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XXIX
Kommissär Grössers Genugtuung

Das Geständnis, welches der Sträfling ablegte, war ein ebenso umfassendes wie weittragendes. Die Ermordung des alten Barons von Engler und seiner Nichte war ein von langer Hand vorbereitetes und planmäßig ausgeführtes Verbrechen. Der Trödler Schimmel war die leitende Seele des Ganzen gewesen. Grössers Verdacht, dass derselbe ein Haupthehler sei, hatte sich schon durch die gelegentlich der Haussuchung zu Tage geförderten Funde vollauf bestätigt, Thomas gestand nun, dass der Trödler mit einer großen Anzahl der berüchtigtsten Einbrecher in steter Verbindung gestanden, es aber immer so klug einzurichten gewusst habe, dass ihm niemals etwas nachzuweisen gewesen, und die Polizei überhaupt nicht dazu gekommen war, eine Haussuchung bei ihm abzuhalten.

Er hatte das gestohlene Gut immer nur zum geringsten Teile in seinem Hause verborgen gehabt, es vielmehr fast ausnahmslos seinen Spießgesellen in der Residenz zum »Verschärfen« zugesandt. Da der rachsüchtige Verbrecher ungescheut eine große Anzahl von Namen nannte, so war es der Polizeibehörde ein Leichtes, eine ganze Genossenschaft von Hehlern dingfest zu machen.

Gelegentlich eines ihrer Besuche in dem Laden des Trödlers hatte Dora von Gerstenberg ganz zufällig die Bekanntschaft des hübschen, keck auftretenden jungen Mannes gemacht; ihr alterndes Herz war von dem zündenden Strahle einer leidenschaftlichen Liebe erfasst worden, und sie hatte nicht angestanden, dem Auserkorenen ihre Neigung alsbald verständlich zu machen. Der Trödler hatte nun Thomas zu veranlassen gewusst, auf die Liebesleidenschaft des Fräuleins einzugehen. Der Verbrecher hatte dies nur widerstrebend getan, da ihm Dora im höchsten Grade unsympathisch gewesen war; aber als ihm der Trödler auseinandergesetzt hatte, welch eine vortreffliche Gelegenheit zu einem Hauptschlag bei dem alten Baron auszukundschaften war, da hatte er zugegriffen.

Durch Vermittlung des Trödlers war nun ein Briefwechsel zwischen Dora und Thomas unterhalten worden, dem sich alsbald eine heimliche Zusammenkunft im Engler'schen Hause zugesellt hatte. Lachend hatte der Verbrecher seinem Komplizen erzählt, wie die alte Närrin wirklich und wahrhaftig in ihn verliebt sei und ernstlich sogar an eine Heirat mit ihm denke; sie wolle nur noch die Erbschaft abwarten, die ihr nach dem schon in Bälde in sicherer Aussicht stehenden Tode ihres Oheims zufallen müsse. Im Auslande wollte sie dann den Geliebten trotz aller gesellschaftlichen Unterschiede heiraten.

Dora von Gerstenberg hatte nicht geahnt, mit welch beißendem Spotte Thomas, der sich bei ihr als Ingenieur eingeführt, dem Trödler ihre Worte wiedergegeben, sondern im Laufe der Zeit war sie nur noch mehr entflammt. Der ersten Zusammenkunft folgte eine zweite; schon gelegentlich dieses Zusammentreffens, bei welchem von der vorsichtigen Dora die Dienerschaft entfernt worden war, hatte Thomas nach seiner Verabredung mit dem Trödler zum Raube schreiten sollen.

Durch die Schilderungen Doras war er mit der Einrichtung der Wohnung genau bekannt geworden; ja er wusste sogar, dass der alte Herr seinen Schlüssel zum Geldschrank unter seinem Kopfkissen verborgen hielt. Die arglose Dora, der nicht entfernt in den Sinn kam, dass ihr Auserkorener ein solch furchtbares Spiel mit ihr treiben könne, hatte sogar keinen Anstand genommen, dem Geliebten mitzuteilen, dass sie allabendlich das Buchstabenschloss auf Geheiß ihres Oheims stellen müsse.

Thomas hatte dann aber die Gelegenheit zur Ausführung der Tat noch nicht für günstig gehalten. Er hatte das Fläschchen Chloroform, welches ihm vom Trödler zur Betäubung Doras eingehändigt worden war, ruhig in seiner Brusttasche belassen und war unverrichteter Dinge wieder gegangen.

Nicht lange hatte es gedauert, bis der von seinem Komplizen heftig Geschmähte von Dora zu einer dritten Zusammenkunft bestellt worden war. Thomas hatte aus Doras Mitteilungen die Bestätigung seiner Annahme entnommen, dass wirklich zahlreiche Gelder in dem Kassenschranke des alten Barons aufgespeichert lagen. Nun war es auch dem Trödler gelungen, seinen Komplizen zu überreden, Gift in Anwendung zu bringen. Schon vor Jahren hatte Schimmel in der Residenz nach dem Tode eines alten Chemikers auf einer Auktion fast dessen gesamten Nachlass, meist aus Erzeugnissen der Tropenländer bestehend, angekauft.

