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Zur selben Stunde, als Hedwig und Rudolph sich zum letzten Male gegenüberstanden, nahm der Polizeikommissär Grösser in der Wohnung des ermordeten Trödlers eine erneute Haussuchung vor, bei welcher er von verschiedenen geschickten Kriminalbeamten unterstützt wurde.
Der Leichnam Schimmels war schon am Vorabende nach dem Leichenhause, in welchem während der Vormittagsstunden die Secirung stattfinden sollte, geschafft worden.
Das Endergebniß der gestrigen Haussuchung genügte dem Beamten durchaus noch nicht. Grösser hatte nun einmal die Ueberzeugung von der Mitschuld des Trödlers an der Ermordung des Barons v. Engler und seiner Nichte, wenigstens hielt er ihn der Hehlerschaft für dringend verdächtig. So sorgsam er gestern aber auch die Haussuchung vorgenommen, hatte er außer den in der Wohnung Beck's vorgefundenen Gegenständen nichts Verdächtiges wahrzunehmen vermocht.
Er schob die Schuld an seinem Mißerfolge seiner gestrigen natürlichen Erregtheit zu. Heute nun, nachdem er einige Stunden sich in tiefem Schlafe neu gekräftigt hatte, nahm er die Arbeit von Neuem wieder auf.
Ein ungeahnter Erfolg sollte auch schon bald sein Bemühen krönen. Gestern bereits hatte Grösser einen Sekretär durchsucht, dessen Schlüssel er in den Kleidungsstücken des verstorbenen Trödlers vorgefunden. Er hatte indessen nichts Verdächtiges finden können. Heute nun nahm er den Sekretär nochmals eingehend vor. Eine geraume Weile brauchte er dazu, bis er den gesammten Inhalt, der ihm manchen interessanten Einblick in die Verhältnisse der jungen Lebewelt der Stadt gewährte, einzeln durchgesehen und sortirt hatte, aber kein noch so geringer Anhalt, der auf das in der Nachbarschaft verübte zwiefache Verbrechen hingewiesen hätte, fand sich vor.
Schon wollte Grösser, der inzwischen von den Beamten die Meldung erhalten hatte, daß auch sie nichts Verdächtiges in den vielen Kleiderbündeln, Möbeln und sonstigem Trödelkram vorzufinden vermocht hätten, sich von dem Sekretär abwenden, als er noch einmal einen prüfenden Blick darüber hingleiten ließ.
Die Eintheilung der Schubfächer kam ihm mit einem Male seltsam vor. Unterhalb der Schreibplatte war zwar ebenfalls ein Behältniß angebracht, aber dessen oberes Ende befand sich wohl einen halben Fuß unter dem Beginn der ersteren. Ein nochmaliges Ausziehen der untersten Schublade über der Platte belehrte den Kommissär, daß der ersteren Boden sich durchaus nicht tief in den Schrank einsenkte. Unmöglich konnte der Erbauer des wohl schon ein Jahrhundert alten Schrankes einen unbenutzten, etwa fußbreiten und die ganze Tiefe des letzteren einnehmenden Raum gelassen haben.
Sofort stieg in dem Kommissär die Gewißheit auf, daß das Möbel einen geheimen Verschluß enthalten mußte. Nach einigem Nachsuchen gelang es ihm in der That dadurch, daß er die Platte zur Hälfte emporrichtete und dann auf einen seitwärts im Schranke angebrachten und nun erst sichtbar werdenden Knopf drückte, ein geheimes Fach von ziemlicher Ausdehnung zu öffnen.
Die Ausbeute, welche dieses darbot, war überraschend und mannigfach. Zuerst waren es ganze Bündel von Papieren, die sich vorfanden, außerdem aber standen zwei Schwingen mit Goldmünzen gestillt in dem Verschlusse. Letztere waren so schwer, daß der Kommissär sie nur mit Mühe aus der engen Spalte an's Tageslicht hervorzuziehen vermochte.
Ein flüchtiger Blick auf den Inhalt ließ ihn denselben auf weit über fünfzigtausend Mark schätzen. In den Augen des Kommissärs leuchtete es auf; hastig setzte er sich wieder vor der geöffneten Schreibplatte nieder.
Sofort begann er mit der Sortirung des Vorgefundenen. Zuerst sah er die Schriftstücke durch. Zumeist waren es gegen bare Darlehen gegebene Wechsel; aber auch von ungeübten, steifen Fingern geschriebene Quittungen befanden sich darunter, welche Namen aufwiesen, deren Träger dem Kommissär aus seiner Kriminalpraxis nur zu gut bekannt waren.
Triumphirend leuchtete es in seinen Augen auf. »So habe ich doch Recht gehabt mit meiner Vermuthung: der Trödler war der durchtriebenste Schuft, den der Erdboden trug,« murmelte er vor sich hin. »Hier ist der schwarze Max, hier wieder der Einbrecher Bode, hier der Rübenanton, lauter ›schwere‹ Burschen. Wofür mögen sie dem dunklen Ehrenmann wohl Quittungen ertheilt haben, und zwar auf Beträge, die durchaus nicht unerheblich sind: 500, 300, sogar 600 Mark!«
Er fuhr mit der Durchsicht der Papiere weiter fort. Eine Reihe von Briefen hatte er schon aus den Umschlägen gezogen; ihr Inhalt mußte dem Kommissär ein lebhaftes Interesse abgewinnen, denn ab und zu ließ er einen leisen Pfiff hören.
