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Königliche Hörige

Einer der interessantesten Hörigen, dessen Bild in der Geschichte weiterlebt, war Milan, König von Serbien. Eine furchtbare Tragik beherrschte sein Haus.

Ende 1930 berichteten die Zeitungen:

Im Quartier Latin, dem Pariser Studentenviertel, beobachteten Straßenpassanten täglich eine Greisin, die in mitleiderregendem Zustand, mit zerschlissenen Kleidern und zerfetzten Schuhen die Vorübergehenden um ein Almosen bat. Niemand kannte sie – bis plötzlich, wie französische Zeitungen zu berichten wissen, durch einen Zufall ihr Name und ihre Herkunft ans Licht kam. In einer obskuren Kneipe geriet sie in einen Streit mit dem Wirt, der die Polizei herbeirufen und die Alte verhaften ließ. Auf der Wache, wohin man sie brachte, stellte sich heraus, daß die Bettlerin niemand anders war, als Natalie, die Exkönigin von Serbien!

Mit 16 Jahren wurde sie, die schöne Tochter des russischen Obersten Keschko, Fürstin, Gattin des Fürsten Milan von Serbien. Mit 23 Jahren war sie Königin, und heute, mit 71, ist sie Straßenbettlerin. Diese drei Daten kennzeichnen die seltsamen Kurven ihrer Lebensbahn.

Liebeswerben
Scherenschnitt

Zu Beginn ihrer Laufbahn, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, war sie der Gesprächstoff von ganz Europa. Sie war ehrgeizig, herrschsüchtig, eigenmächtig und bis zur Sinnlosigkeit eifersüchtig.

Natalie und ihr Gatte Milan lagen sich ständig in den Haaren. Die Zwistigkeiten spielten sich vor der größten Öffentlichkeit ab. Im Jahre 1885 waren Milan und Natalie die Gäste des Kaisers Franz Joseph und der Kaiserin Elisabeth in Budapest. Sie wurden mit großem Pomp empfangen. Aber am zweiten Tage wurden die Feierlichkeiten plötzlich abgebrochen, denn Königin Natalie ließ in einem Anfall von Eifersucht ihren Gemahl im Stich, setzte sich auf die Bahn und verschwand. Ängstlich versuchte der Hof diesen Zwischenfall zu vertuschen. Doch er kam ans Tageslicht und erregte an allen Höfen Europas unliebsames Aufsehen.

Nach weiteren drei Jahren ließ König Milan sich von seiner Gattin scheiden. Natalie erhob gegen die Scheidung Einspruch, wurde aber abgewiesen. Nach einer Reihe skandalöser Prozesse siegte Milan, Natalie mußte das Land verlassen. Fünf Jahre später, nachdem König Milan zugunsten seines Sohnes Alexander abgedankt hatte, versöhnten sich die Eheleute wieder. König Milan starb bald darauf, und nach seinem Tode lebte Natalie in größter Zurückgezogenheit an der französischen Riviera. Dort geriet sie immer mehr in Armut und Vergessenheit.

Es ist vielleicht interessant, bei dieser Gelegenheit auf ein ganz gleiches Schicksal aus unserer Zeit hinzuweisen, das die Duplizität der Ereignisse beweist: In der Straße Pekings wurde eine alte Frau unter sonderbaren Umständen aufgegriffen: Die 87jährige Witwe des einstigen »Sohnes der Sonne« und allmächtigen Kaisers Hiang-Fong (Tschu). 1924 wurde sie durch die Revolution und Hungerkriege eine Bettlerin – sie, die einst die Lieblingsfrau des Königs aller Könige in China gewesen war.

Doch zurück zu Natalie. Ihr Sohn Alexander heiratete die verwitwete Draga Maschin, die bald ihn und den ganzen serbischen Hof beherrschte. Er war ein Höriger, wie man ihn nicht klarer schildern könnte, Wachs in Händen dieser nicht unbedeutenden, aber gewöhnlichen Frau, die eines Nachts mit ihrem Gatten, dem letzten Obrenowic, von serbischen Offizieren in der grausamsten Weise ermordet wurde. Ihr nackter Leichnam wurde aus dem Konak geworfen – dort lag er bis zum Morgen.

