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Der Hörige von Allenstein

Am 27. Dezember 1907 lief durch die kleine ostpreußische Garnison Allenstein die Nachricht:

Der Bursche des Majors von Schoenebeck hatte morgens seinen Herrn tot am Boden liegend gefunden.

Ein Schuß hatte den Kopf des Majors getroffen. Er lag auf einem geladenen Revolver. Erst dachte man an Selbstmord, aber bald kam die Wahrheit zu Tage.

Um einhalb 8 Uhr morgens kam ein Freund des Hauses, Hauptmann von Goeben, der den Major zu einem Jagdausflug abholen wollte. Er und Frau von Schoenebeck schienen überzeugt, daß die Tat von Einbrechern verübt worden sei.

Aber im Laufe der Untersuchung legte Hauptmann von Goeben ein Geständnis ab.

Im Alter von 21 Jahren war er in die preußische Armee eingetreten, hatte zwei Jahre später als Oberleutnant den Abschied genommen und hatte als Freiwilliger in der Buren-Armee gekämpft. Viermal verwundet, hat er mehrere schwere Tropenkrankheiten durchgemacht. 1903 in Deutschland reaktiviert, trat er in den großen Generalstab und ging 1905 nach Mazedonien. Nach verschiedenen Streifzügen kam er schließlich zum 10. Dragonerregiment in Allenstein.

Goebens Geschlechtsleben war kein normales. Er litt an »psychischer Impotenz«. Zwar rühmte er sich verschiedener Liebesabenteuer, aber vor Frau von Schoenbeck hatte er wohl nie eine Frau besessen.

Frau von Schoenebeck stand in einem Alter, das den Reiz der Frauen zu vermindern pflegt. Goeben war überdies nicht der einzige, der ihre Gunst genossen hat – viele Offiziere der Garnison konnten sich deren rühmen. – Doch der Umstand allein, daß der krankhaft Gehemmte endlich und zum erstenmal in seinem Leben eine Frau findet, die ihm genügt und deren Neigungen den seinen entsprechen, erklärt sein Hörigkeitsverhältnis.

Maximilian Harden, der einen seiner brillantesten Essays dem Falle Schoenebeck-Goeben widmet, rekonstruiert das erste Zusammentreffen, das erste Aufflackern der verhängnisvollen Liebe ...

»Er ist in Matrosentracht mit offenem Hals- und Brustansatz und mag mit der dunkelgelben Haut und dem schleppenden Gang recht in den Anzug passen. Frau von Schoenebeck hat beim Anblick des seltsam fremdartigen Ballgesellen durch ein jähes Zucken ihr Interesse verraten, seinen Namen erfragt und ihn dann noch wie einen ihr Unbekannten angesprochen: »Wer bist du?«

Maskenfreiheit, denkt sie, ist auch ohne Maske möglich. Goeben erschauert bei so unzarter Berührung und kriecht rasch in seine Schale zurück.

Die, wird ihm gesagt, will jeden Neuen in ihr Netz ziehen. Er sträubt sich ... Immerhin: er kommt nun manchmal ins Haus des Majors und gewöhnt sich an den Verkehr mit der Frau ... Der in der gemäßigten Zone der Garnisonsgeselligkeit bleibt, bis die Erfahrene den Wildling so weit zu haben glaubt, daß sie endlich die stärkste ihrer Künste an ihm erproben kann ... Sie schreibt ihm, bittet artig um seinen Besuch, seinen Rat, den die Schätzung seines Charakters ihr wertvoll macht.

Er kommt. Findet sie zum erstenmal allein. Und so jammervoll unglücklich! Die Arme ist verleumdet worden. Grundlos, versteht sich. Und hat, all in ihrer Unschuld, auf diesem weiten Rund der Erde nicht einen Menschen, der für sie eintritt. Ihren Mann? Als ob der mehr von ihr wollte als ihren Leib, ihr seelisches Erleben auch nur ahnte!

