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Von den Zuhörern entfernte sich niemand aus dem Saale, alle verharrten vielmehr auf ihren Plätzen und tauschten flüsternde Bemerkungen miteinander aus.
Rudolph hatte sich gemeinschaftlich mit seinem Klienten, der aus dem Saale gebracht wurde, entfernt. Er schwankte einen Augenblick, ob er die kurze Spanne Zeit benutzen und Hedwig zu sprechen versuchen sollte, dann aber gab sein Pflichtgefühl den entscheidenden Ausschlag. Bedurfte Rudolph der Sammlung doch gerade jetzt in vollem Maße, denn er verhehlte sich keinen Augenblick, dass er einen sehr schweren Stand haben würde. Die Geschworenen waren aus ihren Bänken getreten; sie standen gruppenweise zusammen und tauschten eifrig ihre Meinungen aus. So verstrich die Viertelstunde.
Der Präsident kehrte, gefolgt von dem Gerichtshofe, wieder in den Saal zurück. Rasch hatten sich die Geschworenenbänke wieder gefüllt und der Vorsitzende gab Befehl, den Gefangenen wieder in den Saal zu führen. In wenigen Augenblicken war dies geschehen, und lautlose Stille lag von neuem über der Versammlung.
»Ich erteile dem Herrn Verteidiger das Wort«, sagte der Präsident nunmehr in gemessenem Ton. Aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf den jungen Rechtsanwalt, der hochaufgerichtet, mit bleichen, tiefernsten Gesichtszügen hinter seinem Pulte stand.
Jetzt ließ Rudolph noch einen flüchtigen Blick nach dem Zuschauerraum hinübergleiten; wie eine Verheißung fast berührte es ihn, als er das bis dahin vergeblich gesuchte geliebte Angesicht Hedwigs, die sich aus der Zeugenbank entfernt und ein verstecktes, unbeachtetes Plätzchen im Zuhörerraume ausgesucht hatte, plötzlich erschaute. Sie schien ihm zuzulächeln. Als er aber nochmals hinschaute, war sie verschwunden. Es erschien ihm als gute Vorbedeutung, das Lächeln der Geliebten erblickt zu haben; dann richtete er sich noch höher auf und schaute mit festen, klaren Blicken auf die Geschworenen.
Nach einer Einleitung, welche sich gegen den Wert der vom Staatsanwalt als belastend hingestellten Verdachtsmomente wandte und in warmen Worten die Unschuld seines Klienten beteuerte, sagte er: »Mein Klient gesteht vollkommen zu, dass die Banknoten und die goldene Halskette bei ihm aufgefunden worden sind. Er stellt es auch nicht in Abrede, dass wirklich der früher ihm gehörige Grabstichel in der Todeswunde gefunden worden ist, aber er hat eine andere Auslegung für diese Geschehnisse, als sie der Herr öffentliche Ankläger herausgefunden hat. Glauben wir aber den Worten eines bisher unbescholtenen, ehrenwerten und allgemein geachteten Mannes, dass er selbst nicht weiß, wie er in den Besitz der ihn so sehr belastenden Wertstücke gekommen ist, sondern vielmehr annehmen muss, dass sie ihm, während er an seinem Arbeitstische, von der Ermüdung überwältigt, eingeschlafen war, nächtlicher Weile durch das Fenster hereingeschoben worden sind, dann fällt der ganze, kunstvoll gefügte Bau der Anklage in sich selbst zusammen, und es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als die Ehre des Verhafteten durch eine glänzende, möglichst einstimmige Freisprechung vor aller Welt wieder herzustellen.
Der Herr Staatsanwalt hat in sehr scharfsinniger Weise vorhin den Beweis erbringen, wollen, dass notwendigerweise der Mörder den Weg über den Holzbalkon und das Dach des Stallgebäudes genommen haben muss, um nach dem Hofe des Nachbargrundstückes zu kommen. Ich schließe mich in dieser Beziehung seiner Meinung an, aber meiner Ansicht nach hat er nicht den Hinweg, sondern den Rückweg auf diese Art und Weise zurückgelegt, dafür spricht schon, abgesehen von den übrigen Beweismomenten, das niedergedrückte Firmenschild. Dasselbe soll nun freilich von meinem Klienten bis zum Zerbrechen herabgebogen worden sein, um den Anschein zu erwecken, als ob sich ein Mann nächtlicherweile von dem Holzbalkon aus die Straße herabgelassen habe. Es scheint mir dies aber eine ganz unerfindliche Behauptung zu sein! Abgesehen davon, dass ein sehr gewandter Turner dazu gehört, solch ein Kunststückchen zu vollbringen und dabei nicht das körperliche Gleichgewicht zu verlieren, so würde wohl ein derart geistesgegenwärtiger Verbrecher nicht auf einen solchen Ausweg gekommen sein, um über seine Spur zu täuschen, sondern er würde sicherlich die Spur selbst möglichst verwischt haben, wozu ja Zeit in Hülle und Fülle vorhanden gewesen sein würde.
