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Bürgerliche Hörigkeit

Unbegreiflich fast, wie ein Mann von Erziehung, ein Mensch männlichen Geschlechts (freilich nicht männlichen Charakters) sich von einer solchen Durchschnittsfrau hat beherrschen lassen. Aber gerade diese bürgerliche Alltagsfrau ist – neben dem Vamp, der Lulu und Alraunetyp – dem Manne mit unklaren Weibidealen gefährlich.

Es ist ganz falsch, für den Hörigkeitstrieb des Mannes immer nur den Weibtyp à la Wedekinds »Franziska« verantwortlich zu machen.

Es gibt Männer, die an einem bürgerlichen Hörigkeitstrieb leiden (dazu zählt auch der Ödipuskomplex).

Dieser Hörigkeitstrieb sucht nicht unbedingt die sexuell überlegene Partnerin.

Er sucht »das Idealweib!«.

Ich bin weit davon entfernt, die Frau herabsetzen zu wollen. Aber wo der Mann mit ganz nebelhaften Vorstellungen sich der Durchschnittsfrau nähert, wird er hörig, ganz gleichgültig, wie diese Frau beschaffen ist.

Auch das hingebendste Gretchen wird zum Racheengel, wenn der Mann – (idealhörig) – seine, des Gretchens, Ideale vom Manne herabwürdigt.

Das bürgerliche Mädchen, das heiratet, will einen Mann. Ist dieser Mann ein seelischer Zwitter, so wird die Frau zur Hyäne. Denn nichts verzeiht die Frau dem Manne weniger als das »Nichtmannsein«.

Wie ist diese Frau beschaffen, die so vielen Männern so verhängnisvoll wird, obgleich in ihrer Seele nur Liebe webt und eitel Sirup ein reines Herz durchpulst?

Hier ist eines der interessantesten Probleme, das, wenn ich recht unterrichtet bin, von keinem Physiologen und keinem Psychologen genügend beachtet worden ist:

Die Hörigkeit am Ideal.

Dieses »Ideal« des ganz normalen bürgerlichen Mannes unterscheidet sich wohl kaum von dem Ideal, das sich das bürgerliche Mädchen vom bürgerlichen Manne macht.

Hier der Gretchentyp, dort der männliche Mann. Vom träumerischen, totenblassen »Mann im Mond« (Hauff) der Romantikerin bis zum »Eheherrn«

Junge Liebe
C. Vogt

(sic!), zum sportlich trainierten, gesunden, kernigen (und unbedingt tapferen) Mann der Gegenwart. (Der boy-Typ, der liebe große Junge, mit dem man erotisch Schindluder treiben kann, gehört nicht hierher. Er ist eine besondere Erfindung der Amerikanerin, zwar auch in andern Ländern bereits heimisch, aber doch noch Import.)

Dieser bürgerliche Mann sucht die bürgerliche Frau. Er findet sie leicht, und er wird von seinem Ideal viel seltener enttäuscht als das Ideal von ihm. Diese Enttäuschung ist zunächst eine Augentäuschung: Der Lohengrin, der nächtlich seine Ritterrüstung ablegt, sieht natürlich in solcher Verfassung ganz anders aus als in ritterlicher Beleuchtung. Die Frau schluckt tapfer die bittere Pille. Sie übersieht die körperlichen Fehler – seien es deren zu viele oder zu wenige. Sie bildet sich einfach ihr Ideal um, langsam und zäh, mit mancherlei erotischen Geburtswehen, wenn der Mann nur in einem Punkt ihrer tief verankerten hereditären Forderung entspricht: ein Mann zu sein.

Die Frau ist lieber unglücklich als glücklos. Sie hat lieber noch einen Blaubart als einen Milchbart. Sie verlangt, unter allen Umständen, wenn sie normal veranlagt ist, einen Mann, d. h. einen Gegner, der sie regiert, der befiehlt, der sie quält, wenn sie gequält sein will. Einen Mann, der sie bei allen diesen kleinen erotischen Beigaben achtet, schätzt, der ihr imponiert, weil sie ihm gefällt, der ritterlich ist (in Frankreich galant, in Rußland brutal und in England korrekt, wenn eine solche Verallgemeinerung gestattet ist).