Unter Anderem kam ihm ein graues Geschäftscouvert in die Hände »Na, wie kommt Saul unter die Propheten?« meinte er lächelnd vor sich hin, erstaunt die geachtete Firma eines Großkaufmanns aus dem Umschlage vorgedruckt findend. Er zog den in letzterem befindlichen Bogen Papier hervor und entfaltete ihn, er nahm zu seiner Enttäuschung eine quittirte und über einen kaum nennenswerthen Betrag lautende Rechnung wahr.
Schon wollte er den Bogen wieder zusammenfalten und in den Umschlag zurückstecken, als es ihm vorkam, als ob der Bruch des Papiers sich unregelmäßig hart anfühle. Er schlug den nur auf der ersten Seite beschriebenen Bogen auseinander. Sein Erstaunen war kein geringes, als er zwischen den beiden leeren Seiten ein beschriebenes Blatt Papier sorgsam und zwar so kunstvoll eingeklebt fand, daß selbst ihm, dem geübten Kriminalisten, dessen Vorhandensein beinahe entgangen wäre.
Es war offenbar eine Damenhand, auf deren Schriftzüge sein Blick fiel. Gleichgiltig über flog der Kommissär zuerst die Zeilen, aber sein Interesse wurde ein immer lebhafteres.
»Lieber Schatz!« las er. »Hoffentlich erreichen Dich diese Zeilen heute noch. Ich habe heute eine günstige Gelegenheit gefunden, ein ungestörtes Zusammensein für uns zu ermöglichen. Die K. hat mich um Erlaubniß gebeten, auszugehen, den D. will ich auch schon zum Abend entfernen. O. aber wird uns nicht wieder stören, wie das letzte Mal, denn er hat vom Arzt einen Schlaftrunk verschrieben bekommen. Ich habe für einen guten Bissen Sorge getragen und auch Deinen Liebling ›Johannisbergerkabinet‹ nicht kalt zu stellen vergessen. Komme auf jeden Fall, ich erwarte Dich am gewohnten Orte um zehn Uhr.
Deine Dir treu ergebene
D.«
Zu wiederholten Malen las Grösser den Brief mit immer gesteigerter Aufmerksamkeit durch; endlich athmete er tief auf. »Das ist eine unbezahlbare Entdeckung,« flüsterte er vor sich hin. »Wenn mich nicht Alles trügt, so ist das die Handschrift der ermordeten Dora v. Gerstenberg, sie kam mir gleich so bekannt vor. Ganz recht, dieselben eckigen Schriftzüge habe ich schon in den beschlagnahmten Haushaltungsbüchern gesehen … und dann die Schmauserei, die Entfernung der Dienstboten, der Schlaftrunk des Alten – das wird Alles stimmen.«
Er stand plötzlich in tiefer Bewegung von seinem Stuhle auf und durchmaß den mit Geräthschaften aller Art angefüllten Raum. Fast unwillig blieb er stehen, als eilfertig ein Kriminalbeamter eintrat.
»Nun, was gibt es denn?« versetzte er kurz. »Stören Sie mich nicht unnöthig, ich bin beschäftigt.«
»Wir haben unten im Keller eine Entdeckung gemacht,« berichtete der Beamte. »Pohl hat in alle Ecken geleuchtet, da sind wir auf frische Stellen im Mauerwerk gestoßen. Wir haben den Mörtel abgestoßen, und dann haben wir eine Unmenge gestohlenes Gut entdeckt. Die große goldene Monstranz aus der Marienkirche, welche voriges Jahr nach dem Fronleichnamsfeste geraubt wurde, ist auch da.«
Zu jeder anderen Zeit würde den Kommissär diese Kunde höchlichst interessirt haben jetzt aber winkte er dem Beamten kurz ab. »Es ist gut, Pohl ist zuverlässig, er soll Alles notiren – oder noch besser, er läßt Alles am Platze, bis ich selbst herunterkomme. Augenblicklich habe ich noch hier zu thun.«
Er ging wieder nach dem Schreibsekretär, dann wendete er sich nochmals nach dem Beamten um. »Erstatten Sie unten Meldung, dann können Sie mir hier beim Geldzählen helfen.«
Der Beamte machte Kehrt und verließ den Raum.
In tiefes Sinnen versunken setzte sich Grösser wieder vor dem Sekretär nieder und von Neuem durchlas er den Brief. »Hm,« murmelte er vor sich hin, »Schimmel muß doch Grund gehabt haben, den Zettel so sorgsam aufzubewahren; er hat offenbar eine Haussuchung im Auge gehabt, darum die künstliche Einklebung zwischen den leeren Seiten des unverfänglichen Briefes. Aber welchen Grund kann er dazu gehabt haben?« …
Er sann einige Augenblicke hindurch nach. »Entschieden ist der Brief an den Mörder gerichtet. Die Annahme der Vertheidigung, daß es sich um eine Liebschaft zwischen der ermordeten Dora und ihrem Mörder handeln müßte, ist so gut wie bestätigt. Aber wie kommt der Trödler zu diesem Schreiben?«
Er wurde in seinem Nachsinnen unterbrochen; der Beamte trat wieder ein.
