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Schon seit einer geraumen Weile befand sich der Untersuchungsrichter Alberti in seinem Amtszimmer, als ihm endlich die Ankunft des Polizeikommissärs Grösser mit seinem Gefangenen, dem Baron Hugo v. Engler, gemeldet wurde.
Gleich darauf trat, von Grösser geleitet, Hugo in das Zimmer ein.
Die kurze Spanne Zeit, welche die Fahrt von der Wichern'schen Villa nach dem Justizgebäude in Anspruch genommen, hatte eine vollständige Umwandlung bei ihm bewirkt. Stolz aufgerichtet trat er dem Beamten entgegen, es kaum der Mühe für werth haltend, sich flüchtig vor demselben zu verneigen
»Herr Untersuchungsrichter,« begann er sogleich, kaum daß sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte. »Ich erhebe Protest gegen die unerhörte Art und Weise, in der man es gewagt hat, gegen mich vorzugehen!«
Alberti schaute ihn scharf und durchdringend an. »Ich möchte Ihnen in Ihrem eigenen Interesse rathen, jedes Pathos bei Seite zu lassen,« versetzte er. »In diesen Räumen gilt einzig und allein die Macht der Thatsachen, vor diesen aber haben Alle – auch Sie – sich zu beugen!«
Er schwieg einen Augenblick, dann winkte er den Kommissär zu sieh heran und ließ sich von diesem einen kurzen Bericht über die Verhaftung erstatten.
«Treten Sie näher,« sagte er dann zu Hugo gewendet. »Eine Haussuchung in Ihrer Wohnung hat ein Kleidungsstück vermissen lassen, welches Sie noch vor kurzer Zeit nachweislich besessen haben. Ich meine einen sogenannten Radmantel aus grauem Stoff. Haben Sie denselben verkauft oder wo befindet er sich gegenwärtig?«
Hugo schien seine Frage gar nicht recht zu verstehen.
Auch als Alberti ihm dieselbe wiederholte, zuckte er die Achseln.
»Sie befinden sich im Irrthum,« sagte er dann. »Einen grauen Radmantel habe ich niemals besessen.«
»Sie wissen sehr gut, daß es mir nur eine Kleinigkeit ist, Sie von dem Gegentheil zu überführen!«
»Ich bitte darum,« entgegnete der Baron. »Es würde mir selbst sehr interessant sein, den Zeugen kennen zu lernen, der im Stande ist, mir ein niemals besessenes Kleidungsstück anzudichten.«
»Sie sind in demselben gesehen und erkannt worden. Wollen Sie leugnen, daß Sie am Abend des 25. Juli kurz vor Schalterschluß im Bahnpostamt Kreuzlingen gelegentlich der Auslieferung eines für Fräulein Hedwig Beck bestimmten, mit tausend Mark versicherten Werthpacketes einen grauen Radmantel getragen haben?«
Hugo zuckte mit den Achseln. »Wenn ich mich nicht in den Räumen des Justizgebäudes befände, so würde ich glauben, Sie wollten Ihren Scherz mit mir treiben,« versetzte er dann. »Ich bin meines Wissens noch niemals in Kreuzlingen gewesen, ich verstehe Ihre Frage also nicht im Geringsten!«
Die Blicke beider Männer trafen sich wie die Klingen zweier erbitterter Fechter, die fest entschlossen sind, einander keinen Pardon zu gewähren.
»Es ist das gewöhnliche System absoluter Ableugnung, welches Sie anwenden,« entgegnete der Untersuchungsrichter. »Sie werden kein sonderliches Glück mit demselben haben, denn es stehen mir glaubwürdige Personen zur Verfügung, welche Sie überführen werden.«
»Diese Personen werden lügen, wenn sie mich wieder zu erkennen meinen.«
»Sehen Sie sich dieses Schränkchen an,« sagte der Untersuchungsrichter plötzlich aufstehend und einem Wandfache eine kleine Truhe ans Ebenholz, kostbar mit Elfenbeinintarsien geschmückt, entnehmend. »Kennen Sie dasselbe?«
Hugo wurde, als seine Blicke den Gegenstand streiften, eine Sekunde lang glühend roth und eine leichte Verwirrung schien ihn zu überkommen.
Aber schon im nächsten Augenblicke faßte er sich wieder.