Ich behaupte also, dass der Mörder nach geschehener Tat seinen Weg über den Holzbalkon genommen und sich von diesem auf die Straße herabgelassen hat. Beim Vorübergehen an dem offenstehenden Fenster der Arbeitsstube hat er den Angeklagten schlafen gesehen und in plötzlicher Aufwallung, um den Verdacht auf eine falsche Fährte zu lenken, hat er die Banknoten nebst der Kette aus der Tasche gezogen und dieselben durch das Fenster auf den Arbeitstisch geschoben.
Nun ist freilich der Grabstichel Becks in der Brust des ermordeten Barons gefunden worden, und der Herr Staatsanwalt schlägt daraus Kapital gegen meinen Klienten. In meinen Augen vermag dieser Fund nur dem flüchtigen Beobachter als ein Belastungsmoment gegen den Angeschuldigten zu erscheinen, er muss vielmehr dem vorurteilsfreien und tiefer schauenden Beurteiler die festgegründete Meinung beibringen, dass der heute Angeklagte unmöglich der Täter sein kann. Ich bin fest überzeugt und behaupte, dass ein Verbrecher, der so klug und vorbedacht eine derart grässliche Tat zu begehen wagt, nicht, nachdem er den Kampf mit dem Lebenden siegreich überwunden hat und nur noch eine starre Leiche vor sich liegen sieht, wie der öffentliche Ankläger uns glauben machen will, das Hasenpanier ergreift.
Ein Mann, der solch einen Mord begangen hat, muss stählerne Nerven haben, er kümmert sich nicht um die halb offen stehenden, gebrochen ihn anstarrenden Augen seines Opfers. Sein Sinnen und Trachten ist nur allein darauf gerichtet, möglichst jede Spur, die auf seine Fährte führen könnte, zu verwischen. Er, der doch sein eigenes Instrument genau kennen muss, weil er selbst die Buchstaben auf demselben kunstvoll angebracht, wird gewiss nicht die unverzeihliche Dummheit begehen und in der blutenden Todeswunde die sofort vor aller Welt an ihm zum Verräter werdende Waffe zurücklassen! Auch in dieser Ausführung des Herrn Staatsanwalts vermisse ich also zwingende Logik.
Es mag sich ja in einem Romane recht gut lesen, wenn der hartgesottene Bösewicht, von dem Rachestrahl der Nemesis getroffen, plötzlich vor den Folterqualen des eigenen bösen Gewissens dahinflieht und dadurch den Verräter an dem Orte der fluchwürdigen Tat zurücklässt; in unserer praktischen und nüchternen Zeit ereignet sich solch ein Geschehnis wohl kaum. Ein Verbrecher, der die Kaltblütigkeit hat, einen Mord zu begehen, der verfügt auch sicherlich zehnfach über die nötige Besonnenheit, welche ihn in den Stand setzt, die Früchte seiner Tat ganz zu ernten und seine Spur, soweit es in seiner Hand liegt, zu verwischen. Zudem krankt diese Darstellung des Herrn Staatsanwalts noch an einer weiteren Unwahrscheinlichkeit. Gesetzt den Fall, mein Klient ist der Täter gewesen, dann muss er doch zuerst den Mord begangen haben, und erst, nachdem dies geschehen war, konnte er ,– darauf weist ja auch der konstatierte Kampf zwischen dem Mörder und seinem Opfer hin ,– daran gehen, den Kassenschrankschlüssel unter dem Kopfkissen hervorzuziehen und die Eröffnung und Ausraubung des Schrankes vorzunehmen. Es wäre also jenem, der Kaltblütigkeit genug zu diesem höchst zeitraubenden Geschäft besaß, doch sicherlich ein Leichtes gewesen, vorher den Grabstichel wieder an sich zu nehmen und so den furchtbarsten Belastungsbeweis gegen sich aus der Welt zu schaffen. Ich glaube, es ist niemand hier im Saal, der meinen Klienten nicht für einen zurechnungsfähigen Mann hält; eine solche Unterlassungssünde aber käme der Tat eines Wahnsinnigen gleich.
Fällt aber diese Annahme des Herrn Staatsanwalts, so ist auch seine Erklärung von der Entstehungsart der Stearintropfenspuren hinfällig. Mit seiner Berechnung hat der Herr Staatsanwalt mir das Hauptargument meiner Verteidigung von vornherein abschneiden und unmöglich machen wollen, ich meine nämlich die blutige Handspur auf dem Verbindungsgange zwischen den Schlafzimmern der Ermordeten. Indem er Ihnen diese Spur, als von dem von Reue gepeinigten oder wenigstens vor den Vorstellungen des eigenen bösen Gewissens fliehenden Mörder herrührend darstellte, wollte er Sie zu der Überzeugung bekehren, dass der ins Stolpern gekommene Verbrecher unmöglich einen festen Halt an der Tapete gefunden haben könne. Mit anderen Worten, er wollte Ihnen den ungeheuren, tatsächlichen Unterschied zwischen der aufgefundenen Spur und der Hand meines Klienten möglichst abschwächen und geringfügig erscheinen lassen.
