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Das Epos von Sching-kü, dem Sohne Vibhandakas

»Selig war einst Sching-kü. Wer war Sching-kü? Sching-kü war der Sohn des Einsiedlers Vibhandaka. Er wuchs in den tiefen Wäldern auf neben seinem büßenden Vater. Nie sah er eines Menschen Antlitz außer dem seines Erzeugers. Er war selig. Ihm schienen viele Wiedergeburten erspart. Er sündigte nicht. Er liebte die Tiere. Er tat nichts Böses. Denn wie können wir Gnade erbitten von dem Höchsten, wenn wir selbst gegen die, welche auf unsere Gnade angewiesen sind, die Schwachen, keine Gnade üben, wenn wir töten und Blut trinken?

Sching-kü war selig. Eines Tages stand er unter dem heiligen Palsabaum, unter dessen Blütenduft der Siddharta geboren wurde zum Menschen, aus dessen Holz das erste Feuer im Hause der Neuvermählten flammt, um Glück und Frieden zu bringen.

Und als er sich umsah, siehe, da erblickte er in der Ferne ein wundersames Geschöpf. Auf dem Flusse stand es in einem treibenden Kahn, ein schönes Mädchen aus dem Reiche Anga.

Es näherte sich ihm, und im Strahle seiner Augen vergaß Sching-kü alle Lehren des Vaters, die Süßigkeit des Lebens ohne Leid und Glück. Er floh mit dem Mädchen ins Weltleben, und so lernte er das irdische Glück kennen. Diesem Glück folgte aber auf dem Fuß alles Leid des Lebens. Elend wurde Sching-kü, und neuen Wiedergeburten verfiel er.

photoplay

Das Leid kam in die Welt durch die Nichtbefolgung der Lehren Buddhas. Denn alle tausend Jahre steigt ein Buddha nieder vom Götterberge Meru, wo die Scharen der Dewa, der heiligen Geister, dreimal zehntausend Jahre im Tode harren, bis sie das neue Leben zur Auferstehung ruft. Niemand ist vollkommen, der sich nicht freimacht von der Begierde. Schwer ist der Weg. Eines der himmlischen Freudenmädchen, eine Apsara, wurde das Verderben eines Gautama, nachdem er lange Buße geübt hatte, und ebenso erging es dem Brahmanrishi Vicvamitra, der zehntausend Jahre Buße tat und dann durch eines Weibes List das nahe Pani-Nirwana verloren sah. Doch alle Wesen, die vor Durst verschmachtet sind, wird Buddha retten.

Eva
Gemälde von Albrecht Dürer
Pradomuseum, Madrid

Ich künde euch die Worte aus Acvagoshas carita kavya, dem Buche des zwölften buddhistischen Patriarchen:

Die in dem Reich der fünf Begierden
Gefesselt liegen, die verfolgt
Von Leiden, in der Irre gehen
In weiter Wildnis der Geburt und
Ihres Todes: Allen ist geboren
Buddha, der Erlöser.

Also: Hörigkeit kann nur durch die Flucht vor der Liebe umgangen werden. Es gibt keine Liebe, ohne daß man hörig würde? Dem Weib, der Welt, der Sünde, dem Tode.

Venus.
Gemälde von Lucas Cranach
Villa Borghese, Rom

Der Hörige verleugnet alles: Ehre, Treue, Freundschaft. Wie lautet die Legende vom Dilottama?

»Dilottama ist heute der schönste Stern des Himmels, wie sie im Leben der reinste Stern der Götter gewesen.

Einstmals, vor Jahrtausenden und abermals Jahrtausenden, da regierten zwei Brüder, Sunda und Apasund, Könige in Daitia, denen Brahma selbst die Gnade zugesichert hatte, sie sollten unbesieglich sein, und nur durch des Bruders eigene Hand sollte jeder gefällt werden können. In frevelndem Übermut griffen Sunda und Apasund mit den Scharen der Finsternis sogar die Lichtgötter an, eroberten den Himmel und verwüsteten Altäre und Städte, brandschatzten und raubten und brachten die Götter in Not.