Wenn dieser Mann aber nicht Mann ist, dann wird die bürgerliche Frau ein Dämon und der bürgerliche Mann zum Hörigen, der um so schlimmer leidet, weil er weniger im Sexus zu leiden hat als durch alltägliche Qualen. Sowohl der Mann wie die Frau neigen bei Enttäuschungen zu einer völligen Umwälzung ihres Charakters, ohne im Unterbewußtsein die primäre Veranlagung einzubüßen. So ist mancher Zyniker nur ein verwundeter Idealist, und dieses »Die Weiber taugen alle nichts« ist oft genug nur der Ausdruck seiner Sehnsucht nach dem Vollweib, einer Sehnsucht, die Schiffbruch erlitten hat. Die Frau kehrt nach dem Verlust ihres Ideals leicht zur Selbstliebe, zur Selbstüberschätzung zurück. Ist sie eine starke Natur, so liegt die Gefahr nahe, daß sie dem Narziß-Typ verfällt. Sie sucht Ersatz für ihre Enttäuschung in der Überhebung der eigenen Persönlichkeit. Daß daraus auch Liebe zum gleichgeschlechtlichen Geschöpf entstehen kann, ist bei der kinderlosen Frau ohne weiteres verständlich.

Die Mistinguett
C. Gesmar

In dem »Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido« sagt Dr. Karl Abraham:

»Die Psychoanalyse der Neurosen zeigt uns, wie die konservativen Tendenzen analer und sadistischer Herkunft – Behalten und Beherrschen – miteinander in vielfache Verbindung treten und sich gegenseitig verstärken.

Das gleiche gilt für die destruktiven Strebungen aus beiden Quellen, d. h. die Antriebe zum Ausstoßen und Vernichten des Objekts. Ihr Zusammenwirken wird uns in der Psychologie der melancholischen Zustände besonders verdeutlicht.

Es bedarf an dieser Stelle einer kurzen Würdigung des Zusammenwirkens der analen und sadistischen Triebäußerungen im Zwangscharakter. Wir erklären uns den überbetonten Drang nach Reinlichkeit im Zwangscharakter aus einer Reaktionsbildung gegen koprophile Tendenzen, die besondere Ordnungsliebe aus verdrängten oder sublimierten analerotischen Antrieben. Diese Auffassung, so unzweifelhaft richtig sie uns auf Grund reicher Empirie erscheint, ist in gewissem Sinne einseitig. Sie trägt der Überterminierung psychischer Phänomene nicht genügend Rechnung.

Im Ordnungs- und Reinlichkeitszwang unserer Patienten vermögen wir auch das Mitwirken sublimierter sadistischer Triebkräfte nachzuweisen. Den Dingen wird Gewalt angetan. Sie werden in ein bestimmtes pedantisches eingehaltenes System gepreßt. Nicht selten werden aber auch Personen gezwungen, sich diesem System anzupassen. Denken wir etwa an den Reinigungszwang neurotischer Hausfrauen! Sie verfahren oftmals so, daß kein Gegenstand seine Ruhe haben darf. Die ganze Wohnung wird in Aufruhr versetzt, und andere Personen werden gezwungen, sich den krankhaften Trieben zu fügen.

In ausgeprägten Fällen des Zwangscharakters, wie sie uns etwa in der Hausfrauen-Neurose und im neurotisch gesteigerten Bureaukratismus entgegentreten, macht sich Herrschsucht in unverkennbarer Weise bemerkbar. Es mag noch auf die sadistischen Zuschüsse zu dem bekannten analen Charakterzug des Eigensinns verwiesen werden, um erkennen zu lassen, auf welchen Wegen anale und sadistische Triebkräfte zusammenfließen.

Um nun den psychologischen Vorgang beim Ausbruch einer Zwangsneurose und einer Melancholie verständlicher zu machen, muß noch einmal auf die Zeiträume im Leben des Patienten zurückgegriffen werden, die wir als relativ symptomfrei bezeichneten. Die »Remission« beim Zwangsneurotiker, das »Interval« beim Manisch-Depressiven stellen sich uns als Zeiten geglückter Sublimierung analer und sadistischer Triebe dar. Ruft nun ein bestimmter Anlaß die Gefahr des »Objektverlustes« hervor, so erfolgen bei den Kranken beider Gruppen heftige Reaktionen.

Die ganze Kraft der positiven Fixierung der Libido erhebt sich gegen das drohende Überhandnehmen der objektfeindlichen Strömung. Wo nun die konservativen Tendenzen – das Behalten und Beherrschen – überwiegen, da ruft der Konflikt mit dem Liebesobjekt Erscheinungen des psychischen Zwanges hervor. Siegen dagegen jene andern sadistisch-analen Tendenzen, welche das Objekt zu vernichten und auszustoßen trachten, dann gerät das Individuum in einen melancholischen Depressionszustand.

