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17.

Die nunmehr zur Vernehmung gelangende frühere Köchin der Ermordeten sagte ziemlich übereinstimmend mit dem Diener aus.

»Zeugin,« frug plötzlich Rudolph, der bis dahin in den Akten geblättert hatte, »Sie sind mit den Gewohnheiten der Ermordeten Dora v. Gerstenberg vertraut gewesen?«

»Jawohl.«

»Sie bekundeten eben, daß es nicht in den Gewohnheiten der Ermordeten gelegen hat, opulente Abendmahlzeiten, noch verstärkt durch feurige Weine, zu halten?«

»Nein, Fräulein Dora war im Gegentheil sehr mäßig.«

»Aber sie liebte den Putz, sie hatte eine Vorliebe für Spitzen und dergleichen?«

Die Zeugin schüttelte den Kopf. »Im Gegentheil, sie war äußerst sparsam und einfach. So trug sie nicht einmal ihre Schmuckgegenstände, sondern ließ dieselben im Kassenschranke von dem Herrn Baron aufbewahren.«

»Nun, der Diener sagte doch vorhin, daß sie putzsüchtig gewesen sei,« wendete Rudolph ein. »Sie soll viel Spitzen von dem Trödler Schimmel gekauft haben. Es wird behauptet, daß sie mit demselben in näherem Verkehr gestanden hat. Haben Sie dies etwa ebenfalls bemerkt, Zeugin?«

»Ach ja,« erwiederte diese. »Das Fräulein kaufte immer solch' altes Zeug, stundenlang konnte sie in dem räucherigen Laden des Trödlers verweilen, ich wunderte mich manchmal darüber.«

»So liebte sie jedenfalls auch, elegant gekleidet zu gehen?« fragte Rudolph beharrlich weiter. »Besonders des Abends machte sie sorgfältig Toilette, nicht wahr?«

Wieder schüttelte die Zeugin den Kopf. »Im Gegentheil,« versetzte sie, »das Fräulein machte es sich Abends gern so bequem wie möglich.«

»Können Sie sich entsinnen, welches Kleid die Ermordete getragen hat, als Sie dieselbe zum letzten Male lebend gesehen haben, also im Augenblicke Ihrer Beurlaubung?«

Die Zeugin sann einen Moment nach. »Es war ein einfaches, helles Hauskleid, wie es Fräulein Dora auch tagsüber getragen hatte,« berichtete sie dann.

»Sie nehmen dies auf Ihren Eid?«

»Ganz gewiß.«

»Aber ich begreife nicht, Herr Vertheidiger, wozu diese Fragen dienen sollen,« wendete der Präsident ein. »Sie erschweren und verlängern nur dadurch die Verhandlung.«

»Ich möchte nur feststellen,« wendete sich Rudolph, unbeirrt durch die ihm gewordene Zurechtweisung, an die Geschworenen, »daß die Ermordete am nächsten Morgen in einem schweren Seidenkleide aufgefunden worden ist.«

»Haben Sie noch weitere Fragen an die Zeugin zu stellen?« fragte der Vorsitzende.

Als Rudolph verneinte, ließ er den nächsten Zeugen vortreten.

Es war dies der amtliche Sachverständige für Schriftvergleichung, welchem das seiner Zeit Hedwig zugegangene unorthographische Begleitschreiben zur Begutachtung vorgelegt wurde.

Aus dem ermüdend weitschweifigen Vortrage desselben ging hervor, daß er sich in allen Punkten zu Alberti's Ansichten bekannte und in dem Absender des Briefes einen den gebildeten Ständen Angehörigen vermuthete, der mit ziemlicher Geschicklichkeit irrige Annahmen über seine Persönlichkeit zu erwecken sich bestrebt hatte.

Alsdann kam der Schlossermeister Walter an die Reihe.

Diesen nahm der Staatsanwalt in ein Kreuzverhör.

