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Der Korridor endete vor einem Wandschrank. Unmittelbar vor diesem befand sich zur Rechten eine Tür. Der Schutzmann, welcher die Gerichtskommission vorhin unten im Hausgange empfangen hatte, eilte voran und schloss die Tür auf.
»Es ist das Wohnzimmer des gnädigen Fräuleins Dora von Gerstenberg«, bemerkte der Diener auf den fragenden Blick des Untersuchungsrichters.
Die Herren traten in das ziemlich geräumige, behaglich ausgestattete Gemach. In demselben waren ebenfalls die Gardinen herabgelassen. Eine drückend schwüle Atmosphäre herrschte in dem Raum. Wieder befahl der Untersuchungsrichter das Öffnen der beiden Fenster. Dann wandten sich die Blicke der Eingetretenen auf den regungslos ausgestreckt auf dem Boden liegenden Körper einer Dame. Dieselbe mochte ausgangs der dreißiger Jahre gestanden haben; ihr verkniffenes Gesicht, das zahlreiche Falten zeigte, mochte schon im Leben nicht schön zu nennen gewesen sein, jetzt aber wies es eine geradezu abschreckende Hässlichkeit auf. Ein seltsames Erschrecken schienen die erstarrten Züge noch im Tode zu offenbaren, ein angstvoller Zug hatte die schlaff herabhängenden Mundwinkel versteinert.
Der Untersuchungsrichter befahl, die Leiche auf das Sofa zu legen. Dann trat er mit dem Polizeikommissär an dieselbe heran. Der Letztere hob die linke, erkaltete Hand der Toten in die Höhe. Dann stieß er einen kurzen Ausruf aus: »Seltsam! Eine schmale, zierliche Hand, die Finger lang und konisch!« rief er.
Prüfend betrachtete auch sein Vorgesetzter die Hand. »In der Tat, die Übereinstimmung mit der Spur im Korridor ist unverkennbar. Auch befindet sich ein breiter Goldreif am Ringfinger. Aber es ist keine Spur von Blut an der Hand wahrnehmbar.«
Der Kommissär blickte spähend im Zimmer umher. Sein Blick fiel auf eine angelehnte, zu einem Nebenraum führende Tür. Einer Eingebung folgend, eilte er nach derselben und stieß sie vollends auf. »Bitte kommen Sie hierher, Herr Untersuchungsrichter«, ersuchte er. »Hier ist das Schlafzimmer der Toten, das Waschbecken ist mit blutgetränktem Wasser angefüllt, offenbar hat sich hier der Täter die Hände gereinigt!«
Sein Vorgesetzter trat in das Nebenzimmer und überzeugte sich von der Richtigkeit der gemachten Wahrnehmung. »Das wäre schon immerhin eine Spur«, meinte er gedankenvoll. »Messen Sie doch die linke Hand der Toten genau ab und vergleichen Sie die Maße mit der Spur draußen!«
Der Kommissär kam dem Befehle nach. Beide Herren gingen dann nach dem Korridor zurück. Sorgfältig maß der Kommissär, aber er hörte bald kopfschüttelnd auf. »Wir haben uns getäuscht, Herr Untersuchungsrichter«, meinte er, »die Finger der Spur sind über einen Zoll länger, wenngleich eine seltsame Übereinstimmung in der Bildung beider Hände sich nicht bestreiten lässt.«
Untersuchungsrichter Alberti überzeugte sich durch nochmaliges Nachmessen von der Richtigkeit dieser Behauptung. Nachdenklich wiegte er dann den Kopf. »Sie haben Recht, lieber Grösser, die Spur ist von der Handfläche der Toten verschieden; es scheint überhaupt der Abdruck einer männlichen Hand zu sein. Die Tat ist aber offenbar auch nicht von einem Einzelnen begangen worden.«
Die Herren kehrten nach dem Wohngemache zurück, in welchem der Gerichtsarzt inzwischen mit einer genauen Untersuchung der Leiche begonnen hatte. Neben dem Sofa stand ein weißgedeckter Tisch, auf dem sich die Überreste einer feinen Abendmahlzeit und einige geleerte Weinflaschen befanden. Ein einziges Glas stand leer auf dem Tische. Der Polizeikommissär war prüfend an das Fenster getreten, dann deutete er auf einige weißliche Flecken, die sich auf dem Fußboden dicht neben einem niedrigen Schränkchen zeigten. »Sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, hier ist wieder dieselbe Stearinspur. Zum Überfluss steht hier auch noch ein silberner Armleuchter, beide Kerzen fast herabgebrannt. Das Metall ist an der einen Seite mit Stearin völlig besudelt, ein sicheres Zeichen, dass während des Brennens der Leuchter schief getragen wurde.«
»Eine sonstige äußere Spur ist nicht zu entdecken. Ich stimme Ihrer Vermutung bei, der Verbrecher kann nicht gut von Außen eingedrungen sein. Ist dies aber dennoch der Fall, dann muss er einen Mitschuldigen im Hause selbst besessen haben«, flüsterte der Untersuchungsrichter. »Sagen Sie«, wandte er sich dann an den Diener, »das Fräulein war gestern abend und einen guten Teil der Nacht allein mit dem Herrn Baron in der Wohnung. Die Köchin war ja auch wohl ausgegangen nicht wahr?«
»Sie hatte ebenfalls Urlaub.«
»Gut, rufen Sie mir dieselbe!« Der Diener eilte aus dem Zimmer.
