Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Korridor endete vor einem Wandschranke. Unmittelbar vor diesem befand sich zur Rechten eine Thür.
Der Schutzmann, welcher die Gerichtskommission vorhin unten im Hausgange empfangen hatte, eilte voran und schloß die Thür auf.
»Es ist das Wohnzimmer des gnädigen Fräuleins Dora v. Gerstenberg,« bemerkte der Diener auf den fragenden Blick des Untersuchungsrichters.
Die Herren traten in das ziemlich geräumige, behaglich ausgestattete Gemach. In demselben waren ebenfalls die Gardinen herabgelassen. Eine drückend schwüle Atmosphäre herrschte in dem Raume.
Wieder befahl der Untersuchungsrichter das Oeffnen der beiden Fenster. Dann wendeten sich die Blicke der Eingetretenen auf den regungslos ausgestreckt auf dem Boden liegenden Körper einer Dame.
Dieselbe mochte Ausgangs der dreißiger Jahre gestanden haben; ihr verkniffenes Gesicht, das zahlreiche Falten zeigte, mochte schon im Leben nicht schön zu nennen gewesen sein, jetzt aber wies es eine geradezu abschreckende Häßlichkeit auf. Ein seltsames Erschrecken schienen die erstarrten Züge noch im Tode zu offenbaren, ein angstvoller Zug hatte die schlaff herabhängenden Mundwinkel versteinert.
Der Untersuchungsrichter befahl, die Leiche auf das Sopha zu legen. Dann trat er mit dem Polizeikommissär an dieselbe heran.
Der Letztere hob die linke, erkaltete Hand der Todten in die Höhe. Dann stieß er einen kurzen Ausruf aus.
»Seltsam! Eine schmale zierliche Hand, die Finger lang und konisch!« rief er.
Prüfend betrachtete auch sein Vorgesetzter die Hand.
»In der That, die Uebereinstimmung mit der Spur im Korridor ist unverkennbar. Auch befindet sich ein breiter Goldreif am Ringfinger. Aber es ist keine Spur von Blut an der Hand wahrnehmbar.«
Der Kommissär blickte spähend im Zimmer umher.
Sein Blick fiel auf eine angelehnte, zu einem Nebenraume führende Thür. Einer Eingebung folgend, eilte er nach derselben und stieß sie vollends auf. »Bitte kommen Sie hierher, Herr Untersuchungsrichter,« ersuchte er. »Hier ist das Schlafzimmer der Todten, das Waschbecken ist mit blutgetränktem Wasser angefüllt, offenbar hat sich hier der Thäter die Hände gereinigt!«
Sein Vorgesetzter trat in das Nebenzimmer und überzeugte sich von der Richtigkeit der gemachten Wahrnehmung. »Das wäre schon immerhin eine Spur,« meinte er gedankenvoll »Messen Sie doch die linke Hand der Todten genau ab und vergleichen Sie die Maße mit der Spur draußen!«
Der Kommissär kam dem Befehle nach. Beide Herren gingen dann nach dem Korridor zurück.
Sorgfältig maß der Kommissar, aber er hörte bald kopfschüttelnd auf. »Wir haben uns getäuscht, Herr Untersuchungsrichter,« meinte er, »die Finger der Spur sind über einen Zoll länger, wenngleich eine seltsame Uebereinstimmung in der Bildung beider Hände sich nicht bestreiten läßt.«
Untersuchungsrichter Alberti überzeugte sich durch nochmaliges Nachmessen von der Richtigkeit dieser Behauptung. Nachdenklich wiegte er dann den Kopf. »Sie haben Recht, lieber Grösser, die Spur ist von der Handfläche der Todten verschieden; es scheint überhaupt der Abdruck einer männlichen Hand zu sein. Die That ist aber offenbar auch nicht von einem Einzelnen begangen worden.«
Die Herren kehrten nach dem Wohngemache zurück, in welchem der Gerichtsarzt inzwischen mit einer genauen Untersuchung der Leiche begonnen hatte.
Neben dem Sopha stand ein weißgedeckter Tisch, auf dem sich die Ueberreste einer feinen Abendmahlzeit und einige geleerte Weinflaschen befanden. Ein einziges Glas stand leer auf dem Tische.