Der Zeuge mußte bekunden, daß nur ein ganz geschickter und geübter Mechaniker, dem obendrein die Konstruktion des Kassenschrankes bekannt gewesen sein mußte, diesen – ohne äußere Verletzungen hervorzurufen – zu öffnen vermocht hatte.

Rudolph richtete nur einige Zwischenfragen von untergeordneter Bedeutung an den Zeugen. Er ließ sich bestätigen, daß eine mit dem richtigen Kassenschlüssel ausgerüstete Person das Oeffnen des Schrankes ohne jedweden Aufwand körperlicher Kraft zu vollbringen vermöchte.

Der Untersuchungsrichter Alberti, welcher hierauf vernommen wurde, gab ein anschauliches Bild sowohl von dem Anblick in den Zimmern der Ermordeten, wie auch von den Verhören mit dem Angeklagten und dem ganzen Verlaufe der Untersuchung. Auf Befragen des Präsidenten erklärte er, daß er völlig von der Schuld des Angeklagten überzeugt sei.

Polizeikommissär Grösser, welcher hierauf vernommen wurde, stimmte der Meinung seines Vorgesetzten durchaus nicht bei; er hielt mit seinen Zweifeln an der Schuld des Angeklagten nicht zurück. Er bekundete auch auf Verlangen Rudolph's die von ihm in's Werk gesetzte Ueberwachung des Trödlers Schimmel und berichtete eingehend über die in der letztvergangenen Nacht bewirkten Erhebungen.

Hierauf wurden einige Gewerbetreibende, frühere Nachbarn des Angeklagten, vernommen.

Dieselben bekundeten übereinstimmend, daß sie Beck nur widerwillig einen kleinen Kredit eingeräumt hätten. Am Nachmittage vor der Mordthat habe Beck allerdings wider alles Erwarten plötzlich seine Schulden bezahlt. Sowohl der Bäcker wie der Kaufmann bekundeten ferner, daß der Angeklagte bei ihnen je ein Goldstück hatte wechseln lassen.

Zuletzt kam Hedwig Beck an die Reihe, um auch ihrerseits über die Vorkommnisse bei der Verhaftung ihres Vaters und ihre Wahrnehmungen während der dieser vorangehenden Nacht Zeugniß abzulegen. Der Vorsitzende frug sie sogleich nach ihrem Eintritte, ob sie das Zeugniß verweigern wollte, aber das junge Mädchen schüttelte den Kopf.

Bei ihrem Anblick bedurfte Rudolph all' seiner Selbstbeherrschung, um seine Fassung aufrecht erhalten zu können.

Auch Hedwig war derart bewegt und erschüttert, daß sie kaum die Fragen des Präsidenten zu beantworten vermochte. Fast unausgesetzt schaute sie thränenden Auges nach ihrem Vater, der sich ebenfalls an die Brüstung der Anklagebank klammern mußte, um nicht umzusinken vor Schmerz und Weh.

Endlich hatte die Zeugin ihre Selbstbeherrschung wieder zurückgewonnen. Mit klarer, vernehmlicher Stimme berichtete sie den Vorfall mit dem an ihre Adresse gelangten Werthpackete und dessen Inhalt.

Ihre Worte wurden indessen vom Staatsanwalt mit offenbarem Mißtrauen aufgenommen, denn dieser stellte wiederholt für das junge Mädchen peinliche Zwischenfragen.

Rudolph nahm sich zwar der Geliebten nach Kräften an, aber er vermochte dennoch nicht zu verhindern, daß von Seiten des öffentlichen Anklägers manches Wort fiel, welches Hedwig schmerzlich verwunden mußte.

Ein kurzer Wortwechsel entspann sich wegen der Vereidigung der Zeugin, welche Rudolph beantragte. Der Gerichtshof stellte sich indessen wiederum auf die Seite des Staatsanwaltes und lehnte die Vereidigung ab.