 

Ein anderer Höriger aus königlichem Blut war König Ludwig I. von Bayern, intelligenter und wertvoller, wie ihn oberflächliche Geschichtsforschung hinzustellen beliebt.

Sein Verhängnis war Lola Montez. Es ist ein Unterschied zu machen, ob bei diesen Tragödien und Komödien zwischen hörigen Männern und herrschenden Frauen die Ursache in der Amazonenhaftigkeit oder in dem zur Hörigkeit neigenden Manne zu suchen ist.

Wir werden später noch den Vamp behandeln – das Hörigkeit heischende, beherrschende Weib.

Lola Montez war kein Vamp – die kausalen Zusammenhänge ihrer Herrschaft sind nicht in ihrer überlegenen Persönlichkeit zu suchen, sondern in der Schwäche des alternden Königs. Lassen wir Harden sprechen:

»Dem Hauptmann Gilbert war sie von seiner Liebsten, einer Kreolin, in Schottland 1820 geboren worden. Mit 17 Jahren heiratete das hübsche, in einem schottisch ehrbaren College erzogene Mädchen den Leutnant James. Aus Indien entläuft sie dem Mann, lernt in Paris tanzen, tanzt durch Europa bis an Asiens Grenze. Und nützt, wie nach ihr manches gut gebaute und fein behäutete Dirnchen, den Kantharidenreiz des Schauspielers, um Herrschaft über reiche, stattliche, mächtige Männer zu erlangen. Dieser ist es fast besser noch als den Pepitas und Barbarinnen gelungen. An der Schwelle der Dreißig hat sie noch einmal einen englischen Leutnant, später einen amerikanischen Redakteur, endlich einen deutschen Arzt geheiratet. Und ist in New York, 1861, in Armut gestorben. Der in Lolas Erlebnis wichtigste Mensch war: König Ludwig I. von Bayern. Wie er war?«

Max von Gagern nennt Ludwig einen König, »dessen Geist so große Werke wie wenig Sterbliche in Jahrtausenden geschaffen hat«. So sprachen hundert Schmeichler.

Als Lola, im Oktober 1864, zum erstenmal in München vortanzt, steht Ludwig im 61. Lebensjahr. Ist seine liebe Frau Therese (aus Hildburghausen), die ihm acht Kinder geboren hat, vierundfünfzig. In solcher Stimmung sieht der früh Alternde Lola. »Ein verrufenes Weib,« poltert Treitschke.

»Eine Künstlerin war sie nicht, besaß aber den Zauber nordischer und südländischer Schönheit zugleich. Frech, schamlos, unersättlich in der Wollust, verstand sie unter Freunden auch anmutig, ja geistreich zu plaudern. Sie tummelte sich gewandt auf feurigen Rossen, sang seelenvoll zur Zither, trug spanische Gedichte lebendig mit wohltönender Stimme vor. Ihren Feinden ging sie herzhaft zu Leibe, mit der Reitpeitsche oder auch mit Ohrfeigen.«

Lolas »unersättliche Wollust« hat sich dem guten Ludwig nie offenbart, niemals. (Treitschke selbst zitiert das Bekenntnis, das der König in feierlicher Stunde allen Bischöfen seines Reiches zustellen ließ). Nie hat er die höchste Weibesgunst von ihr erbeten, empfangen.

Aber schließlich bellt ringsum die Meute los.

»Englische Freimaurer haben uns dieses Mensch geschickt.« Dem Münchner Bräuhocker ist sie die »Gouvernante vom Lande«, dem Offizierscorps »Herrn Maiers Pepi.« Wenn sie nicht landfremd wäre, ginge alles bequemer.