»Kommen Sie her,« befahl Grösser. »Wir wollen das Geld hier sortiren.«
Er machte sich selbst mit an's Werk, fand aber bald, daß dasselbe sich zu einem sehr zeitraubenden gestaltete. Zu seinem Befremden nahm er wahr, daß die fast ausschließlich den Inhalt bildenden Goldstücke aus den verschiedensten Münzsorten, und zwar fast ausschließlich ausländischen Gepräges, zusammengesetzt waren. Auch das öftere Fragen des helfenden Beamten, der viele der Goldstücke nicht einmal kannte, machte ihn stutzig. Da waren Goldstücke aller Herren Länder, und zwar in tadelloser neuer Prägung, als ob sie eben erst die Münze verlassen hätten, obwohl ihre Jahreszahlen zumeist bis in die dreißiger und vierziger Jahre zurückdatirten. Eine weitere Eigenthümlichkeit fiel dem geübten Auge des Kommissärs sofort auf, daß nämlich die neuen und ausnahmslos fremdländischen Goldstücke mit einem kleinen, eingekritzelten, vielleicht von einer Stecknadel herrührenden Kreuzchen gezeichnet waren, das sich durchgehends an derselben Stelle nahe am oberen Rande der jeweiligen Jahreszahl befand. Die verhältnißmäßig seltener vorkommenden abgenutzten Goldstücke trugen diese Bezeichnung nicht, auch waren sie ebenso ausnahmlos deutschen Ursprungs.
Je weiter die Sortirung der großen Schwinge vorrückte, desto mehr überzeugte sich Grösser davon, daß dieselbe ausnahmslos gekennzeichnete, tadellos erhaltene Goldstücke fremdländischen Ursprungs enthielt. Sein Erstaunen wuchs noch mehr, als eine zufällige Vergleichung herausstellte, daß von jedem Jahrgange und von jeder der vertretenen Münzarten mindestens zwei Exemplare vorhanden waren; das weitere Sortiren ließ den Kommissär erkennen, daß die letztverflossenen hundert Jahre ausnahmslos vertreten waren. Selbst die Münzen, welche die ältesten Jahreszahlen aufwiesen, bildeten eine vollständige Kollektion aller damals existirenden ausländischen Goldmünzen; wenigstens konnte sich der Kommissär auf keine anderen besinnen. So ging es fort bis in die Neuzeit. Je mehr die Jahreszahlen sich aber verjüngten, in desto mehr Exemplaren waren die Goldstücke jedes Jahrganges und Landes vertreten. Es waren zusammen über zweitausend Goldstücke, welche einen hohen Münzwerth repräsentirten, der sich indessen für den Sammler auf das Doppelte erhöhen mochte.
Ganz zu unterst in der großen Geldschwinge lag ein offenbar aus einem Schreibheft gerissenes Blatt Papier; es mochte zum früheren Einrollen des Geldes benutzt und vielleicht auch von einer Rolle beim Oeffnen derselben abgerissen worden sein. Den geübten Augen Grösser's entgingen nicht die scharfen, fettig ausschauenden Kanten, sowie der schmale, der Länge nach sich hinziehende Staubstreifen auf dem Papiere, welcher die Außenseite der Rolle gebildet haben mochte.
Als Grösser das Papier oberflächlich in die Hand nahm und es umwendete, staunte er nicht wenig, als er auf der Rückseite dieselben Schriftzüge wahrnahm, die ihn vorhin in dem offenbar von Dora herstammenden Schreiben so sehr befremdet hatten. Kein Zweifel war vorhanden, auch diese wenigen abgebrochenen Worte – Grösser durchlas sie flüchtig, sie bildeten offenbar Bruchstücke einer Seite eines Haushaltungsbuches – hatte Dora v. Gerstenberg geschrieben.
Der Kommissär kombinirte schnell. Es war sicher anzunehmen, daß ein Theil des Geldes in dem von Dora herrührenden Papier eingewickelt gewesen war, dann aber hatte sie selbst oder vielleicht ihr Oheim das Papier derart verwendet. In einem solchen Falle aber stammte das Gold aus dem Besitze des ermordeten Barons.
Der Kommissär entsann sich wieder der lebhaften Enttäuschung, die sich sowohl seiner als auch Alberti's bemächtigt hatte, als in dem Kassenschranke verhältnißmäßig so wenig aufgefunden worden war. Der damalige Fund schien mit der häufigen geheimnißvollen Hantirung, die nach Aussagen der Zeugen der Ermordete im verschlossenen Zimmer an dem Kassenschranke vorgenommen haben sollte, nicht recht übereinzustimmen. Wenn aber diese Münzen damals zu Lebzeiten des Barons in dem Schranke gelegen hatten, dann erklärte sich das hochgradige Interesse des Geizhalses. Derselbe war also ein leidenschaftlicher Münzensammler gewesen. Er hatte vielleicht mit derselben innigen Liebe, welche Andere Menschenherzen widmen, an dem glänzenden Golde gehangen. Es hatte ihm eine eigenthümliche Befriedigung gewährt, die Münzsorten der verschiedensten Länder systematisch zu sammeln und sich an ihrem Schimmer zu erfreuen.
Sorgfältig verpackte der Kommissär das Vorgefundene und versiegelte es. »Ich komme vielleicht heute Abend nochmals zur Haussuchung,« wendete er sich an den Beamten. »Inzwischen soll Pohl unten im Keller aufräumen und ein vollständiges Verzeichniß abfassen. Er soll mir dasselbe noch heute Abend, wenn ich bis sieben Uhr nicht hier gewesen bin, im Bureau vorlegen.«
Damit nahm Grösser das versiegelte Packet unter den Arm und begab sich aus dem düsteren Hause auf die Straße hinaus.
