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24.

Alberti schien sich mit seinen Akten zu beschäftigen und kaum Acht auf den unruhig in seiner Nähe sitzenden Baron zu haben. In Wahrheit aber ließ er keine Bewegung desselben außer Acht.

Schweigend traten der Kommissär und Rudolph in das Gemach ein; der Erstere hielt den Zettel Hildegard's in der Hand, den er auf den Schreibtisch vor dem Untersuchungsrichter niederlegte.

Als der junge Baron Rudolph's ansichtig wurde, schnellte er wie elektrisirt von seinem Stuhle in die Höhe und warf einen fragenden Blick auf den jungen Rechtsanwalt, der indessen für den Gefangenen nur ein flüchtiges Kopfnicken hatte.

Resignirt, die Zähne tief in die Unterlippe eingrabend, ließ sich Hugo wieder auf den Sessel nieder.

Der Rechtsanwalt tauschte mit Alberti einen stummen Gruß aus und nahm dann seitwärts von dem Verhafteten Platz. Der Untersuchungsrichter aber ergriff das ihm von Grösser überreichte Blatt und durchlas dessen mit Bleistift flüchtig hingeworfenen Inhalt zu wiederholten Malen aufmerksam.

Dann erhob er sich plötzlich und trat hart an den Verhafteten heran. »Ich übergehe Ihnen hier eine Botschaft Ihrer Braut,« sagte er. »Die junge Dame hat Sie zu sprechen verlangt, aber ich konnte einem solchen Ansinnen gemäß den bestehenden strengen Vorschriften keine Folge geben. Ich gehe bis an die Grenze des Erlaubten, indem ich Ihnen hiermit einige Zeilen übergebe, welche Fräulein Hildegard Wichern nur wenige Schritte von Ihnen entfernt, für Sie aufgezeichnet hat.«

Hugo war wiederum von seinem Stuhle aufgesprungen.

»Hildegard schrieb mir?« murmelte er. »Sie ist hier – sie will mich sprechen? So weiß sie, daß –«

Sein unruhig flackernder Blick schweifte von Neuem zu dem jungen Rechtsanwalt hin. Dieser sah ihn mit einem durchdringenden Blicke an. »Ich habe es für meine Pflicht gehalten, meiner Schwester Alles mitzutheilen,« sagte er bedeutsam.

»Alles mitzutheilen?« stieß Hugo ingrimmig hervor. »Das heißt, Sie verdächtigen mich, den Wehrlosen, in hinterlistiger, tückischer Weise. O, daß ich wehrlos sein muß! – Meine holde, theure Braut welche Lügen werden sie Dir über mich berichtet haben!«

»Lesen Sie die Zeilen der jungen Dame,« unterbrach ihn der Untersuchungsrichter kurz, »dann sprechen Sie, nicht eher!«

Mechanisch las der Baron die an ihn gerichteten Zeilen. Er erkannte die Handschrift seiner Braut sofort, obwohl die furchtbare Erregung die Schriftzüge zitternd und unregelmäßig gemacht hatte.

 

»Rudolph hat mir Alles gesagt,« las er. »Ich weiß nun, warum Du leidest, aber ich sage Dir, ich bleibe Dein bis über den Tod hinaus, wenn Du ein Mann bist. Verstehe mich recht, ein voller, ganzer Mann sollst Du sein! Du sollst nicht lügen, Du sollst ein Held bleiben bis zuletzt. Ich glaube nicht an Deine Schuld, wenigstens weiß ich, daß der Mann, dem ich meine Liebe geweiht, nicht zum Raubmörder herabgesunken sein kann. Bist Du Buße schuldig, so unterwirf Dich ihr. Gibt es hier auf Erden für Dich kein Verzeihen, so wird Dir der Himmel gnädig sein. Bei unserer Liebe flehe ich Dich an, sei ein Mann, dann bin und bleibe ich Dein auf ewig!

Hildegard.«

 

Der Baron las das Schreiben bis zu Ende durch, seine Gesichtsfarbe veränderte sich auffällig während desselben. Der letzte Blutstropfen schien aus seinem Gesicht zu verschwinden, so fahl und gespenstisch blaß wurde es.