Ich kann da mit einer ganz anderen und meiner Meinung nach viel wahrscheinlicheren Ansicht dienen. Aus dem Zeugenverhör haben wir vernommen, dass die ebenfalls verblichene Dora von Gerstenberg genau mit dem Kassenschrankschlosse umzugehen verstand, denn sie war von ihrem Oheim wiederholt schon mit der Öffnung und Schließung desselben betraut worden. Was nun liegt wohl näher als die auch von dem Herrn Staatsanwalt nicht zurückgewiesene Annahme, dass sie mindestens die Mitschuldige des an ihrem Oheim verübten Verbrechens gewesen ist?
Ich denke mir den Vorgang derart, dass sie mit ihrem Komplizen zugleich in das Schlafzimmer ihres Oheims eingetreten ist. Während nun ersterer noch im Kampfe mit dem Unglücklichen begriffen war, gelang es Dora, den Schrankschlüssel unter dem Kopfkissen hervorzuziehen. Sie eilte nach dem Nebenzimmer, öffnete und beraubte den Schrank. Selbstredend befand sie sich, besonders wenn man annimmt, dass sie notwendigerweise den Lärm des im Schlafzimmer stattfindenden Kampfes hören musste, in hochgradiger Aufregung. Ihre Hände zitterten, sie musste sich niederbeugen, um das Schlüsselloch des Schrankes aufzufinden, dabei mögen die Stearintropfen auf die untere Fläche des Schrankes gefallen sein. In ihrer Erregung hatte sie den Schlüssel in den Schrank gelegt und dieser schlug zu.
Eine solche Annahme macht auch nur den sonst unbegreiflichen Umstand erklärlich, dass der Schrank so gut wie gar nicht beraubt worden, dass fast der gesamte Inhalt desselben vielmehr unberührt geblieben ist. Man sage nicht, dass der Verbrecher so gar klug gewesen ist, dass er die Rententitel nicht anzutasten wagte. So viel Scheu vor polizeilichen Bekanntmachungen besitzen Einbrecher und vollends gar solch ein blutgieriger Schurke, wie es der Mörder des Barons von Engler gewesen sein muss, heutzutage nicht. Er hätte sicherlich wenigstens den Versuch gemacht, die wertvollen Papiere an den Mann zu bringen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, dass der Herr Ankläger so gar wenig Gewicht auf das notorische Verschwinden des Testamentes gelegt hat! Wir haben die Aussagen der Dienerschaft gehört. Beide bekundeten übereinstimmend, dass ihr ermordeter Herr ihres Wissens sein Testament im Kassenschranke aufbewahrt habe. Das Verschwinden dieses Testamentes, dessen Vorhandensein auch von den übrigen einwandfreien Personen ,– ich nenne nur den Herrn Direktor unseres Landgerichts ,– ebenfalls behauptet wird, hat übrigens schon zu verschiedenen Zivilprozessen Veranlassung gegeben. Welchen Grund soll denn nun mein Klient, gesetzt den Fall, dass er wirklich der Mörder ist, gehabt haben, ein für ihn völlig belangloses Testament zu entwenden?
Ich behaupte, dass, wenn mein Klient wirklich den Einbruch verübt hätte, er sich nicht einmal die Mühe genommen haben würde, das Testament durchzulesen. Dazu hätte er wahrscheinlich keine Zeit gehabt.
Die völlige Unversehrtheit des übrigen Teiles des Kassenschrankinhaltes spricht übrigens schon allein für die hohe Wahrscheinlichkeit meiner Annahme. Es muss also notwendigerweise der Täter eine Person gewesen sein, die ein Interesse daran gehabt hat, das Testament verschwinden zu lassen. Nun wird mir der Herr Ankläger zwar einwenden, dass gerade aus diesem Grunde vielleicht die verblichene Dora von Gerstenberg einen Helfershelfer zu der Ermordung ihres Oheims gedungen habe. Aber welchen Grund sollte denn die Dame gehabt haben, das Testament verschwinden zu lassen? War sie nicht dem allgemeinen Glauben nach, der durch tatsächliche Äußerungen ihres Oheims unterstützt worden war, des letzteren voraussichtliche Erbin? Es konnte ihr also doch unter allen Umständen nur an der Erhaltung des Testamentes liegen. Selbst aber die Annahme, dass das Testament in Wahrheit nicht zu Gunsten Doras gelautet und dass diese deshalb eine Beiseiteschaffung angestrebt hat, ist hinfällig, wenn wir bedenken, dass sie durchaus nicht ihres Oheims nächste Erbin war, da sie nur im zweiten Grade von mütterlicher Seite in einem Verwandtschaftsverhältnisse zu ihm stand, während dem Verblichenen ein Neffe lebt, welcher ein Sohn von dessen leiblichem Bruder ist. Das Nichtauffinden eines Testamentes nach dem Tode ihres Oheims war mithin für die Verblichene gleichbedeutend mit Enterbung.