Damit war bis auf die Vernehmung des Trödlers Schimmel die Zeugeneinvernahme beendigt. Der Schutzmann, welcher behufs Sistirung des Genannten ausgesendet worden, war noch immer nicht zurückgekehrt. Rudolph beantragte aus diesem Grunde neuerlich die Vertagung der Verhandlung

Wiederum aber trat diesem Ansinnen der öffentliche Ankläger entgegen.

Er sehe gar keinen Grund für eine Vertagung, versetzte er in scharfem Tone. Der Trödler habe bereits am Tage nach der Verhaftung des Angeklagten sein Zeugnis abgelegt, in welchem er die Behauptung Beck's, dieser habe ihm unter anderen Instrumenten auch den ominösen Grabstichel verkauft, als Lüge und Erfindung bezeichnet habe.

»Ich stelle,« fuhr der Staatsanwalt fort, »da diese Aussage, welche im Uebrigen auch schon von dem Herrn Untersuchungsrichter Alberti bestätigt worden ist, zu Protokoll genommen und feierlich beschworen ist, den Antrag, auf die nochmalige persönliche Vernehmung des Zeugen Schimmel Verzicht zu leisten und uns mit der Verlesung der eidlich erhärteten Aussage desselben zu begnügen.«

Vergeblich erhob der junge Rechtsanwalt energischen Einspruch. Der Gerichtshof war der Meinung des Staatsanwaltes, daß durch eine nochmalige Vernehmung Schimmel's kein neuer Gesichtspunkt zu Tage kommen könne, und beschloß deshalb auf die Vernehmung des Zeugen zu verzichten, aber das Protokoll über die Zeugenaussage des Letzteren vor dem Untersuchungsrichter verlesen zu lassen.

Als dies geschehen war, ertheilte der Präsident dem Staatsanwalt zur Begründung der Anklage das Wort.

Wiederum lagerte sich lautlose Stille über den weiten Saal. Voll athemloser Spannung hingen die Blicke aller Anwesenden an dem Munde des beredten Mannes, der zuerst die begangene Unthat mit allen Einzelheiten schilderte und die den Mechaniker Beck vernichtend belastenden Schuldmomente darlegte. Dann fuhr er fort:

»Aus dem Verhöre, welches der Herr Präsident mit dem Angeklagten anstellte, haben Sie bereits erfahren, daß derselbe den Trödler Schimmel eines Meineides bezichtigt. Er will dem Letzteren angeblich am Tage vor dem Morde eine größere Anzahl seiner Instrumente verkauft haben. Es steht nun Behauptung gegen Behauptung, und welchem der beiden Männer wir Glauben zu schenken haben, das wird uns sofort klar werden, wenn wir uns in das Gedächtniß zurückrufen, welche seltsamen Funde der Herr Untersuchungsrichter auf dem Arbeitstische des nunmehr Angeklagten gemacht hat. .Schimmel ist aber ein ganz einwandfreier Zeuge, denn welchen Grund sollte er gehabt haben, einen Mann, der ihm im Leben nichts gethan, dem er als seinem Miether in gewisser Hinsicht sogar verpflichtet gewesen ist, in unabsehbares Elend zu stürzen? Das wäre ja die That eines eingefleischten Teufels! Es liegt also gar kein Grund vor, die im Uebrigen beschworene und schon aus diesem Grunde unanfechtbare Aussage des Trödlers Schimmel in Zweifel zu ziehen. Damit fällt aber auch der letzte, leiseste Zweifel an der Schuld des Angeklagten. Dieser hat die Werkzeuge nicht verkauft, sondern er hat sich des Grabstichels bedient, um damit dem siechen, wehrlosen Greise das Herz zu durchbohren!

Haben wir nun, meine Herren Geschworenen, die wider den Angeklagten aufgestellten thatsächlichen Verdachtsmomente eingehend gewürdigt, so halte ich mich nunmehr für verpflichtet, Ihnen ferner den Beweis zu erbringen, daß auch in moralischer Beziehung kein Anderer als der Angeklagte die That begangen haben kann.

