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1.

Warm und hell schien an einem Vormittage im Juli die Sonne auf die Straßen der Stadt hernieder.

In der vergangenen Nacht hatte sich ein schweres Gewitter über dem mäßig weiten Thalkessel, in welchem die Stadt lag, entladen. Noch hingen an dem Gezweig der Bäume und Sträucher die schweren Regentropfen, aber blau und verheißend lachte der Himmel schon wieder zur Erde nieder. Nur am äußersten Rande des Horizontes, dort, wo die in einem weiten Gürtel die eigentliche Stadt umgebenden Fabrikschlote ihre schwärzlichen Rauchmassen zum Himmel empor wirbelten, schien ein fahler Nebel die Stadt gleichförmig von der Außenwelt abzusperren.

Vor einer in vornehmem Style erbauten zweistöckigen Villa der Kochstraße hielten zwei Wagen. Mehrere dunkelgekleidete Herren, sowie einige Schutzleute in Uniform, entstiegen denselben.

Der zuerst Ausgestiegene war ein schlanker, hochgewachsener Herr von einigen fünfzig Jahren mit einem klugen, von einem leicht ergrauten Vollbart eingerahmten Gesicht, die kalt und scharf blickenden Augen hinter zwei goldumränderten Brillengläsern halb verborgen.

Er war es auch, der sich an den Schutzmann wendete, welcher unmittelbar hinter dem das Portal der Villa öffnenden Diener erschien und militärisch grüßte.

»Wie lange sind Sie schon zur Stelle?« fragte er ihn.

»Seit einer Stunde, Herr Untersuchungsrichter. Der Herr Polizeilieutenant war selbst mit hier; er hat Alles abgesperrt und mir die Schlüssel übergeben.«

»So schreiten Sie einstweilen voran und öffnen Sie immer!« befahl der Beamte.

Dann wendete er sich an den sich vor ihm verbeugenden Diener. »Ich bin der Untersuchungsrichter Alberti,« sagte er kurz und gemessen. »Die Kommission kommt auf Grund der heute Morgen im diesseitigen Revier gemachten Anzeige.«

Der Diener nickte eifrig mit dem Kopfe. »Wollen die Herren näher treten?« meinte er in gedämpftem Tone. »Sie befinden sich am richtigen Orte!«

Dabei öffnete er das Portal weit und trat dann ehrerbietig zur Seite.

Der Untersuchungsrichter, gefolgt von den übrigen Herren, trat in die geräumige, geschmackvoll ausgestattete Vorhalle.

»Sie machten die Anzeige wohl selbst?« fragte er dann den Diener, als dieser die Thür hinter den Eingetretenen wieder geschlossen hatte.

Der Gefragte verneigte sich. »Es können jetzt ungefähr zwei Stunden her sein,« meinte er.

»Sie waren es auch, der das geschehene Verbrechen zuerst entdeckte?«

»Ja, ich trat in das Schlafzimmer des gnädigen Herrn,« versetzte der Diener, während er noch in der Rückerinnerung zu erbeben schien. »Es war ein schrecklicher Anblick … o mein armer, armer Herr!«

»Wieviel Uhr war es ungefähr, als Sie das Schlafzimmer betraten?«

»Genau dreiviertel acht Uhr.«

»Woher wissen Sie das so genau?«

»Ich hatte ein- für allemal den Auftrag vom gnädigen Herrn empfangen, ihm sein Frühstück um diese Zeit pünktlich zu bringen«

»Bei dieser Gelegenheit machten Sie auch die Entdeckung?«

»Jawohl.«

Der Untersuchungsrichter schritt weiter. Er schien die Lokalität angelegentlichst zu betrachten. »Es ist noch eine zweite Anzeige erfolgt,« versetzte er dann wieder. »Ist die betreffende Entdeckung ebenfalls durch Sie herbeigeführt worden?«