Dann las er von Neuem und immer wieder von Neuem.

Es schien, als ob er sich nicht trennen könne von den wenigen Zeilen, die Hildegard ihm geschrieben hatte.

Sowohl Alberti, als auch der Kommissär hatten ihren Blick unverwandt auf den Verhafteten gerichtet, aber sie wagten nicht, in diesem Augenblicke auch nur einen Laut von sich zu geben. Sie begriffen den furchtbaren Seelenkampf, der sich soeben im Inneren Hugo's abspielen mußte, und von dem ein krankhaftes Zittern äußerlich Zeugniß gab.

Plötzlich nahm der Baron den Zettel und drückte ihn innig an seine Lippen; diese bewegten sich dabei leise. Es war, als ob er unhörbare Worte vor sich hinsprach.

Mit einem Male wendete er sich an den Untersuchungsrichter. »Ich widerrufe den Inhalt meiner vorhin gemachten Eröffnungen,« sagte er mit bebender, vor innerer Erregung kaum verständlicher Stimme. Seine Worte überstürzten sich dabei; es war, als ob er fürchte, im nächsten Augenblicke wieder anderen Sinnes werden zu können, als ob er sich beeilen wolle, dem guten Engel Folge zu leisten, der mit mahnendem Finger sein Herz berührt hatte.

Ein Zug lebhafter Ueberraschung glitt über das Gesicht des Untersuchungsrichters. »Wie soll ich das verstehen? Sind Sie bereit, ein Geständniß abzulegen?«

Da ließ der Gefangene das Haupt plötzlich tief auf die Brust hinabsinken. »Ja,« sagte er im Flüstertone, »ich will gestehen. Um ihretwillen will ich gestehen, sie soll mich nicht der Lüge zeihen.«

Er athmete tief auf. »Meine vorige Aussage hinsichtlich der verflossenen Nacht halte ich voll und ganz aufrecht,« begann er. »Ich habe mich zu dem Trödler Schimmel begeben, um dessen fortgesetzten Erpressungen endgiltig ein Ziel zu sehen, aber jeder Gedanke an Mord stand meiner Seele fern.«

Unverkennbare Enttäuschung sprach sich in den Gesichtszügen der Anwesenden aus. »So beharren Sie also auf Ihrem vorigen Leugnen?« meinte Alberti mit finster gerunzelter Stirn. »Sie geben nicht zu, heute Nacht den Trödler getödtet zu haben?«

»Wie sollte das mir möglich gewesen sein?« entgegnete Hugo, die Augen nicht vor dem forschend auf ihn gerichteten Blicke des Untersuchungsrichters niederschlagend. »Wie hätte ich auch in den Besitz jenes ebenso furchtbaren, wie seltenen Giftes kommen sollen, das dem Leben des Trödlers ein Ende gemacht hat? Wahrheitsgetreu habe ich Alles berichtet. Wir waren in heftigen Streit miteinander gerathen, er bekam den Krampfanfall, hatte aber noch die Kraft, mir den Aufbewahrungsort des Mittels zu bezeichnen. Wieviel kleine Krystalle ich unter das Wasser mengen sollte, verstand ich nicht genau, ich glaubte zwölf zu hören. Jedenfalls war die Aufregung bei mir eine beispiellose. Ich war nicht im Stande, Acht zu geben, wie viel Krystalle ich dem Wasser beimengte, insofern trifft mich ein Verschulden an dem Tode des Trödlers. Aber ich rufe den Himmel zum Zeugen an, daß auch nicht im erbittertsten Streite der Gedanke an mich herangetreten ist, einen Mord zu begehen.«

»Wie sind Sie dazu gekommen, sich zu solch' vorgerückter Nachtstunde zu Schimmel zu begeben? Wollen Sie nicht mir wenigstens darauf eine wahrheitsgetreue Auskunft ertheilen?«