Wer ist der Angeklagte eigentlich? Ich antworte Ihnen: ein Mann, der es nicht verstanden hat, das ihm von Jugend auf gewordene Glück festzuhalten, sondern der leichtsinnig mit seinem Vermögen gewirthschaftet und es fertig gebracht hat, in einem kurzen Zeitraume aus einem mindestens wohlhabenden Manne ein Bettler zu werden. Kein Wunder, daß diese Wandlung seines Geschickes, mochte sie nun verdient oder unverschuldet sein, den Charakter des Angeklagten hochgradig verbittert hat. Dazu mochte auch die Liebe zu seiner kranken Frau beitragen. Ist es doch eine alte Erfahrung, daß oft selbst die hartgesottensten Verbrecher einer wirklich zarten Herzensneigung fähig sind. Beck fühlte sich also mit seinem Loose unzufrieden. Er haderte mit dem Himmel und allen, besser als er gestellten Menschen!

Nun wurde er an dem der Mordnacht vorhergehenden Nachmittage zu dem Baron v. Engler gerufen, um den Kassenschrank zu öffnen. Bei dieser zufällig an ihn herantretenden Verrichtung wurde ihm ein Einblick in das Innere des Kassenschrankes vergönnt. Er, der mit der gemeinen Noth des Lebens hart Ringende, mußte viele Tausende in dem Schranke aufgespeichert liegen sehen! Seine Erbitterung wuchs noch mehr, als ihm dann der sehr ökonomische Baron für seine Bemühungen ein Fünfzigpfennigstück in die Hand drückte. Es mag sich da seines Herzens eine immer noch wachsende Wuth bemächtigt haben, die endlich zu der furchtbaren Katastrophe in der darauffolgenden Nacht geführt hat!

Beck, aus dessen früherer Fabrik der in Frage stehende Kassenschrank stammte, war es leichter als jedem Anderen, das komplizirte, kunstvolle Schloß zu öffnen. Die Leichtigkeit, mit der er dies gethan hatte, kann den Baron v. Engler – sehr zu dessen Unglück – veranlaßt haben, ihm eine mit seiner Kunstfertigkeit nicht im Einklange stehende Entschädigung anzubieten.

In bitterem Groll schied der Angeklagte aus der Wohnung des Barons. Er hat nachweislich über den Unterschied zwischen dem begüterten Manne und sich selbst in den nachfolgenden Stunden verbittert nachgedacht, worüber die Zeugenaussage des Apothekers, bei dem er verschiedene Arzneien eingekauft hat, Gewißheit gibt. Beck war am selben Nachmittag ausgepfändet und seine letzten Geräthschaften unter Siegel gelegt worden. Auch dieser verhängnißvolle Umstand mochte verbitternd auf ihn eingewirkt und den Keim zu der nachfolgenden schrecklichen That gelegt haben. Sei dem aber, wie ihm wolle, auf jeden Fall hat Beck während der Nachtzeit, überwältigt von den in seiner Brust wüthenden Dämonen, den ominösen Grabstichel aus den seinen Arbeitstisch zahlreich bedeckenden Instrumenten herausgesucht und ist gleich einem Raubthier, das seine ahnungslose Beute beschleicht, auf Mord ausgegangen.

Wir müssen uns nun zu der Frage wenden, ob der Angeklagte den Mord allein ausgeführt, oder ob er zur Begehung desselben Mitschuldige gehabt hat. Ich möchte die Herren Geschworenen sofort darauf aufmerksam machen, daß jedenfalls von Seiten der Vertheidigung dafür plaidirt werden wird, anzunehmen, nicht der Angeklagte sei es gewesen, welcher die Waffe zum Todesstreich gegen den Baron erhoben hat. Ich behaupte aber, es ist ganz gleich, wer – wenn wirklich ein Mitschuldiger dem Angeklagten zur Seite gestanden – von diesen Beiden den Mord wirklich begangen hat, denn Beide sind mindestens gleich schuldig und haben in einem solchen Falle, von demselben Wollen beseelt, die gräßliche That einfach gemeinschaftlich begangen.