In einer altertümlichen Schatulle hatten sich vielerlei Gifte vorgefunden; der Gewissenlose hatte damals schon erkannt, dass dieselben ihm unter Umständen einmal von großem Vorteil sein könnten. In dem Giftschränkchen hatte sich ein von der Hand des Verstorbenen geschriebenes Rezeptbuch befunden, aus welchem hervorging, dass der Gelehrte sich viel mit der Erforschung des menschlichen Körpers und der Heilung der diesen bedrohenden Krankheiten abgegeben hatte. Der Trödler, welcher in einer müßigen Stunde das Heftchen durchgelesen, hatte zu seinem nicht geringen Erstaunen auch ein unfehlbares Mittel gegen Krämpfe und Fallsucht darin entdeckt. Da er an letzterer nun selbst litt, so hatte er bei seinem nächsten Anfalle die aufgefundene Vorschrift befolgt und zwei Kristalle des furchtbaren Tikunagiftes, in einem Glase Wasser aufgelöst, zu sich genommen. Die Wirkung war eine überraschend günstige gewesen; er hatte sich sofort, ohne dass der Krampf völlig zum Ausbruch gekommen war, wieder erheben können.

Eine Dosis dieses Tikunagiftes nun hatte der gewissenlose Schurke seinem Komplizen mit der Weisung eingehändigt, es der nichtsahnenden Dora unter den Wein zu mengen. Schließlich hatte bei Thomas die Habgier ebenfalls den Ausschlag gegeben, und es war zwischen ihnen verabredet worden, dass gelegentlich einer dritten Zusammenkunft Dora beseitigt und dann der Kassenschrank ausgeraubt werden sollte. Nach der Schilderung Doras war der kranke Baron ja hilfloser als ein Kind. Thomas konnte demzufolge, selbst auf die Gefahr hin, dass er um Hilfe rief, gemächlich an die Ausraubung des Kassenschrankes gehen und sich auf demselben Wege, wie er die Villa betreten hatte, wieder aus derselben entfernen.

Wenige Stunden vor der verabredeten Zeit, in welcher er Doras Weisung zufolge an der hinteren Mauerpforte erscheinen sollte, um von ihr in die Villa eingelassen zu werden, hatte Thomas sich bei Schimmel eingefunden. Höhnisch lachend hatte dieser ihm erzählt, dass der hohläugige Mann, der ihm zwischen Tür und Angel eben begegnet, ein Mieter von ihm sei, ein ehemaliger Kassenschrankfabrikant, dem der Gerichtsvollzieher jetzt nicht mehr von der Seite weiche. »Da hat er mir eben einen ganzen Pack Werkzeuge verkauft, sie sind mindestens bare dreihundert Mark wert, und ich habe ihm fünfzig dafür gegeben«, hatte der Trödler gesagt.

Dann aber hatte es plötzlich tückisch in seinen Augen aufgeleuchtet. »Da wusste ich übrigens einen guten Ausweg«, hatte er hinzugefügt, einen blinkenden Grabstichel aus den Instrumenten wählend, »auf der Klinge hier sind die Anfangsbuchstaben seines Namens angebracht, vielleicht wäre es für alle Fälle gut, du stecktest dir dieses artige spitze Ding bei; falls dir heute nacht der Alte doch Ungelegenheiten macht, so bist du ihn schnell los ,– und findet man am nächsten Morgen solch einen Grabstichel in seiner Brust, dann denkt man an jeden anderen und nicht an dich.«

Nach seiner Schilderung hatte Thomas nur widerstrebend den Grabstichel zu sich gesteckt; dann hatte er sich zum Stelldichein mit Dora begeben. Diese hatte ihn wieder an der Hinterpforte empfangen und ihn nach ihrem Wohnzimmer geleitet. Unterwegs hatte sie ihm bedeutet, dass er vorsichtig auftreten möge, da ihr Oheim trotz des genossenen Schlaftrunkes unruhig zu schlafen scheine. In ihrem Wohnzimmer hatte Thomas eine reichgedeckte Tafel vorgefunden, wie auch das Fräulein festlich herausgeputzt erschienen war. Sie hatten dann getrunken, gegessen und geplaudert. Lange hatte der Verbrecher mit sich kämpfen müssen, bis er endlich zu einem Entschlusse gekommen war und in einem unbeobachteten Augenblick das Gift wirklich in das Glas der Unglücklichen geschüttet hatte. Die Wirkung war eine augenblickliche gewesen; mitten im Satze, kaum dass sie das Glas an die Lippen gebracht hatte, war Dora entseelt zu Boden gesunken.