»Nein, durch die Köchin Anna,« entgegnete der Diener. »Sie wollte in dem Wohnzimmer des gnädigen Fräuleins ihrer Gewohnheit nach aufräumen, dabei fand sie Fräulein Dora auf dem Fußboden ausgestreckt todt liegen. Sie stürzte durch den Verbindungsgang zu mir, ich aber hatte inzwischen schon den grausigen Anblick im Zimmer meines gnädigen Herrn gehabt.«

»Wohin führt diese Thüre?«

»In den Hof.«

»Und der niedere Eingang links unter dem Treppenhause scheint nach dem Keller hinab zu führen?«

»So ist es, Herr Untersuchungsrichter.«

Der Beamte nickte mit dem Kopfe. »Befinden sich die Wohnräume im Erdgeschoß oder im ersten Stockwerke?«

»Oben. Hier unten sind nur einige wenige leerstehende Zimmer, die aber von der Herrschaft fast niemals benutzt worden sind.«

»So führen Sie uns hinauf!«

Der Diener eilte, gefolgt von der Gerichtskommission, über die teppichbelegte Treppe voran.

Auf dem ersten Treppenabsatz erwartete sie eine verweint aussehende ältliche Frauensperson. Während des Vorüberschreitens sah der Untersuchungsrichter sie scharf an. »Sie sind die Köchin?« fragte er.

»Euer Gnaden zu dienen.«

»Befindet sich noch mehr Dienerschaft im Hause?«

»Nein.«

Der Untersuchungsrichter nickte und setzte seinen Weg fort.

Am oberen Ende der Treppe angelangt blieb er neuerdings stehen.

Das Treppenhaus mündete in einen kleinen, einfenstrigen, einfach ausgestatteten Vorraum aus. Zur Rechten befand sich eine durch eine Portiere halb verhüllte Thür.

Dieser gegenüber zog sich ein langer, mit Oberlicht versehener Flur hin, auf den verschiedene Thüren mündeten.

»Wir befinden uns im Vorzimmer,« erläuterte der Diener mit flüsternder Stimme. »Hier zur Rechten liegt das Schlafzimmer des gnädigen Herrn.«

Der Blick des Beamten fiel auf den neben der Thür militärisch stramm aufgerichtet stehenden Schutzmann »Die Leiche befindet sich in diesem Raume?« wendete er sich an denselben.

»Zu Befehl, Herr Untersuchungsrichter.«

»Oeffnen Sie die Thür!«

Gleich darauf trat der Untersuchungsrichter, wiederum gefolgt von den übrigen Herren, in einen mäßig großen, dunkel verhangenen Raum ein.

Ein widerlich dumpfer, süßlicher Geruch kam ihnen entgegen, wie von vergossenem, sich zersetzendem Blute und unterschiedlichen scharfen Medikamenten herrührend.

In dem im Zimmer herrschenden Dämmerlicht war nur undeutlich das mit dem Kopfende an der Wand stehende Bett und eine quer über diesem regungslos ausgestreckt liegende Gestalt wahrnehmbar.

»Ziehen Sie die Gardinen zurück und öffnen Sie ein Fenster!« befahl der Beamte dem Schutzmanne.

Gleich darauf fluthete der helle Sonnenschein in das Gemach und ließ sofort gewahren, daß nur noch die leblose Hülle eines greisen Mannes es war, die dort auf der Bettstatt ausgestreckt lag. Es hätte nicht des noch in der Brust steckenden Dolchmessers bedurft, um wahrnehmen zu lassen, daß hier ein Verbrechen verübt worden war.