Der Polizeikommissär war prüfend an das Fenster getreten, dann deutete er auf einige weißliche Flecken, die sich auf dem Fußboden dicht neben einem niedrigen Schränkchen zeigten. »Sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, hier ist wieder dieselbe Stearinspur. Zum Ueberfluß steht hier auch noch ein silberner Armleuchter, beide Kerzen fast herabgebrannt. Das Metall ist an der einen Seite mit Stearin völlig besudelt, ein sicheres Zeichen, daß während des Brennens der Leuchter schief getragen wurde.«
»Eine sonstige äußere Spur ist nicht zu entdecken. Ich stimme Ihrer Vermuthung bei, der Verbrecher kann nicht gut von Außen eingedrungen sein. Ist dies aber dennoch der Fall, dann muß er einen Mitschuldigen im Hause selbst besessen haben,« flüsterte der Untersuchungsrichter.
»Sagen Sie,« wendete er sich dann an den Diener, »das Fräulein war gestern Abend und einen guten Theil der Nacht allein mit dem Herrn Baron in der Wohnung. Die Köchin war ja auch wohl ausgegangen, nicht wahr?«
»Sie hatte ebenfalls Urlaub.«
»Gut, rufen Sie mir dieselbe!«
Der Diener eilte aus dem Zimmer.
»Ich glaube schon klar zu sehen,« meinte der Untersuchungsrichter dann in flüsterndem Tone zu dem Kommissär. »Jene Person dort« – er deutete leichthin mit der einen Hand auf die Todte, um die noch immer der Arzt beschäftigt war – »scheint den Mord verübt zu haben. Vielleicht sind alsdann Gewissensbisse in ihr erwacht und sie hat sich selbst vergiftet.«
Der Diener, gefolgt von der Köchin, trat wieder in das Gemach ein.
»Sie befanden sich heute Nacht ebenfalls nicht im Hause?« fragte der Untersuchungsrichter, hart an die Köchin herantretend.
»Ich hatte Ausgangserlaubniß von dem gnädigen Fräulein erhalten,« versetzte diese ängstlich, dabei einen entsetzten Seitenblick nach dem auf dem Sopha liegenden Leichnam werfend. »Es ist sonst gar nicht meine Gewohnheit, mich Abends auswärts aufzuhalten, aber gestern hatte gerade eine Verwandte Geburtstag; ich hatte das gnädige Fräulein gefragt und wollte nur höchstens bis elf Uhr Erlaubniß haben, sie meinte aber gütig, ich könne getrost so lange bleiben, wie ich nur wolle. Sie gab mir sogar den Hausschlüssel mit, was sonst niemals geschah.«
»Lag es denn in der Eigenart der Todten begründet, ans eigenem Antriebe Urlaub zu ertheilen?«
Die Köchin zuckte die Achseln »Ich habe mich selbst darüber gewundert,« versetzte sie alsdann, »früher hat Fräulein Dora so leicht keine Ausgangserlaubniß ertheilt.«
»So ist es,« bestätigte der Diener. »Erst seit einigen Monaten ist sie anders geworden. Ich sagte ihr auch gestern Abend, daß ich lieber zu Hause bleiben wolle, weil sie ja sonst ganz allein mit dem kranken Herrn sei, aber sie meinte durchaus, ich solle nur gehen.«
»Fiel Ihnen das nicht auf?« wendete der Untersuchungsrichter sich an die Köchin.
Diese schüttelte den Kopf. »Es war nun bereits das dritte Mal, daß Fritz und ich zu gleicher Zeit Nachts beurlaubt worden waren. Das zweite Mal wollte ich zu Hause bleiben, weil ich Zahnschmerzen bekommen hatte, aber das gnädige Fräulein litt es nicht, ich mußte fortgehen.«
»Machten Sie sich darüber nicht Ihre besonderen Gedanken?«
»Das wohl, aber der Gnädigen durfte man nicht widersprechen.«
»Das Fräulein war überhaupt sehr eigen,« schaltete der Diener ein. »Ich dachte gar nicht daran, die vergangene Nacht auszugehen, aber Fräulein Dora bot es mir selbst an. Sie gab mir sogar den anderen Hausschlüssel, obwohl sie nun selbst keinen mehr hatte.«
»Wie stand denn die Verstorbene mit ihrem Oheim?«
»Hm, Fräulein Dora hatte so eine eigene Art, wie ihr gerade die Laune kam. Ich glaube, unser gnädiger Herr fürchtete sich wohl ein wenig vor ihr.«
»Hatten sie öfters miteinander Streit?« forschte der Beamte weiter.