Vorsichtig, um jede Verdachtsspur zu beseitigen und den Anschein zu erwecken, als ob Dora einem Schlaganfall erlegen und allein in der Wohnung gewesen sei, hatte Thomas das eine Glas und das von ihm selbst benutzte Gedeck beiseite in die Küche geschafft. Auf den Zehenspitzen hatte sich der Verbrecher alsdann durch den Verbindungsgang nach dem Schlafgemache des Barons begeben. Er bestritt es auf das entschiedenste, anfänglich auch schon Mordgedanken gegen den letzteren gehabt zu haben. Unglücklicherweise habe der Baron aber wach dagelegen; im selben Augenblick, als er ihm heimlich den Schlüssel habe entwenden wollen, habe der alte Mann ihn bei der Brust gepackt. Ein heftiger, erbitterter Kampf habe dann zwischen ihnen stattgefunden, der damit geendigt, dass Thomas den Greis mit dem Grabstichel niedergestochen hatte. Getreu dem erhaltenen Rate des Trödlers hatte er die Mordwaffe in der Brust seines Opfers steckenlassen.

Er selbst aber hatte sich in begreiflicher Hast, nachdem er sich notdürftig an der Bettdecke des Entseelten vom Blute gereinigt, in das Kassenzimmer begeben. Dort war er an die Ausraubung des Geldschrankes gegangen. Obwohl ein hartgesottener Verbrecher, hatte ihn doch die Doppelmordtat furchtbar erregt; mit zitternder Hand hatte er erst nach manch vergeblichem Versuche die Kassentür zu öffnen vermocht; dabei hatten sich sowohl auf dem Boden wie unten am Schranke selbst von der abtropfenden Kerze Stearinspuren gebildet. Nun hatte er sich aufs Geratewohl den Inhalt des Schrankes zu eigen gemacht. Das Testament, dessen Verschwinden dann so auffällig vermerkt und an das so viele trügerische Schlussfolgerungen geknüpft wurden, hatte er ohne besondere Absicht mitgenommen; es war wenige Stunden später bei der Sichtung des Raubes in der Behausung seines Komplizen von diesem verbrannt worden. Sein Blick war aber auf gemünztes Gold gefallen; mit diesem hatte er sich sämtliche Taschen angefüllt. Auch die Geschmeide, die in dem oberen Verschlusse lagen, hatte er sich deshalb nicht mehr anzueignen vermocht. Nur eine besonders prächtige Amethystkette hatte ihn gereizt; aber sie war seiner Hand entglitten, und als er sie hatte aufraffen wollen, hatte sie sich zwischen Schrank und Tür eingeklemmt und war zerrissen. Die Bruchteile hatte er nun aufgerafft und sie in die bereits übervolle Tasche gesteckt; alsdann waren seine Blicke noch auf verschiedene Tausendmarkscheine gefallen; er hatte auch diese noch mitgehen lassen. Dann aber hatte er, um die Nachforschungen zu erschweren, so viel Geistesgegenwart gehabt, den Schlüssel in den Schrank zu legen und die Tür in das Schloss zu werfen.

Inzwischen war er wieder ruhiger geworden und dann, indem er es vermied, den Blick auf den blutüberströmten Leichnam des alten Barons zu werfen, durch dessen Schlafgemach wieder nach dem Wohnzimmer der unglücklichen Dora geschritten. Er hatte bemerkt, dass sein Anzug ziemlich befleckt war, und er hatte nun in Doras Schlafzimmer, da er dort eine Waschvorrichtung wusste, sich säubern wollen. Im Verbindungsgange mochte seine blutbefleckte Hand mit der Wandtapete in Berührung gekommen sein und die verräterische Spur hinterlassen haben, die im übrigen auch mit seiner Handfläche ganz übereinstimmte.

Nach geschehener notdürftiger Säuberung war Thomas, nachdem er vorsichtig genug gewesen, erst noch Umschau zu halten, ob er auch nichts zurückgelassen, das auf seine Spur führen könne, aus der Villa geeilt. Trotz all seiner an den Tag gelegten Umsicht aber hatte er es verabsäumt, aus der Tasche der Ermordeten den Schlüssel zur Mauerpforte an sich zu nehmen. Der Gedanke an diese Unterlassung war ihm erst gekommen, als er die nach dem Hofe führende Tür der Villa, welche ein sogenanntes Schnepperschloss besaß, hinter sich zugeworfen hatte und nun nicht mehr in das Haus zurückkehren konnte. Die leuchtenden Blitze hatten ihm indessen schon einen anderen Weg gezeigt; er war von jeher ein vorzüglicher Turner gewesen, und da er überdies mit der Lokalität genau Bescheid wusste, so war es ihm ein Leichtes gewesen, über das Dach des Stallgebäudes sich auf die Trennungsmauer zu begeben.

Jenseits derselben hätte der Trödler auf ihn warten sollen; aber er war nicht dagewesen. Sich von der ziemlich hohen Mauer aufs Geratewohl herabzulassen, hatte der Mörder aber nicht gewagt, weil er sich erinnerte, dass allerlei Eisengerät und sonstiges Gerümpel vom Trödler dort aufgestapelt war. Sein Standort war ein derartiger gewesen, dass er gerade über den Balkon hinweg durch das halb offenstehende Fenster in das Arbeitszimmer Becks hatte schauen können. Dieser hatte an seinem Tisch gelehnt und offenbar geschlafen.