Er beachtete nicht die zahlreichen Neugierigen, die sich noch immer vor der, von einem Schutzmannsposten bewachten Hausthür ansammelten und ihn mit scheuen Blicken betrachteten, sondern winkte einen eben vorüberfahrenden Kutscher heran und befahl ihm, nach dem Justizgebäude zu fahren.
Der Untersuchungsrichter hatte gerade ein erneutes Verhör mit Hugo v. Engler zu Ende geführt, als der Kommissär, ohne sich vorher melden zu lassen, in das Zimmer eintrat.
Alberti stand am Fenster und blickte mit finster gerunzelter Stirn auf die Straße hinab. Wiederum waren all' seine Bemühungen an dem unbeugsamen Leugnen des Verhafteten gescheitert. Auch hatte Hugo sich in keinerlei Widersprüche, aus denen sich weitere Folgerungen ergeben hätten, verwickelt; seine Antworten hatten kurz und bestimmt gelautet, aus jedem seiner Worte aber hatte scheinbar tiefe Empörung über den ihm angethanen Schimpf durchgezittert.
»Nun, was bringen Sie? Ihre Miene weissagt viele Neuigkeiten,« wendete sich der Untersuchungsrichter hastig an den Eintretenden.
»In der That, ich habe sehr werthvolle Entdeckungen gemacht, die unter Umständen der ganzen bisherigen Untersuchung eine andere Wendung geben können,« entgegnete der Polizeikommissär.
»Sie machen mich begierig,« äußerte Alberti, wieder an seinem Schreibtische Platz nehmend und durch eine Handbewegung den Kommissär auffordernd, sich zu setzen.
Der Kommissär öffnete das mitgebrachte Packet, und sofort vertiefte sich der Untersuchungsrichter in das Studium der vielen ausländischen Goldmünzen, während Grösser berichtete.
»In der That, Ihre Annahme, daß wir es hier mit einem Theil des bei dem Baron v. Engler geschehenen Raubes zu thun haben, macht Ihrem Scharfsinn alle Ehre,« meinte er endlich gedankenvoll. »Wir haben alsdann in dem Trödler den Hehler und vielleicht auch den Anstifter zum Verbrechen zu erblicken.«
Er stand plötzlich auf und trat an einen der hohen Aktenständer, welche längs der Wände des Zimmers aufgestellt waren; er zog den grünen Vorhang beiseite und entnahm einem Fache ein dickleibiges Aktenbündel. Dieses schlug er auf dem Schreibtische auf und blätterte eine Weile darin.
»Ganz recht, sehen Sie hier,« wendete er sich dann wieder an den Kommissär, »da haben wir die beschlagnahmten Haushaltungsregister der verblichenen Dora v. Gerstenberg, sie hat dieselben mit der größten Gewissenhaftigkeit geführt, selbst die geringsten Ausgaben sind verbucht – und hier,« setzte er hinzu, das ihm von Grösser gleichfalls eingehändigte abgerissene Blatt, in dem unzweifelhaft Geld eingerollt gewesen war, prüfend betrachtend, »hier haben wir zweifellos ein Blatt aus einem eben solchen Haushaltungsregister vor uns. Wenn ich richtig zu entziffern vermag, so steht hier oben noch die letzte Jahreszahl, ich glaube, es war eine Sieben, das wäre achtzehnhundertsiebenundachtzig, wir hätten also ein Blatt aus dem vorjährigen Haushaltungsbuche vor uns.«
Der Kommissär hatte sich ebenfalls über die Akten gebeugt. »Die Handschrift ist unzweifelhaft dieselbe. Hier aus dem Blattfragmente ist deutlich zu lesen ›Seife‹, fast jeder Buchstabe stimmt auffällig überein mit demselben Worte hier, das ich zufällig in dem diesjährigen Haushaltungsbuche aufschlage. Auch hier stehen die Buchstaben B, o, u, das Uebrige ist weggerissen, dieselben stimmen gleichfalls mit entsprechenden Buchstaben im Register überein.«
»Nun, wenn ich recht berichtet bin, weilt unser gerichtlicher Sachverständiger heute hier im Gerichtsgebäude; es ist Termin in der Rotherschen Fälschungsgeschichte,« äußerte der Untersuchungsrichter nachdenklich. »Wir könnten uns darüber Gewißheit zu verschaffen suchen.«
Er zog die Klingel und wendete sich an den gleich darauf eintretenden Boten. »Sehen Sie im Zimmer 49 nach, ob dort der Schreiblehrer Glauber anwesend ist, jedenfalls können Sie dort erfahren, ob er noch im Gerichtsgebäude weilt. Ist letzteres der Fall, dann bitten Sie den Herrn, sich zu mir bemühen zu wollen.«
Der Bote entfernte sich, um den erhaltenen Auftrag auszuführen.
»Wir können dann zugleich ihm den ebenfalls unzweifelhaft von der Gerstenberg herrührenden Brief vorlegen,« bemerkte Grösser.
