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Der große Perikles vergoß Tränen um Aspasia, die Hetäre

Was die Ägypterinnen betrifft, versichert uns Ktesias, ihre Leidenschaft sei unbezähmbar gewesen, und die Verehrung von Isis und Osiris nebst den sagenhaften intimen Einzelheiten läßt uns die Behauptung des antiken Weltfahrers als sehr glaubhaft erscheinen. Über das sexuelle Leben der alten Ägypter gehen die Ansichten heute noch sehr auseinander. Herodot überliefert uns, daß strenge Monogamie vorherrschend gewesen sei, während andere versichern, daß nur die Priesterkaste sich mit einer Frau begnügte. Jeder andere nehme sich Weiber nach Wunsch. Ploss wieder behauptet: »In Theben mußte sich der Mann verpflichten, kein anderes Weib in sein Haus zu führen.« Und Gustav Klemm schreibt: Die Ehe in Ägypten war sehr heilig. Jedenfalls nahm die Ägypterin eine für das Altertum merkwürdig

geachtete Stellung ein, was man aus der Tatsache ersehen kann, daß auch weibliche Pharaonen regierungsberechtigt waren. Die Gesetze zum Schutze der Ehe waren natürlich sehr strenge, und die Todesstrafe oder Entmannung stand auf Auswechslung von Kindern nicht minder wie auf Vergewaltigung einer Frau, wobei allerdings auch das vorherrschende Kastenwesen berücksichtigt werden muß, das auf reinblütige Familien den allergrößten Wert legen mußte. Die relativ freie Geschlechtsausübung wurde mit dem Emporwachsen Ägyptens natürlich mehr und mehr beschränkt, und die Worte des Totenbuchs, das jedem Gestorbenen mit ins Grab gegeben wurde: »Ich habe nicht Hurerei getrieben. Ich habe die Ehe nicht verletzt. Ich habe mich nicht selbst befleckt,« lassen den besten Einblick – wenn auch nicht in das Sittenleben, so doch in die Auffassung der Sittengesetze – gewinnen. Die Priester lebten in späterer Zeit sehr keusch, und zahlreiche Orden, selbst von Frauen, erinnern stark an die Klöster des deutschen Mittelalters, wenngleich diese Vereinigungen von Männern und Frauen in der Tat eine ideale Basis gehabt zu haben scheinen. Unter den Ptolemäern brach dann erst die eigentliche Periode der Prostitution an, wenn auch eine von der Promiskuität völlig verschiedene. Zu der Zeit der Blüte griechischer Kunst erlebte auch Ägypten eine Renaissance der Liebe, und die berühmtesten Hetären sind nicht in geringer Anzahl in Ägypten, besonders in Naukratis, dem ägyptischen Paris, zu finden.

Wir wenden uns den Griechen zu, deren Religion mit ihrem umfangreichen Sagenkranze schon in prähistorischer Zeit eine symbolische Anbetung der Naturgewalten und ganz besonders der sexuellen Physiologie bedeutete. Als der Venus- und Adoniskult nach Hellas verschleppt wurde, da bemühten sich die Griechen, die Götter der Liebe unter dem Einfluß asiatischer Weltanschauung zu vervielfältigen, und schnell genug streiften die eingewanderten Götter und Göttinnen die Merkmale des Orients ab. – Aus Adonis wurde Eros, aus Astarte Pandemos, die der ebenso alte wie skeptische Sokrates als die Personifikation der Sünde bezeichnete. Der strenge Solon begünstigte und erweiterte den Dienst der Pandemos in Athen, wenngleich er ihre Priesterinnen bestimmten Gesetzen unterwarf. So wird ihm der Bau des ersten Pandemos-Tempels zugeschrieben, und zwar sollen ihm seine Hetären das Geld hierzu verdient haben. Er war es auch, der das erste Freudenhaus in Athen organisierte.

Den Genuß suchte der Athener bei den Hetären. Diese Frauen waren durch kein Gesetz an die Schwelle des Hauses gebunden wie die Ehefrauen. Ihre Bildung, die sie sich im Verkehr mit Philosophen und Staatsmännern aneigneten und mit Hilfe ihres angeborenen, ja man darf sagen ererbten Witzes vervollkommneten, ließ ihre meist niedere Herkunft vergessen.

Ihre Kleidung war weder einer Sitte noch Konvention unterworfen, sondern lediglich den Gesetzen des Geschmacks. Und ihr Leben teilte sich in die Pflege ihrer Schönheit und den Dienst der Pandemos. Diese Frauen hielten so eigentlich die Wage der griechischen Kultur in Händen. Ihr Tempeldienst bedingte den steten Umlauf des Geldes und hob den Handel. Ihr Geist regierte Staatsmänner und Völker. Ihre Liebe schuf Genies und künstlerischste Zivilisation aller Zeiten.

Kann es wundernehmen, daß der lebensdurstige Hellene die Kurtisane der ehrbaren Frau vorzog, die kein Theater besuchen durfte und stolz darauf war, von keinem Manne rühmend genannt zu werden? Der ironische Ausspruch eines Weisen, geflügeltes Wort, ist von ethischer Bedeutung: »Es hat einen guten Grund,« meinte der Satiriker, »daß man in Griechenland so viele Tempel der Venus Pandemos, aber keinen der Venus Ehefrau sieht.«

In der Tat, das hatte seine Gründe. Denn wenn auch die ehrbaren Frauen den Schutz des Gesetzes in weit höherem Maße genossen als die Hetären, so waren diese wiederum heilig gesprochen und hatten sehr häufig, wie Pauw behauptet, mehr Rechte an die Männer, als die Gattinnen derselben, denen wiederum strengste Ehrbarkeit vorgeschrieben war.

So verlor eine Frau, die Ehebruch getrieben hatte, alle bürgerlichen Rechte und mithin auch das Recht auf das Leben. Anderseits war ihre Ehe mit der Strenge der Gesetze geschützt, und die Gefahren, die dem drohten, der eine Ehefrau verführte, bestimmten nicht die wenigsten, leichter zu beschaffende Genüsse bei den Hetären zu suchen. Diesen Gedanken spricht auch der Komiker Xenarchus bei Athenäus aus.

Dieser frohe Sinnenkult, der keinen Paragraphen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu fürchten brauchte, wurde nur durch den Schatten der Asebie verdunkelt. Es war die Sucht, wegen Lästerung der Göttin die Menschen anzuklagen. Dieser Kult also bot wenig Raum für Hörigkeit in unserm Sinne, wohl aber zur Hörigkeit zur Sache an sich, eben zur libido.

Wie sich diese äußert, halb tragisch, halb ironisch, unerhört im Sinne der Kunst und kindlich naiv in menschlicher Hinsicht, das kommt in einer der beschwingtesten Geschichten des Altertums zum Ausdruck. Um sie zu verstehen, muß man sich erinnern, daß Perikles, der große Staatsmann Perikles, fast Alleinherrscher in Athen, vor dem Areopag Tränen vergoß, als Aspasia, die Hetäre, ihm in Liebe verbunden, wegen Asebie angeklagt wurde. Die Tränen des verehrten Oberhauptes der Republik retteten Aspasia, ohne das Ansehen des Perikles zu schmälern. Gerade dies muß man beachten, zu verstehen suchen, will man Hellas begreifen, die Liebe, die Menschen jener Zeit.


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