Da war ein verzweifelter Plan in dem Verbrecher rege geworden. Kurz entschlossen hatte er sich mit einem kühnen Satze nach dem Balkon hinübergeschwungen; diesen hatte er glücklich erreicht, und nachdem er sich vergewissert, dass durch den jähen Anprall der Schlafende nicht geweckt worden war, hatte er sich an dem erleuchteten Fenster vorüber nach der Straßenseite schleichen wollen, um sich von dem Balkon auf diese herabzulassen.

Da aber, als er an dem offenstehenden Fenster vorübergeschritten, hatte sich seiner ein teuflischer Gedanke bemächtigt. Die Schilderung Schimmels am vorhergehenden Nachmittag war ihm eingefallen, und er hatte bei sich gedacht, dass, da nun schon einmal der Grabstichel, der notwendig auf die Spur des Schlossers führen musste, in der Brust des Ermordeten steckte, es auch nichts schaden könne, wenn er dem Schlafenden durch das offenstehende Fenster etwas von den geraubten Gegenständen auf seinen Arbeitstisch schob. Eingehend schilderte Thomas, wie er die günstige Gelegenheit sofort erfasst, sich nicht lange bedacht, sondern aufs Geratewohl in die Tasche gegriffen und aus dieser einige Tausendmarkscheine und den größten Teil der Amethystkette herausgezogen habe. Vorsichtig habe er unter das zahlreich aufgestapelte Werkzeug die leicht zu versteckenden Gegenstände geschoben, ohne dass der tief und schwer Schlafende sich auch nur im geringsten geregt habe. Dann habe er sich nach vorn begeben und, nachdem er sich davon überzeugt, dass weit und breit niemand auf der Straße zu sehen war, sich vermittels des ihm eine bequeme Gelegenheit bietenden Firmenschildes vom Balkon herabgelassen. Durch das aber immerhin verursachte Geräusch sei der Trödler aufmerksam geworden; er habe verstohlen die Haustüre geöffnet und seinen Komplizen in das Haus hineingelassen.

Dort hatte Schimmel es fertiggebracht, Thomas zu bereden, den Raub einstweilen bei ihm zu verbergen, da man abwarten müsse, ob die Polizei nicht in den Besitz eines genauen Vermögensverzeichnisses kommen und etwa gar Warnungen erlassen werde. Richtig waren denn auch schon am zweiten Tag darauf, nachdem inzwischen Beck verhaftet worden, die Nummern der Tausendmarkscheine in den Amtsblättern veröffentlicht worden.

Thomas hatte nun doch das Gewissen ein wenig geschlagen, und mit Zustimmung des Trödlers hatte er, um womöglich die Polizei wiederum auf eine falsche Fährte zu lenken, das Wertpaket mit dem bewussten Inhalt, der für sie doch wertlos geworden war, an Hedwig Beck abgeschickt. Er also war es gewesen, der in Kreuzungen das Paket aufgegeben hatte. Von dort war er dann direkt, von dem Trödler mit Geldmitteln versehen, nach der Residenz gefahren. Als ihn Schimmel unter allerlei Ausflüchten im Stich gelassen, war ihm nichts übriggeblieben als auf eigene Faust wieder etwas zu unternehmen, und so hatte er den Betrug bei der Juwelierfirma versucht. Bei dieser Gelegenheit war er dingfest gemacht und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Seine ganze Hoffnung hatte darauf beruht, dass nach Verbüßung seiner Strafzeit ihm der Trödler seinen Beuteanteil ausfolgern, und er dadurch in den Stand gesetzt sein werde, in Amerika ein anderes Leben zu beginnen. Die enorme Anzahl der geraubten Goldstücke war ohne Zweifel ein unverfänglicher Besitz; hatte doch die Gerichtsbehörde keinerlei Anzeige wegen des geraubten baren Geldes veröffentlicht, also wahrscheinlich selbst keine Ahnung von dem Vorhandensein eines solchen gehabt. Der misstrauische alte Baron hatte seinen Besitz höchst wahrscheinlich selbst seiner Nichte und seinem vertrauten Diener gegenüber verschwiegen. Wie der gelähmte Mann sich die nur gar schwierig und mit Aufwendung von viel Zeit und Mühe anzuschaffenden Goldmünzen hatte besorgen können, ohne dass etwas über seine Liebhaberei zur Kenntnis der täglich um ihn anwesenden Personen gelangt war, musste freilich ein unaufgeklärtes Geheimnis bleiben; hohe Wahrscheinlichkeit sprach aber für die Vermutung, dass der vor Jahresfrist verstorbene Justizrat Braun, der Sachwalter und vertraute Freund des Ermordeten, letzterem die Anschaffung der Münzen diskret vermittelt hatte.

Die Wut des aus Rachsucht geständigen, sich von seinem Spießgesellen betrogen wähnenden Verbrechers kannte keine Grenzen, als der Kommissär ihm nach geschehener Protokollierung erklärte, dass Schimmel längst tot und begraben, und er von ihm ,– dem Kommissär ,– gründlich hinter das Licht geführt worden sei.

