke auf den Mann werfend, dem sie sich mit offenem Herzen nähern.

Aber betrachten wir die Frau, die »sich scheiden lassen will«. Sie ist angemeldet. Sie hat den Vortritt vor den andern, die, berauscht von solcher Weiblichkeit, zu protestieren vergessen.

Sie tritt ein.

Der verbindliche Rechtsanwalt weist auf den geschnitzten byzantinischen Stuhl.

»Gnädige haben sich heute dringend angemeldet!«

»Ja, Herr Doktor! Ich bin eine mißhandelte Frau!«

Sie überreicht dem Anwalt eine Karte.

»Generaldirektor Alfred Viktor Seemann, Berlin.«

Er macht eine höfliche Verneigung. Mustert über die Karte weg noch einmal blitzschnell und sachverständig die Frau. Sein Blick haftet an den runden Knien. Der Rock hat sich weit nach oben verschoben, trotzdem wieder lange Röcke getragen werden. Ein zarter, aprikosenfarbener Fleischsaum leuchtet, wie ein goldener Abend im Paradies geleuchtet haben mag.

Die Augen des Anwalts glänzen. Frau Generaldirektor Seemann schlägt die veilchenfarbenen Augen zu dem Anwalt auf und sagt:

»Darf ich beichten?«

Anbetung der Geliebten
E. v. Koux

»Sie sollen, gnädige Frau! Sie sollen –«

Ihre schmale Fessel trägt ein zierliches Füßchen. Der Ansatz ihres raffinierten Schuhes zieht Konturen auf dem Teppich nach, die Schuhspitze wippt wie eine züngelnde Zunge unruhig hin und her.

»Mein Gatte betrügt mich. Er gibt mir zu wenig zum Leben. Und er ist pervers! Per–vers, Herr Doktor!«

Sie stößt einen Seufzer aus, die hellen Kinderaugen auf den Anwalt gerichtet, daß er die ganze Schwüle dieser verbrecherischen Erotik des Ehemanns über sich zusammenschlagen fühlt wie eine schwefelgesättigte Flamme.

»Darf ich wissen, inwiefern – ich will natürlich nicht indiskret sein. Aber wenn ich eine Scheidung –«

Ach, Frau Generaldirektor hat nur auf die Aufforderung gewartet. Wozu geht man zu einem Anwalt? Zu einem Anwalt mit scharfen, klugen Augen? Um ihm das Herz zu öffnen!

Frau Seemann öffnet das ihre. Es sei glühend heiß hier, sagt sie in der Ekstase des Beichtens, wirft den Mantel wie eine Wurstpelle ab und schweigt unter verhaltenen Tränen, während ihre kleinen Brüste aufgeregt in der Gefangenschaft des Seidenkleides auf und nieder springen.

»Ja, er ist pervers. Ich kann diese Hölle nicht länger ertragen, Herr Rechtsanwalt! Ich will geschieden werden, sofort! Schon in meiner Hochzeitsnacht – aber Sie sind ein Mann – Sie werden kaum verstehen – ich habe niemals wahr und tief geliebt – lieben können – er wirft mir Frigidität vor – ein Schimpf, Herr Rechtsanwalt, gegen den ich jeden Beweis – welche menschliche Vereinbarung, welches Gesetz schreibt vor, daß ich seine exaltierten Instinkte – wie soll ich es Ihnen sagen – er ist anormal, Herr Rechtsanwalt – ich bin geschändet – er verlangt zum Beispiel –«

Sie schließt die Augen. Sie scheint auf irgendeinem unsichtbaren Fahrzeug zu entschweben – so erzählt sie – Eros führt vor dem Rechtsanwalt einen wollüstigen Tanz auf. Sie unterstreicht ihre Beichte durch Gesten. Ihre Beine zittern. Ihr Körper zuckt in dem byzantinischen Sessel. Ihr Leib dehnt sich dem Zuhörer entgegen wie eine reife Frucht. – Sie erzählt noch immer, sie entzündet ihre Phantasie an den Geschichten und Histörchen. Es ist so schön, ungestraft und unter dem Schutze der Konvention und Sitte einem Menschen solche Schauergeschichten zu erzählen, die die Haut erkalten läßt und elektrische Wellen von Körper zu Körper sendet. Und dann öffnet sie plötzlich ihre veilchenfarbenen Augen und schleudert das Lasso ihrer Begehrlichkeit ihrem Gegenüber um die Sinne. Eine Wolke von Parfüm senkt sich auf den jungen Anwalt, der das deutsche Strafgesetzbuch zwischen Daumen und Zeigefinger jongliert.