»Ich glaube schon klar zu sehen«, meinte der Untersuchungsrichter dann in flüsterndem Ton zu dem Kommissär. »Jene Person dort« ,– er deutete leichthin mit der einen Hand auf die Tote, um die noch immer der Arzt beschäftigt war ,–« scheint den Mord verübt zu haben. Vielleicht sind alsdann Gewissensbisse in ihr erwacht und sie hat sich selbst vergiftet.«
Der Diener, gefolgt von der Köchin, trat wieder in das Gemach ein. »Sie befanden sich heute nacht ebenfalls nicht im Hause?« fragte der Untersuchungsrichter, hart an die Köchin herantretend.
»Ich hatte Ausgangserlaubnis von dem gnädigen Fräulein erhalten«, versetzte diese ängstlich, dabei einen entsetzten Seitenblick nach dem auf dem Sofa liegenden Leichnam werfend. »Es ist sonst gar nicht meine Gewohnheit, mich abends auswärts aufzuhalten, aber gestern hatte gerade eine Verwandte Geburtstag; ich hatte das gnädige Fräulein gefragt und wollte nur höchstens bis elf Uhr Erlaubnis haben, sie meinte aber gütig, ich könne getrost so lange bleiben, wie ich nur wolle. Sie gab mir sogar den Hausschlüssel mit, was sonst niemals geschah.«
»Lag es denn in der Eigenart der Toten begründet, aus eigenem Antriebe Urlaub zu erteilen?«
Die Köchin zuckte die Achseln. »Ich habe mich selbst darüber gewundert«, versetzte sie alsdann, »früher hat Fräulein Dora so leicht keine Ausgangserlaubnis erteilt.«
»So ist es«, bestätigte der Diener. »Erst seit einigen Monaten ist sie anders geworden. Ich sagte ihr auch gestern abend, dass ich lieber zu Hause bleiben wolle, weil sie ja sonst ganz allein mit dem kranken Herrn sei, aber sie meinte durchaus, ich solle nur gehen.«
»Fiel Ihnen das nicht auf?« wandte der Untersuchungsrichter sich an die Köchin.
Diese schüttelte den Kopf. »Es war nun bereits das dritte Mal, dass Fritz und ich zu gleicher Zeit nachts beurlaubt worden waren. Das zweite Mal wollte ich zu Hause bleiben, weil ich Zahnschmerzen bekommen hatte, aber das gnädige Fräulein erlaubte es nicht, ich musste fortgehen.«
»Machten Sie sich darüber nicht Ihre besonderen Gedanken?«
»Das wohl, aber der Gnädigen durfte man nicht widersprechen.«
»Das Fräulein war überhaupt sehr eigen«, schaltete der Diener sich ein. »Ich dachte gar nicht daran, die vergangene Nacht auszugehen, aber Fräulein Dora bot es mir selbst an. Sie gab mir sogar den anderen Hausschlüssel, obwohl sie nun selbst keinen mehr hatte.«
»Wie stand denn die Verstorbene mit ihrem Oheim?«
»Hm, Fräulein Dora hatte so eine eigene Art, wie ihr gerade die Laune kam. Ich glaube, unser gnädiger Herr fürchtete sich wohl ein wenig vor ihr.«
»Hatten sie öfters miteinander Streit?« forschte der Beamte weiter.
Die Bediensteten schauten sich an. »Nicht dass ich wüsste«, meinte die Köchin alsdann, »der gnädige Herr war zu krank dazu. An Pflege hat es ihm Fräulein Dora durchaus nicht fehlen lassen. Sie war nur so gar eigen und machte nicht gerne viele Worte.«
»Hat der Verstorbene vielleicht einmal gegen Sie geäußert, dass er Angst vor einem gewaltsamen Tode habe, etwa in der Art, dass er sich von seiten seiner Nichte nichts Gutes versehe?«
»Bewahre!« fiel der Diener ein. »Er hielt sogar große Stücke auf Fräulein Dora. Dieselbe war ja auch seine dereinstige Erbin; wenigstens sagte er oft in meiner Gegenwart, dass Fräulein Dora ganz besonders in seinem Testamente bedacht worden sei.«
»Fräulein Dora sagte mir sogar einmal in der Küche, dass sie mit dem Verstellen des Schlosses im Kassenschranke beauftragt werde«, fiel die Köchin ein.