Noch an demselben Tage schickte Alberti einen telegraphischen Bericht an den Justizminister ab, um die Freilassung des unschuldig verurteilten Beck zu bewirken. In dem ungesäumt nachfolgenden ausführlichen Berichte vergaß er auch nicht der außerordentlichen Geschicklichkeit Erwähnung zu tun, welche Kommissär Grösser an den Tag gelegt hatte. Der letztere hatte denn auch die Genugtuung, bald darauf unter ebenso ehrenvollen wie vorteilhaften Bedingungen befördert und auf einen verantwortungsvollen Posten nach der Residenz berufen zu werden.

Zurückgekehrt hatte der Untersuchungsrichter dann mit dem ersten Staatsanwalt eine lange Unterredung. Beide Beamte gingen nochmals auf das Eingehendste alle Belastungsmomente, welche gegen Hugo von Engler vorlagen, durch und kamen zu der Überzeugung, dass den Worten des Gefangenen angesichts der völlig veränderten Sachlage durchaus Glauben geschenkt werden müsse. Durch das Geständnis war festgestellt worden, dass der Trödler an Krämpfen gelitten und gegen dieselben in winzigen Dosen Tikunagift einzunehmen sich gewöhnt hatte. Die Gerichtsärzte, welche die Sezierung der Leiche vollzogen, hatten denn auch erklärt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach dem Tode selbst ein Krampfanfall vorausgegangen sei. Eine Anklage gegen den jungen Baron wegen der von diesem eingestandenermaßen verübten Wechselfälschungen konnte aber schon aus dem Grunde nicht erhoben werden, weil Hugo das Vergehen gegen einen nahen Verwandten aufsteigender Linie begangen hatte und die strafrechtliche Verfolgung nur auf des letzteren Antrag hätte eintreten können.

Schon am nächsten Tage wurde Hugo in Freiheit gesetzt, während der vor Wut schäumende und heulende Thomas in der benachbarten Zelle untergebracht worden war. Der überlistete Verbrecher richtete sich in seiner Raserei selbst. Als der Aufseher am nächsten Morgen die Zelle betrat, fand er Thomas tot vor. Der Unselige hatte sich mit seinem Handtuch erdrosselt.

Noch am Vorabend dieses Geschehnisses war eine telegraphische Order des Justizministers bei dem Untersuchungsrichter eingetroffen, welche den Befehl zu der vorläufigen Haftentlassung Becks und die Weisung an denselben enthielt, einstweilen bis zur endgültigen gerichtlichen Erledigung seines Prozesses zur Verfügung der Behörde zu bleiben.

In Begleitung Rudolphs fuhr Alberti persönlich nach Z., um dem unschuldig Verurteilten die Ankündigung seiner wiedererlangten Freiheit zu überbringen. Sie trafen gerade im Gefängnisse ein, als der Weihnachtsgottesdienst in demselben zu Ende geführt worden war. Der Direktor zeigte sich über die unverhofft schnell eingetretene günstige Wendung in dem Geschick des hartgeprüften Mannes ebenfalls hocherfreut. Er ließ unverzüglich seinen bisherigen Gefangenen vorführen. In seiner und des Untersuchungsrichters Gegenwart verkündete ihm der freudig bewegte Rudolph die zurückgewonnene Freiheit.

Weinend und schluchzend fiel Beck dem jungen Rechtsanwalt in die Arme. Er hörte kaum auf die beglückwünschenden Worte des Untersuchungsrichters, der näher getreten war und sich seiner diesmal ebenfalls angenehmen Amtspflicht entledigte, den Worten Rudolphs die amtliche Bestätigung folgen zu lassen. Als Beck dann Arm in Arm mit Rudolph, ein freier Mann, nach herzlichem Abschied von dem Direktor die Anstalt verließ, da konnte er sich nicht halten, sondern er musste weinen. Zum Glück war der Abend schon herabgesunken, und seine Freudentränen wurden durch keinen neugierigen Blick entweiht.

Am Bahnhof trennten die beiden sich von Alberti. Der letztere fuhr zurück, während Rudolph den in Freiheit Gesetzten nach der Residenz begleitete, um der dort weilenden, noch nicht von dem Vorgefallenen in Kenntnis gesetzten Hedwig eine unvergleichlich schöne Weihnachtsfreude zu bereiten.

So geschah es denn auch. Die Ankommenden trafen das junge Mädchen in ihrem kleinen, dunklen Stübchen. Mit wortlosem Entzücken hielt Hedwig gleich darauf den so langentbehrten, heißinnig geliebten Vater umfangen. Rudolph stand feuchten Blickes daneben, und ein Gefühl hohen, heiligen Glückes beschlich sein so lange Zeit hindurch schmerzgefoltertes Herz; er durfte sich sagen, dass es zum großen Teil sein Werk war, dass der Freigelassene in diesem Augenblick seine Tochter umschlungen halten durfte.