Also weder Dora noch ihr angeblicher Helfershelfer konnten ein Interesse an einer Beiseiteschaffung des Testamentes gehabt haben. Es kann sich auch nicht um ein zufälliges Verlieren des Testamentes handeln, sondern ich behaupte, dass die ganze Tat überhaupt nur dieses Testamentes wegen begangen worden ist.
Es liegt mir fern, jemanden zu verdächtigen, wenngleich ich auch bedauern muss, dass der Beschluss des hohen Gerichtshofes die Vernehmung des von mir als Zeugen vorgeschlagenen Barons Hugo von Engler unmöglich gemacht hat. Aber in Wahrnehmung berechtigter Interessen meines Klienten muss ich laut und öffentlich vor aller Welt verkünden, dass wirklich Personen leben, welche zum mindesten ein großes Interesse am Verschwinden des vielbesagten Testamentes haben hegen können ,–«
»Herr Verteidiger, ich muss Ihnen durchaus verbieten, über abwesende Personen in einer derartigen Art und Weise zu urteilen«, unterbrach hier der Vorsitzende Rudolph schroff. »Es steht Ihnen durchaus nicht das Recht zu, Schlussfolgerungen, die einen ungeheuren Angriff auf die Ehre einer unbescholtenen Persönlichkeit bedeuten, hier in öffentlicher Verhandlung zu ziehen.«
»Ich gebe dem Herrn Präsidenten zu bedenken, dass ich hier als Vertreter eines Mannes stehe, dessen Ehre, dessen Leben durch eine ungerechte Anklage bedroht ist«, entgegnete Rudolph, »und dass ich nur meine Pflicht zu erfüllen meine, wenn ich die Herren Geschworenen darauf aufmerksam mache, dass andere Personen leben, die einen ungleich höheren Vorteil durch den Tod des alten Herrn von Engler gehabt haben können, als günstigsten Falles mein unglücklicher Klient.«
Eine allgemeine Bewegung gab sich im Zuhörerraum kund. Man stieß sich an, schüttelte verwundert die Köpfe und tauschte flüsternde Bemerkungen aus. Jeder fühlte unwillkürlich, wohin die Bemerkungen des jungen Rechtsanwalts zielten. Aber gerade darum verstand man sie um so weniger, war doch der davon hart Betroffene der zukünftige Schwager des Redners!
»Aber wenden wir uns zur Katastrophe zurück«, fuhr Rudolph, nachdem der Präsident streng Ruhe geboten hatte, in seinem Plädoyer fort. »Bleiben wir bei der Annahme, dass es Dora von Gerstenberg gewesen ist, welche den Kassenschrank geöffnet und denselben unachtsam wieder hat zuschlagen lassen. Sie ging in das Schlafzimmer zurück. Ihr Blick fiel auf die in schrecklicher Todesangst verzerrten Gesichtszüge des auf ihr Betreiben ermordeten Oheims, entsetzt wandte sie sich zur Flucht, vielleicht riss sie ihrem Mitschuldigen das Licht aus der Hand, oder dasjenige des letzteren erlosch von selbst. Durch ihr Entsetzen angesteckt, folgte ihr der Mörder hastiger, als sonst wohl in seiner Art gelegen wäre, dabei ereignete sich dann sein Unfall, der auf der Tapete die blutige Handspur hinterließ. Diese Handspur, meine Herren Geschworenen, ist sehr deutlich, das haben Sie sowohl von dem Herrn Untersuchungsrichter Alberti als aus dem Munde des Herrn Polizeikommissärs Grösser gehört. Selbst der Erstgenannte, der keinen Zweifel an der Schuld Becks hegt, muss zugeben, dass die Spur notorisch nicht auf die Hand des heute Angeklagten paßt. Bedeutend entschiedener hat sich Herr Grösser ausgedrückt; dieser hat es sogar auf seinen Eid genommen, dass die Spur mit der Handfläche meines Klienten nicht identisch sein kann. Seine langjährige Praxis und seine vielen Erfahrungen auf diesem Felde befähigen und berechtigen den Herrn Kommissär in erster Linie zu dieser Behauptung.
Wenn aber nun auch diese Erklärung des Herrn Staatsanwalts hinkt ,– und dass dies der Fall ist, wird wohl niemand von Ihnen bezweifeln, meine Herren Geschworenen ,– wenn also die blutige Spur, diese stumme Verräterin des Mörders, mit der Handfläche meines Klienten nicht übereinstimmt, wenn dieser also notwendigerweise seine Hände nicht in das rauchende Blut seines Opfers getaucht haben kann, was bleibt dann noch von der ganzen mühsam errichteten Anklage übrig, die darauf berechnet ist, meinen Klienten um Ehre und Leben zu bringen?