»Es geschah dies auf direkten Wunsch des Trödlers, und hier setzt das mich so sehr beschämende Bekenntniß meines eigenartigen Vergehens ein,« entgegnete Hugo. »Ich habe vorhin die Auskunft verweigert, als Sie die Frage an mich stellten, ob die Unterschriften meines Onkels aus den drei Accepten echt seien. Ich will jetzt unumwunden einräumen, daß ich mich eines schweren Vergehens schuldig gemacht und die Unterschriften sämmtlich selbst geschrieben habe.«

»Sie bezichtigen sich also der zum Nachtheil Ihres Onkels ausgeführten Wechselfälschung?«

»Ja, ich bekenne mich schuldig. Ich wußte mir in meiner Verzweiflung nicht mehr zu helfen. Ehe ich meine Braut kennen lernte, war ich ein leichtsinniger Mensch, der plan- und ziellos in den Tag hineinlebte. Ich will meinen verstorbenen Vater nicht anklagen, aber er hätte mir eine bessere Erziehung geben sollen. So aber zog er mich mit in schlechte Gesellschaft. Gleich meinem Vater wurde ich ein Spieler. Als er starb, erwies sich sein Nachlaß als überschuldet. Ich wäre sicherlich schon damals dem Untergange verfallen, wenn nicht mein Oheim, meines Vaters Bruder und dessen gerades Gegentheil, sich meiner angenommen hätte. – Aber es war schon zu spät. Der Trödler Schimmel hatte mir bereits geringe Summen geliehen. In der bekannten Art prolongirte er die verfallenen Wechsel, welche ich nicht einlösen konnte, zu immer höheren Beträgen, so daß schließlich aus Hunderten Tausende wurden. Machte ich ab und zu einen Spielgewinnst, so bezahlte ich dem Wucherer etwas ab, ohne daß jedoch meine Schuldenlast dadurch nennenswerth geringer wurde.

In jene Zeit fiel mein Bekanntwerden mit Hildegard Wichern. Ich gelobte, ein anderer, besserer Mensch zu werden und der unendlichen Liebe, die Hildegard mir entgegenbrachte, mich würdig zu machen. Aber das Verhängniß wich nicht von mir, ich sah mich in unlösbare Bande verkettet, aus denen es kein Entrinnen gab. Schimmel hatte Kenntniß von meinem Verlöbniß bekommen, er drohte mir, da er wußte, daß mein Oheim keinen Pfennig bezahlen würde, mich bei meinem zukünftigen Schwiegervater anzuklagen, wenn ich nicht endlich meine längst verfallenen Accepte, die damals die Höhe von viertausendfünfhundert Mark erreicht hatten, einlösen würde. Was dann geschehen würde, konnte ich mir denken, dann war mein junges Liebesglück dahin. An jenem Tage, als ich um Hildegard's Hand anhielt, hatte Herr Wichern mich gefragt, ob ich Schulden habe, und hinzugefügt, er wünsche, daß meine Vergangenheit todt sein, daß ich um seines Kindes willen ein neues Leben anfangen möge. Er stellte mir glänzende Zukunftsbilder in Aussicht. Wer weiß es, wenn ich in jener Stunde den Muth gehabt hätte, ihm Alles einzugestehen, er würde vielleicht milde gewesen sein, so aber schämte ich mich vor mir selbst, und diese Scham trieb mich zur Lüge. Von nun an mußte ich Alles daransetzen, den Trödler hinzuhalten mit seinen Drohungen, wenn ich nicht als Lügner vor dem Vater meiner Braut dastehen wollte.