Da schuf Wischwakarman, der Bildner des Himmels, ein göttliches Weib von des Elfenbeins Weiße, von des Goldes leuchtendem Glanz, des Demants Feuer, des Amethysten schimmerndem Hauch. Des Rubins Purpur nahm er, das Blau des Saphirs, aus Perlen schuf er die Formen.

So schön war dieses Geschöpf Weib, daß Schiwa, der Gott, den Blick nicht von ihr wenden konnte. Drei neue Gesichter wuchsen ihm, als er Dilottama von Mitternacht bis Morgen und Abend mit den Augen verfolgte. Indra aber, der Herr der Lichtgötter, sah das Weib in solchem Verlangen an, daß ihm tausend blitzende Augen rings um den Kopf wuchsen und er seitdem den Namen »Tausendauge« trägt.

Dieses Weib also stieg hinab zu Sunda und Apasund: Und siehe, kaum hatten die Brüder die Göttliche erblickt, den Stern der Schönheit, da begehrten sie beide das Weib, fielen übereinander her und töteten sich.

Also wurde die Welt befreit von der Finsternis durch das silberne Licht eines Weibes. Dieses Weib hieß Dilottama.«

Es ist, nach der seltsamen Stellung, die das indische Weib einnimmt, begreiflich, daß die Indierin höriger ist in der Liebe als irgendeine Frau einer andern Rasse.

Ihre Hörigkeit hat religiösen Grundton. Die »Treue über den Tod hinaus« ist keine Phrase, und die Verbrennung der vornehmen Witwe war doch etwas mehr als sinnlose Barbarei, denn diese war Symbol ewiger Hörigkeit.

»Ich will die Matte sein, über welche du hinwegschreitest,« sagt die indische Frau. Was weiß sie von den »Weisheiten« des Westens? Was will sie davon wissen?

Nichts – es sei denn, daß man sie aufklärt und ihre Hingabe durch eine wüste Problematik ersetzt, Wortgeklingel, das Wesen sein soll und nur den reinen Unsinn verhüllen soll.

Om, Amitaya! Amen! Nicht mit Worten miß,
Was unermeßlich. Denk nicht mit Gedanken
Was undenkbar. Wer da fragt, der irrt,
Wie der, der Antwort gibt. O schweige! Schweig!
Die Sterne ziehn, jedoch sie fragen nicht.
Es drehn sich ständig Tod und Leben, Glück und Leid.
Ein jedes Tun hat sein Gesetz. Der Zeiten Lauf!
Ein rastlos rollend Rad in Ewigkeit.

Die Seele der Asiatin hat eine einfache, reine Linie, ihr Lebensrhythmus ist von bezaubernder Klarheit:

Die Venus von Willendorf
Das Schönheitsideal der Urzeit.

»Ich liebe, folglich diene ich.« Die Seele der Europäerin ist voll jener Untiefen, in denen die Probleme der westlichen Weltanschauung lauern. Ihre Seele ist voller Wirbel, in denen die Gedankenkonflikte hin und her geschleudert werden, ist voller Kurven, an denen Wille und Gefühl, mit heißem Lebensodem hervorbrausend, stoppen oder scheitern.

Venus
Giorgione, Gemäldegalerie Dresden

Das Weib des Orients wußte Jahrhunderte hindurch nichts von »Aufklärung«. Das Weib des Orients war hörig – aber die Frauen des Occidents, sind sie es nicht? Und wenn ihre Männer Hörige sind, ist diese Hörigkeit nicht tausendmal schauerlicher als die Hörigkeit der Männer, die nur der Liebe dienen, dem Weibe als Gefäß der Liebe, nicht aber den Wünschen eines Weibes, das von einer sich selbst überschnellenden Industrie verleitet, verdorben, versengt wird? Das selbst Sklavin ist ihrer unheiligen Wünsche und in dem Mann in Wahrheit das Zugtier sieht, das zwischen den Deichselstangen ihrer Unersättlichkeit geht?