Dann kam die Reihe des Begrüßens auch an ihn. Hedwig, die sonst so Besonnene, wusste sich vor freudigem Entzücken kaum mehr zu fassen. Sie weinte, lachte und schluchzte in einem Atem. Es waren wonnige Stunden, welche die drei glückseligen Menschenkinder miteinander durchleben durften. Rudolph ging trotz der vorgerückten Abendstunde noch auf kurze Zeit aus und kaufte einen Baum. Beim brennenden Kerzenschimmer und einem ebenfalls mitgebrachten Glase feurigen Weines entflohen ihnen die Glückesstunden wie im Traum.

Auf Rudolphs Bitten kehrten Vater und Tochter mit ihm schon am nächsten Tage nach der Heimat zurück. Zwar graute es Beck davor, wieder unter die Augen derjenigen zu treten, die ihn so lange Zeit hindurch schnöde verkannt und verdammt hatten, andererseits aber zog ihn tiefe Sehnsucht nach jenem unscheinbaren Hügel, unter welchem das treue Herz, das ihn im Leben über alles geliebt, zu ewigem Schlummer gebettet worden war.

Der alte Fabrikant Wichern hatte, noch ehe Rudolph zurückgekehrt war, bereits aus den Zeitungen das sensationelle Ereignis der endlichen Freilassung Becks und Hugos vernommen. Als Rudolph nun heimkehrte, wusste der alte Herr vor Verlegenheit nicht, wie er seinem Sohn begegnen sollte. Er war zu gerecht, als dass er nicht inzwischen zu der Überzeugung gekommen wäre, dass er in seinem Hochmut zu weit gegangen und sich in den Augen seiner eigenen Kinder unwürdig benommen hatte. Rudolph machte ihm die peinliche Aussprache, die notwendig erfolgen musste, über Erwarten leicht. In der glücklichen Weihnachtsstimmung, in welcher der junge Rechtsanwalt sich befand, hatte kein Groll in seinem Herzen mehr Raum.

Kaum war er seines Vaters ansichtig geworden, als er auch schon auf denselben zueilte. »Frohe, glückliche Weihnachten, lieber Vater«, begann er mit tiefbewegter Stimme. »Nun ist es Tag geworden und die Sonne scheint wieder. Freut es dich nicht auch, Vater, dass alles so gekommen ist?«

Da leuchtete es in den Augen des alten Herrn auf. Gerührt drückte er beide Hände seines Sohnes an seine Brust und hielt sie lange dort fest. »Rudolph, mein lieber Junge«, begann er dann mit halb erstickter Stimme, »ich bin an mir selbst irre geworden, ich hätte nicht geglaubt, so kurzsichtig zu sein und ,–«

Rudolph ließ ihn nicht ausreden. »Irren ist menschlich, lieber Vater«, sagte er. »Von deinem Standpunkte aus hattest du ja in mancher Beziehung Recht, aber ich musste wiederum handeln, wie es mir Pflicht und Gewissen klar und bestimmt vorschrieben. Wie du siehst, habe ich Recht behalten und« ,– er stockte ,– »und nun ist es doch nicht eitel Schimpf und Schande gewesen, was ich über dein Haus gebracht habe.«

Da leuchtete es fast auf in den Augen des alten Herrn. »Dein alter Vater kann stolz auf solch einen Sohn sein; hast dir einen berühmten Namen gemacht. Glückauf für die Zukunft, mein Sohn, nun kann dir's nimmer fehlen! Die lohnendste Praxis ist dir sicher, und ,– und dass dein Glück ganz vollkommen sei«, setzte er in innigem Ton hinzu, »dafür lass nur deinen alten Vater sorgen, ich bin dir's schuldig, mein Junge. ,– Und nun komm zu deiner Schwester«, brach er ab. »Sie ist auch glücklich, nur Eines beunruhigt sie, dass Hugo sich noch nicht bei uns hat sehen lassen. Vorhin hat sie übrigens einen Brief von ihm bekommen, sie ist damit nach ihrer Stube gegangen.«

Als Vater und Sohn in Hildegards Zimmer eintraten, fanden sie das junge Mädchen in seltsamer Gemütsbewegung vor. Mit freudigem Aufschrei eilte Hildegard auf den eintretenden Bruder zu und umschlang dessen Hals. »Gottlob, dass du da bist«, stammelte sie, als die erste Begrüßung vorüber war und der Vater die Geschwister allein gelassen hatte. »Du hast mir schon so viel zulieb getan, dass du mir sicherlich jetzt, wo sich alles geklärt hat, auch noch ferner beistehen wirst.« »Gewiß, liebe Schwester, zähle getrost auf mich«, sagte Rudolph. Er beugte sich zu ihr nieder und küsste sie auf die Stirn. »Was ist es denn, das dein Gewissensrat wieder vollbringen soll?«

Statt aller Antwort reichte ihm Hildegard, der plötzlich die Tränen wieder die Augen verdunkelten, einen Brief. Rudolph erkannte Hugos Schriftzüge und erstaunte nicht wenig, als er, den Inhalt überfliegend, wahrnahm, dass es ein Abschiedsbrief war, den der junge Baron an seine Braut gerichtet hatte.