Zu wiederholten Malen hatte ich den Versuch gemacht, mich meinem Oheim zu offenbaren, aber er besaß niemals viel Wohlgefallen für mich. Seine eigene übertriebene Sparsamkeit, aber auch die hämischen Einflüsterungen meiner Base Dora, die vielleicht zuerst gehofft, mich an sich ketten zu können, aber seit meiner Verlobung meine unversöhnliche Widersacherin geworden war, mochten gleichmäßig zu der immer mehr hervortretenden Abneigung meines Oheims gegen mich beigetragen haben. Als ich mich endlich in der äußersten Bedrängniß, da Schimmel keinen Tag länger warten zu wollen erklärte, dem alten Herrn offenbarte – es war am 24. Januar, seinem Geburtstage – da kam es zum Bruch. Erbarmungslos wies er mir die Thür. Mit verzweifeltem Herzen schlich ich mich in der Dämmerstunde jenes Tages zu Schimmel, tagsüber ihn zu besuchen, hatte ich nicht gewagt. Mit Hohn wies Schimmel mich zurück, er erklärte mir, bereits am nächsten Tage meinem zukünftigen Schwiegervater meine längst verfallenen Accepte zur Einlösung vorlegen zu wollen. Ich versuchte nochmals, ihn zu beschwichtigen. Ich theilte ihm mit, obwohl ich das gerade Gegentheil bereits wußte, daß mein Oheim nicht abgeneigt sei, mir die benöthigte Summe zur Tilgung meiner Verbindlichkeiten vorzustrecken, nur befinde er sich augenblicklich ebenfalls nicht im Besitze der erforderlichen Mittel, sondern diese seien zur Zeit in Spekulationen festgelegt. Aber da meinte der Trödler, daß gar kein bares Geld nöthig sei, die bloße Querschrift meines Onkels thue es auch, jedoch müsse sich der Gesammtbetrag der Wechsel auf fünftausendfünfhundert Mark belaufen. Wirklich gelang es mir, dem Wucherer das Versprechen abzugewinnen, noch drei Tage warten zu wollen. Es war eine Galgenfrist!«

Ein banges Stöhnen glitt über die Lippen des Verhafteten, der immer noch nicht wagte, seinen Blick vom Boden zu erheben. »Als ich ging, wußte ich, daß ich nach drei Tagen noch ebenso rathlos dastehen würde,« begann er dann wieder. »Verzweiflungsvolle Reue folterte mein Herz, aber was vermochte diese an dem Geschehenen zu ändern! Ich zitterte vor dem Augenblicke, wo ich dem höhnisch lachenden Blutsauger von Neuem gegenübertreten und ihm bekennen mußte, daß ich nicht zu zahlen vermochte. Ich wußte es, daß er sich allen meinen Vorstellungen gegenüber taub und ablehnend verhalten würde, hatte ich ihn doch schon vergeblich auf den Umstand hingewiesen, daß ich nach geschehener Heirath ja eher im Stande sein würde, seinem Verlangen nachzukommen. Er pochte auf sein Recht und erklärte, lieber den sicheren Weg gehen zu wollen. Meine nochmaligen Bemühungen, unter der Hand von Bekannten die nöthige Summe aufzutreiben, scheiterten. Nochmals bittend vor meinen Onkel zu treten, durfte ich nicht wagen, denn dieser hatte mir sein Haus verboten. Immer verführerischer stieg in meinem Innern der Gedanke auf, daß mir mit einem Schlage aus aller Verlegenheit geholfen sei, wenn es mir gelänge, dem Trödler Accepte zu überbringen, welche die Querschrift meines Onkels trugen. – Gestatten Sie mir, mich kurz zu fassen. Im Kampfe mit dem bösen Dämon in meinem Herzen, von dem leidenschaftlichen Wunsche beseelt, mir Hildegard's Liebe zu erhalten, unterlag ich. Die Unterschrift meines Oheims nachzuahmen, wurde mir nicht schwer, denn ich besaß verschiedene Briefe von ihm. Am Abende des vierten Tages kam ich wieder zu Schimmel und brachte ihm die Accepte. Er nahm sie und besah sie scheinbar gleichgiltig, aber ein höhnisches Lachen umspielte seine Lippen. O, hätte ich mich warnen lassen und lieber das Schlimmste ertragen, als mich ganz und gar in die Hände jenes Elenden zu geben!