Das greise, welke, pergamentartige Angesicht trug einen schrecklichen Ausdruck. Die Augen waren halb geöffnet und schienen noch im Tode mit verglastem Blicke den Eingetretenen entgegenzustarren. Noch waren die Lippen wie zum Schrei geöffnet. Unwillkürlich glaubte man noch den letzten ersterbenden Laut, der ihnen entronnen war, vernehmen zu müssen. Die stark gekrümmten, erkalteten Finger, die noch im Tode die zerknüllten Kopfkissen krampfhaft festzuhalten schienen, deuteten auf einen heftigen, der Unthat voraufgegangenen Kampf zwischen dem Mörder und seinem Opfer. Eine größere dunkle Blutlache stand auf dem Fußteppich vor dem Bette, Blut besudelte auch dessen schneeig-weiße Linnenbezüge.

Der zweite der Herren trat jetzt ebenfalls bis dicht an den Leichnam heran. Er betastete denselben prüfend, schob die Augenlider ein wenig in die Höhe und wendete sich dann nach dem Untersuchungsrichter um. »Die Leichenstarre ist schon völlig eingetreten,« versetzte er, seine Uhr ziehend. »Die Mordthat kann spätestens um ein Uhr Morgens vollbracht worden sein. Der Tod ist unzweifelhaft durch diesen Dolchstich, der das Herz durchbohrt hat, herbeigeführt worden.«

»Richtig, da steckt die Waffe noch!« murmelte der Untersuchungsrichter, der ebenfalls ganz nahe an das Bett herangetreten war, während die übrigen Beamten sich mehr in der Nähe des Eingangs hielten.

Behutsam ergriff der Arzt die Waffe beim Heft, aber er mußte seine ganze Kraft aufwenden, um sie aus der Wunde herauszuziehen. »Die Waffe ist von einer geschickten Hand geführt worden!« versetzte er alsdann, das bluttriefende Instrument an einem Kissen reinigend und es dann dem Untersuchungsrichter einhändigend.

Dieser betrachtete das ganz schmale, nur an der Spitze mit einer Doppelschneide versehene Instrument mit prüfendem Blicke. »Es ist das eine ebenso ungewöhnliche wie furchtbare Waffe,« versetzte er, das Werkzeug hin und her wendend.

»Ganz recht; es ist offenbar ein Grabstichel, wie er von Kupferstechern und Feinmechanikern vielfach angewendet wird,« fiel der Arzt bestätigend ein. »Der Stahl scheint in der That vorzüglich zu sein!«

»Was ist das?« frug der Untersuchungsrichter plötzlich wieder. Er hatte mit prüfendem Blick den kunstvoll eingelegten Griff des Werkzeuges betrachtet. »Sehen Sie einmal hierher, Herr Doktor!« Dabei deutete er auf eine kleine Metallplatte am Kopfende der Waffe. »Hier sind kunstvoll verschlungen die Buchstaben ›K. B.‹ eingravirt!«

Der Arzt sah schärfer hin. »In der That!« bestätigte er.

Der Andere wendete sich um und winkte einen schwarz gekleideten Herrn zu sich heran.

»Herr Polizeikommissär Grösser, wollen Sie das Instrument an sich nehmen!« sagte er, dann wendete er sich von der Leiche ab und musterte eingehend das Schlafzimmer.

Dasselbe befand sich im Gegensatze zu dem von einem heftigen Kampfe zeugenden durchwühlten Bette in musterhafter Ordnung. Eine Menge großer und kleiner Arzneiflaschen stand auf einem seitwärts vom Bette aufgestellten Tische.

»Wohin führt diese Thür?« wendete der Untersuchungsrichter sich wieder an den Diener.

»In das Arbeits- und Kassenzimmer des gnädigen Herrn,« berichtete dieser, mit sichtbarem Entsetzen auf den Leichnam seines Herrn starrend.

Der Untersuchungsrichter trat in das kleine, einfenstrige Zimmer ein, dessen ganze Ausstattung ein massiver Kassenschrank, sowie ein Eichentisch nebst einigen Lehnstühlen bildeten. Auch hier befand sich anscheinend Alles in bester Ordnung Der Kassenschrank war verschlossen, aber der untere Rand desselben war mit Stearintropfen bespritzt, die sich auf dem kostbaren Smyrnateppich des Fußbodens abhoben. Auf dem Schreibtische befand sich nur eine Arbeitsmappe und eine bronzene Schreibgarnitur. Beides machte indessen den Eindruck, als ob es seit geraumer Zeit nicht mehr benutzt worden wäre.