So spricht der Prophet Mohammed, in der vierundzwanzigsten Sure:

»Diejenigen, welche züchtige Frauen verleumden, die geißelt mit achtzig Hieben und nehmt nie mehr ihr Zeugnis an, denn es sind Frevler.

Schlechte Weiber für schlechte Männer und schlechte Männer für schlechte Weiber, und gute Weiber für gute Männer und gute Männer für gute Weiber. Diese werden rein sein von dem, was sie über sie sprechen.

Und zwingt nicht eure Sklavinnen zu einem zuchtlosen Leben, so sie keusch leben wollen.«

Und der indische Heilige singt:

»Sieger ist, wer
Aller Leidenschaft Ende
Erreichte.
Sieger ich,
In mir alles Böse
Vernichtet.
Liebe ist Leiden,
Leiden ist Tod.
Leben ist Liebe,
Liebe ist Leid,
Leid ist das Leben.
Völlig versinken,
Alles entwerten,
Hin sich nur geben
Heiligem Sinnen:
Dies ist Erlösung,
Lösung vom Sein,
Leidloses Nichtsein,
Pani Nirwana.«

Ähnlich wie in Indien war das Geschlechtsleben der Perser, wenngleich in der Antike unter ihnen eine größere sexuelle Freiheit geherrscht zu haben scheint. So waren, wie uns Herodot und andere glaubwürdige Geschichtschreiber versichern, Ehen unter den nächsten Verwandten gestattet, was in Indien unbedingt mit dem Tode bestraft wurde. Mit Einführung griechischer Sitten lernten sie dann die Knabenliebe kennen. Ihre Gastmähler gaben an Ausgelassenheit in Bälde den griechischen und babylonischen in nichts nach.

Das heidnische Zeitalter
Paul Merse v. Szinyel

China, das ungeheure Land mit seinen ungezählten Bewohnern verschiedener Rassen, konnte nur durch ein gesundes Familienleben seine Existenz als Staat behaupten. Die unumschränkte religiöse Gewalt des Kaisers, der ausgeprägte Ahnenkultus und die frühe Einführung der Ehen haben zunächst das jahrtausendlange abgeschlossene Bestehen dieses Staates ermöglicht. Nach den chinesischen Annalen war das chinesische Weib in ältesten Zeiten Gemeingut. Um so strenger waren in späterer Ära die Gesetze, welche die Ehe schützten.

Es gab in China kein größeres Verbrechen als Ehebruch, und die Hetäre war größtenteils nur eine Sklavin, die für ihren Besitzer verdiente und keinerlei Rechte besaß, während der außereheliche Verkehr des Mannes mit großen Gefahren und Unannehmlichkeiten verbunden war.

Eine an die in Indien entstandenen Tobiasnächte erinnernde Sitte war in China die Trennung von Jungvermählten auf ein Vierteljahr. Die Witwe durfte sich unter keinen Umständen mehr verehelichen, ebenso standen Mädchen, die ihre Keuschheit mit ins Grab nahmen, hoch im Ansehen. Der Staat, der über so viele Millionen Einwohner verfügte, hatte eben kein besonderes Interesse an deren Vermehrung, ein um so größeres aber an deren Abhängigkeit von seinen Gesetzen und die dadurch unterdrückte Individualität.

Leda mit dem Schwan
Michelangelo, Gemäldegalerie Dresden

Den untrüglichsten Beweis aus dem ursprünglichen Bestehen der Promiskuität liefert uns Chaldär durch die gastliche Prostitution, die naivste Anbetung des physischen Liebeskultes. Mit dem Emporwachsen der Hirtenvölker in der ewig fruchtbaren Ebene zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris unter der Führung Babylons entwickelte sich aus diesen primitiven Anfängen die heilige Prostitution, die Religion der Antike. Denn damals schuf die Sehnsucht nach dem Leben Götter und Religionen.