Aber ich war zu feig, zu muthlos, um dies zu thun! Um kurz zu sein, er schloß die verhängnißvollen Wechsel, die jetzt in Ihren Händen sind, ein und gab mir die verfallenen Papiere zurück.«

»Seitdem hat Ihnen Schimmel vermuthlich keine Ruhe gelassen, besonders nach dem Tode Ihres Oheims begann er wohl von Neuem zu drohen?«

»So ist es. Ich habe keine ruhige Stunde mehr gehabt; es war eine entsetzliche, fürchterliche Zeit, die ich durchleben mußte. Zwar hoffte ich von Tag zu Tag, daß irgend ein unvorhergesehener Zufall mich in den Stand setzen würde, die Wechsel rechtzeitig einzulösen, aber es geschah kein Wunder, das mir mein Verbrechen hätte vertuschen helfen.«

»So kam der Verfalltag heran, und Sie konnten die Wechsel nicht einlösen. Wurden dieselben Ihrem Onkel präsentirt?« fragte Alberti.

Hugo schüttelte den Kopf. »Ich wunderte mich selbst über das Entgegenkommen Schimmels. Als ich kurz vor dem Verfalltage ihn zu bestimmen suchte, die Wechsel nicht vorzuzeigen, erklärte er mir lachend, daß er sich den Grund meiner Verlegenheit wohl denken könne und durchaus nicht wünsche, aus dieser für sich Nutzen zu ziehen. – ›Ich lasse die Papiere ruhig liegen,‹ sagte er damals in seinem näselnden Tone zu mir, ›solche Wechselchen verlieren ihre Giltigkeit nie, jetzt hat es Zeit mit ihrer Bezahlung, bis Sie verheirathet sind.‹ – Ich war zu verblüfft über seine Nachgiebigkeit, als daß ich ernstlich über den tieferliegenden Grund derselben hätte nachdenken können, erst später wurde mir die schreckliche Drohung, die in derselben gelegen, klar. Jetzt begriff ich auf einmal, warum Schimmel so nachgiebig gegen mich gewesen war. Mit vollem Vorbedacht hatte er mich zu den Wechselfälschungen gezwungen, wohl wissend, daß mir kein anderer Ausweg offen stand; mit teuflischer Berechnung hatte er mich in seine Gewalt gebracht, um große Vortheile für sich zu erlangen. Gott allein weiß, was ich erlitten habe in den darauffolgenden Wochen und Monaten!

Dann kam die Ermordung meines Onkels. Wie von einem schweren Alp befreit, athmete ich auf. Sie wunderten sich damals, Herr Untersuchungsrichter, daß ich die Ermordung so gleichgiltig aufnahm, aber wie hätte ich aufrichtiges Bedauern fühlen sollen, wo mir die Rettung aus meiner fürchterlichen Lage zu winken schien! Endlich sollte es mir möglich sein, den schrecklichen Bann, und sei, es auch mit den größten Opfern, von mir abzustreifen. Ein Testament war nicht gefunden, ich war der nächste Erbe meines Oheims, sein Vermögen, das ich mindestens auf eine halbe Million schätzte, fiel mir unausbleiblich zu. – Aber der Himmel wollte es anders. Im Buche des Schicksals stand geschrieben, daß ich der Strafe für meinen frevelhaften Leichtsinn nicht mehr entgehen sollte. Mein Vetter Gerstenberg begann gegen mich zu klagen. Noch heute ist der Prozeß nicht entschieden. Meine Hoffnung schwand dahin. Schimmel streckte gierig seine Faust immer drohender und begehrlicher nach mir aus. Ich suchte ihn jetzt zu vermeiden, in der Hoffnung, er würde es nicht bis zum Aeußersten treiben, da sein wahrhafter Vortheil gebot, abzuwarten, bis ich verheirathet war. Ich war für ihn nicht mehr zu Hause, nahm Briefe von ihm nicht mehr an, schon aus dem Grunde, weil ich mich vor meiner Wirthin zu kompromittiren fürchtete. Aber er ließ mich nicht locker, er zwang mich, nachdem ich alle anderen Ausflüchte ihm gegenüber erschöpft hatte, dazu, in einen Chiffrebriefwechsel mit ihm zu treten. O, es waren gräßliche Briefe, die er mir schrieb, jeder derselben stürzte mich immer mehr in Besorgniß – und immer wurden die Nachrichten über den Fortgang meines Prozesses nicht besser. Schimmel hatte in Erfahrung gebracht, daß nun auch von Seiten der angeblich testamentsbedachten milden Stiftungen meine Erbschaftsberechtigung bestritten wurde, und daraufhin erklärte er mit einem Male, nicht länger warten, sondern sich sichern und die Wechsel dem Nachlaßgerichte übergeben zu wollen. Mit Mühe und Noth gelang es mir, ihn noch einmal zu beschwichtigen. Er erklärte nun, noch den Ausgang des Verhandlungstermins abwarten zu wollen, der am gestrigen Tage stattgefunden, und der mir, wie ich hoffte, endgiltige Entscheidung bringen sollte. Ich hatte die Aufforderung von ihm erhalten, ihm noch am selben Abende Sicherheit für seine Forderung zu bringen oder gewärtig zu sein, daß er am nächsten Tage die Wechsel dem Gericht übergeben und damit meinen Ruin herbeiführen werde.