»Ja, ich habe es einmal in dem Laden eines Trödlers gesehen, wenn ich nicht irre.«
»Sie wissen zweifellos, daß Tikunagift in einer dieser Phiolen enthalten ist,« fuhr der Untersuchungsrichter fort, zugleich eine Schrankthür öffnend und die in dessen Innern zierlich in zwei Reihen aufgestellten, sorgsam etikettirten und sämmtlich mit einem Todtenkopf versehenen Fläschchen zeigend. »Es ist eine sogenannte Giftapotheke und enthält eine überraschende Auswahl der gefährlichsten Gifte. Sie wissen ohne Zweifel bereits, daß heute Nacht der Trödler Schimmel, wie seinerzeit auch Ihre Cousine Dora durch Tikunagift ermordet worden sind.«
Hugo wurde todtenbleich, dann antwortete er: »Den Inhalt kenne ich nicht, ich weiß nur, daß ich das Schränkchen einmal bei einem Trödler, zu dem mich irgend eine Geschäftsangelegenheit geführt, gesehen zu haben glaube. Die Form der Truhe ist ja so auffallend und eigenartig, daß sie sich Einem unwillkürlich in das Gedächtniß einprägen mußte.«
»Und wie hieß dieser Trödler?«
Hugo zögerte mit der Antwort.
»Ich frage Sie nach dem Namen dieses Mannes,« drängte der Untersuchungsrichter. »Es ist doch nicht gut möglich, daß Sie dessen Namen vergessen haben, da Sie sich sogar noch des nebensächlichen Umstandes zu erinnern vermögen, daß derselbe dieses Giftschränkchen besessen hat.«
»Irre ich nicht, so war es der Trödler Schimmel.«
»So geben Sie also zu, mit diesem Manne bekannt gewesen zu sein?«
»Wenn Sie jeden Kaufmann, bei dem Sie sich einmal Cigarren geholt haben, zu Ihrem Bekanntenkreise rechnen, dann ja,« versetzte Hugo. »Die mir ungewohnte Prozedur hat mich übrigens angestrengt, Sie werden gestatten, daß ich mich setze.«
Dabei ließ er sich auch schon auf dem nächsten Stuhle nieder und schlug ein Bein über das andere. Sich leicht zurücklehnend schaute er den Untersuchungsrichter mit der Miene eines Mannes an, der unter Umständen gewillt ist, einen ihm nicht völlig zusagenden Scherz mitzumachen, um abzuwarten, wie weit der Andere sich zu gehen untersteht.
»Ich glaube, daß Ihre Bekanntschaft mit dem Trödler Schimmel denn doch eine intimere gewesen ist,« begann Alberti wieder.
»Das zu beweisen dürfte Ihnen schwer fallen« entgegnete Hugo »Ich kann mich dieses Menschen kaum noch entsinnen.«
»Nun, der hier anwesende Polizeikommissär wird Ihnen beweisen, daß Sie sich bei diesem Menschen, dessen Sie sich angeblich kaum zu entsinnen vermögen, heute Nacht stundenlang aufgehalten haben.«
Hugo schaute den im Hintergrunde des Zimmers stehenden Kommissär prüfend an. »Sie müssen sich getäuscht haben, ich sagte vorhin schon, daß das eine ungeheuerliche Behauptung ist, die ich entschieden zurückweisen muß,« versetzte er.
Der Kommissär zuckte nur schweigend die Achseln. »Davon werden wir nachher sprechen,« sagte Alberti. »Beschäftigen wir uns vorher noch ein wenig mit diesem Schränkchen. Einzelne der Phiolen sind nicht mehr ganz gefüllt, hier zum Beispiel, dieses schwarzgefärbte Gläschen enthält nur noch einen Theil seines früheren Inhaltes. Es steht Tikunagift darauf, wissen Sie, wohin der fehlende Theil der Substanz gekommen ist?«
»Ich sagte Ihnen schon, daß ich das Ding gelegentlich nur einmal bei dem Trödler gesehen habe. Aber ich muß denn doch bitten, dies Verhör bald zu Ende zu führen; ich wünsche und verlange zu wissen, wie man sich hat unterfangen dürfen, sich meiner Person zu bemächtigen?«
»Wo verbrachten Sie die Nacht vom 20. auf den 21. Juli dieses Jahres?« fragte Alberti plötzlich.