Aber ich gehe noch weiter, meine Herren Geschworenen, ich behaupte auch, der Umstand, dass die Tochter meines Klienten jenes, auch von dem Herrn Staatsanwalt vielbesprochene Wertpaket zugeschickt erhalten hat, in dem sich die fünf fehlenden, trotz aller Haussuchungen nicht aufgefundenen Eintausendmarkscheine sowie das Brillantschloss der Halskette befunden haben, müsste genügen; um meinen Klienten in Ihren Augen aller Schuld ledig erscheinen zu lassen.
Nun hat der Herr Staatsanwalt freilich gemeint, die Zeugin Hedwig Beck vor aller Öffentlichkeit verunglimpfen zu dürfen. Er hat dies mit einem gewissen ironischen Wohlwollen getan, indem er davon sprach, dass wohl niemand der Tochter des Angeklagten wegen dieser versuchten Irreführung der öffentlichen Meinung sonderlich zürnen, sondern ihre übergroße Liebe zum Vater mildernd in Anrechnung bringen werde. Meine Herren Geschworenen, ich glaubte wirklich, nicht recht zu hören, als ich diese verletzenden Worte aus dem Munde des berufenen Vertreters der öffentlichen Anklage vernehmen musste.
Ich will ganz von den innigen Banden absehen, welche mich selbst mit der Tochter meines Klienten verbinden, Beziehungen, die wohl niemandem von Ihnen hier ein Geheimnis geblieben sind, sondern ich will mich auf den Standpunkt stellen, als ob die junge Dame mir ganz wildfremd sei. Aber auch als ganz objektiver Beurteiler muss ich es dem Herrn Ankläger ernstlich verdenken, dass er ein unbescholtenes junges Mädchen, nur um die Lücken einer unzureichenden Beweisführung zu verbergen, zu entwürdigen, zu verdächtigen und zur Verbrecherin zu stempeln wagt. Nein und abermals nein! Die Tochter meines Klienten hat nicht eine unwürdige Komödie gespielt! Ich will aber nicht, dass Sie nur meiner persönlichen Versicherung glauben sollen, sondern ich bitte Sie, seien Sie der wiederholten Haussuchungen eingedenk, die unter der umsichtigen Leitung des Herrn Grösser in der Wohnung Becks stattgefunden haben. Da konnte gar keine Rede von einem Verbergen oder Beiseitebringen sein! Die Behauptung des Herrn Staatsanwalts ist schon aus diesem Grunde unerfindlich, man müsste denn gerade annehmen, dass die Tochter mitbeteiligt an dem furchtbaren Raubmorde sei und gewissermaßen als Mitschuldige auch vor Ihr heutiges Forum gezogen werden müsste.
Das Wertpaket hat aber auch ein Begleitschreiben enthalten. Aus dem Munde eines der berufensten Schriftvergleicher haben wir vernommen, dass die Handschrift eine verstellte und keineswegs eine ungebildete ist, sondern nur den Anschein einer solchen erwecken soll. Wir haben es also offenbar mit einem gebildeten Mann zu tun, der heimlich die Zeilen geschrieben hat, wohl weil ihn das Gewissen gefoltert und ihn zu dem Entschlusse gedrängt hat, keinen Unschuldigen an seiner Statt leiden zu lassen. Ich glaube ganz sicher, dass wir den Mörder in den gebildeten Kreisen zu suchen haben, daraufhin deutet auch die schmale, aristokratisch geformte Spur auf der Gangtapete. Solche länglich geformten, konisch zugespitzten, mit breitem Goldreif geschmückten Finger, wie sie dieser Handspur eigentümlich sind, die in genauer Reproduktion Ihnen allen vorgelegen hat, vermag kein Mann der unteren Volksschichten aufzuweisen.
Also alle Verdachtsmomente, die meinen Klienten hinsichtlich der Ermordung des Barons von Engler bezichtigten, sind hinfällig. Mein Klient hat zum Überfluss freilich erklärt, dass er den ominösen Grabstichel samt einem guten Teil anderer Instrumente bereits am Tage vor dem Morde an den Trödler Schimmel verkauft habe. Der letztere hat freilich eidlich einen solchen Ankauf in Abrede gestellt ,– und da Aussage gegen Aussage vorliegt, so bin ich nicht im Stande, ihn ohne weiteres Lügen zu strafen. Aber ich bitte Sie, meine Herren Geschworenen, Ihre Aufmerksamkeit auf einige Ihnen vielleicht nebensächlich erschienene Punkte zu richten. Die Beweisaufnahme hat ergeben und es ist von dem Herrn Staatsanwalt bestätigt worden, dass am Nachmittag vor dem Morde mein Klient ausgepfändet worden ist. Das letzte Geld ist ihm von dem Gerichtsvollzieher, wie sich schon aus dem Protokoll desselben ergibt, abgepfändet worden. Der Mann des Gesetzes ist sogar vor einer körperlichen Untersuchung seines Klienten nicht zurückgeschreckt und hat dessen ganze Barschaft bis auf wenige Pfennige zu sich genommen. Auf der anderen Seite aber ist nachgewiesen, und ich habe die betreffenden Zeugen einzeln alle vorführen lassen, dass mein Klient am Spätnachmittag desselben Tages, wenige Stunden nach erfolgter Auspfändung, aber Stunden vor dem Morde, verschiedene Posten beim Kaufmann, Bäcker, Arzt und Apotheker im Gesamtbetrage von nahezu fünfzig Mark bezahlt hat.