»Herr v. Engler ist schon seit geraumer Zeit bettlägerig gewesen?« forschte der Untersuchungsrichter weiter.

»Der gnädige Herr lag nunmehr fast schon im zweiten Jahre beinahe unausgesetzt zu Bette,« berichtete der Gefragte.

»Man hielt ihn für reich?«

»Er war es auch. Ich hatte öfters wichtige Gänge für ihn zu besorgen, ich genoß das Vertrauen des gnädigen Herrn und mußte oft bedeutende Summen zu dem Herrn Justizrath Braun tragen.«

»Derselbe ist vor etwa einem halben Jahr gestorben?«

»So ist es, Herr Untersuchungsrichter. Seit dieser Zeit verwaltete der gnädige Herr sein Vermögen ganz allein. So oft er etwas im Schranke zu thun hatte, mußte ich ihn auf einen Krankenstuhl setzen, dann trugen Fräulein Dora und ich ihn gemeinschaftlich aus dem Schlafzimmer hierher. Wir mußten ihn immer dicht vor dem Schranke niedersetzen und uns dann aus dem Zimmer entfernen, sogar die Thür mußten wir hinter uns abschließen. So hatte es der gnädige Herr ein- für allemal befohlen; er wollte durchaus ungestört sein,«

»Ihr verstorbener Herr war wohl sehr mißtrauisch?«

»Er war die Vorsicht selbst!«

»Und wo befanden Sie sich heute Nacht?«

»Ich hatte Urlaub bekommen.«

»Von dem Herrn Baron selbst?«

»Nein, Herr Untersuchungsrichter, das gnädige Fräulein meinte gestern Abend, ich möge mir einmal einige vergnügte Stunden bereiten, ich hätte so wie so die letzten Nächte über meine Kräfte wachen müssen; der gnädige Herr habe einen Schlaftrunk bekommen und werde mich also nicht nöthig haben, sagte sie.«

»Sonst hatten Sie die Nachtwache bei dem Kranken?«

»Jawohl, ich schlief auf dem Sopha im Vorzimmer. Der gnädige Herr brauchte nur zu klingeln, dann war ich sofort zur Stelle, denn ich habe einen sehr leisen Schlaf.«

»Um welche Zeit kamen Sie heute Nacht nach Hause?«

»Es mag ungefähr vier Uhr gewesen sein.«

»Sie bemerkten nichts Auffälliges?«

»Nicht das Geringste. Ich trat vor dem Niederlegen an die Schlafstubenthür und horchte, aber da Alles ruhig war, so legte ich mich zu Bette. Großer Gott, hätte ich ahnen können, daß die Stille des Todes in diesem Hause herrschte!«

Es sprach soviel aufrichtige, schmerzliche Theilnahme aus den Gesichtszügen des schon bejahrten Dieners, daß der Untersuchungsrichter befriedigt mit dem Kopfe nickte.

»Wo befindet sich der Schlüssel zum Kassenschrank?«

»Der gnädige Herr pflegte ihn immer unter seinen Kopfkissen aufzubewahren.«

»War das bekannt?«

»Nein. Nur das gnädige Fräulein und ich wußten darum.«

»Die Köchin nicht?«

»Nein, denn sie hatte niemals hier oder nebenan im Schlafzimmer zu thun. Fräulein Dora und ich theilten uns ausschließlich in die Krankenpflege.«

Der Untersuchungsrichter schritt nach dem Schlafzimmer zurück. Dort näherte er sich der Bettstatt. Mit Beihilfe des Polizeikommissärs suchte er unter den zerknüllten Kopfkissen eine Weile vergeblich nach den Schlüsseln.