Hugo entfärbte sich ein wenig. »Sie fragen mich wirklich zuviel,« meinte er dann leichthin. »Woher soll ich Ihnen jetzt nach Monaten noch sagen, wo und wie ich irgend eine Nacht zugebracht habe? Ich vermuthe übrigens, da ich kein Nachtschwärmer bin, im Bette.«
»Nun, diese Nacht sollte doch Interesse genug für Sie haben, da während derselben zwei Ihrer Verwandten ermordet worden sind!«
»Ah so,« meinte Hugo gedehnt und er schien sich erst jetzt wieder auf dieses Faktum zu entsinnen. »Ganz recht, dies war am 21. Juli.«
»Sie sind in der Lage, Ihr Alibi für diese Nacht nachweisen zu können?«
Der Baron schien einen Augenblick nachzusinnen.
»Nichts leichter als das,« entgegnete er dann. »Ich hatte schon am Nachmittage bei meiner Braut über Kopfweh geklagt – sie wird mir dies bestätigen – und aus diesem Grunde begab ich mich auch schon früher als sonst nach Hause. Leider war ich unvorsichtig genug gewesen, um meinen Schmerz zu übertäuben, der Aufforderung einiger zufällig mir begegnenden Freunde zu entsprechen und an einer kleinen Kneiperei theilzunehmen. Ich mag da wohl des Guten ein wenig zuviel gethan haben, denn mein Kopfweh verschlimmerte sich derart, daß ich während der Nacht meine Wirthin rufen mußte.«
»Sie wissen, daß Ihre Cousine an Tikunagift gestorben ist?«
»Genaues weiß ich nicht. Indessen will ich es Ihnen glauben. – Aber inwiefern kann das mich und meine Person betreffen?«
»Wenn ich Ihnen nun sagen würde, daß Sie im Verdacht ständen, den damaligen zweifachen Raubmord begangen zu haben?«
»So würde ich Ihnen antworten, daß ich glaubte, mich im Irrenhause statt im hiesigen Justizgebäude zu befinden,« lautete die rasch und ebenso scharf gegebene Antwort.
»Sie sprechen sehr zuversichtlich,« versetzte Alberti. »Aber angesichts der mit jedem Augenblicke sich immer mehr wider Sie anhäufenden Verdachtsmomente möchte ich Ihnen doch lieber zu einem offenen Geständnisse rathen.«
Hugo zuckte nur verächtlich die Achseln. »Ich möchte darauf gar nichts entgegnen,« sagte er dann kurz. »Ich habe nur noch energischen Protest gegen die unwürdige Komödie, die hier getrieben wird und zu deren unfreiwilligem Mittelpunkte man mich gemacht hat, einzulegen!«
»Sie waren doch eben daran, die Flucht zu ergreifen, als Sie verhaftet wurden!« warf der Untersuchungsrichter ein. »Ein Mann mit gutem Gewissen hat doch keinen stichhaltigen Grund, sich durch das Hinterpförtchen eines Hauses zu schleichen, dessen Hauptportal ihm zur Benutzung freisteht! – Aber ganz abgesehen davon,« setzte er dann hinzu, »liegen noch andere Widersprüche vor, auf die ich Sie aufmerksam zu machen habe. Sie stellen es zum Beispiel in Abrede, heute Nacht in der Wohnung des Trödlers Schimmel geweilt zu haben?«
»Ganz sicher.«
Der Untersuchungsrichter winkte Grösser, näher heranzutreten. »Vielleicht haben Sie die Güte, dem Gedächtniß dieses Herrn ein wenig nachzuhelfen?« bemerkte er.
Während des Berichtes des Kommissärs wurde Hugo auffällig bleich im Gesicht.
»Man hat also für gut befunden, mein Thun und Treiben auszuspioniren?« versetzte er dann verächtlich. »Nun gut denn, ja, ich will es zugeben: ich war heute Nacht wirklich bei dem Trödler Schimmel.«
»Da haben Sie sich zum Mindesten eine recht ungewöhnliche Besuchsstunde ausgesucht,« entgegnete Alberti. »Darf ich fragen, aus welchem Grunde Sie eine solche vorzogen?«
»Das ist meine Privatangelegenheit, über welche ich eine jede Auskunft verweigere.«
»Um die sich indessen das Gericht doch wohl bekümmern dürfte angesichts des Umstandes, daß der Trödler Schimmel heute Nacht todt im Bette aufgefunden und vom Kreisphysikus bereits konstatirt worden ist, daß der Tod spätestens um ein Uhr Nachts, also zu einer Zeit eingetreten ist, nach welcher Sie noch in der Wohnung des Trödlers verweilten. – Was haben Sie darauf zu sagen?« »
Hugo hielt den forschenden Blick des Beamten scheinbar ruhig aus, aber er antwortete nicht.