Daß der Melancholie nicht selten Zwangssymptome, der Zwangsneurose depressive Gemütsveränderungen beigemischt sind, wird uns nicht verwunderlich erscheinen. In solchen Fällen haben sich die destruierenden, beziehungsweise die konservierenden Antriebe nicht mit vollkommener Einheitlichkeit durchsetzen können.

Im allgemeinen aber sehen wir entweder die Tendenz zur manisch-depressiven Symptombildung oder diejenige zur Produktion von Zwangserscheinungen im Krankheitsbild durchaus vorherrschend. Tiefere Einblicke in die Ursachen dieses gegensätzlichen Verhaltens können wir jetzt jedoch noch nicht gewinnen.

Die tägliche psychoanalytische Erfahrung und die unmittelbare Beobachtung der Kinder berechtigen uns zu der Auffassung, die auf Vernichtung und Ausstoßung des Objekts gerichteten Antriebe seien die ontogenetisch älteren. Die normale Entwicklung der Psychosexualität führt zu dem Ergebnis, daß das Individuum zur Objektliebe befähigt wird. Der Weg aber, der vom anfänglichen Autoerotismus des Kindes zur vollkommenen Objektliebe führt, ist noch genauerer Untersuchung bedürftig. Doch so viel darf als erwiesen angesehen werden, daß die Libido des Kindes zunächst objektlos (autoerotisch) ist, dann im Ich ihr erstes Objekt findet und erst in einem weiteren Entwicklungsstadium den Objekten sich zuwendet. Aber diese Zuwendung trägt noch durch längere Zeit durchaus den Charakter der Ambivalenz, und erst in einer verhältnismäßig späten Kindheitsperiode wird das Individuum zu vollkommener Objektfreundlichkeit befähigt.

Vergleichen wir die Schicksale der Libido in der Zwangsneurose und der Melancholie, so kann es für uns keinem Zweifel unterliegen, daß der Zwangskranke, trotz seiner Unsicherheit im Verhältnis zum Objekt, sich vom normalen Endziel der Entwicklung niemals so weit in regressiver Richtung entfernt wie der Melancholiker. Denn am Anfang der depressiven Erkrankung steht die vollständige Zerreißung der Objektbeziehungen.

*

Man beobachte einmal so eine Frau, die ihren Mann haßt, weil sie ihn noch liebt, liebt, weil sie ihn tödlich haßt!

Der Pitaval berichtet einen Prozeß aus dem Ausgang des Mittelalters, in dem eine »schöne Gewürzkrämerin«, eine Meisterin der Verstellung, gezeigt hat, wie der Mann, als Hörigkeitsobjekt, beinahe den Verstand verlor.

»Nie werde ich in eine Scheidung willigen,« sagte eine Frau vor dem Berliner Ehescheidungsgericht.

»Er hat mein Leben zerstört, nun mache ich ihm das Leben kaput.«

Der Richter redet dem Manne zu, die Ehe weiter zu führen und zu der Frau zurückzukehren.

Der Mann erklärt, daß er nicht mehr mit der Frau leben will, er bittet den Richter, die Ehe zu scheiden.

Der Richter: »Ich kann das nach dem Gesetz erst dann tun, wenn Ihre Frau mit der Scheidung einverstanden ist, oder wenn sie Ihnen durch ehewidriges Verhalten Grund gegeben hat, die Trennung der Ehe zu verlangen.«

In diesem Falle hatte die Frau ein Hörigkeitsverhältnis des Mannes zu seiner Mutter behauptet. Sooft auch solche Hörigkeitsverhältnisse der Frauen zu ihren Müttern Ehen zerstören, so stehen sie in keinem Verhältnis zu dem sogenannten Ödipuskomplex des Mannes. Der Mann, der seine Mutter in dem erträumten Idealweib weiterliebt, der Mann, der keine Mutter gekannt hat und die ersehnte Mutter in der Frau zu finden hofft, ist der sexuellen Hörigkeit verfallen, wenn nicht sehr starke maskuline Eigenschaften ihn beschützen. Hier ein Bericht aus einer Berliner Gerichtsverhandlung:

Verführung eines minderjährigen Mannes unter Zusagung der Ehe.