Zwischen Furcht und Hoffen brachte ich den Tag hin. Die Mittheilung meines Anwalts traf mich gleich einem Keulenschlage, sie schmetterte mich vollständig nieder. Ich wußte nicht mehr, was thun. Auf jeden Fall mußte ich mich noch einmal zu Schimmel begeben und ihn bitten, mich nicht elend zu machen. Deshalb brach ich gestern Abend früher von meiner Braut auf, um rechtzeitig noch bei Schimmel eintreffen zu können. Er hatte schon Kunde von dem Ausgange des Termins, er zeigte sich überhaupt immer völlig unterrichtet. Meine Bitten um fernere Nachsicht beantwortete er höhnisch, endlich vergaß auch ich mich und nannte ihn bei seinem richtigen Namen. Es kam zu einem Wortwechsel zwischen uns Beiden, und das tragische Ende ist Ihnen ja bekannt.«

Hier hielt Hugo inne, mühsam rang er nach Athem.

»Warum riefen Sie keinen Arzt?« fragte Alberti.

»Ich sagte Ihnen bereits vorhin, daß ich daran dachte. Aber versetzen Sie sich in meine Lage; wie hätte ich meine Anwesenheit bei dem Trödler rechtfertigen sollen? Zudem hatte das furchtbare Entsetzen über meine Unvorsichtigkeit mich ganz sinnlos gemacht; ich wußte kaum selbst, was ich that. Nur ein unbeschreibliches Angstgefühl war noch in mir vorherrschend, dem ich willenlos alle anderen Gemüthsregungen unterstellte. Mir graute davor, mich vor Gericht verantworten oder auch nur Anzeige von dem Geschehenen machen zu müssen. Darum kam ich auf den wahnwitzigen Plan, den Trödler zu entkleiden und in's Bett zu legen, um den Anschein zu erwecken, als ob ihn ein Schlaganfall getroffen habe. Dann fiel mir auch der Gedanke schwer auf's Herz, daß die Wechsel im Nachlasse gefunden und mich verderben würden. Ich begann die Habseligkeiten des Trödlers zu durchwühlen. Stundenlang habe ich gesucht, aber ich fand die Accepte nicht. Unverrichteter Sache mußte ich mich endlich entfernen.«

Der Untersuchungsrichter schüttelte den Kopf. »Ihre Erzählung klingt sehr romantisch,« versetzte er dann. »Sie werden indessen schwerlich damit bei Gericht durchdringen, noch dazu, wo Ihnen schon so gut wie nachgewiesen ist, Ihre Base Dora v. Gerstenberg mit demselben Gifte getödtet zu haben.«

»Herr Untersuchungsrichter, es berechtigt Sie nichts, mir diese unerhörten Beschuldigungen –«

»Hugo v. Engler,« begann der Untersuchungsrichter eindringlich, »wollen Sie wirklich nicht der Wahrheit die Ehre geben? Wollen Sie sich hartnäckig noch länger der Erkenntniß verschließen, daß nur ein reumüthiges Bekenntniß Ihr Herz entlasten und Ihnen Frieden geben kann?«

»Also Sie glauben mir nicht?« stöhnte Hugo auf. »Was soll ich noch sagen? Ich bin unschuldig, ich weiß nichts von alledem, was Sie mir vorzuwerfen trachten.«

Rudolph näherte sich plötzlich dem Untersuchungsrichter, beugte sich zu ihm nieder und flüsterte ihm einige Worte in's Ohr.