Die Bediensteten schauten sich an. »Nicht daß ich wüßte,« meinte die Köchin alsdann, »der gnädige Herr war zu krank dazu. An Pflege hat es ihm Fräulein Dora durchaus nicht fehlen lassen. Sie war nur so gar eigen und machte nicht gerne viele Worte.«
»Hat der Verstorbene vielleicht einmal gegen Sie geäußert, daß er Angst vor einem gewaltsamen Tode habe, etwa in der Art, daß er sich von Seiten seiner Nichte nichts Gutes versehe?«
»Bewahre!« fiel der Diener ein. »Er hielt sogar große Stücke auf Fräulein Dora. Dieselbe war ja auch seine dereinstige Erbin; wenigstens sagte er oft in meiner Gegenwart, daß Fräulein Dora ganz besonders in seinem Testamente bedacht worden sei.«
»Fräulein Dora sagte mir sogar einmal in der Küche, daß sie mit dem Verstellen des Schlosses im Kassenschranke beauftragt werde,« fiel die Köchin ein.
Fritz nickte bestätigend mit dem Kopfe. »So ist es,« meinte er, »aber die Sache hatte doch einen Haken. Der alte Herr war eben sehr mißtrauisch; ich schlief im Vorzimmer und hatte den Befehl, während der Nachtstunden Fräulein Dora nicht allein in's Schlafzimmer eintreten zu lassen. Der Herr hatte immer Angst, sie möchte ihm einmal an den Kassenschrank gehen.«
In Alberti's Augen leuchtete es auf, und er tauschte einen vielsagenden Blick mit dem Kommissär aus.
Dieser näherte sich ihm und wechselte verstohlen einige Worte mit ihm.
Hastig wendete der Untersuchungsrichter sich an die Köchin. »Pflegten Sie das Abendessen für das Fräulein zuzubereiten?« frug er.
Die Gefragte nickte mit dem Kopfe. »Regelmäßig. Aber es war kaum der Mühe werth, für das Fräulein zu kochen. Sie aß fast gar nichts, ein Täßchen Thee und höchstens einen dünnen Zwieback.«
»Dann trank sie wohl – schwere Weine und dergleichen?«
»Gott bewahre, das Fräulein war die Mäßigkeit selbst, am wenigsten trank sie – sie konnte es nicht einmal leiden, wenn wir zum Abendbrod eine Flasche Bier tranken.«
Der Untersuchungsrichter deutete auf den gedeckten Tisch. »Sie muß aber doch gestern eine Ausnahme gemacht haben,« versetzte er dann. »Dort stehen vier geleerte Weinflaschen – es sind ganz theure und äußerst schwere Marken – außerdem befinden sich noch die Ueberreste einer reichlichen Abendmahlzeit auf dem Tische.«
Die Köchin nickte eifrig mit dem Kopfe. »Ja, darüber habe ich mich auch gewundert,« versicherte sie. »Ich mußte alle die kalten Schüsseln fertig machen, das Fräulein meinte, um vorkommenden Falls etwas vorsetzen zu können. Schon die beiden ersten Male, als Fritz und ich zusammen Ausgangserlaubniß erhalten hatten, wunderte ich mich; da hatte ich auch Pasteten und Gelees machen müssen. Am anderen Morgen war fast nichts mehr in der Speisekammer. Als ich das Fräulein darum fragte, meinte sie kurz, das ginge mich nichts an, und ich schwieg natürlich.«
»Ob Fräulein Dora während Ihrer Abwesenheit Besuche angenommen hat, wissen Sie wohl nicht?«
Nachdem Beide die Frage verneint hatten, wendete er sich an den Arzt, der inzwischen sein trauriges Amt beendet zu haben schien.
»Nun?« frug er in gedämpftem Tone.
»Es liegt unzweifelhaft auch hier eine Ermordung vor,« meinte der Arzt in eben solch' leisem Tone. »Die Unglückliche ist einem furchtbaren Rückenmarksgifte zum Opfer gefallen. Bei ihr ist der Tod mit blitzesähnlicher Schnelligkeit eingetreten.«
»Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich selbst vergiftet haben kann?«
Der Arzt schaute ihn überrascht an. »Das glaube ich nicht,« meinte er alsdann.