Adolf, ein 20jähriger Student aus gutem Hause, verkehrt in der Familie des alten, kranken Fabrikanten X und merkt, nicht ohne ein gewisses Lustgefühl, daß dessen hübsche junge Frau, Ella, lebhaften Gefallen an ihm zu finden scheint. Da er jedoch sehr genau weiß, wie leicht junge unschuldige Männer sich durch Liebesabenteuer ins Unglück stürzen können, verhält er sich durchaus zurückhaltend und setzt Ellas Werbungen ein stilles, aber festes Nein entgegen. Endlich, eines Abends, spricht Ella das erlösende Wort:

›Ich betrachte dich als meinen verlobten Bräutigam und werde dich nach dem Ableben meines Gatten zu meinem lieben, angetrauten Mann machen!‹

Nun sieht Adolf keinen Grund mehr. Es kommt, wie es kommen muß ... Das Studium tritt in den Hintergrund ... eine selige Zeit restloser Hingabe und voller Träume vom Frieden eines gesicherten Heims folgt für ihn.

Eines Tages stirbt Herr X. Die Bahn ist frei. Aber nun erklärt Ella, im unbeschränkten Recht eines großen Vermögens, sie möchte sich eigentlich nicht mehr binden, es sei alles sehr schön gewesen, und Adolf könne bestimmt damit rechnen, daß sie ihn niemals vergessen werde. Es sei jedoch für beide Teile vorteilhafter, wenn man auseinandergehe. Sie habe seine reizende Unschuld geliebt, und seit dieser Zauber von ihm genommen sei ...

»Beaujours«, Paris

Adolf weinte lange. Dann verklagte er Ella wegen Verführung eines minderjährigen Mannes unter Zusagung der Ehe.

Das Gericht erklärte, so etwas gäbe es gar nicht. Es sei zwar strafbar, wenn der Mann eine minderjährige Frau unter Zusagung der Ehe verführe. Der umgekehrte Fall sei jedoch nicht vorgesehen.

Der Hampelmann
Félicien Rops

Adolfs Anwalt gab dies zu und erklärte, dieser Prozeß sei bloß angestrengt worden, um auf eine der vielen Lücken im Gesetzbuch hinzuweisen, die dadurch entstanden seien, daß in den letzten Jahrzehnten entscheidende Veränderungen in den sozialen Beziehungen zwischen Mann und Frau eingetreten sind ... Veränderungen, von denen der Gesetzgeber noch keine Notiz genommen habe. Es sei doch z. B. gar keine Frage, daß im vorliegenden Fall ein Jüngling wie Adolf den gleichen Schutz der Gesellschaft genießen müsse, wie jede gleichaltrige Jungfrau. Er sei seelisch erschüttert und im Glauben an die Welt irre gemacht worden. Außerdem habe er drei Studiensemester glatt verloren, von den pekuniären Nachteilen, die ihm entstanden seien, gar nicht zu reden.

Vielleicht sei sogar – angesichts des statistisch nachgewiesenen Frauenüberschusses – heute nichts wichtiger, als die Unschuld minorenner Männer zu schützen. Je höher die wirtschaftliche Kraft der Frau steige, desto mehr werde sich naturgemäß die Heiratsfähigkeit des gefallenen Mannes vermindern müssen.

Soweit der Anwalt. Das Gericht war gezwungen, alle diese Dinge auf sich beruhen zu lassen und wies die Klage aus formalen Gründen ab.«

»Die körperliche Liebe,« sagt Claude Anet, »ist eine schwere Kunst.

Um Meister darin zu werden, bedarf der Mann anatomischer Kenntnisse, Scharfsinn und Geduld, Takt und Kraft. Man betrachte die Resultate der Heiraten ohne Liebe: unbegabte Kinder, weichliche Körper, große Ohren, glatte Seelen.

Die Frau wird sich in der Wahl ihres Liebhabers nur durch den tiefen und geheimnisvollen Instinkt der Gattung leiten lassen. Kein niedriges Interesse wird sie beeinflussen. Sie wird nur der gebieterischen Stimme der Liebe gehorchen.« Etwas sonderbarer sind folgende Bemerkungen: »Man wählt sich nicht seine Geliebte, sie ist plötzlich da, sie fällt einem auf den Kopf, manche sagen wie ein Ziegelstein. – Die Frauen wollen immer erst genommen sein. – Alle Literatur über die Liebe ist falsch und erlogen.«


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