Auf Sekunden wurde es still im Zimmer.
»Nun, was haben Sie darauf zu sagen?« unterbrach Alberti das Schweigen.
»Es ist mir fatal genug, daß ich Ihnen hierauf Rede und Antwort stehen muß,« versetzte Hugo, während ein nervöses Zucken seine Lippen umspielte. »Aber Sie werden mir doch hoffentlich keinen Mord zutrauen. Welchen Grund sollte ich zur Begehung eines solchen auch gehabt haben?«
»Das werden wir nachher zu erörtern haben. Ich erwarte zunächst Aufklärung wegen Ihres nächtlichen Besuches bei dem Trödler.«
»Ich hatte in einer Privatangelegenheit mit dem Trödler zu verhandeln. Es war mir peinlich, mit demselben am Tage zu verkehren, weil er doch ein ziemlich berüchtigter Mensch war, deshalb wählte ich mit seiner Zustimmung die Nachtstunde. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß er ab und zu mit jungen Kavalieren Geldgeschäfte zu machen pflegte. Ich will ganz offen sein: die langwierige Verschleppung meines Erbschaftsprozesses kam mir sehr ungelegen, ich wollte deshalb ein Kapital bei dem Trödler aufnehmen. Die Propositionen, die er mir heute Nacht zu machen wagte, waren aber im höchsten Grade unverschämte, ich sagte ihm auch unverblümt meine Meinung. Dies schien er mir sehr übel zu nehmen, denn er ereiferte sich und zeterte in ganz ungeberdiger Weise, ein Wort gab das andere, und schließlich geriethen wir hart aneinander. Es mochte eine geraume Zeit nach Mitternacht sein, als der Trödler zu meinem Entsetzen plötzlich lang auf das Sopha, auf welchem er Platz genommen hatte, hinfiel. Er lallte mir noch eben kaum verständlich entgegen: ›Das sind meine Krämpfe, ich bekomme sie immer, wenn ich mich stark ärgere. Dort – dort auf dem Regal, das kleine Schränkchen, oberste Reihe, das dritte Fläschchen – Krystalle in ein Glas mit Wasser!‹ – Obwohl mir die Sache höchst peinlich war, sprang ich dem sich in Krämpfen windenden Trödler doch zu Hilfe. Ich betrachtete seine Worte als einen mir gewordenen Befehl, machte die Mischung zurecht und flößte sie ihm über die halberstarrten Lippen. Dann geschah zu meinem Entsetzen Schreckliches; Schimmel begann unheimlich zu röcheln, dann lag er ganz still da.«
Der Sprecher hielt einen Augenblick inne und warf einen Blick auf die beiden im Zimmer Anwesenden, wie um die Wirkung seiner Worte zu beobachten.
»Sie erzählen recht gut,« meinte der Untersuchungsrichter trocken. »Aber was geschah nun weiter?«
»Ich wußte mir vor Schreck nicht zu helfen,« fuhr Hugo fort. »Da lag der todte Mann, ich aber zu tiefer Nachtstunde allein in seiner Behausung –«
»Nun, da wäre doch nichts natürlicher gewesen, als Sie hätten so schnell wie möglich einen Arzt geholt!«
»Ich war auch schon im Begriffe, dies zu thun,« berichtete Hugo weiter. »Aber da überkam mich plötzlich der Gedanke, ich könne am Ende dem Trödler aus einem falschen Fläschchen eingegeben oder mich in der Quantität geirrt haben. Vielleicht habe ich in der Aufregung ein anderes als das verlangte Fläschchen entkorkt. Kurzum, der Gedanke stieg in mir auf, daß ich durch den Tod des Trödlers in Ungelegenheiten kommen könne, wie das ja nun auch der Fall ist.«
»Und was thaten Sie nun?«
»Ich hatte vielleicht Unrecht, derart zu handeln,« meinte Hugo, ruhig den forschenden Blick des Anderen aushaltend. »Ich habe mir, offen gestanden, auch schon Gewissensbisse daraus gemacht, aber schließlich ist sich Jeder selbst der Nächste. Kurz, ich dachte daran, die Spuren meiner Anwesenheit bei dem Trödler möglichst zu verwischen, ihn selbst aber zu entkleiden und in das Bett zu legen, damit der Glaube entstehen konnte, er sei einem Schlaganfalle während der Nacht erlegen.«