»Haben Sie sonst noch einen Scheidungsgrund?«

»Noch einen, Herr Rechtsanwalt! Muß ich mir gefallen lassen, daß mein Gatte an mir Fuch's Sittengeschichte praktisch erprobt? Bin ich verpflichtet, die Stellungen des Aretino nachzuahmen?«

Die ›Jungfrau von Orléans‹
Illustration zu »Pucelle« von Voltaire

»Sie sind nicht dazu verpflichtet, gnädige Frau,« antwortet der Anwalt, während er über die Stellungen des Aretino nachdenkt. »Sie konnten natürlich Ihre Mitwirkung verweigern.«

»Aber ich mußte das doch erst kennen lernen! Ich war doch vorher unschuldig!«

»Zugegeben, gnädige Frau, so läßt sich doch nicht ohne weiteres –«

»Aber er hintergeht mich! Er betrügt mich! Er lehrt andere Frauen – denken Sie nach, Herr Rechtsanwalt, welches Unheil so ein Mann – hundertmal hat er mich schon hintergangen!«

Die getuschten Japan-Augen schimmern feucht. Sie sendet wie die Sonne durch Regenschleier ein glühendes Lächeln aus ihrem Tränenjammer heraus gegen den Anwalt.

»Gnädige Frau – ich glaube alles! Aber haben Sie Beweise? Nur bei nachweisbarem Ehebruch – Bei welcher Gelegenheit haben Sie Ihren Gatten überführt?«

»Ich überführt? Sie werden ihn in flagranti –«

Sie hebt witternd den Kopf. Ihre blauen Augen. Ihr süßes Lächeln blüht wie eine Himbeere.

»Wenn Ihr Gatte einverstanden ist, dann brauchen wir uns ja nur nach einer Zeugin umzusehen, die bereit ist, den Ehebruch auf sich zu nehmen!« sagt er und steht auf. Seine Stirn glänzt in zarten Schweißperlen.

»Und wenn er nicht will?«

»Dann veranlassen Sie Ihren Herrn Gemahl, vielleicht einmal bei mir vorzusprechen. Läßt sich denn nicht im Vergleichswege – haben Sie getrennte Schlafzimmer?«

Man hört einen Kanarienvogel balzen.

Die junge Frau spitzt den Zeigefinger gegen die Rosenblätter unter der ein wenig nach oben geglockten Nase.

»Nein! Wenn ich allein schlafe, bekomme ich Zustände.«

»Hm. Wie soll das aber werden, wenn Sie in Scheidung liegen? Oder geschieden sind?«

Die schöne Frau mit dem Pagenkopf ist an der Tür. Vibrierend fühlt der Anwalt, wie ihre Hand sich auf die seine, die die Türklinke hält, niederläßt gleich einem warmen, zärtlichen Vogel.

»Ich werde dann nicht allein schlafen, Herr Rechtsanwalt, das wäre mein Tod!«

»La vie parisienne«

Noch einmal taucht sein Blick in die himmelblauen Wasser ihrer sanften Kinderaugen, sie wirft einige Löckchen aus der Stirn und hebt die Lippen wie ein dürstendes Brünnlein fast zu den seinen empor – dann nickt sie hoheitsvoll und geht hinaus. – Eine Wolke von Erotik gleitet hinter ihr her und läßt ein Klingen in dem Anwaltzimmer zurück, hinterläßt es in dem Wartezimmer, in dem einem dieser Männer der Verstand in ganz andere Organe gleitet. Sie geht, als ob hundert Glöckchen weidender Schafe zusammenklängen.

Das ist die moderne Frau.

Im Café, beim Anwalt, sogar in der Christian science.

Machen wir uns nichts vor: Sie kennt nur hörige Männer, lernt sie, ausnahmsweise, einen nicht hörigen Mann kennen, so verliebt sie sich entweder sterblich, fürs Leben, in ihn – oder sie geht zum Staatsanwalt und sagt, sie sei vergewaltigt worden.

Ein ganz besonders typischer Fall von Idealhörigkeit war die Affäre der Frau von Schoenebeck in Allenstein Anfang dieses Jahrhunderts.


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