»Es ist kein Schlüssel da. Hat Ihr Herr nicht vielleicht noch einen anderen Aufbewahrungsort für denselben gehabt?« fragte er den Diener.

»Durchaus nicht!« widersprach dieser. »Der gnädige Herr war ja gelähmt, er vermochte ohne fremde Beihilfe sich nicht einmal im Bette zu erheben.«

Der Beamte begab sich nach dem Kassenzimmer zurück.

»Der Schrank ist regelrecht verschlossen, es ist keine Spur äußerer Gewalt sichtbar.«

»Wenn der Herr Untersuchungsrichter eine Bemerkung gestatten,« wendete der Diener ein. »Gestern Nachmittag beschäftigte sich der gnädige Herr noch mit dem Inhalte des Kassenschrankes – wohl der Bequemlichkeit halber hatte er nach dem Oeffnen den Schlüssel vor sich in das Schrankinnere gelegt – da passirte ihm das Unglück, daß die Thür zufällig in's Schloß schnappte. Er rief mich herbei, und ich mußte in die Nachbarschaft zu dem Mechaniker Beck –«

Der Untersuchungsrichter stutzte »Der Name ist mir nicht unbekannt,« sagte er.

»Das ist wohl möglich, Herr Untersuchungsrichter. Herr Beck hat früher die große Kassenschrankfabrik vor dem Südthore gehabt.«

»Ach ja, ich erinnere mich. Er hat Unglück gehabt und ist in Konkurs gerathen.«

»Er ist ein sehr geschickter Mechaniker,« fuhr der Diener fort. »Soviel ich weiß, stammt übrigens auch dieser Kassenschrank aus seiner ehemaligen Fabrik. Da er hier in der Nähe wohnt, rief ich ihn herbei; in kaum zwei Minuten öffnete er denn auch den Schrank.«

»Da würde es wohl das Gerathenste sein, den Herrn wieder zu rufen,« entschied der Untersuchungsrichter nach kurzem Besinnen. »Er wohnt hier in der Nachbarschaft?«

»Sie können seine Wohnung von den Hinterzimmern aus sehen.«

»Würden Sie ihn wohl herbeiholen wollen? Es würde zu sehr auffallen, wenn wir einen Beamten hinschickten, und ich möchte jedes Aufsehen möglichst vermeiden.«

»Ich bin sofort wieder hier,« sagte der Diener. Tief aufathmend eilte er von dannen, anscheinend froh, dem gräßlichen Anblick im Todtenzimmer und der schwülen, drückenden Luft, die in demselben herrschte, auf Augenblicke entrinnen zu können.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis er wieder kam.

In der Zwischenzeit war der Untersuchungsrichter mit dem Polizeikommissär im Todtenzimmer auf und nieder geschritten. Sie hatten eine Spur zu verfolgen begonnen, welche unregelmäßig auf die Bodenteppiche herabgetropfte Stearinflecken ihnen offenbarten. Bei Verfolgung derselben waren sie aus dem Schlafzimmer des Ermordeten getreten, hatten den Vorraum durchschritten und waren eben im Begriff, am Treppenhause vorüber in den langen Gang einzutreten, als der Diener athemlos zurückkam.

»Nun, Sie kommen allein?« frug der Untersuchungsrichter.

Der Diener nickte. »Herr Beck konnte leider nicht mit mir kommen,« berichtete er, »der Zustand seiner schon länger schwer kranken Frau ist seit gestern schlimmer geworden.«

Unmuthig schüttelte der Beamte den Kopf. »Das kommt recht ungeschickt.«

»Vielleicht können wir zu unserem gerichtlichen Sachverständigen, Herrn Walter, schicken,« warf der Polizeikommissär ein. »Er wohnt nicht übermäßig weit. Der Schutzmann könnte mit ihm in einer halben Stunde zurück sein.«

»Thun Sie das,« entgegnete der Untersuchungsrichter. »Wir haben in der Zwischenzeit Arbeit in Hülle und Fülle.«

Ein Schutzmann erhielt bezügliche Befehle und eilte davon.