Im Jahre 1847 bittet sie den hohen Freund, ihr das Heimatsrecht, den Titel und Rang einer bayrischen Gräfin zu verleihen. Gern. Doch das Heimatsrecht wird erst gültig, wenn der Staatsrat zugestimmt und ein Minister die Urkunde unterschrieben hat. Der Staatsrat lehnt ab. Ludwig schreibt: »Alle meine Minister habe ich fortgejagt.«

Als Gräfin Landsfeld folgt Lola in einer von Kürassieren geschützten Kutsche dem König nach dem Rhönschloß Brückenau.

Sommertag
R. Dellis

Nun aber macht Lola den alten Emporkömmlingsfehler, in den selbst der Genius des Korsen sich jämmerlich geduckt hat: sie will zugelassen, zugehörig sein.

Jeder Tag bringt Straßenputsch und Schänkentumulte. Gendarmen und Geheimpolizisten müssen die Prachtkarosse der Gräfin vor Anschlägen hüten. Im Palastgarten der Barerstraße wird Lola, mit der Mütze des Corps Palatia auf dem Armidakopf, zwischen zwei angekneipten Pfälzerburschen erblickt. Die Schänder der Burschenehre werden aus dem Corps gestoßen. Sie gründen mit Freunden von gutem Wuchs und schadhaftem Ruf die Landsmannschaft Alemannia, die im Hinterhaus des Lolopalais ihre Kneipe hat, rote Mützen trägt, als Leibwache der Wunderholden, durch Straßen, Bierkeller, Kaffeehäuser marschiert. Krawalle, Hauereien, Mensuren. Jeden Abend irgendwo der Teufel los.

Der 11. Februar wird zum Lostag. Was gesunde Beine hat, ist auf der Straße. Bürgerversammlung im Rathaus. »Der König muß die Stimme des Volkes hören!« Revolution!

Die Volksstimme schwillt zu Gebrüll. Als die von der Bürgerschaft Abgeordneten Einlaß ins Schloß begehren, tritt Fürst Wallerstein in die Portalöffnung und verkündet: »Der Wunsch der getreuen Untertanen wird erfüllt, die Universität morgen wieder geöffnet.« Leiser fügt er hinzu: » Und die Gräfin Landsfeld verläßt noch heute die Hauptstadt

Ludwig hat noch zwanzig Jahre, vierzehn länger als Therese, sieben länger als Lola gelebt.

Treitschke sagt: »Er hatte sich im Herzen von seiner Lola noch nicht losgesagt und hoffte noch immer auf ihre Wiederkehr.«

Ein anderer, weit weniger Großer als Ludwig, Johann von Habsburg-Orth, ist eines Mädels wegen ausgewandert, verschollen. Grotesker ist Leopold Wölflings »Irrung« mit Maria Ritter. Er war Erzherzog von Toscana und hatte einer andern Frau wegen bereits auf Titel und Würden verzichtet.

Jene Frau, eine Vegetarierin (aus ihrer Weltanschauung heraus), hatte ihm »befohlen«, sich lange Locken wachsen zu lassen und sich von Erdnüssen zu nähren. Das hielt der ehemalige Erzherzog nicht lange aus.

Da lernte er in der Schweiz Maria Ritter kennen, die ihm sagte: »Erste Bedingung: Locken abschneiden, sich anständig anziehen!« Antwort (beglaubigt): »Alles, was Sie wünschen, will ich tun.«

Der Hörigkeit erster Akt.

Sie wählt seine Kleider aus. Das Verhältnis wird enger. » Ich bitte Sie, mich nur recht streng zu behandeln,« sagt er.

Der Hörigkeit zweiter Akt und Höhepunkt.

Boht

Dann geht die Groteske weiter. Ich möchte, um mir den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit zu ersparen, das Buch eines unter dem Namen Vera Versa schreibenden Eingeweihten zitieren. Auch noch aus einem andern Grund: Um dem Leser ein unverfängliches Bild von der krankhaften Hörigkeit dieses Mannes, von dem »idealen« Sadismus dieser Frau und von der Naivität der Verfasserin zu geben, die die Habsburgertragödie im Sinne und Stil ihrer Zeit verewigt hat.