Der Beamte blickte überrascht auf, dann nickte er hastig zustimmend und zog seine Uhr. »Es ist acht Uhr,« meinte er nachdenklich, »die Sache wird sich noch ermöglichen lassen.« Er stand auf und setzte den Klingelzug in Bewegung. »Wir werden Ihnen jetzt beweisen, daß Sie gelogen haben,« wendete er sich an den Gefangenen. »Es existirt Jemand, der Sie an dem Vorabende des an Ihrem Oheim verübten Mordes im Hause des Trödlers gesehen hat.«

Hugo hielt den Blick Alberti's ruhig aus. »Ich bin öfters bei dem Trödler gewesen, abgesehen von der letzten Zeit,« meinte er dann; »aber zufällig weiß ich genau, daß ich mich an jenem Abend nicht dort befunden haben kann. Ich war von fünf Uhr ab in Gesellschaft und begab mich um halb elf Uhr in meine Wohnung.«

Ein Diener trat ein.

»Der heute verurtheilte Karl Beck soll aus dem Untersuchungsgefängniß vorgeführt werden,« befahl ihm Alberti. »Ich habe Ihren Klienten aus seiner bisherigen Zelle nach einer freundlicheren verbringen lassen,« fuhr er zu Rudolph gewendet fort. »Ich glaube, daß Sie damit einverstanden sind.«

»Herzlichen Dank.«

Beide Herren tauschten eine Händedruck, dann blieb es auf Minuten still im Zimmer.

Endlich wurden von draußen her Schritte vernehmbar. Gleich darauf wurde die Thür geöffnet, und der Gerichtsdiener trat mit Beck ein.

Ein freudiger Ausdruck glitt über des Letzteren Gesichtszüge, als er Rudolph bemerkte.

»Verzeihen Sie, daß ich heute noch nicht zu Ihnen kommen konnte,« sagte der junge Rechtsanwalt zu ihm. »Aber es ist so viel Unerwartetes geschehen, Sie werden morgen Alles von mir hören.«

»Bitte, treten Sie näher,« bat Alberti in höflicherem Tone, als er bis dahin Beck gegenüber angewendet hatte.

»Stellen Sie sich mehr in das Licht,« befahl er darauf Hugo.

Eine jähe Röthe überfluthete dessen Gesicht, aber gehorsam folgte er der Anweisung des Untersuchungsrichters.

»Nun sehen Sie sich einmal diesen Mann hier an!« wendete sich Alberti wieder an Beck. »Erinnern Sie sich, denselben schon jemals in Ihrem Leben gesehen zu haben?«

Eine bange Pause entstand; erwartungsvoll schauten nun Alle auf Beck.

Sekunden hindurch ließ dieser seinen Blick prüfend auf den Gesichtszügen Hugo's, der ihn ebenso frei und unerschrocken anschaute, ruhen, dann schüttelte er den Kopf.

»Meines Wissens habe ich diesen Herrn noch niemals in meinem Leben gesehen,« sagte er.

Bestürzt trat Rudolph auf ihn zu, während es auch in Grösser's Gesichtszügen befremdet aufleuchtete.