Alberti nickte zustimmend »Auf jeden Fall hören wir nur die Bestätigung unserer Ansichten, obwohl ich meiner Meinung jetzt schon sicher bin. Der Inhalt des Briefes ist zu deutlich, er läßt gar keine andere Schlußfolgerung zu. Indessen, an wen mag wohl dieser Brief gerichtet gewesen sein? Zweifelsohne nicht an den Trödler selbst.«
»Keinenfalls,« bestätigte der Kommissär, »die Gerstenberg weilte ja tagtäglich im Laden des Trödlers, sie würde ihm also ihre Mittheilungen ganz gut mündlich haben machen können. Ich vermuthe, daß der Trödler nur der Mittelsmann gewesen ist zwischen der alten Jungfer und deren Liebhaber, denn daß es sich um einen solchen handelt, steht außer Frage, dafür bürgt schon der Inhalt des Briefes.«
»Aber wer könnte sich hinter dem Adressaten verbergen?« meinte Alberti gedankenvoll »Jedenfalls wird es der verhaftete Hugo v. Engler sein.«
Der Kommissär schüttelte den Kopf. »Daran vermag ich nicht recht zu glauben,« meinte er. »Warum sollte denn die Dame, wenn sie in Korrespondenz mit ihrem Vetter stand, sich der Vermittelung des Trödlers, von dem sie ja eine Indiskretion befürchten mußte, bedient haben?«
»Sie vergessen, daß sie sehr vorsichtig sein mußte, weil sie von ihrem Oheim abhing, der ja mit Hugo v. Engler völlig zerfallen war.«
»Dessenungeaehtet hätte sie die Briefe doch ruhig der Post anvertrauen können, sie machte ja täglich Einkäufe, bei dieser Gelegenheit hätte sie immer einen Brief in den nächsten Postkasten werfen und ihn so mit weniger Schwierigkeit und erhöhter Sicherheit an den Adressaten gelangen lassen können,« gab Grösser zu bedenken.
Alberti schaute eine Weile nachdenklich vor sich nieder.
»Sie mögen Recht haben,« meinte er schließlich. »Indessen glaube ich doch, daß der junge Baron der Adressat gewesen ist. Seinem eigenen Geständnisse nach hat er sich ja öfters zum Trödler begeben. Bei dieser Gelegenheit hat er dann wohl auch die Briefe in Empfang genommen«
»Ich glaube trotzdem nicht daran,« widersprach der Kommissär hartnäckig. »Erstlich aus den vorhin angeführten Gründen, dann aber auch, weil wir keinen einzigen Brief Dora's in dem Besitze des Verhafteten gefunden haben. Ich mache nochmals darauf aufmerksam, Herr Rath, daß die von mir persönlich geleitete Haussuchung in der Wohnung des Barons nicht das geringste Belastungsmoment gegen denselben ergeben hat.«
»Wir haben es eben mit einem besonders schlauen Burschen zu thun, der uns noch manches zu rathen aufgeben wird.«
»Das mag sein, aber der Adressat ist er nicht. Es will mir vielmehr erscheinen, daß Dora mit Jemand in Briefwechsel gestanden, dessen Adresse sie entweder selbst nicht wußte, oder an den direkt zu schreiben sie aus irgend einem Grunde vermieden hat. Es kommt ja oft vor, daß eine alte Jungfer sich in den ersten besten hübschen Burschen vergafft und ihn, obwohl er tief an Bildung und gesellschaftlicher Stellung unter ihr steht, schließlich gar heirathet. Meiner Meinung nach haben wir es mit einem solchen Verhältnisse zu thun; die Gerstenberg war sehr vorsichtig dabei. Es ist kein Name erwähnt, selbst die Unterschrift ist unbestimmt, obwohl der Ton selbst auf hohe Vertraulichkeit hinweist. Ich meine nun aber, gerade letzterer Umstand läßt nicht auf den jungen Baron schließen. An diesen, der doch ein hochgebildeter Mann ist, würde die Dame wohl in einem anderen gewählteren Tone geschrieben haben, während sie sich in den vorliegenden Zeilen durchaus hat gehen lassen.«
»Sie mögen Recht haben,« meinte Alberti nachdenklich. »Schon die verführerisch ausgemalte Einladung zu einem guten Abendbrod mit obligatem Weintrunke würde dem jungen Baron gegenüber eigenthümlich erscheinen und jedenfalls nicht von dem Taktgefühl der Absenderin Zeugniß ablegen. Aber im Uebrigen müssen Sie zugeben, daß der Umstand den Verdacht gegen den Verhafteten erhöht, daß er früher –«
Ein Klopfen an der Thür unterbrach die Schlußfolgerungen des Untersuchungsrichters. Auf sein »Herein« trat der gerichtliche Schreibsachverständige in das Zimmer.
Alberti machte ihn mit seinem Wunsche bekannt und der Experte nahm sofort die Schriftvergleichung vor. Sein Urtheil lehnte sich vollständig an die Folgerungen an, welche die beiden Beamten schon vorher aus den Schriftstücken gezogen hatten.
»Es ist unzweifelhaft eine und dieselbe Handschrift,« versetzte er. »In dem Briefe zwar gibt sich dieselbe flüchtiger, er ist offenbar in größter Hast geschrieben. Aber die charakteristischen Schriftzüge – zum Beispiel die immer lang hingestreckten, säbelförmigen, schmalen Unterbogen des h, des g, des z – lassen sich ebenso wenig verkennen, wie die eigenthümlich bauchige Rundung des a, b und o. Ich bin jederzeit bereit, die Identität sämmtlicher dreier Handschriften auf meinen Sachverständigeneid zu nehmen.«
Wieder trat der Gerichtsdiener ein und meldete, daß der Redakteur Stichler von der »Tagespost« draußen sei und um eine Unterredung in der Engler'schen Angelegenheit ersuche.