Rückblick auf den vergangenen Tag
Asir

»Bald verlobte sich das Paar, die Hochzeit wurde festgesetzt, erlitt aber verschiedentlich Verzögerungen, weil der Heimatschein der Braut schwer zu beschaffen war. Erst nachdem mehrere Rechtsanwälte aufgeboten wurden, konnten die Papiere zur Stelle gebracht werden. Seltsamerweise war zu jener Zeit in Österreich das Gerücht verbreitet – die Braut sei nicht weiblichen Geschlechts, worüber deren Mutter dann eingehend ausgeforscht wurde. Die alte Dame war über solche Fragen sehr verärgert und gab zur Antwort: » Die Herren möchten sich bei ihrer Tochter selbst überzeugen.« (Ob sie es getan haben?)

Nachdem die Schwierigkeiten überwunden waren, fand endlich am 26. Oktober 1907 im Hotel M. in Zürich die Hochzeit statt.

Schon bald darauf, in Paris, hatte Frau Wölfling Veranlassung zum Mißtrauen. Sie beobachtete zufällig, wie ihr Gatte jeden Morgen, wenn er die Hunde hinausführte, ein ängstliches und verstörtes Wesen zeigte, und wie er mit Spannung vor der Gartentür auf den Briefträger wartete.

Leopold Wölfling verrichtete alle Jungfern- und Toilettendienste bei seiner Frau, war ihr beim Frisieren behilflich, und da sie nicht gewohnt war, sich allein an- und auszukleiden, »tat er auch dies«.

Der junge Liebhaber
Legrand

Später soll er geäußert haben, er sei nur der Handlanger seiner Frau gewesen, sogar nachts habe er wenig Ruhe gehabt, da sie alle Augenblicke Handreichungen von ihm verlangte.

Eines Tages brachte das Stubenmädchen einen Brief, Madame Wölfling sah den Poststempel Paris und bemerkte zugleich, wie ihr Gatte blaß wurde und seine Knie schlotterten. Er hatte aber noch so viel Gewalt über sich, um mit dem fraglichen Brief auf die Toilette zu verschwinden.

Nach seiner Rückkehr verlangte Madame Wölfling zu wissen, von wem der Brief sei. Als ihr Gatte ausweichende Antworten gab und ganz verstört aussah, wuchs ihre Aufregung immer mehr, und sie holte aus dem Nachttisch ihres Gatten einen geladenen Revolver und setzte denselben drohend auf die Brust ihres Gatten, der in seiner Todesangst gestand, daß dieser Brief von seinem Freunde, dem Bankier Sternberg (!) aus Paris sei. Wölfling bat seine Frau, sich zu beruhigen, da er keine Beziehungen in Paris mehr unterhalte.

Erwartung
Herko

Jetzt aber wurde Frau Wölfling erst das ganze Pariser Treiben ihres Gatten klar – sie überschüttete den Bankier mit allerlei Titeln und Ausdrücken und verhöhnte ihren Gatten dieser Freundschaft wegen.

Das Ende nahte. – Der frühere Erzherzog, der sein Ideal in seiner bürgerlichen Ehe und Lebensweise suchte, hat in seinen beiden bürgerlichen Ehen wohl das nicht gefunden, was ihm vorschwebte, und am 31. März 1912 verließ er seine zweite Gattin in Schlangenbad und verzichtete selbst auf seine beiden von ihm sehr geliebten Hündchen Lumpi und Bijou (!).«

Etwa viereinhalb Monate lebte nun Wölfling in München, bis er Anfang Oktober die Bekanntschaft eines 22jährigen Straßenmädchens machte. Er ging selbst zur Sittenpolizei, um dieses Mädchen von der polizeilichen Kontrolle zu befreien. Dort soll er mit dem Kommissar in Streit geraten sein, und es hatte nicht viel gefehlt, so wäre er selbst verhaftet worden. Diesem Mädchen kaufte Wölfling sofort für dreitausend Mark Brillanten und andere kostbare Geschenke.


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