»Aber besinnen Sie sich doch,« rief der Untersuchungsrichter. »Bedenken Sie, es hängt für Sie sehr viel davon ab!«

»Nein, ich habe ein sehr gutes Auge und kenne Jeden wieder, der mir einmal in meinem Leben gegenüber getreten ist,« beharrte Beck, noch immer Hugo betrachtend. »Dieser Herr hat viel Aehnlichkeit mit jenem jungen Manne, der mir am Vorabende des Mordes unter der Ladenthür des Trödlers Schimmel begegnet ist, aber er ist mit demselben nicht identisch.«

»Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?« frug Rudolph, bestürzt seinen Klienten anschauend. »Ich bitte Sie nochmals, überlegen Sie genau, ehe Sie aussagen.«

»Ich täusche mich nicht,« entgegnete Beck. »Das Gesicht jenes Menschen hat sich meinem Gedächtniß derart eingeprägt, daß ich ihn jederzeit auf den ersten Blick wiedererkennen würde, und wenn er selbst die größte Veränderung mit seinen Zügen vorgenommen hätte – ich habe ja Monate hindurch Zeit gehabt, mir jenes zuerst nur flüchtig von mir gesehene Gesicht mit unvergänglichen Zügen in meinem Gedächtniß einzuprägen. Der Herr hier hat viel Aehnlichkeit mit dem Verdächtigen, aber Letzterer trug eine kleine schwarze Bartfliege am Kinn, sein Gesichtsausdruck war schärfer markirt, ich möchte sagen, seine Züge waren weniger weichlich, aber gewöhnlicher.«

Der Untersuchungsrichter schüttelte den Kopf. »Denken Sie nochmals reiflich darüber nach,« sagte er. »Ich werde Sie heute noch nicht zu Protokoll vernehmen, sondern werde Ihnen morgen bei hellem Tageslichte nochmals Gelegenheit zur Konfrontation geben. Es hängt viel für Sie davon ab.« Dann zog er wieder die Klingel »Heute breche ich das Verhör ab,« wendete er sich an den eintretenden Gerichtsdiener. »Der Gefangene Beck ist abzuführen, außerdem sind zwei Aufseher aus dem Gefängniß zu beordern, um hier diesen Mann als Untersuchungsgefangenen zu übernehmen.«

Er deutete dabei auf Hugo.

Dieser athmete tief und schwer auf. Er verhüllte sein Gesicht mit beiden Händen. In dieser Stellung verharrte er, bis von draußen wieder Schritte ertönten, und die beiden Wärter in das Zimmer eintraten.

Der Kommissär und Rudolph hatten inzwischen flüsternd miteinander gesprochen; jetzt, nachdem Hugo v. Engler abgeführt war, verabschiedeten auch sie sich von Alberti und verließen zusammen dessen Amtszimmer.

»Was sagen Sie nun?« meinte Grösser. während sie langsam den Korridor entlang schritten.

»Ich hatte meine ganze Hoffnung auf diese Konfrontation gesetzt,« gestand der Rechtsanwalt, »Beck aber verneint mit solcher Bestimmtheit, daß gar kein Zweifel an seiner Aussage möglich ist.«

Der Kommissär pfiff leise vor sich hin. »Ich glaube, wir stehen einem neuen Räthsel gegenüber« meinte er endlich. »Und diesmal bin ich auch so ziemlich mit meiner Weisheit zu Ende. Soviel aber weiß ich schon heute, der junge Baron wird einen schweren Stand haben, um sich frei zu lootsen.«

»Sie halten ihn für schuldig?«

»Offen gestanden habe ich bis vorhin die Ueberzeugung von seiner Schuld gehabt,« entgegnete der Kommissär. »Aber auch jetzt habe ich mich noch nicht zu einer gegentheiligen Ansicht bekehrt. Der unseren Erwartungen entgegengesetzte Ausgang der Konfrontation gibt indessen zu denken, obwohl freilich nicht ausgeschlossen ist, daß Beck sich entweder geirrt, oder einen harmlosen Anderen gesehen haben kann. Was mir weniger gefallen will, das ist der Umstand, daß wir den ominösen grauen Radmantel nicht in der Wohnung des Barons vorgefunden haben. Entweder ist dieser ein ganz geriebener Fuchs, oder er hat unverdient viel Pech. – Und nun gute Nacht, Herr Doktor. Sie werden einen angestrengten Tag gehabt haben, und wenn ich mich nicht irre, werden wir, bis der Fall ganz geklärt ist, noch manche harte Nuß knacken müssen.«



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