Ich frage Sie nun, meine Herren Geschworenen, woher soll mein Klient das Geld bekommen haben, wenn nicht aus dem Erlöse für das verkaufte Handwerkszeug? Er kann also, das geht mit zwingender Notwendigkeit aus dem Angeführten hervor, nicht gelogen haben, wenn er behauptet, sein Handwerkszeug zum Teil an den Trödler Schimmel verkauft zu haben. Er ist also auch faktisch nicht im Besitz des ominösen Grabstichels gewesen, sondern diesen hat Schimmel in der Stunde des Mordes oder wenigstens in den diesem vorausgegangenen Stunden besessen. Es bleibt gar kein anderer Ausweg, als anzunehmen, der Trödler Schimmel hat ,– aus welchem Grunde, sei dahingestellt ,– einen Meineid geleistet!«
Die Klingel des Präsidenten ertönte. »Ich muss den Herrn Verteidiger nochmals bitten, sich jeglicher Ausfälle gegen Abwesende zu enthalten«, mahnte derselbe in strengem Ton.
»Weil im übrigen uns gerade der Trödler Schimmel beschäftigt«, fuhr Rudolph fort, ohne sich durch die Zwischenrede des Vorsitzenden im geringsten beirren zu lassen, »so erlauben Sie mir noch eine Einwendung. Der Herr Ankläger hat vergeblich versucht, den Nachweis wegen eines näheren Verkehrs, in welchem mein Klient mit der verblichenen Dora von Gerstenberg gestanden haben soll, zu erbringen. Ich dagegen bin in der Lage, Ihnen, wie Sie aus dem Zeugenverhör entnommen haben, den Beweis zu führen, dass eine zum Mindesten nicht oberflächliche Bekanntschaft zwischen der Toten und dem heute nicht erschienenen Trödler Schimmel bestanden hat. Wenn nun schon Fräulein Dora als Anreizerin zum Morde ihres Oheims gelten soll, so sehe ich nicht ein, warum nicht ebenso gut und sicher aus zwingenderen Gründen als mein Klient der Trödler Schimmel der Verführte sein soll.
Jedenfalls glaube ich behaupten zu können, dass auf den hageren, zierlich gebauten Mann die ominöse Handspur besser passen dürfte, als auf meinen Klienten. Ich komme nun zu dem Todesfall des Fräulein Dora von Gerstenberg. Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob Selbsttötung oder Mord vorliegt. Ich stehe vollständig auf dem Standpunkte des Herrn Staatsanwalts, auch ich glaube, dass die Unglückliche von ihrem Helfershelfer ermordet worden ist ,– nur erlaube ich mir eine kleine Abweichung von der Meinung des Herrn Anklägers insofern, als ich meinen Klienten nicht für ihren Helfershelfer halte. Veranschaulichen wir uns die Lage der Dinge. Die Unglückliche kommt mit ihrem Komplizen vom Morde zurück. Alle ihre Nerven zittern in heftigster Erregung. Offenbar haben nun beide miteinander gesprochen, vielleicht haben sie sich auch wegen des vorangegangenen Mordes gezankt, vielleicht sind sie nicht einig wegen der Teilung der Beute gewesen ,… Ich mache Sie dabei auf meine vorhergehende Bemerkung aufmerksam, dass der Raub nur unvollkommen ausgeführt, weil durch einen Zufall der Schlüssel in dem Kassenschrank zu liegen gekommen und die schwere Tür zugeschlagen war.
Sei dem aber wie ihm wolle, jedenfalls ist die Todesart dieser Dame eigentümlich genug, um näher beleuchtet zu werden. Wohlgemerkt, meine Herren Geschworenen, sie starb an Gift, und zwar an einem Gift, das nur in irgendeiner Auflösung unwissentlich genommen werden konnte, also etwa in einem Glase Wein. Ein solches konnte ihr aber doch nur von einem vertrauten Bekannten beigebracht werden, nicht aber von einem von ihr nur für den an ihrem Oheim vollbrachten Mord gedungenen Helfershelfer. Für meine Behauptung sprechen verschiedene Umstände. Einem gedungenen Helfershelfer setzt man, besonders, wenn man wie die Verblichene als geizig verschrien ist, nicht eine geradezu opulente Mahlzeit nebst teuren Weinen vor. Einen solchen Mordgesellen empfängt man nicht festlich im schweren seidenen Kleide, wenn man die Bequemlichkeit liebt und, wie vorher die Köchin, welche den ganzen Tag über um die Person Doras gewesen ist, ausgesagt hat, es vorgezogen hat, in einem bequemen Hauskleide den ganzen vorhergehenden Tag über einherzugehen.