»Es scheint aber doch der Fall gewesen zu sein. Sie sprachen übrigens vorhin drüben im Schlafzimmer die Vermuthung aus, daß eine sichere Hand den Todesstoß geführt haben müsse. Woraus schlossen Sie das?«
»Ich meine nicht nur eine sichere, sondern auch eine kräftige Hand muß den Todesstoß versetzt haben,« erläuterte der Arzt. »Die Klinge hat den vierten Brustwirbel völlig durchbohrt.«
»So glauben Sie nicht, daß etwa jene Person dort die That verübt haben kann?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Kein Gedanke daran,« versetzte er schneller, als sonst in seiner Art lag. »Ich möchte sogar mit soviel Gewißheit, als eine erste Untersuchung zuläßt, behaupten, daß sie früher ermordet worden ist.«
Der Andere sah ihn überrascht an. »Ah, das würde freilich meine Ansicht völlig ändern,« entgegnete er bedächtig. »Es liegen gewisse Anzeichen vor, aus denen ich mich zu schließen für berechtigt halte, daß –«
»Nein, nein!« unterbrach ihn kopfschüttelnd der Arzt. »Die Leichenstarre hat bei jener Unglücklichen bereits ihren Höhepunkt erreicht. Sie ist vielleicht eine volle Stunde vor ihrem Oheim ermordet worden. Ueberdies kann sie nicht gut einen Selbstmord verübt haben.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Ich muß natürlich mein endgiltiges Urtheil vom Resultat der Leicheneröffnung und darauffolgenden chemischen Untersuchung des Mageninhaltes abhängig machen, aber ich glaube schon jetzt versichern zu können, daß die Unglückliche dem sogenannten Tikunagifte erlegen ist. Es ist das wohl das furchtbarste Gift, welches wir kennen, und wird von den Tikuna-Indianern aus einer Liane, welche auf der im oberen Amazonenstrome liegenden Insel Mormorote wächst, bereitet. Es wirkt augenblicklich tödtlich, indem es das Rückenmark lähmt, bildet farblose Krystalle, wird an der Luft braun und schmierig, reagirt alkalisch und bildet mit Säuren krystallisirbare Salze, so daß also eine chemische Untersuchung des Mageninhaltes seine Anwesenheit zweifelsohne feststellen wird.«
»Aber warum sollte jene Person sich mit diesem Gifte, das also doch einen verhältnißmäßig leichten und schmerzlosen Tod bereitet, nicht selbst getödtet haben können?« warf der Untersuchungsrichter ein.
»Ich glaube nicht daran,« widersprach der Arzt. »Erstlich ist Tikunagift in unseren Arzneischatz nicht aufgenommen und deshalb auch in keiner Apotheke erhältlich, nur selten bringt es ein Reisender, welcher die unwirthlichen Gegenden des oberen Amazonenstromes durchstreift hat, in kleinen, getrockneten Kürbissen mit.«
»Sie könnte das Gift aber doch durch Zufall erhalten halten.«
»Im Selbstmordfalle würde die Körperlage, in welcher wir sie aufgefunden haben, eine andere gewesen sein. Es widerstrebt der weiblichen Natur, im Stehen zu leiden oder gar zu sterben; sie würde sich zu solchem Zwecke entweder niedergesetzt oder gelegt haben. Aber ganz abgesehen davon, es müßte doch ein Trinkgeschirr vorhanden sein, aus dem sie den Todestrunk gethan hat.«
»Kann sie dasselbe nicht bei Seite geschafft haben?«
»Kein Gedanke daran! Wie ich schon sagte, ist die Wirkung des Tikunagiftes eine augenblickliche. Zwischen Trinken und Niedersinken liegt kaum eine Sekunde. Ein sich mit Tikunagift selbst Tödtender hat nicht mehr die Kraft, das Glas von den Lippen zu nehmen, geschweige es irgendwo niederzusetzen.«
Er blickte suchend im Zimmer umher. »Hier steht freilich ein Glas,« setzte er dann hinzu, auf das auf dem Tische befindliche Krystallglas zeigend, »aber es ist völlig leer und anscheinend noch ungebraucht. Doch nein!« unterbrach er sich gleich darauf, prüfend das Glas ergreifend und, nachdem er daran gerochen, es gegen das Licht wendend. »Es ist ein schwach säuerlicher Geruch im Glase, dann aber befinden sich hier im Innern kleine Fäserchen. Das Glas ist mit einem Tuche ausgewischt worden.« Er schaute schärfer hin. »Irre ich mich nicht, so befinden sich sogar noch auf dem Boden Spuren mineralischer Substanz!«
Alberti hatte seinen Ausführungen mit größter Aufmerksamkeit gelauscht. Jetzt schaute er das Glas ebenfalls prüfend an. »In der That, Sie mögen Recht haben,« versetzte er alsdann »Das Weitere wird Sache einer chemischen Untersuchung sein.«
Er händigte dem Kommissär das Glas mit dem Bedeuten ein, es sorgsam aufzubewahren.