 

»Verzeihe, meine teuerste Hildegard«, las er, »wenn ich dir nicht mehr vor die Augen zu treten wage, sondern diesen Weg vorziehe, dir Lebewohl zu sagen. Liegt doch darin die härteste Strafe, welche ich über mich selbst zu verhängen vermag. Aber ich bin deiner nicht mehr würdig. Es ist wahr, ich habe hart und schwer für mein Verschulden gebüßt, trotzdem aber wage ich nicht mehr daran zu denken, dass dein Besitz mich jemals wieder beglücken könnte. Wie mir der Staatsanwalt sagte, ist es in der Zwischenzeit den unausgesetzten Bemühungen Deines Bruders gelungen, mir zu meinem Erbe zu verhelfen. Das ungeteilte Vermögen meines unglücklichen Oheims fällt endgültig mir zu. Ich werde schon in wenigen Tagen dieses Land verlassen, in welchem ich mich durch eigenes Verschulden unmöglich gemacht habe. In ernster, redlicher Arbeit will ich jenseits des Ozeans mein Vermögen zu vermehren und ein braver, achtenswerter Mensch zu werden suchen.

Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass, wenn ich mich bewährt habe und zu dir zurückkehre, du nicht mich, wohl aber mein schweres Verschulden vergessen hast. Bis dahin, teuerste, heißgeliebte Hildegard, lebe wohl.

Auf ewig dein
Hugo von Engler

 

Ein Aufleuchten ging über Rudolphs Gesicht. »Das ist ein wackerer Brief«, meinte er, das Schreiben Hildegard zurückgebend.

»Er darf so nicht gehen«, fiel ihm entschlossen das junge Mädchen ins Wort. »Mein Platz ist und bleibt an seiner Seite.«

»Lass mich zuerst allein mit ihm sprechen«, bat Rudolph. »Ich werde versuchen, ihn zu dir zu bringen, dann mögt ihr unter vier Augen das Richtige suchen und finden!«

Eine Stunde später legten Vater und Sohn denselben Weg zurück, den der alte Herr Wichern Wochen vorher gegangen, als er sich zu Hedwig begeben hatte. Diesmal aber hatten nicht Hochmut und Stolz seinen Sinn verhärtet; sondern diesmal kam er mit bittendem und friedfertigem Herzen. Es war ein ergreifender Augenblick, als Andreas Wichern in das einfache, bescheidene Stübchen zu seinem alten, verkannten und vielgeschmähten Freunde eintrat, aber Beck machte dem Reumütigen den ersten schlimmen Augenblick leicht. Er trat zuerst auf den anderen zu und streckte ihm beide Hände entgegen. »Vergeben und vergessen, alter Freund«, sagte er in herzlichem Ton. »Danken wir Gott, der alles so herrlich hinausgeführt hat!«

Der alte Herr musste wiederholt zum Sprechen ansetzen, bevor er das richtige Wort fand. »Des Menschen stetes Verhängnis bleibt der Irrtum«, begann er dann in unsicherem Ton. »Kannst du mir verzeihen, dass ich auch unter der Menge war, die dich erbarmungslos gesteinigt hat?«

Der hartgeprüfte Mann unterbrach des Freundes demütigendes Selbstbekenntnis. »Ich selbst zweifelte mitunter an meiner Unschuld«, sagte er mit bebenden Lippen, »so furchtbar waren die wider mich angehäuften Scheinbeweise, so wenig hoffte ich jemals wieder freizukommen! Aber lassen wir die Vergangenheit mit ihren trüben Schatten. Nicht wahr, Hedwig, das ist auch deine Meinung?« wandte er sich an seine soeben eintretende Tochter.

Diese begrüßte mit artigem, aber doch zurückhaltendem Gruße den alten Herrn, der ihr in einer bitteren Stunde so unsagbar wehgetan hatte. Andreas Wichern aber trat auf sie zu; er erfasste ihre beiden Hände und schaute ihr tief in die Augen. »Hedwig«, murmelte er mit gepresst klingender Stimme. »Ich bin ein alter Mann, der nicht mehr weit vom Grabe hat, und darum kommt mir's vielleicht schwerer wie anderen an, den steifgewordenen Nacken zu beugen und begangenes Unrecht einzugestehen. Ich habe Ihnen wehgetan, ich weiß es wohl, aber Gott ist mein Zeuge, dass es nur aus missverstandener Liebe für meinen Sohn geschehen ist. Ich hielt Sie immer für ein braves, liebes, gutes und herrliches Mädchen. Sie sagten damals, wenn ich käme, und wollte werben für meinen Sohn, dann sollte alles vergessen und vergeben sein. Bleibt's bei der alten Abrede?«

Da ging es wie Sonnenschein über das Gesicht des jungen Mädchens. »Ja«, hauchte sie und beugte sich auf die Hand des alten Herrn nieder. Wie erschrocken aber wehrte Andreas Wichern sie ab und küsste sie auf die reine Stirn.