Es wird ja immer ein Geheimniß bleiben, wie der eigentliche Mord ausgeführt worden ist, wenn der Angeschuldigte bei seinem verstockten Ableugnungssystem verharrt!

Es ist zum Beispiel räthselhaft geblieben und trotz eingehendster Erörterungen nicht festgestellt worden, in welcher Weise eigentlich Dora v. Gerstenberg vergiftet worden ist. Die Frage, ob sie ebenfalls als unschuldiges Opfer des blutdürstigen Mörders zu betrachten ist, oder ob sie vielleicht gar die Triebfeder des geschehenen Verbrechens gewesen und dann einem neuen Mordgelüste ihres Mitschuldigen zum Opfer gefallen ist, wird eine offene bleiben. Ich meinerseits neige mich mit aller Bestimmtheit der letzteren Ansicht zu, denn es will mir, offen gestanden, nicht recht wahrscheinlich erscheinen, daß die Nichte des Barons an dessen Ermordung unbetheiligt gewesen sein sollte, es sprechen zuviel innerliche Gründe dagegen.

Wir haben aus dem Zeugenverhör entnommen, daß die Verblichene in verschiedener Hinsicht an jenem kritischen Abende ihren sonstigen Gewohnheiten entgegen gehandelt hat. Sie wurde uns als eine furchtsame, tückische Person geschildert, die in erster Reihe nur auf ihren eigenen Vortheil bedacht war, die es nirgends verstanden hat, sich beliebt zu machen. Ja, selbst ihr eigener Oheim, der sie doch wiederholt als seine Universalerbin bezeichnet hat, soll sich im Grunde seines Herzens vor ihr gefürchtet haben. Nun hat diese Person, ganz ihrer sonstigen Gewohnheit zuwider, die Dienerschaft an jenem Abende selbst zum Ausgehen veranlaßt. Der Diener hat am liebsten zu Hause bleiben wollen, sie hat ihn aber förmlich durch einen Befehl gezwungen, die Wohnung zu verlassen. Ja, sie hat ihm sogar, nachdem sie auf gleiche Weise vorher die Köchin entfernt, den Hausschlüssel mit der Weisung verabreicht, das Haus von außen abzuschließen, obwohl sie alsdann von der Straße abgesperrt war.

Des Weiteren hat sie, die einfach Gewöhnte, die einer jeden Extravaganz Abholde, eine festliche Gasterei veranstaltet. Es haben leckere Speisen auf dem Tische, neben welchem die Dame todt auf dem Boden ausgestreckt liegend gefunden worden ist, gestanden. Halbgeleerte Flaschen kostbaren Weines haben bewiesen, daß dieselbe eine ganz ungewohnt üppige Abendmahlzeit zu sich genommen hat. Ferner, wie aus der Zwischenfrage des Herrn Vertheidigers hervorging, hat sie sogar, dem ihr angeborenen Hange zur Bequemlichkeit trotzend, sich an diesem Abende in seidene Gewänder gehüllt.

Das sind Alles untrügliche Zeichen, daß sie an jenem Abende nicht allein gewesen sein kann, sondern mit Vorbedacht die Dienerschaft entfernt hat, um keine Zeugen für ihre heimliche Zusammenkunft zu haben, die nach der übereinstimmenden Aussage beider Dienstboten nicht die erste gewesen sein soll.