»Sie führten dieses Vorhaben aus?«
»Jawohl.«
»Wollen Sie mir vielleicht auch noch erklären, woher es kommt, daß wir heute Morgen das gesammte Waarenlager in einer grenzenlosen Unordnung auffanden?«
»Nichts leichter als das,« erwiederte der Baron, »Ich befand mich heute Nacht in einer furchtbaren Erregung, ich wußte nicht mehr, was ich that. In meinem Bestreben nun, dem Trödler Hilfe zu bringen, habe ich mich jedenfalls kopflos genug angestellt, es ist mir noch dunkel in der Erinnerung, daß ich alles Mögliche geöffnet und bei Seite geworfen habe. Ich glaube, meine Bestürzung hat mich aller Ueberlegung beraubt; um ein Glas Wasser herbeizuholen, öffnete ich Schubladen, kurzum, ich hatte den letzten Funken von Ueberlegung verloren«
»Glauben Sie, mit solchen Märchen durchdringen zu können?« sagte Alberti. Dabei war er aufgestanden und wie zufällig dicht an den Kommissär herangetreten und hatte diesem einige Worte zugeflüstert.
Grösser nickte kurz mit dem Kopfe und verließ dann das Zimmer.
Kaum eine Minute später kehrte er schon wieder; in der Rechten einen länglichen Bogen Papier haltend, zurück.
»Haben Sie die Güte, einmal näher zu treten,« wendete er sich gleich darauf an den Baron. »So, bitte,« setzte er hinzu, als dies geschehen war und er den mitgebrachten Bogen auf den Schreibtisch gelegt hatte, »wollen
Sie die Güte haben, Ihre linke Hand einmal auf das Papier zu legen?«
»Ich verstehe Sie nicht. Wozu denn das?« fragte Hugo verwundert.
Aber fast gewaltsam ergriff der Kommissär seine Linke und preßte sie auf eine mit Tusche in kräftigen Linien ausgeführte Zeichnung, die sich auf dem Papierbogen befand.
»Die Handspur paßt fast ganz genau,« sagte er dann zu dem Untersuchungsrichter. »Selbst hier der breite Goldreif, der sich am vierten Finger befindet, prägt sich beinahe ebenso aus, wie an der von mir abgenommenen Spur, nur die Länge der Finger weicht um ein Geringes ab.«
»Ich begreife das Alles nicht …« stammelte Hugo, unwillkürlich seine Hand loszerrend.
»Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß ich Sie des Mordes an Ihrem Oheim für überführt erachte,« sagte Alberti kurz und schroff. »Ich darf wohl annehmen, daß Ihnen die Einzelheiten des wider Beck angestrengten Prozesses genau bekannt sind. Sie entsinnen sich wohl auch noch des Umstandes, daß eine blutige Handspur im Verbindungsgange aufgefunden worden ist. Diese Spur hat bisher mit keiner der damit verglichenen Handflächen passen wollen. Sie rührt von Ihnen her.«
»Diese Behauptung verdient –« stammelte Hugo,
Der Untersuchungsrichter unterbrach ihn. Er kramte in den auf dem Schreibtisch liegenden Papieren umher, dann hielt er Hugo plötzlich die drei Accepte vor, welche in der ehemaligen Wohnung Beck's von Grösser aufgefunden worden waren.
»Bestreiten Sie vielleicht auch Ihre Bekanntschaft mit diesen Papieren?« fragte er.
»Doch, ich kenne diese Papiere,« entgegnete Hugo, nachdem er einen flüchtigen Blick auf die Wechsel geworfen, aber zugleich auch einen heftigen Schreck nicht zu verbergen vermocht hatte. »Es sind meine Accepte.«
»Ja, Sie sind der Aussteller, die Aufschrift rührt von Ihrem Herrn Onkel her, nicht wahr?«
Wieder warf Hugo einen Blick auf die Papiere. Dem Untersuchungsrichter entging es nicht, wie seine Hand zitterte. »Sie werden wohl Recht haben,« lautete die mit plötzlich heiser gewordener Stimme gegebene Antwort.
