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Der Fall Grosavescu

Eine ähnliche Erscheinung, die für die Wahrheit dieser Sentenz mit ihrem Leben gezeugt hat, war der Opernsänger Grosavescu. Seine Frau, Nelly Grosavescu, stand 1927 vor den Wiener Geschworenen und wurde zum Erstaunen der Mehrheit des Volkes vom Gattenmord freigesprochen. Der Hergang war sehr einfach: ein ehelicher Streit, sie griff nach dem Revolver, ein Schuß – und der Mann war tot.

Die Frau wird verhaftet und gesteht. Ihre Entschuldigung?

»Er war brutal – er hat mich maßlos geschlagen und gequält ...«

Die einsetzende Untersuchung kann diese Behauptung nicht völlig entkräften. Aber ganz neue Momente kommen hinzu, die diese Mörderin als eine schwere Hysterikerin entlarven, als ein Weib von männlichem Einschlag.

Das Interesse wendet sich langsam von dem Ermordeten ab, der hörig war, ja, dessen Hörigkeit so vollkommen gewesen sein muß, daß er es, trotz masochistischer Veranlagung, fertig brachte, die »Herrin« im Aufruhr seiner Gefühle zu schlagen. Er war brutal. Aber sie besiegte ihn.

Die Sachverständigen erklärten Grosavescu nachträglich für den Typ eines femininen Menschen. Man darf hinzusetzen: er war auch infantil.

Seine Frau liebte ihn trotzdem – nein, eben deshalb. Dieser Mann war nicht nur der Mann, er war auch ihr Kind. Sie empfand Muttergefühle für ihn, die Muttergefühle einer Erotomanin.

Sie war rasend eifersüchtig auf dieses männliche Schoßtier. Sie verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Sie überwachte ihn.

(Fantasio)

Grosavescu empfand das als hemmend, er litt darunter – und doch wäre er unglücklich gewesen, wenn diese Frau ihn anders behandelt hätte. Es paßte zu seiner Natur, daß er bisexuell fühlte, daß er homosexuelle Neigung besaß, und daß ihn der Widerstreit seiner erotischen Empfindungen um so fester an diese Frau fesselten.

Man trifft hier wieder die merkwürdige Tatsache, daß eine im allgemeinen normal veranlagte Frau ihre sadistische Veranlagung erst entdeckt, nachdem sie die erotische Abhängigkeit des Mannes festgestellt hat. Nicht die Mörderin, der Ermordete ist schuldig ...

Grosavescu wollte so behandelt werden. Er war ein Höriger aus Trieb und aus Schwäche.

Erich Wulffen schreibt in »Irrwege des Eros« über diesen Sexualhörigen, der den Sachverständigen nicht geringe Rätsel zu lösen gab, als er bereits unter der Erde lag:

»Er war bisexuell veranlagt, aber nicht vollkommen nach der einen oder andern Seite differenziert, so daß trotz homosexueller Neigung eine erotische Bindung zwischen ihm und seiner Frau bestand, die im Zusammenhang mit seiner Willensschwäche zu einem an Sklaverei neigenden Hörigkeitsverhältnis sich entwickelte. Frau Nelly hingegen ist ein maskuliner Typ ihres Geschlechts, wenig hübsch, fast häßlich, ihr Gesicht nichtssagend, erotisch nicht aufdringlich, aber mit einem fast sadistischen Zug behaftet, übermäßig energisch, herrschsüchtig und sehr selbstbewußt. Von Gestalt klein, war sie früher wohl eine volle Erscheinung, hatte aber in der Untersuchungshaft 18 Pfund an Gewicht verloren. So standen sich diese beiden Charaktere in der Ehe gegenüber.«

Mars und Venus Sandro Botticelli
Nationalgalerie, London

Es gehört übrigens durchaus nicht zu den Seltenheiten, daß verheiratete Opernsänger im Hörigkeitsverhältnis zu ihren Frauen stehen. Ich könnte ihrer eine ganze Reihe aller Stimmlagen anführen, alles große, starke Männer. Bekanntlich ist die Intelligenz vieler Opernsänger, die häufig aus andern Berufen heraufkommen, nicht immer eine große, so daß eine kluge Frau schon hierdurch im Vorteil ist, noch mehr, wenn sie als Gesangslehrerin die Stimme des Gatten ausgebildet hat und immer weiterbildet. Die Tenoristen scheinen die meisten Vertreter des Hörigkeitsverhältnisses zu stellen. Es kommt hinzu, daß der Bühnenkünstler, zumal der bedeutende, in Kollegenkreisen keinen ernsthaften Verkehr findet und auch gesellschaftlich leicht isoliert ist, so daß er sich in ganz natürlicher Weise auf seine Frau angewiesen sieht. Grosavescus Äußerung, er singe nur für seine Frau, das Publikum sei ihm gleichgültig, kann man von solchen hörigen Bühnensängern öfter hören. Einmal entspringt eine solche, nicht immer auch in ihrem zweiten Teil völlig ernst gemeinte Äußerung, dem Selbstunterwerfungsbedürfnis des hörigen Sängers, der damit zugleich seiner Frau schmeichelt. Sodann fühlt sich ein solcher, oft kindlicher Charakter in seiner exponierten Stellung vor dem Rampenlicht innerlich und äußerlich tatsächlich sicherer, geschützter, wenn er seine Frau am gewohnten Platz im Theater weiß und sieht. Auf der andern Seite ist die Frau eines Bühnenkünstlers an sich schon geneigt, ihren Mann schärfer, als etwa die Frau eines Beamten oder Geschäftsmannes, zu überwachen, um ihn vor Verlockungen und Verführungen durch die Damen vom Theater oder durch Verehrerinnen aus dem Publikum zu hüten und sich zu sichern. So sind also im Falle Grosavescu ganz natürliche Verhältnisse durch die Veranlagung beider Partner übersteigert worden und haben die Katastrophe mit herbeigeführt.


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