Nun fragt es sich: wer kann dieser geheimnisvolle Besucher und offenbare Mörder des Barons v. Engler gewesen sein? – Ich meine, nach dem Vorausgeschickten kann Ihnen, meine Herren Geschworenem die Beantwortung dieser Frage nicht schwer fallen. Es thut mir wehe, das Angedenken einer wehrlosen Todten – schon im Hinblick auf ihre hochachtbaren, noch lebenden Verwandten schmähen zu müssen, aber ich kann nicht umhin, zu behaupten, daß diese Dora v. Gerstenberg, welche eine scharfe Menschenkennerin gewesen, in den Zügen des nunmehr Angeklagten die verzweifelte Entschlossenheit, zu welcher dieser thatsächlich auch fähig gewesen ist, gelesen hat. Wer weiß, auf welche Art und Weise sie dazu gekommen ist, seine nähere Bekanntschaft zu machen, sie ging ja täglich durch den Flur des von Beck bewohnten Hauses. Die Zeugen haben freilich bekundet, daß ihnen von einem näheren Verkehr des Fräuleins mit Beck nichts bekannt worden ist; aber das ist auch gar nicht nöthig. Es ist sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Komplizen, wenn sie wirklich das Verbrechen geplant hatten, sich augenfällig vor aller Welt gemieden haben, um ja jeden Verdachtsgrund auszuschließen. Warum sollte die Todte den heute Angeklagten nicht zu irgend einer unerlaubten Handlung gedungen haben? Ich sage ja nicht, daß sie von vornherein beabsichtigt hatten, einen Mord zu begehen, aber Dora v. Gerstenberg wird allseitig als eine habgierige und selbstsüchtige Person geschildert. Ihr Oheim lag schwer krank darnieder, er konnte gar bald schon sterben. Vielleicht daß sie den Worten des alten Mannes nicht getraut hat, wonach sie seine Universalerbin sein sollte; vielleicht, daß sie nur Einsicht in das Testament haben wollte, von dem sie wußte, daß es ihr Oheim in seinem Kassenschrank verwahrte. Freiwillig hätte dieser ihr solch' eine Einsicht sicher niemals gewährt, das wissen wir aus den Zeitgenaussagen. Das Mißtrauen, welches der Baron v. Engler gegen seine Nichte hegte, war ein so hochgradiges, daß der Diener Fräulein Dora zur Nachtzeit nicht einmal allein das Schlafzimmer seines Herrn betreten lassen durfte! Wer weiß nun, welche Bestimmungen das Testament enthalten hatte – Vielleicht ist der Gedanke, ihren Oheim zu ermorden, erst nach Kenntnißnahme des Testamentinhaltes herangereift. Gott allein, der in's Verborgene schaut, weiß die Wahrheit in diesem Falle. Aber mit fast unumstößlicher Wahrscheinlichkeit dürfen wir annehmen, daß die Todte den heute Angeklagten, den sie als einen ebenso entschlossenen, wie verzweifelten Menschen kennen gelernt hatte, zum Mordwerke gedungen, und daß dieser auch das entsetzliche Verbrechen begangen hat. –

Er hat also die blutige That vollbracht. Nichts war ihm leichter, als – vorausgesetzt die Mitschuld Dora's – in das Haus zu gelangen. Seine Mitschuldige besaß den Schlüssel zur Hinterpforte; auf Grund eines vorher verabredeten Zeichens öffnete sie ihm die Thür in der Scheidemauer, ließ ihn in das Haus ein und geleitete ihn nach den oberen Wohnräumen. Dort vollbrachte Beck an dem hilflosen, siechen Manne die Mordthat! Ein kurzer, heftiger Kampf ist derselben vorausgegangen. Der Mörder aber, vielleicht in der einen Hand den angezündeten Leuchter, stürzt nach beendeter That in das benachbarte Kassenzimmer. Zuvor hatte er den Kassenschrankschlüssel unter dem Kopfkissen des Ermordeten hervorgezogen, dafür zeugt die zusammengekrallte Fingerhaltung der das Kopfkissen krampfhaft umklammert haltenden Hände des Ermordeten.

