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Zirkus und Ballett

Die größte Tragödie der Hörigkeit – meist des Mannes – sah der Zirkus. Diese Welt des Glanzes, des Flimmers, erfüllt von Pferdegeruch und Fleischdunst, diese Muskelschau und Todesahnen neben verführerischem

Liebe in der Unterwelt
Paramount

Frauenlächeln – diese Welt ist die Triebwelt der Liebe und der wildesten Zärtlichkeit. Sie ist die Heimat der Amazonen.

Unvergeßlich wird in der Zirkusgeschichte das Leben und Sterben, der glänzende Aufstieg und das traurige Ende jener schönen Schulreiterin Rahden bleiben, die eigentlich an der Hörigkeit der Männer, die sich an sie hefteten, und die wetteiferten, sich für sie zu opfern, zugrunde ging. Schulreiterin. Eine Gloriole umschwebt die Frau auf dem edlen Pferd, die Reiterin auf dem vollendet dressierten Tier. Tausende von Zirkusreiterinnen sind Gräfinnen und Fürstinnen geworden. Der Herzog in Bayern hat seinerzeit nicht geringen Skandal entfesselt, als er eine Schulreiterin zur morganatischen Gattin nahm. –

Eine bildschöne Reiterin – Breslauerin – heiratete einen Herrn von Rahden, blieb aber dem Zirkus treu. Die Folge:

Eine Kette von Eifersuchtsszenen von Seiten des Gatten, bis er eines Tages in Nizza während der Zirkusvorstellung den dänischen Kammerjunker v. Gastenskjöld niederschoß. Dieser Edle hatte sich in die verführerische Amazone maßlos verliebt, obwohl er wußte, daß sie längst die Gattin des Herrn von Rahden war. Um ihr nahe zu sein, war der völlig Hörige – Reitknecht geworden. Welche Wonne, wenn allabendlich ihr schmaler Fuß auf seine Hand trat, wenn er sie in den Sattel heben durfte, wenn eine Sekunde der Duft ihres Körpers über ihn flutete. Ein Kammerherr als Zirkusreitknecht – aus Liebe!

Er zahlte seine Hörigkeit mit dem Leben, denn Rahden, wie erwähnt, jagte ihm eine Kugel in die Brust in dem Augenblick, als der Trunkene, Fiebernde den Fuß seines Idols in Händen hielt. Baron von Rahden wurde freigesprochen. Man hielt ihn – im Augenblick der Tat – nicht für normal, und im übrigen spielte der Prozeß ja in Frankreich.

Aber damit nicht genug: Das Leben und Auftreten dieser Frau war von nun an von Revolverschüssen begleitet. Wer immer sich ihr näherte, welcher Mann die Augen nur demütig zu der bezaubernden Amazone aufschlug, der bekam eine Kugel – zum Glück für den wahnsinnigen Gatten war keine mehr tödlich. Der Ruhm der Amazone stieg ins Märchenhafte. Die Folies-Bergères boten ihr einen märchenhaften Kontrakt – nur damit die Pariser diese Frau sehen konnten, um die Männer sich anschossen und wie die Barbaren sich bekämpften. Sie trat auf einem Schimmel auf, stürzte unglücklich, fühlte ein Unwohlsein und war am nächsten Morgen – blind. Das strahlende Licht ihrer Augen war für immer erloschen. Der Baron verließ sie, alle verließen sie, und das Ende war bitterste Armut.

Tausende solcher Hörigkeitsgeschichten gibt es. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts war es das Ballett, das die Männer um den Verstand brachte. Wie manche schöne Ballettratte wurde Herzogin – wie viele gingen nach einem Leben des Luxus unter.

Ein Mann, der eine große Zukunft vor sich hatte, ein Artist »von Gottes Gnaden« – nennen wir ihn Charles, einfach Charles, ging an einer kleinen Choristin zugrunde, die er zur Trapezkünstlerin ausgebildet hatte. Der Verfasser dieses Buches hat ihn persönlich gekannt und kennt auch seine Geschichte. Charles sah die kleine Tilly tanzen und liebte sie. Warum?

Die Sirene
A. Frank

Warum gerade sie – dieses magere, knabenhafte Geschöpf? Ihres Mundes wegen, der Laster und Süße barg? Ihrer Augen wegen, die verschleiert und gnadenlos waren? Wer weiß es?

Er nahm sie zu sich, sie wurde seine Partnerin am Drahtseil, aber er nahm sie nicht zur Geliebten.

Es war Charles unmöglich, Tilly zu berühren. Dieser Artist, der seine kranke Sehnsucht zwischen Heiligenbildern und Legenden von Correggio, Fra Bartolomeo und Schwind, zwischen weichen, schimmernden und wollüstigen Stoffen und den Farben-Chansons Fragonards vergrub, liebte zum erstenmal und da, der innersten Natur seiner Gauklerseele entsprechend, eine Heilige. (Und doch war Tilly eine Dirne!) Es war ihm gleichgültig, wie Tilly war, wie sie sich gab, und ob man ihn verlachte. Er, der auf seinen Wanderungen Rousseau und Goethe, Verlaine und sogar Tibull mit sich schleppte, war zu klug, um sich nicht über Tillys weiteres Leben im klaren zu sein, um nicht zu befürchten, daß sie, erst einmal Weib, ihm verloren war.

Aber es war ein Bedürfnis seines Lebens und seiner Kunst, zu entsagen, wo andere genossen, so, wie er leiden mußte, um zu leben.

Eines Tages fand er einen Brillantring in ihrem Besitz und den Liebesbrief – eines Andern.

»Gib mir den Brief des Kavaliers,« sagte er außer Fassung.

»Nein,« schrie sie und stieß ihn zurück.

Sie sah sekundenlang im Schimmer des Mondlichts, das in breitem Strome durch das geöffnete Fenster flutete, seine blutgeränderten Augen und den heißen Mund, auf dem die Gier brannte. Sie warf sich von neuem gegen ihn, verzweifelt, als müßte sie um ihr Leben ringen, aber stumm, ohne Hilfe zu rufen oder einen Laut von sich zu geben, von allen ihren Kräften Gebrauch machend.

So taumelten sie beide gegen das Fenster. Tilly hatte einen Moment das Bewußtsein des Frühlings, der Kastanien, die in Blüte standen. Die grünen Wipfel neigten sich in einer leichten Zugluft. Ihr Widerstand erlahmte.

Sie fühlte sich in die Höhe gehoben und schwebte über einer dunklen Tiefe, die ihre trügerischen Samtpfoten nach ihr ausstreckte.

Charles' magere, zuckende Hände krallten sich ins Leere der Nacht. Er sah einen weißen Ball in der Finsternis verschwinden.

Er hatte Tilly in die Tiefe geschleudert. Ermordet ...

Ein anderer Mann, der an einem künstlerisch verklärten Weibe zugrunde ging, war der Berliner Kunsthändler Cassirer.

»Eine Tür fiel ins Schloß« – schrieb die Durieux ...


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