Istar oder Astarte herrschte über Asien und Afrika, die ewig zeugende, ewig fruchtbare, ewig liebende Göttin, die nur jungfräulich wurde, wenn es galt, dem Feinde mit Schild und Schwert entgegenzutreten, den heimischen Herd zu verteidigen, um aus hitziger Schlacht gleich wieder in die blühenden Gärten ihrer Tempel zurückzukehren, wo die Seufzer der Liebenden die Lüfte schwängerten und mit dem Ruf der Frutilla sich mischten.

Blaubart
Doré

Herodot schildert uns den Gottesdienst zu Babylon, wo er ihn mit eigenen Augen gesehen, und Curtius, Strabo und Baruch bestätigen seine Erfahrungen.

In einem Haine sitzen die Jungfrauen in endloser Reihe und warten auf die Fremdlinge. Ringsum blühendes Leben, heilige Lauben, glühende Sonne. Und sie sind nackt, nur mit dem Mantel ihrer Haare bekleidet. Um die Lenden hängt ein schmaler Gürtel aus Bast geflochten. Die Armen sind zu Fuß gekommen, die Reichen zu Wagen mit endloser Dienerschaft. Aber hier, vor dem Tempel Astartes, in ihrem Schoße werden alle gleich – Dienerinnen der Schönheit, Priesterinnen der Lust. – Zwischen den weißen Reihen der Mädchen gehen nun die Fremdlinge und spähen nach der Schönsten. Und so einer einem Weibe ein Geldstück – gleichviel, ob niederen oder hohen Wertes – in den Schoß geworfen und dazu gesprochen hat: »Im Namen Melittas,« muß sie ihm folgen in den Schatten der uralten Bäume, wo unter seinem ungestümen Angriff der Schnurengürtel um die Lenden zerreißt und Mann und Weib das ewige Opfer bringen im Namen Istars, der Beherrscherin der Himmel.

Der Prophet Baruch schreibt in seinem Jeremiasbrief: »Die Weiber sitzen, mit Stricken geschmückt, an den Wegen und zünden Olivenkerne an. Wenn eine von einem Vorübergehenden angesprochen wird, verspottet sie ihre Nachbarin, daß sie nicht würdig befunden war gleich ihr und ihr Gürtel nicht zerrissen wurde ...«

Phryne fährt in Hollywood ins Aufnahmeatelier

Es scheint, daß sich der Astarte-Kultus von Babylon und Borsippa aus zuerst nach ganz Syrien verbreitet hat.

Diese religiöse Prostitution war eine Kulthandlung von solcher elementaren Kraft, daß wir uns heute gar nicht mehr in Sinn und Ausübung hineindenken können. Es ist klar, daß Menschen von solcher souveränen Beherrschung ihrer Sinnlichkeit nicht zu Hörigkeitsgefühlen neigten.

Wie musikalischer Rhythmus von gewaltiger Eindringlichkeit und Kraft mutet uns jener Vorgang an:

Das Opfer zu Paphos

(Auf Cypern)

Zu Paphos steht der Tempel der Astarte,
Aus Gold gebaut und kostbarem Gestein,
Und seine mächtigen Terrassen leuchten
Weit übers Meer im roten Sonnenschein.
Rings liegen Gärten in der Pracht der Jugend,
Die nie vergeht und ewig doch gebiert,
Glutweiße Mädchen leuchten zwischen Kelchen,
Durch deren Beete eine Halle führt
Aus himmelhohen Säulen, Obelisken,
Und Statuen in heil'ger Einsamkeit,
Umgaukelt von dem Duft der schweren Rosen
Und wirren Blüten schwüler Sinnlichkeit.

Es ist ein Wald von nackten Frauenleibern,
Die hier gleich wilden Blumenknospen blühn,
Ein schwerer Kelch, gefüllt mit Feuerweine,
Auf dessen Fläche goldne Perlen glühn.
So fließen in dem sonngetränkten Garten,
Der größer scheinet als ein Königreich,
Die nackten Scharen, einem Silberflusse
Mit elfenbeinbelad'nen Schiffen gleich.