»Ein Mann bleibt hier zur Bewachung zurück,« ordnete der Untersuchungsrichter an. »Wir wollen uns inzwischen nach den Gemächern der ermordeten Dame begeben.«

Unterwegs machte der Polizeikommissär seinen Vorgesetzten auf einzelne Stearintropfen, welche auf dem Boden sichtbar waren, aufmerksam. »Hier ist entschieden Jemand in großer Hast gegangen,« meinte er in flüsterndem Tone.

Der Untersuchungsrichter wendete sich an den Diener.

»Dieser Korridor ist der einzige Verbindungsweg zwischen den verschiedenen Wohnräumen, nicht wahr?« fragte er.

»Der einzige.«

»Dann ist es wohl häufig vorgekommen, daß Abends mit brennenden Stearinkerzen auf und nieder gegangen worden ist?«

»So ist es.«

»Nun, dann sind die Stearinflecken hier von keiner Bedeutung,« schaltete der Polizeikommissär ein.

»Verzeihen Sie,« unterbrach ihn der Diener, »aber gestern Abend waren die Stearintropfen noch nicht vorhanden Das könnte ich beschwören.«

»Woher wissen Sie des so genau?« frug der Untersuchungsrichter verwundert.

»Fräulein Dora war immer sehr streng,« erläuterte der Gefragte, »sie konnte den geringsten Flecken nicht ausstehen. Ich mußte erst gestern den Korridor frisch bohnen.«

»Das ist etwas Anderes,« meinte der Untersuchungsrichter, gedankenvoll vor sich niederschauend, »es ist hier im Korridor ziemlich dunkel, bringen Sie eine Lampe herbei.«

Als der Diener den erhaltenen Befehl ausgeführt hatte, setzten beide Herren ihre Nachforschungen fort. Unverkennbar führten die Stearinspuren den Korridor weiter hinauf.

Plötzlich faßte der Kommissär seinen gänzlich in ihre Verfolgung vertieften Vorgesetzten beim Arme. »Erlauben Sie, Herr Untersuchungsrichter, wofür halten Sie dies?«

Er deutete auf eine Stelle der hellen Gangtapete, die bei oberflächlichem Anschauen beschmutzt erschien.

Der Diener leuchtete auf einen Wink des Beamten mit der Lampe näher hin.

»Das ist eine Blutspur!« versetzte der Untersuchungsrichter nach sekundenlangem Schweigen.

»Es ist zweifelsohne der Abdruck einer Hand,« nahm der Kommissär das Wort. »Der Mörder hat sich von seinem Opfer im Schlafzimmer durch diesen Korridor nach dem anderen Theile der Wohnung begeben. Er mag rasch gegangen sein; das flackernde Stearinlicht hat vielleicht nicht genügende Helle verbreitet, darum hat er während des Vorwärtsschreitens mit der freien Hand um sich getastet, damit er nicht zu Falle käme. Vielleicht ist er trotzdem gestolpert, denn dem Abdrucke nach ist die blutbefleckte Hand mit schwerlastender Wucht gegen die Tapete gepreßt worden.«

»Es muß eine ganz schmale, feingeformte Hand gewesen sein,« bemerkte der Arzt, der inzwischen ebenfalls herangetreten war, »die Finger ziemlich lang und konisch geformt; es befand sich muthmaßlich ein Ring am Goldfinger.«

»Ganz recht, es ist die linke Hand des Mörders, deren Abdruck wir vor uns haben!« bestätigte der Untersuchungsrichter. »Sie werden die Güte haben,« wendete er sich dann an den Kommissär, »und die genauen Maße abnehmen.«

Der Kommissär verbeugte sich und befahl einstweilen einem Schutzmanne, bei der Spur Aufstellung zu nehmen.

Dann verfolgte die Kommission ihren Weg weiter.



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