Der würde sie gar nicht verstehen. Hat sie niemals verstanden ... Das alte Spiel, das älteste. Dem Hauptmann ist's neu. Goeben tröstet sie, rät, kommt wieder, wird als Retter gepriesen, als Schützer und furchtloser Held. Und drückt, selig schon zunächst in dem Bewußtsein lange genährtem Heilandwahn, so brünstigen Glauben geweckt zu haben, seine Lippen auf den Mund der Frau, die sich in der Ohnmacht überquellenden Dankesbedürfnisses erfröstelnd in seine Arme gleiten ließ. Sie hat ihn. Er wird ihr Ritter ...«

Zunächst hatte Goeben geleugnet, dann erklärt:

»Ehe die Frau nicht spricht, kann ich nicht sprechen!«

Dies war ein verstecktes Geständnis. Schließlich gestand der Hauptmann:

Am 25. Dezember 1907 war er Gast bei Schoenebeck gewesen. Man hatte geplaudert, getrunken. Goeben hatte den Kindern aus den Büchern vorgelesen, die er ihnen zu Weihnachten geschenkt hatte. Beim Abschied brachte der Hausherr ihn zum Tor, und man beschloß einen Jagdausflug für den nächsten Morgen. Vorher hatte Goeben Gelegenheit gefunden, das Fenster des Saales, der im Erdgeschoß lag, zu öffnen, sowie auch den Bindfaden zu durchschneiden, mit dem man das Fenster einer Luke im Stiegenhaus von innen zu schließen pflegte.

Nachts kehrte Goeben, die Pistole in der Hand, zurück, kletterte durch die Luke und stieg die Treppe empor zum Schlafzimmer des Hausherrn. Im Vorraum knarren die Dielen. Herr von Schoenebeck, im Schlaf aufgeschreckt, hat das Licht angeknipst.

Da schießt Goeben auf ihn, trifft ihn in den Kopf und klettert den Weg zurück, den er gekommen war.

Frau von Schoenebeck, versichert er, sei schuldlos.

Sie habe weder ihn zu diesem Mord angestiftet, noch davon gewußt. Trotzdem wurde Frau von Schoenebeck verhaftet. Späterhin änderte Goeben seine Aussage. Er belastete die Frau zuerst der Mitwisserschaft, schließlich der Anstiftung zum Mord. Frau von Schoenebeck aber leugnete.

Der Liebesbrief
Boht

Er gab zu, vollkommen hörig zu sein, Sklave dieser angebeteten Frau.

Um den Skandal zu beenden, sollen die Kameraden Goeben wiederholt in der Untersuchungshaft Gelegenheit gegeben haben, sich das Leben zu nehmen. Erst als die medizinischen Sachverständigen ihn zwar für einen vermindert zurechnungsfähigen Menschen erklärten, der aber immerhin für seine Taten verantwortlich zu machen sei, schnitt er sich die Pulsadern auf und verblutete.

Frau von Schoenebeck wurde für mehrere Monate in einer Irrenanstalt untergebracht. Aus der Haft entlassen, heiratete sie den Berliner Schriftsteller A. O. Weber. Der zweite Prozeß endete mit dem Ausbruch der Geisteskrankheit Frau von Schoenebecks.

Jeder, der diese Hysterikerin gesehen hat, konnte feststellen, welchen Bann sie auf ihre Umgebung ausübte. Man wollte damals sogar wissen, Major von Schoenebeck habe von ihrem ehebrecherischen Treiben gewußt!

Warum nicht?

Wenn er sexualhörig war, ist es ohne weiteres möglich, daß er gegen diese Frau nicht die Kraft aufbringen konnte, mit ihr zu brechen. Und dieser Hauptmann Goeben, fraglos selber ein schwer pathologisch Belasteter, hatte sich so vollkommen in dem Sexualleben dieser Frau gefangen, daß er keinen Ausweg mehr fand und zum Mörder wurde.


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