»Und nun sei es wieder wie in der alten, guten Zeit«, sagte er, die Erglühende seinem Sohn zuführend. »Liebt euch, meine Kinder. Es ist ein köstlich Ding um die Liebe, nun hab' ich's auch begriffen, dass die Liebe alles kann, alles erduldet und erträgt. Gott segne euch!«

Die Liebenden aber hielten sich innig umschlungen. Jenes reine und hohe Glück, das nur heilige und wahrhaftige Liebe zweien Menschenherzen zu verleihen vermag, lebte und webte in ihnen. Sie hatten sich gefunden, um nimmer voneinander zu lassen in Freud und Leid, in Glück und Unglück.

Erst am anderen Morgen vermochte Rudolph sein der Schwester gegebenes Versprechen wahr zu machen und Hugo aufzusuchen. Er fand denselben in seiner früheren Wohnung, eifrig mit Packen beschäftigt. »Ich habe bereits gehört, dass Sie Europa verlassen wollen«, sagte er, dem Errötenden die Hände schüttelnd. »Das ist nicht recht von Ihnen, Herr Baron, denn ich habe noch mit Ihnen abzurechnen, und die Erhebung Ihres Vermögens wird noch die Erfüllung mancher Formalität nötig machen.«

»Es duldet mich nicht länger hier«, gestand Hugo. »Es ist mir, als ob jeder Mensch verdammend auf mich herabschauen müsse. Wenn ich auch jetzt aller Schuld und Strafe ledig bin, die Erinnerung daran, dass nur mein Leichtsinn es gewesen ist, der dieses furchtbare Unglück über mich heraufbeschworen hat, vermag ich nicht zu bannen, sie schleift mir wie eine hemmende Kette am Fuße nach. Drüben in der Ferne, wo mich niemand kennt, will ich Freiheit und Frieden suchen.«

Rudolph hielt seine Hand gefasst. »Das sind wackere, vernünftige Ansichten, die Sie nur ehren können, Herr Baron«, sagte er in warmem Ton. »Aber Sie vergessen Eines: dass jemand lebt, der heilige Ansprüche an Sie hat und nicht verpflichtet ist, Sie so ohne weiteres ziehen zu lassen. Hildegard verlangt nach Ihnen. Wollen Sie wirklich scheiden, ohne ihr wenigstens Lebewohl gesagt zu haben?«

»Sprach sie Ihnen nicht von meinem Brief«, murmelte Hugo.

»Ich las ihn.«

»Und dennoch kommen Sie, um ,–«

»Ich komme, um Sie zu Hildegard zu bringen, Sie Kleinmütiger«, rief Rudolph lebhaft. »Wie wenig kennen Sie doch meine herrliche, unvergleichliche Schwester!«

»Und Sie glauben wirklich?«

»Kommen Sie, kommen Sie«, drängte Rudolph. Wie im Traum folgte ihm Hugo; er nahm kaum wahr, dass der Rechtsanwalt, um ihn den neugierigen Blicken der Vorübergehenden zu entziehen, schon an der nächsten Ecke einen Wagen nahm. Dann aber, als sie vor der Villa ausstiegen und nebeneinander über den schneebedeckten Parkweg schritten, da wollten die Füße den maßlos erregten Mann kaum mehr tragen. »Ich bin Ihrer Schwester nimmer würdig«, murmelte er und blickte Rudolph verstört an.

Dieser sah ihm aber mit warmer Herzlichkeit in die Augen. »So werden Sie ihrer würdig«, versetzte er ermunternd. »Hildegard will Ihr guter Engel sein. Denken Sie immer daran, machen Sie meine Schwester recht glücklich, auch wenn Sie fern von uns weilen.« Dann standen die Liebenden sich allein gegenüber.

»Hildegard, meine teure, süße Hildegard«, schluchzte Hugo in maßloser Ergriffenheit auf. »Ist's denn Wahrheit, du kannst mir verzeihen, du willst die Meine sein und bleiben?«

»Bis in den Tod«, hauchte das junge Mädchen, sich zärtlich zu ihm herabbeugend. »Nun soll uns nichts mehr scheiden. Ich gehe mit dir als deine treue Gefährtin.«

In den Augen Hugos leuchtete es auf. »Ich bin dieses Glückes unwürdig, Hildegard«, stammelte er mit bebenden Lippen. »Es ist zuviel der Freude, zuviel der Wonne, die mit einem Male über mich hereinbrechen. Du willst es wirklich mit mir wagen, willst dich mir anvertrauen, gehst mit mir in ein fernes, unbekanntes Land?«

Hildegard schmiegte sich nur noch inniger an ihn. »Ja, ich gehe mit dir, um nimmermehr von dir zu scheiden«, hauchte sie. »Voll frohen Mutes lass uns Hand in Hand dem Ziele zustreben, gute, pflichtgetreue Menschen zu sein. Tatvolles Ringen und Schaffen sei unser Los. Denn, Geliebter, nur die Arbeit ist es, in der du dich wieder finden, die Arbeit ist der segensvolle, fruchtspendende Boden, aus dem du unser dauerhaftes Glück erbauen wirst.«

 

Ende

 


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