»Ihr verstorbener Onkel gab Ihnen vermuthlich diese Papiere zur Deckung irgend einer Verbindlichkeit?«
»Jawohl,« versetzte Hugo. »Er war immer recht gütig gegen mich.«
»Ich erinnere mich noch deutlich Ihrer Aussage, nach welcher Sie schon längere Zeit mit Ihrem Oheim verfeindet gewesen sind. Wollen Sie mir nicht sagen, wann ungefähr diese Verfeindung eingetreten ist?«
Er hatte während dieser Worte nicht verhindern können, daß Hugo einen raschen Blick auf die Accepte geworfen hatte. »So genau entsinne ich mich dessen nicht mehr, jedenfalls aber ist es im Februar gewesen,« versetzte dieser dann schnell.
»Also nach Ausstellung dieses Acceptes?«
»Selbstredend. Andernfalls würde mein Onkel mir wohl schwerlich die Accepte gegeben haben.«
»Sehr richtig. Wie ich Ihren Oheim den Zeugenaussagen nach zu kennen glaube, war er überhaupt recht genau im Punkte des Geldgewährens. Sie werden schon einen harten Stand gehabt haben, ehe Sie diese Accepte überhaupt von ihm erhielten.«
»Das will ich nicht ableugnen,« bestätigte Hugo. »Gerade der Umstand, daß ich schon bald darnach eine neue Summe Geldes zu erhalten wünschte, führte unseren Bruch herbei.«
»Wenn ich Ihnen nun aber sage, daß dieser Bruch bereits am 24. Januar stattgefunden hat?«
Hugo entfärbte sich. Er mußte seinen Blick abwenden.
»Das – das dürfte ein Irrthum sein«
»Nein, das ist eine beschworene Thatsache. Heute Morgen erst hat der ehemalige Diener Ihres Oheims seine Aussage, daß der Bruch zwischen Ihnen und seinem früheren Herrn am Geburtstage des Letzteren, am 24. Januar dieses Jahres stattgefunden hat, auf seinen Eid genommen. Diese Wechsel hier sind, da sie am 28. Januar ausgestellt worden sind, also erst nach eingetretenem Bruche von Ihrem Oheim unterschrieben worden. Sie sind doch von ihm unterschrieben worden?«
»Selbstverständlich!« brauste Hugo auf.
»Sie sagten doch vorhin selbst, daß Ihr Oheim Ihnen diese Accepte nach der eingetretenen Entfremdung schwerlich gegeben haben würde,« verfolgte Alberti den einmal errungenen Vortheil weiter. »Wie kommt es nun aber, daß gerade der Trödler Schimmel diese Accepte in Besitz hatte? Sie haben offenbar schon früher Geldgeschäfte mit ihm gemacht?«
»Nun ja,« gab der Baron widerwillig zu. »Er diskontirte mir die zweifellos sicheren Wechsel.«
»Schimmel scheint aber doch seine Bedenken gegen deren Sicherheit gehabt zu haben. Die Wechsel sind schon seit Ende April fällig gewesen und, obwohl Ihr Herr Oheim noch beinahe ein volles Vierteljahr lebte, hat Schimmel sie nicht zu dessen Lebzeiten präsentiren lassen. Auch nach dem Tode des Barons hat er sie nicht dem Erbschaftsgerichte eingereicht, das doch selbstverständlich für sofortige Regulirung gesorgt haben würde. Welche Erklärung wissen Sie für diesen doch mindestens sehr sonderbaren Umstand?«
»Aber ich kann doch nicht wissen, aus welchen Gründen der Trödler dies unterlassen hat, ich bin doch der Vormund dieses Mannes nicht gewesen!«
»Nun, die Annahme dürfte wohl doch unter diesen Umständen gerechtfertigt sein, daß der Trödler sehr wohl wußte, eine Präsentation bei dem alten Herrn würde ihm wenig nützen. Ganz richtig vermuthete er jedenfalls, daß des Letzteren Unterschrift – gefälscht worden war! Was sagen Sie zu dieser Auslegung?«
Hugo starrte vor sich nieder und schwieg. Dann lächelte er verächtlich. »Darauf habe ich keine Antwort,« sagte er kalt.
»Welcher Grund veranlaßte Sie dazu, mit dem Trödler Schimmel in Chiffrebriefwechsel zu treten?«
Hugo schrak zusammen. »Das wollen Sie herausgeklügelt haben? Sie sagen mir lauter artige Geschichten, von denen ich selbst keine Ahnung habe,« murmelte er mit zuckenden Lippen.