Alberti sah überrascht nach der Uhr. »Hm, das paßt mir eigentlich nicht recht, es ist bereits fünf Uhr Nachmittags. Ist draußen vielleicht schon die Frau Godesberger und ihr Dienstmädchen?« wendete er sich fragend an den Boten.
Dieser verneinte.
»Nun, dann lassen Sie den Herrn eintreten,« entschied der Untersuchungsrichter.
Der gemeldete Redakteur wurde gleich darauf von dem Boten in das Zimmer geführt. Der Schriftvergleicher empfahl sich, während der Kommissär sich auf einen Wink seines Vorgesetzten in eine Fensternische zurückzog.
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?« frug Alberti in verbindlichem Tone, sich höflich vor dem Eingetretenen verneigend. »Herr Redakteur Stichler, wie mir gemeldet wurde?«
»So ist mein Name,« lautete die Antwort des bebrillten, intelligent und energisch aussehenden Herrn, der auf eine zuvorkommende Handbewegung des Beamten diesem gegenüber Platz nahm. »Ich habe von der Verhaftung des jungen Barons v. Engler Kenntniß erhalten, die erste Notiz darüber werden Sie bereits in unserer heutigen Morgennummer gefunden haben. Meine Wohnung liegt der seinigen gerade gegenüber, und ich halte mich für verpflichtet, einzelne, vielleicht belanglose Wahrnehmungen, die ich, wie ich mich zufällig ganz genau zu entsinnen vermag, während der Mordnacht vom 20. auf den 21. Juli dieses Jahres gemacht, zur Gerichtskenntniß zu bringen«
»Worin bestünden dieselben?«
»Wenn ich mich nicht irre, wurde in der gestrigen Schwurgerichtsverhandlung festgestellt, daß die Ermordung des alten Barons v. Engler spätestens zwei Uhr Morgens, frühestens eine Stunde nach Mitternacht stattgefunden haben muß,« fuhr Stichler fort. »Nun glaube ich in der Lage zu sein, angeben zu können, daß sich während dieser Zeit der junge Baron in seiner Behausung aufgehalten hat.«
»Wirklich?« rief überrascht der Untersuchungsrichter, und auch der Kommissär trat gespannt näher heran. »Das ist allerdings eine wichtige Mittheilung. Womit können Sie dieselbe bekräftigen?«
Stichler lächelte leicht. »Ich erinnere mich dieser Nacht sehr deutlich, denn gerade in jener Stunde, in welcher der mörderische Ueberfall geschehen sein soll, beschenkte mich meine liebe Frau mit einem prächtigen Jungen, unserem zukünftigen Stammhalter. Ich muß nun schon ein wenig ausholen. Wie das so geht, wenn man den ersten Familiensprossen zu erwarten hat, befindet man sich in erklärlicher Erregung. Ich wartete im Nebenzimmer ungeduldig auf das Erscheinen der Hebamme und trat zuletzt an's Fenster. Die Straße war menschenleer, das Gewitter, welches die Nacht über getobt, hatte sich ein wenig verzogen. Die Laternen waren des im Kalender stehenden Vollmondes wegen programmmäßig ausgelöscht, und daher herrschte draußen eine undurchdringliche, rabenschwarze Finsterniß. Die meiner Wohnung gegenüberliegende Häuserreihe lag lichtlos, dunkel da. Ich entsinne mich noch deutlich genug der Gefühle, die mich damals beschlichen. Ich beneidete die glücklichen, friedlichen Menschen, die da drüben hinter der verhangenen Fensterreihe ruhig schliefen und kein theures Wesen in Gefahr sehen durften. Zufällig hatte ich meinen Blick gerade auf die direkt mir gegenüberliegenden Fenster des jungen Barons gerichtet, mit dem ich auf oberflächlichem Grußfuße stehe. Wenn man sich ein Jahr oder länger gegenüber wohnt, weiß man, ohne selbst in der Wohnung des Anderen gewesen zu sein, doch ziemlich Bescheid mit der Einrichtung, und so wußte ich genau, daß das zweite Fenster in der Fensterreihe des ersten Stockwerkes zum Schlafgemach des jungen Barons gehörte, während das dritte und vierte Fenster die Erhellung seines Wohnzimmers besorgten. Da sah ich mit einem Male einen schwachen Flammenschein durch die Gardine des Schlafzimmers aufleuchten, wie wenn Jemand Licht anzündet. Ich hatte mich nicht getäuscht, ich sah sogar in dunkeln Umrissen durch die zugesteckte Gardine eine langsam durch das Zimmer gehende Gestalt. Das dauerte etwa zwei bis drei Minuten, dann verlosch das Licht wieder.«
»Um welche Zeit geschah dies?«