Sie schreiten einzeln wie in stummer Andacht,
Die Arme kreuzweis auf die Brust gelegt,
Die vielgewund'nen Pfade in dem Haine,
Und jede Jungfrau einen Gürtel trägt,
Aus Bast geflochten und zur Schnur gewunden,
Daß eben knapp er um die Lenden schließt,
In vielen Knoten sich zum Netze bildet,
Und so bei jedem Schritt die Schenkel küßt.

Nach kurzem Rundgang in dem gold'nen Lächeln,
Das Helios auf die grünen Matten streut,
Sucht jede Jungfrau sich ein stilles Plätzchen,
Und hält zum Opferfeste sich bereit.
Die runden Kniee bis zur Brust gezogen,
Die schlanken Arme über'm Bein verschränkt,
Den Nacken eingehüllt in Purpurlocken,
Indes der Gürtel in den Lenden hängt –

So leuchten sie, wie in Ägyptens Wüste
Zahllose Sphinxe. – Grundlos ist ihr Blick,
Der herb und süß zugleich und stumm und singend
Von Liebe spricht in klangloser Musik.
Hier eine, schmiegsam wie der Pappel Zweige,
Wenn leise sie des Zephirs Hauch bewegt,
Ihr Busen zittert wie die Rosenknospe,
Wenn der Boreas durch die Hecke fegt.

Und dort ein bleicher Leib in schwarzen Locken,
Wie wohl der Vollmond leuchtet durch die Nacht,
Mit Augen gleich des Kriegsgotts scharfen Pfeilen,
Die in das Herz sie schleudert in der Schlacht.
Und dort zwei Lippen, leuchtend wie Rubinen,
Ein Lächeln hier gleich Eros Morgenrot,
Durch die die Zähne wie die Blitze zucken,
Und dann ein Wort, das wie die Sonne loht –

Sie harren zitternd, lächelnd in Erwartung,
Die Brust geschwellt von ungezähmter Glut,
Die Nüstern bebend und die Brauen zuckend,
Die Lippen flammend in erhitzter Wut.
Und zwischen diesen heilig weißen Leibern
Geht wie ein göttergroßes Opfertier
Der Männer dunkle Masse auf und nieder,
Die Formen messend in verhalt'ner Gier,
Den Blick versteckt in langen schwarzen Wimpern,
Die Sinne wirbelnd durch die reiche Wahl.

In Augen tanzen grelle Farbenfunken,
Zu einer weißen Einheit wird die Zahl,
Bis sich das Auge an die Eine kettet –
Ein Wink, ein Schlag auf ihre starre Brust,
Die Jungfrau jauchzt, und beide Menschen eilen
Tief in die Nacht des Hains zu heil'ger Lust,
Wo in dem ungeschickten Griff der Hände
Der Schnurengürtel auseinander reißt,
Wo unter hundert süßen Liebesspielen
Die Jungfrau Istar als Patronin preist ...
Das ist das Opfer in dem Tempel Istars,
Wenn jährlich in der Luft die Sehnsucht singt,
Und reifer Sommer übers Meer gezogen,
Der Fruchtbarkeit und Sinnenjubel bringt.

Das ist die ewig keusche Weltensünde,
Das ist das schönste Lied der schönsten Zeit –
Das ist das stolze Opfer freier Liebe,
Der Sieg des Leibs, den der Genuß befreit.