»Herr Kommissär Grösser ist in der Lage, Ihnen die ganze Korrespondenz klarlegen zu können. Sie erhielten Ihre Aufforderungen Seitens des Trödlers durch Inserate im hiesigen Tagblatte, deren Ueberschrift immer gleichmäßig lautete: ›Liedervers entfallen.‹ Ist Ihrem Gedächtniß dieser Umstand entfallen?«
Des Barons Miene nahm einen finsteren, besorgten Ausdruck an. Er starrte zu Boden und schwieg.«
»Nun, wollen Sie mir keine Antwort geben?« frug der Untersuchungsrichter.
Als er dann noch immer keine Antwort erhielt, trat er näher auf Hugo zu. »Ich halte es für das Beste, Herr Baron, wenn Sie keine weiteren Ausflüchte machen, sondern ein offenes, ehrliches Geständniß ablegen,« versetzte er in ernstem Tone. »Eine Reihe von Zufälligkeiten hat eine Beweiskette gegen Sie gebildet, die geradezu niederdrückend ist. Ihre Handfläche stimmt auffallend mit der vorgefundenen Blutspur überein. Zudem müssen Sie einräumen, am 25. Juli in Kreuzlingen gewesen zu sein und dort das für Fräulein Hedwig Beck bestimmte Werthpacket aufgegeben zu haben –«
»Nein, das ist eine Verdächtigung, gegen welche ich nicht genug protestiren kann,« unterbrach ihn Hugo in maßloser Erregung. »Ich war nicht in Kreuzlingen, ich reiste in entgegengesetzter Richtung und ich bin durchaus im Stande, mein Alibi nachzuweisen!«
»Nun, man wird Erkundigungen einziehen, welche die Glaubwürdigkeit Ihrer Angaben feststellen werden.«
»Ich bitte sogar darum, ich vermag mein Alibi während des kritischen Abends auch auf das Genaueste nachzuweisen.«
Der Untersuchungsrichter zuckte ärgerlich die Achseln.
»Sie wollen also nichts gestehen, nichts?« frug er, einen Schritt von dem Angeklagten zurücktretend.
»Nein!« sagte Hugo scharf und bestimmt. »Ich habe nichts zu gestehen!«
Wieder prallten die Blicke beider Männer jäh aufeinander, aber Hugo schlug die Augen vor dem Blicke des Anderen nicht nieder.
»Nun gut, Herr Baron Hugo v. Engler, dann bestätige ich Ihnen hiermit die wider Sie ergangene Verhaftung,« sagte Alberti. Dann sich an den Polizeikommissär wendend, fügte er hinzu: »Sie werden Sorge dafür tragen, daß der Herr in Untersuchung abgeführt wird.« Dann sich wieder Hugo zudrehend fuhr er fort: »Vorher indessen bin ich genöthigt, das mit Ihnen bisher erfolgte Verhör genau zu Protokoll nehmen zu lassen.«
»Sie werden mir später Rechenschaft geben für diese unwürdige Behandlung!« stammelte Hugo.
»Rechenschaft zu geben ist vorläufig Ihre Pflicht. Im Uebrigen thue ich meine Schuldigkeit, nichts mehr, nichts weniger.«
Mit ernster Gemessenheit ersuchte er den jungen Baron, ihm gegenüber Platz zu nehmen; auf sein Klingeln kam ein Protokollant herbei.
Es war inzwischen schon dunkel im Zimmer geworden und die Gasflammen wurden entzündet. –
Eifrig flog die Feder des Schreibenden über das Papier.
Schon neigte die Protokollaufnahme sich dem Ende zu, da klopfte es an die Thür. Ein Bote trat ein und bat den noch immer anwesenden Polizeikommissär, herauszukommen.
Eine geraume Weile später erschien derselbe ersichtlich erstaunt und bewegt wieder. Er näherte sich dem Untersuchungsrichter und sagte flüsternd einige Worte zu ihm.
Dieselben verfehlten offenbar ihre tiefe Wirkung auf Alberti nicht; hastig erhob sich dieser und trat mit seinem Untergebenen in eine Fensternische.
Hier unterhandelten Beide einige Minuten. Dann nickte der Untersuchungsrichter zustimmend mit dem Kopfe, der Kommissär aber eilte hastig aus dem Zimmer.