»Es ging stark auf ein Uhr, ich kann mich des Momentes noch genau entsinnen, denn gerade, ehe ich an das Fenster trat, hatte ich auf meine Uhr geschaut, und da war es zehn Minuten über halb ein Uhr gewesen.«
»Und Sie können beschwören, daß das Licht im Schlafzimmer des Barons entzündet wurde, oder war es derart, als ob Jemand mit einer Lampe in das Zimmer eintrat?«
»Nein, nein,« widersprach der Redakteur. »Ich gewann den Eindruck, als ob ein im Bette Liegender und dadurch unbeholfen sich Anstellender Licht zu entzünden trachtete, irre ich nicht, erlosch sogar zuerst der Flammenschein wieder, um dann von Neuem aufzuleuchten, dann wurde er heller, die Kerze war entzündet. Ich dachte mir gleich, der Baron sei vielleicht aus dem Schlafe aufgewacht, er habe sich am Abend vorher ein wenig übernommen und suche nun nach der Wasserflasche; ich fand gewissermaßen darin etwas Trost für meine eigene Situation.«
»Und nahmen Sie sonst noch etwas wahr?«
»Jawohl, ganz derselbe Vorgang wiederholte sich um ein Uhr fünfundfünfzig Minuten.«
»So genau wissen Sie die Zeit anzugeben?« fragte der Untersuchungsrichter. »Wie kommt es, daß Sie sich einer solchen nichtigen Sache so genau zu entsinnen vermögen?«
»Die Erklärung ist sehr einfach. Ich war gerade eben wieder an das Fenster getreten, als ich den Lichtschimmer von Neuem sah!«
»Und wie lange hat diesmal das Licht gebrannt?«
»Das entzieht sich meiner Kenntniß, denn ich war kaum eine Minute am Fenster, da hörte ich von der Nebenstube her das Schreien einer mir bis dahin unbekannt gewesenen Stimme. Fast instinktiv sah ich auf die Uhr und erfuhr gleich darauf aus dem Munde der ›weisen Frau‹, daß ich Vater eines prächtigen Jungen geworden sei, der sich, den Umständen angemessen, wohl befinde.«
»Weitere Wahrnehmungen machten Sie in dieser Nacht nicht?«
»Nein, wenigstens was mein Gegenüber, den Herrn Baron v. Engler, anbelangt,« entgegnete der Redakteur. »Hätte ich freilich gewußt, welche verhängnißvollen Folgen diese Nacht noch für den Bedauernswerthen zeitigen sollte, würde ich mich nicht derart in das Studium der Gesichtszüge meines Sprößlings vertieft haben, wie dies in Wirklichkeit geschehen ist.«
»Wenn Sie mir eine Frage gestatten, Herr Rath,« mischte sich Grösser in das Gespräch ein. »Sie sind doch nicht etwa durch den Blitzesschein, der sich in den Fenstern widerspiegeln mußte, getäuscht worden? Es brannten auch keine Laternen, deren Licht Sie irre führen konnte?«
»Durchaus nicht,« widersprach Stichler bestimmt. »Unser ebenso weise wie ökonomisch denkender Magistrat hatte wegen des angesetzten, leider aber nicht in Wirksamkeit getretenen Vollmondes schon pünktlich zwölf Uhr sämmtliche Laternen in der Kaiserstraße auslöschen lassen. Es war, wie gesagt, stockfinster auf der Straße, so daß ich kaum die mir gegenüberliegende Fensterreihe erkennen konnte. Das Gewitter hatte sich überdies schon verzogen.«
»Sie würden also diese Umstände beschwören können?«
»Jederzeit.«
Alberti erhob sich, nachdem er ein kurzes Protokoll aufgesetzt hatte und dieses von dem Redakteur unterzeichnet worden war. »Ich sage Ihnen einstweilen für Ihre Mittheilungen meinen besten Dank und darf wohl die Bitte hinzufügen, dieselben vorläufig sekret zu behandeln.«
»Gewiß,« antwortete der Redakteur, »das heißt, um offen zu sein, ich traf gerade vorhin vor dem Gerichtsportale einen guten Bekannten, den gestrigen Vertheidiger des früheren Fabrikanten Beck –«
»Ah, Herrn Doktor Wichern,« rief Alberti, ihm in's Wort fallend. »Dem konnten Sie es ruhig sagen, ich würde es ihm jedenfalls auch selbst mitgetheilt haben.«
Der Redakteur verabschiedete sich darauf.
»Was sagen Sie nun, Herr Rath?« fragte der Kommissär, als sich die Thür hinter Stichler geschlossen hatte.
Alberti schaute gedankenvoll vor sich hin. »Ich bin auf die Aussage der Wirthin gespannt. Ich glaube sicherlich, daß dieselbe in dem Zimmer ihres Miethers gewesen ist.«
Soeben trat der Bote wieder ein. »Frau Godesberger und ihr Dienstmädchen warten draußen,« meldete er.
»Lassen Sie die Erstere sofort eintreten!« befahl der Untersuchungsrichter.