Nunmehr hat Beck den Kassenschrank geöffnet. Dabei mag ihn das Gewissen doch ein wenig bedrückt, der Gedanke an den noch warmen Leichnam seines im Nebenzimmer liegenden Opfers ihn beunruhigt haben! Seine Hände begannen zu zittern. Er vermochte den Leuchter nicht mehr gerade zu halten, es fielen Stearintropfen auf den Boden nieder und besudelten auch den Fuß des Kassenschrankes. Aus diesem raubte er nun flüchtig, was ihm zuerst in die Augen fiel. Er war noch vorsichtig genug, die für ihn werthlosen Pfandbriefe liegen zu lassen. Er nahm das Bargeld und die kostbare Amethystkette. Seine zitternden Hände ließen sie fallen, dabei verwickelte dieselbe sich in einer Fuge des Kassenschrankes, gewaltsam zerrte die blutbefleckte Hand des Mörders sie heraus, er achtete nicht darauf, daß Stücke aus ihr herausbrachen, so schnell er konnte, steckte er den Raub in die Tasche. Dann nahm er den Schlüssel des Schrankes, legte ihn in des letzteren Innenfach, vielleicht war auch die Schrankthür nur zufällig zugefallen, kurzum, er wendete sich nach seiner in ihrem Zimmer auf ihn wartenden Mitschuldigen. Als er das Todtenzimmer durchschritt und die gebrochenen Augen seines Opfers ihn anstarrten, mag ihn blasse Furcht überkommen haben, er dachte nicht daran, den ihn verrathenden Mordstahl aus der Todeswunde zu ziehen, die Bestie war zur Memme geworden. Die ihm nachfolgende Nemesis fürchtend, floh er durch den Verbindungsgang. Mit blutbefleckter Hand tastete er sich, da des raschen Laufes wegen das Licht flackerte und nur unsicher zu scheinen vermochte, denselben entlang. Er mag dabei gestolpert sein, seine Hand ruhte durch Sekunden auf der Tapete des Ganges, dabei prägte sich ihre Spur ab. Sei es nun, daß er noch während des Stürzens in seinem Bestreben, sich zu halten, mit der Hand aus der Tapete ausgerutscht ist und die Fingerspur sich dadurch unnatürlich verlängert hat, sei es, daß er die Hand seltsam geformt hielt, so daß sie sich nur schmal abprägte: die genauen Messungen der Blutspur haben ergeben, daß sie mit der Hand des Verhafteten nicht übereinstimmen.

Aber was will dieses scheinbare Entlastungsmoment gegen all' das andere, geradezu niederschmetternde Beweismaterial, welches gegen den Angeklagten angehäuft ist, besagen! – Die Vertheidigung wird sich freilich auf diesen Punkt stützen. Sie wird Ihnen, meine Herren Geschworenen, zu beweisen suchen, daß nothwendigerweise ein Anderer der Mörder gewesen sein muß. Sie wird, weil sie nicht wagt, den Angeschuldigten völlig weiß zu waschen, ihn nur als ziemlich harmlosen Betheiligten hinzustellen suchen, während der wirkliche Mörder der vielbesagte »große Unbekannte« gewesen sein muß. Sie wird Ihnen ferner, meine Herren Geschworenen, eine wunderbare Geschichte von dem Briefe des eigentlichen Mörders und von dessen Zurücksendung der fehlenden fünf Eintausendmarkscheine, sowie des zu der Amethystkette gehörigen Brillantschlosses berichten. Aber ich bitte Sie, meine Herren Geschworenen, prüfen und urtheilen Sie unbefangen! – Die Tochter des Angeklagten ist als Zeugin vernommen und sie hat – ich will es gern zugestehen – einen durchaus einnehmenden Eindruck gemacht. Sie müssen aber immer bedenken, daß es die liebende Tochter ist, welche zu Gunsten ihres Vaters ausgesagt hat. Auf meinen Antrag hin ist sie nicht vereidigt worden. Ich hatte meine guten Gründe dafür, meine Herren Geschworenen, denn ich sage es unverhohlen – der Gedanke, daß ich dadurch vielleicht der jungen Dame Unrecht thue, kann mich nicht davon abhalten – ich traue dieser ganzen Werthpacketgeschichte nicht recht! Wer soll es schließlich der Tochter verargen, wenn sie einen Gewaltstreich begeht, nur um den Vater vor dem ehrlosen Tode auf dem Blutgerüst zu bewahren? Ich lege überhaupt zu wenig Gewicht auf diesen Umstand, sonst würde ich die Wirthin der Dame als Zeugin haben laden lassen, um sie auszufragen, ob die junge Dame am Tage vor dem Eintreffen des Packetes nicht vielleicht auf Stunden aus ihrer Wohnung sich entfernt gehabt hat. Im Uebrigen ist es ja auch leicht denkbar, daß sie sich einer gefälligen Mittelsperson verschwiegener Natur bei der Absendung des Packetes bedient haben mag. Gesetzt aber selbst den Fall, daß wirklich ein Spießgeselle des heute Angeklagten an dessen ahnungslose Tochter das Werthpacket abgesandt hat, so beweist das eben nichts mehr und nichts weniger, als die von mir ebenfalls getheilte Meinung, daß ein Mitschuldiger Beck's vorhanden ist. Es erschwert sogar noch insofern des Letzteren Lage, als es immer deutlicher zu Tage tritt, um welch' aus langer Hand vorbereitetes und umsichtig durchgeführtes Verbrechen es sich handelt.