Das Fräulein hat also wirklich großen Wert darauf gelegt, sich in den Augen ihres Helfershelfers vorteilhaft herauszuputzen, auf ihn einen guten Eindruck zu machen, und ihn, das beweist die gute Abendmahlzeit, bei guter Laune zu erhalten. Sie hat den uns unbekannten Helfershelfer empfangen, wie eine ältliche Jungfer den Geliebten zu empfangen pflegt, den sie gern an sich fesseln möchte, und ich zweifle keinen Augenblick daran, dass ich mit meiner Annahme das Richtige getroffen habe.
Dora von Gerstenberg war, wie die Zeugen aussagten, eine viel zu vorsichtige, ängstliche, misstrauische Person, als dass sie einen von ihr gedungenen rohen Mordgesellen in das Haus gelassen haben sollte! Sie würde sich demselben ja durch eine solche Handlungsweise selbst auf Gnade und Ungnade überantwortet haben. Es liegt für eine solche Annahme auch nicht der geringste Wahrscheinlichkeitsgrund vor. Aber wir verstehen mit einem Male alles, wenn wir annehmen, dass es irgendeinem Mann gelungen ist, der ältlichen, vielleicht von Liebestollheit befallenen Jungfer eine heftige Neigung vorzuheucheln, sich in ihr Vertrauen einzuschmeicheln und entweder auf ihre Anstiftung hin den Mord an dem Baron zu begehen, oder aber ,– ich will auch diese Möglichkeit ins Auge fassen ,– oder aber, sage ich, zuerst das Fräulein zu vergiften und dann erst den Mord an dem alten Mann zu begehen.
Nun frage ich Sie, meine Herren Geschworenen, wie sollte denn in aller Welt gerade mein Klient dazu gekommen sein, in solch ein intimes Verhältnis zu der Ermordeten zu treten? Die Mehrzahl von Ihnen hat meinen Klienten durch lange Jahre persönlich gekannt, er ist ja früher hier eine angesehene, einflussreiche Persönlichkeit gewesen. Es ist ihm sein ganzes Leben lang nichts vorzuwerfen gewesen, im Gegenteil, er galt als das Muster eines zärtlichen Gatten und Vaters! Ein solches galantes Verhältnis kostet aber Zeit, es müsste sowohl der Gattin wie der Tochter aufgefallen sein, dass der Gatte und Vater sie vernachlässigte, auch ich, der ich damals tagtäglich in der bescheidenen Wohnung meines Klienten verkehrte, hätte eine solche Wahrnehmung machen müssen. Aber nichts von alledem war der Fall.
Es lässt sich kein häuslicherer, kein freundlicherer Gatte und Vater denken als mein Klient, er gönnte sich kaum einen flüchtigen Ausgang. Tag und Nacht weilte er an dem Krankenlager seiner sterbenden Frau. Und während dieser Mann sein Alles daran setzte, Brot für Frau und Kind zu verdienen, während er in rührender Aufopferung bestrebt war, seine Frau zu pflegen und es sich zu erhalten, sollte sein Gehirn fieberhaft an der Entwerfung eines so überaus keck und kaltblütig ins Werk gesetzten Mordplanes gearbeitet haben? Sowohl der Herr Staatsanwalt, wie ich selbst, haben verschiedene Zeugen befragt, ob sie einen näheren Verkehr zwischen der Ermordeten und meinem Klienten wahrgenommen hätten. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall gewesen. Die nächstbeteiligte Dienerschaft, die doch Tag und Nacht unausgesetzt im Hause gewesen ist, hat nicht einmal bemerkt, dass überhaupt nur ein Gruß zwischen beiden gewechselt worden ist. Im Gegenteil, Fräulein Dora hat als eine hochmütige Person gegolten, die verächtlich über alle schwer mit des Lebens Notdurft Ringenden abgeurteilt hat. Der von Sorgen hart bedrängte ehemalige Fabrikant nötigte ihr also sicher kaum ein nichtachtendes Achselzucken ab.
Ich glaube Ihnen durch meine Ausführungen bis jetzt bewiesen zu haben, dass notwendigerweise ein anderer den Mord an dem Baron begangen haben muss. Es bleibt mir nur noch übrig, die Annahme zu erörtern, dass ein doppelter Raubmord vorliegt, der durch einen einzigen Verbrecher verübt worden ist und welchem, gleichmäßig unbeteiligt, Oheim und Nichte zum Opfer gefallen sind. Obwohl eine solche Annahme angesichts der schweren Belastungsmomente, welche gegen die verstorbene Dora vorliegen, so gut wie ausgeschlossen ist, will ich sie doch mit einigen Worten beleuchten, um zu beweisen, dass auch in diesem Falle mein Klient unmöglich der schuldbeladene Täter sein kann.