Pluto & Prosperina
Nach Tizian,-J. Smith

Pausanias behauptet, die Assyrier hätten zuerst eine Aphrodite verehrt. Dann erbauten die Kyprer der Göttin einen ihrer schönsten Tempel zu Paphos, und ihnen folgten die Phönizier mit Tempeln zu Askalon, Tyros und Sidon. Kinyras, ein König von Byblos, soll der Göttin einen kostbaren Tempel mit goldenen Treppen gestiftet haben, und Cypris, seine Geliebte, weihte das Haus der Vielverehrten durch eine nächtliche Orgie, in der sie sich zwanzig verschiedenen Männern preisgab. Auch der Markt von Byblos diente als offenes Heiligtum, wo sich die Frauen verkauften, um ihre Göttin zu bereichern, und die Jungfrauen von Amathunt waren den landenden Matrosen gefährlicher als die Klippen des Meeres. den ältesten Zeiten wurde die Göttin meist als Hermaphrodit verehrt, wie uns der vielgereiste Makrobius versichert, bis die Trennung der beiden Geschlechter sich symbolisch in den Festen des Adonis, die die Frauen zu Byblos und später in ganz Alexandrien mit allem Raffinement ihrer Sinnlichkeit feierten, vollzogen hatte. Als Sohn des Adonis galt Bacchus, der ursprünglich bei den Phrygiern verehrt wurde. Mit diesem Gotte zog der eigentliche Phallusdienst in der Antike ein. Doch alle die Korybanten dieses Gottes wurden von den Priestern der Kybele, die ihren Namen nach dem Berge trugen, auf denen ihre Geburtsstelle verlegt wurde, an Fanatismus und blutiger Leidenschaft übertroffen. Die Priester hatten samt und sonders das Gelübde der Keuschheit abgelegt und entmannten sich scharenweise samt unzähligen Jünglingen, um ihrer grausamen Göttin und deren blutdürstigem Gemahl Attys ein Opfer zu bringen.

Anbetung
Doré

Hier sehen wir, aus der Entartung der Erotik geboren, Zeichen der Hörigkeit, die sich diesmal nicht auf den Mann oder das Weib, nicht auf lebende Wesen erstreckt, sondern auf den Kult selbst und seinen obersten Herrn.

So zogen Tausende von Metragyrten am »Tage des Bluts« im Lande umher und verbreiteten einen Kultus, der in schauerlichem Gegensatz zu der Astarte-Verehrung in Babylon stand. –

Über die Ehe in Babylon wissen wir wenig. Doch scheint das Familienleben ein sehr ausgeprägtes gewesen zu sein, abgesehen davon, daß ein Kulturstaat von solcher Kraft wie Chaldäa ein Fundament wie dieses bedingte. Daß die Ehefrauen trotz der Verehrung Astartes nicht minder keusch gewesen sind wie beispielsweise in Indien, kann man vielleicht aus der Bemerkung Herodots entnehmen, der unter Hinweis auf die heilige Hingabe in den Tempelgärten bemerkt, daß keine Babylonierin sich nach dieser Opferung bereit erklären würde, sich für Geld hinzugeben, so viel man ihr auch immer bieten würde.

Hingabe –
Théophile Steinlen

Auch hier zeigt sich Hörigkeit mehr symbolisch als praktisch, wenn man nicht etwa – was falsch wäre – die verschiedenartige soziale Stellung der Frau zum Manne zum Gegenstand einer solchen Spekulation machen will. Unbeschränkt ist für die Assyrierin und Babylonierin nur eines: die libido an sich, der sexus überhaupt, personifiziert durch die oberste Göttin Istar. Bringt in der Liebe Opfer, opfert für Istar! Will man tiefste Demut vor der Liebe zeigen, bezeugt man Istar seine Unterwürfigkeit. Wie hoch die Chaldäer das Wirken, die Kraft, die Göttlichkeit Istars einschätzten, wie sehr sie die Überlegenheit des Weibes, seine Kraft und seine den Mann durchflutende Sinnenausstrahlung anerkannten, dafür gibt es eine selten reizvolle Geschichte aus dem Mythos dieses Volkes.

– und das Ende
Théophile Steinlen

Eine alte chaldäische Sage, uralt. Aber noch heute glaubt man das Blut durch die lebenswahren Gestalten von Erech rinnen zu hören:


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