Auf jeden Fall ist der Begleitbrief sowohl, wie der Inhalt des Packetes nicht geeignet, in irgend welcher Beziehung den heute Angeklagten zu entlasten.

Ich gebe zu, meine Herren Geschworenen, daß Manches in diesem Prozesse in Dunkel gehüllt geblieben ist, daß wir uns über den eigentlichen Vorgang während des Mordes im Ungewissen befinden. Aber daran ist einzig und allein das verstockte Leugnen des Angeklagten Schuld, der mit eiserner Stirn auch heute vor Ihnen steht und nichts von dem ganzen Morde wissen will, sondern behauptet, unschuldig zu sein. Es mag ja sein, meine Herren Geschworenen, daß er vielleicht nur der Verführte ist, daß er einem dämonischen Einflusse zum Opfer gefallen ist.

Aber alles dies haben wir nicht zu untersuchen. Für Sie, meine Herren Geschworenen, ist nur die Frage maßgebend: ist Karl Beck schuldig, den Raubmord allein oder mit Gehilfen begangen zu haben? Ich glaube ganz sicherlich, Sie werden nur ganz kurze Zeit gebrauchen, um einstimmig die erste der Ihnen von dem Herrn Präsidenten zur Beantwortung gegebenen Fragen, welche auf Raubmord lautet, zu bejahen.

Selten wohl ist ein Indizienbeweis in allem und jedem Stücke also gelungen und als unanfechtbar anzusehen, wie der heutige.

Lassen Sie sich, meine Herren Geschworenen, durch alle Ausführungen, wie sie von Seiten der Vertheidigung sicherlich in Anwendung gebracht werden, nicht zu unzeitgemäßer Milde und Nachsicht bewegen. Bedenken Sie, daß Sie sich mit einem heiligen Eide verpflichtet haben, nach bestem Wissen und Gewissen Recht zu sprechen! In Ihren Händen liegt die Verpflichtung, das noch ungesühnt zum Himmel rauchende Blut, den abgeschlachteten Opfern noch nachträglich Genugthuung zu geben und die Welt zu sichern vor einem Ungeheuer, das nur zu lange schon ungestraft in unserer Mitte geweilt hat.

Thun Sie Ihre Pflicht, meine Herren Geschworenen. Ihr Urtheilsspruch muß dann ein einstimmiges Todesurtheil sein!«

Unter lautloser Stille hatte der Staatsanwalt gesprochen. Seine Worte hatten einen tiefen, nachhaltigen Eindruck auf alle Anwesenden hervorgerufen.

Die Züge der Geschworenen trugen ausnahmslos einen tiefernsten, finsteren und entschlossenen Ausdruck.

Rudolph glaubte aus ihnen nicht viel Gutes für seinen Klienten entnehmen zu sollen, sein Herz schlug bänglich, und er begrüßte es deshalb dankbar, als der Präsident die Sitzung auf eine Viertelstunde unterbrach.



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