Die Dame trat sehr ängstlich und befangen ein. »Ach mein Gott,« sagte sie, nachdem sie auf einen Wink des Untersuchungsrichters Platz genommen hatte. »Es ist mir so peinlich, vor Gericht zu erscheinen. Was ist denn nur mit dem armen Herrn daran, er war doch ein so lieber und pünktlicher Herr, ich kann mir gar nicht denken, daß er etwas Böses begangen haben soll –«
»Ich möchte Sie nur bitten, mir einige Fragen zu beantworten,« unterbrach sie Alberti. »Haben Sie öfters in der Wohnung des Barons geweilt?«
»Tagtäglich zu wiederholten Malen,« versicherte Frau Godesberger. »Ich hielt die Garderobe und Wäsche des Herrn Barons im Stande, da gab es immer etwas auszubessern und nachzusehen.«
»Wissen Sie zufällig, wie viel Ueberzieher der Herr Baron besessen hat?«
»Die kann ich Ihnen alle der Reihe nach herzählen: einen gelbbraunen Sommerüberzieher, einen glattanschließenden Winterpaletot, einen sogenannten Ulster, das ist ein schwarzbrauner Havelock, sowie einen Nerzpelz, der letztere ist den Sommer über beim Kürschner in Aufbewahrung gegeben.«
»Haben Sie einen grauen Radmantel bei dem Herrn Baron gesehen? Besinnen Sie sich wohl!« sagte Alberti eindringlich, die Zeugin scharf beobachtend. »Es hängt von Ihrer Aussage sehr viel ab. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie dieselbe später vor Gericht werden beschwören müssen.«
»Ach Du meine Güte, ich werde ganz sicherlich die Wahrheit sagen,« entgegnete die Frau. »Aber einen grauen Radmantel hat der Herr Baron niemals besessen. Er konnte die graue Farbe überhaupt nicht leiden, er –«
»Haben Sie vielleicht vor oder nach dem 21. Juli irgendwelche Kleidungsstücke des Herrn Barons vermißt, vielleicht einen Anzug oder Wäschestücke?«
Die Wirthin schüttelte den Kopf. »Durchaus nicht. Der Herr Baron hielt seine Sachen sehr gut.«
»Sie hätten einen etwaigen Verlust aber vielleicht auch nicht bemerken können?«
»Doch, doch, ich wußte sogar genau, wie viel Halsbinden der Herr Baron hatte, aber noch heute befinden sich in dem Kleiderschranke und in der Wäschekommode dieselben Gegenstände, die damals vorhanden gewesen sind. Der Herr Baron hat sich seitdem nur einen neuen Sommeranzug angeschafft.«
»Können Sie sich noch der Vorgänge in der Nacht vom 20. Juli dieses Jahres entsinnen?« forschte der Untersuchungsrichter weiter.
»Jawohl,« bestätigte eifrig Frau Godesberger. »Ich war um halb vier Uhr Morgens bei ihm, er stöhnte so sehr – ich muß hinzufügen, daß mein eigenes Schlafzimmer nur durch eine dünne Wand von demjenigen des Herrn Barons getrennt ist – daß ich es für nöthig hielt, nachzuschauen.«
»Machte der Herr den Eindruck, als ob er schon längere Zeit im Bette gelegen habe?«
»O, ganz sicher, er sah ganz erhitzt ans. Er sagte mir auch gleich, daß er sich ein bischen beim Champagner übernommen und dies immer bitter zu büßen habe. Er war um elf Uhr nach Hause gekommen.«
»Haben Sie das etwa selbst wahrgenommen?«
»Das nicht, aber der Herr Baron sagte es, und dann muß er auch mindestens schon stundenlang im Zimmer gewesen sein, denn die Luft in demselben war eine schwüle. Ich hatte, wie ich mich ganz genau entsinne, die Fenster offen gelassen. Da das Gewitter eine große Abkühlung mit sich gebracht hatte, so hätte frische Lust im Zimmer sein müssen, wenn der Baron nicht gleich nach dem Heimkommen das Fenster geschlossen hätte. In seinem Salon standen die Fenster die ganze Nacht über auf, und da war es schön kühl und frisch.«
»Die Verbindungsthür war geschlossen?«
»Jawohl, der Herr Baron riegelte sich immer ein,« versicherte Frau Godesberger.
»Haben Sie etwa Blutflecken an irgend welchen Kleidungsstücken des Barons wahrgenommen, vielleicht auch abgeschabte Stellen am Knie oder Ellenbogen, die von Rutschen oder hartem Gegenstreifen, an einer Mauer zum Beispiel, herrühren könnten?«
»Durchaus nicht, der Herr Baron ging immer sehr sauber, er gab sehr viel auf seine äußere Erscheinung. So liebenswürdig er sonst auch war, wenn sich nur das geringste Stäubchen auf seinem Rocke vorfand, konnte er ganz außer sich gerathen.«
»Wie waren denn die Stiefel des Barons in jener Nacht? Kothig, vielleicht mit Mörtel beschmutzt?«
»Das kann ich nicht sagen, denn das Stiefelwichsen besorgt mein Dienstmädchen.«
Alberti entließ die Wirthin und beorderte das Dienstmädchen in das Zimmer. Dieselbe wußte indessen fast nichts anzugeben, nur behauptete sie mit Entschiedenheit, sich genau darauf entsinnen zu können, daß die Stiefel des Barons durchaus nicht besonders beschmutzt gewesen seien. Der Letztere habe in der Regel bei zweifelhaftem Wetter Gummischuhe über seinen Lackstiefeln getragen, und auch diese seien kaum nennenswerth bespritzt gewesen.
Auch das Mädchen wußte sich nicht auf Blutflecken in Hugos Kleidungsstücken oder seiner Wäsche, sowie auf eine auch nur wahrnehmbar erregte Gemüthsstimmung des jungen Barons an jenem Tage zu besinnen. Im Gegentheil, als ihm die Kunde von der Ermordung seines Oheims geworden, sei er sehr vergnügt gewesen, und sie habe noch bei sich gedacht, daß es doch sehr gottlos von ihm sei, sich so über den Tod seiner Verwandten zu freuen.
Als das Mädchen entlassen worden war, schüttelte Alberti den Kopf. »Die Sache wird immer verwickelter,« meinte er dann zu dem Kommissär.
Grösser schwieg eine Weile. »Ich glaube schon deutlich zu sehen,« meinte er endlich. »Ich fürchte, wir haben uns Alle auf dem Holzwege befunden.«