Fräulein Dora kann nur von jemandem vergiftet worden sein, mit dem sie auf vertrautem Fuße gestanden hat, oder der in der Lage gewesen ist, ihr eine Handreichung zu machen. Nehmen wir zuerst den letzteren Fall an, so müsste die heute auf der Zeugenbank befindliche Dienerschaft des Ermordeten schuldig sein. Es müsste sich dann um ein nichtswürdiges Komplott dieser beiden Zeugen handeln. Die Annahme eines solchen kommt aber gar nicht in Frage, denn abgesehen davon, dass wohl auf niemanden im Saale diese offenbar treuen und redlichen Leute den Eindruck gemacht haben, als ob ihnen die Begehung einer solch ungeheueren Schandtat zugetraut werden dürfte, besitzen auch beide schwerlich den hohen Grad der Verschlagenheit, ein Verbrechen zu begehen, wie das uns beschäftigende.
Es bleibt nur noch die Annahme übrig, dass ein mit den Gewohnheiten des Hauses völlig Vertrauter sich in dasselbe eingeschlichen und in einem unbewachten Augenblick in die Wasserkaraffe oder ein Weinglas der verblichenen Dora das tödliche Gift geschüttet haben kann. Zur Begehung eines solchen Verbrechens hätte sich der Täter etwa im Schlafzimmer Doras verbergen können. Er müsste dann dort die Wirkung des Trankes bei der Dame abgewartet und sich hierauf erst in das Schlafzimmer des alten Herrn begeben haben, um den Mord und den Kasseneinbruch zu begehen. Keinenfalls aber könnte alsdann mein Klient der Täter sein, da dieser nachgewiesenermaßen bis spät abends im Kreise seiner Familie geweilt hat.
An ein gewaltsames Einsteigen des Mörders in die Wohnung des Barons ist aber schon aus dem Grunde nicht zu denken, weil keinerlei Gewaltspuren aufgefunden worden sind und auch die unteren, durch Eisengitter verwahrten Erdgeschossfenster sich unverletzt zeigten. Ein Einschleichen in das Haus aber hätte höchstens zu einer Stunde stattfinden können, wo die Dienerschaft noch in demselben weilte.
Kurzum, wie wir auch die einzelnen Verdachtsmomente zergliedern und zurechtlegen mögen, überall gewinnen wir die Überzeugung, dass der Angeklagte nimmermehr das ihm zur Last gelegte, verabscheuungswürdige Verbrechen begangen haben kann! Nein, um die Verurteilung meines Klienten herbeizuführen, hätte der Herr Staatsanwalt wirklich nach besseren und nachhaltigeren Verdachtsmomenten sich umschauen müssen. Mit demselben Rechte, mit welchem man meinen Klienten verdächtigt und ihm ins Gesicht sagt, seine Behauptungen seien Lügen, könnte man auch irgend einen Beliebigen aus den Zeugen herausgreifen, könnte man, wie ich schon erwähnt, zu dem Diener sagen, dass er ein abgekartetes Spiel mit der Köchin getrieben und er mit dieser zusammen es sei, welche jetzt mit kecker Stirn den Gerichtshof belügen, den Mord geplant und begangen haben könnten.
Ich stehe am Ende meiner Ausführungen. Meine Herren Geschworenen, gleich dem Herrn Staatsanwalt überlasse ich mit gutem Gewissen und froher Hoffnung Ihrem gerechten und weisen Urteilsspruche das Los meines Klienten. Bedenken Sie, welch eine furchtbare Gewalt nunmehr in Ihren Händen liegt! Vor Ihnen steht ein Mann, der auf sein bisheriges Leben frei und offen zurückblicken kann; nicht als Bittender naht er sich Ihnen, nicht als ein um Gnade und Barmherzigkeit Flehender, nein, er steht vor Ihnen wie ein durch Schicksalsschläge aller Art zwar niedergebeugter, aber nicht gebrochener Held und verlangt gebieterisch sein gutes Recht.
Dies ihm zu geben sind Sie ihm, sind Sie dem schwer verletzten Gewissen der öffentlichen Meinung schuldig. Bedenken Sie, was alles dieser arme, von schweren Schicksalsschlägen zermalmte Mann erlitten hat, seitdem mit rauher Gewalt er von Frau und Kind gerissen worden ist. Und dieser Mann hat alles mutvoll ertragen, eben weil sein gutes Recht deutlich und klar für ihn sprach, Not und Schmach, Schande und Lästerung haben ihn bis heute nicht niederzudrücken vermocht. Nun ist es an Ihnen, meine Herren Geschworenen, die Entscheidung zu treffen! Prüfen Sie Ihr Gewissen, fragen Sie vor Gottes Angesicht Ihr Herz, und Ihr Urteil muss notwendig ein freisprechendes werden.«
Die Rede des jungen Rechtsanwaltes hatte tiefen Eindruck auf die Geschworenen gemacht. Ihre Mienen waren nachdenklich geworden; während sie nach der Rede des Staatsanwaltes sofort eifrig ihre Meinungen ausgetauscht hatten, blieben sie stumm sitzen und schienen das Gehörte noch weiter in sich fortwirken zu lassen.