»Also, auf keinen Fall hat die Verblichene Zeit gehabt, selbst das Glas auszuwischen,« wendete er sich an den Arzt zurück.
»Es ist ganz unmöglich. Ich berufe mich in dieser Beziehung auf das Gutachten unserer ersten Autoritäten.«
Der Untersuchungsrichter nickte nachdenklich mit dem Kopfe. »Wir stehen vor einem vollständigen Räthsel,« wendete er sich dann an den näher herangetretenen Polizeikommissär. »Es ist keine Spur äußerer Gewalt sichtbar. Sie haben auch nichts Auffälliges weiter bemerkt, Herr Grösser?«
Dieser schüttelte den Kopf. »Ein so dunkler Fall ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen. Wir müssen es mit einem überaus raffinirten Verbrecher zu thun haben und überdies mit Jemand, der in der Wohnung ungehinderten Ein- und Ausgang gehabt hat.«
Der Untersuchungsrichter wendete sich plötzlich an den Diener. »Sie sind im Stande, Ihr Alibi nachzuweisen?« fragte er unvermittelt.
Eine flammende Röthe stieg in den Wangen des Mannes auf. Bittere Kränkung spiegelte sich in seinen Gesichtszügen wieder. »Herr Untersuchungsrichter, ich bin ein armer Mann, aber ein ehrlicher Mensch,« sagte er mit vor innerer Erregung zitternder Stimme. »Ich war meinem armen gnädigen Herrn aufrichtig zugethan – zudem befand ich mich heute Nacht in größerer Gesellschaft und –«
»Schon gut. Ich wollte Sie nicht kränken,« unterbrach ihn der Beamte. »Ist etwa Jemand hier im Hause ungehindert aus und ein gegangen?«
»Nicht daß ich wüßte.« versicherte der Diener. »Der Arzt kam freilich täglich, sonst verkehrte der Herr mit Niemand.«
»Auch Verwandte ließen sich nicht sehen?«
»Der Herr stand so ziemlich allein; außer Fräulein Dora hatte er nur noch einen Neffen, den Herrn Baron Hugo v. Engler; aber dieser ist seit länger als einem halben Jahre nicht mehr hier gewesen, er ist ein flotter junger Herr und hat sich mit seinem Oheim überworfen.«
»Es muß sich aber doch ein Unberufener eingeschlichen haben! Haben Sie denn gar keine eigene Vermuthung?«
»Mir ist das ganze schreckliche Ereigniß unfaßbar!« stammelte Jener. »Das Fräulein war die Vorsicht selbst, sobald es Abend wurde, mußten auf ihren Befehl sowohl die Hausthür als auch die nach dem Hofe führende Pforte geschlossen werden. Gestern Abend begleitete sie mich selbst bis an das Portal und blieb stehen, bis ich von außen zugeschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte. Sie selbst hatte vorher in meiner Gegenwart die Hinterthür abgeschlossen. Die Fenster des Erdgeschosses sind mit eisernen Läden verwahrt, es kann gar Niemand möglich gewesen sein, in das Haus einzudringen.«
»Es könnte höchstens mit Einverständniß des Fräuleins geschehen sein,« forschte der Untersuchungsrichter wieder.
Der Diener schüttelte den Kopf. »O nein, das glaube ich nicht,« entgegnete er. »Das Fräulein verkehrte mit Niemand. Noch dazu, wo sie allein im Hause war, hätte sie sicher keinen Menschen eingelassen.«
»Aber es fiel Ihnen doch selbst auf, daß Sie nun schon zu wiederholten Malen zugleich mit der Köchin beurlaubt wurden.«
»Ich wunderte mich freilich darüber,« bestätigte der Diener, »aber ich dachte mir nichts Schlimmes dabei.«
Alberti brach das Verhör ab, denn eben trat ein Schutzmann ein und meldete, daß der gerichtliche Sachverständige, Schlossermeister Walter, angelangt sei.