Fritz nickte bestätigend mit dem Kopf. »So ist es«, meinte er, »aber die Sache hatte doch einen Haken. Der alte Herr war eben sehr misstrauisch; ich schlief im Vorzimmer und hatte den Befehl, während der Nachtstunden Fräulein Dora nicht allein ins Schlafzimmer eintreten zu lassen. Der Herr hatte immer Angst, sie möchte ihm einmal an den Kassenschrank gehen.«
In Albertis Augen leuchtete es auf, und er tauschte einen vielsagenden Blick mit dem Kommissär aus. Dieser näherte sich ihm und wechselte verstohlen einige Worte mit ihm. Hastig wandte der Untersuchungsrichter sich an die Köchin. »Pflegten Sie das Abendessen für das Fräulein zuzubereiten?« fragte er.
Die Gefragte nickte. »Regelmäßig. Aber es war kaum der Mühe wert, für das Fräulein zu kochen. Sie aß fast gar nichts, ein Tässchen Tee und höchstens einen dünnen Zwieback.«
»Dann trank sie wohl schwere Weine und dergleichen?«
»Gott bewahre, das Fräulein war die Mäßigkeit selbst, am wenigsten trank sie ,– sie konnte es nicht einmal leiden, wenn wir zum Abendbrot eine Flasche Bier tranken.«
Der Untersuchungsrichter deutete auf den gedeckten Tisch. »Sie muss aber doch gestern eine Ausnahme gemacht haben«, versetzte er dann. »Dort stehen vier geleerte Weinflaschen ,– es sind ganz teure und äußerst schwere Marken ,– außerdem befinden sich noch die Überreste einer reichlichen Abendmahlzeit auf dem Tische.«
Die Köchin nickte eifrig mit dem Kopf. »Ja, darüber habe ich mich auch gewundert«, versicherte sie. »Ich musste alle die kalten Schüsseln fertig machen, das Fräulein meinte, um vorkommenden Falls etwas vorsetzen zu können. Schon die beiden ersten Male, als Fritz und ich zusammen Ausgangserlaubnis erhalten hatten, wunderte ich mich; da hatte ich auch Pasteten und Gelees machen müssen. Am anderen Morgen war fast nichts mehr in der Speisekammer. Als ich das Fräulein darum fragte, meinte sie kurz, das ginge mich nichts an, und ich schwieg natürlich.«
»Ob Fräulein Dora während Ihrer Abwesenheit Besuche angenommen hat, wissen Sie wohl nicht?«
Nachdem beide die Frage verneint hatten, wandte er sich an den Arzt, der inzwischen sein trauriges Amt beendet zu haben schien. »Nun?« fragte er in gedämpftem Ton.
»Es liegt unzweifelhaft auch hier eine Ermordung vor«, meinte der Arzt in ebenso leisem Ton. »Die Unglückliche ist einem furchtbaren Rückenmarksgift zum Opfer gefallen. Bei ihr ist der Tod mit blitzesähnlicher Schnelligkeit eingetreten.«
»Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich selbst vergiftet haben kann?«
Der Arzt schaute ihn überrascht an. »Das glaube ich nicht«, meinte er alsdann.
»Es scheint aber doch der Fall gewesen zu sein. Sie sprachen übrigens vorhin drüben im Schlafzimmer die Vermutung aus, dass eine sichere Hand den Todesstoß ,– geführt haben müsse. Woraus schlössen Sie das?«
»Ich meine nicht nur eine sichere, sondern auch eine kräftige Hand muss den Todesstoß versetzt haben«, erläuterte der Arzt. »Die Klinge hat den vierten Brustwirbel völlig durchbohrt.«
»So glauben Sie nicht, dass etwa jene Person dort die Tat verübt haben kann?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Kein Gedanke daran«, versetzte er schneller, als es sonst in seiner Art lag. »Ich möchte sogar mit soviel Gewissheit, als eine erste Untersuchung zulässt, behaupten, dass sie früher ermordet worden ist.«
Der Andere sah ihn überrascht an. »Ah, das würde freilich meine Ansicht völlig ändern«, entgegnete er bedächtig. »Es liegen gewisse Anzeichen vor, aus denen ich mich zu schließen für berechtigt halte, dass ,…«
»Nein, nein!« unterbrach ihn kopfschüttelnd der Arzt. »Die Leichenstarre hat bei jener Unglücklichen bereits ihren Höhepunkt erreicht. Sie ist vielleicht eine volle Stunde vor ihrem Oheim ermordet worden. Überdies kann sie nicht gut einen Selbstmord verübt haben.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Ich muss natürlich mein endgültiges Urteil vom Resultat der Leicheneröffnung und darauffolgenden chemischen Untersuchung des Mageninhaltes abhängig machen, aber ich glaube schon jetzt versichern zu können, dass die Unglückliche dem sogenannten Tikunagift erlegen ist. Es ist das wohl das furchtbarste Gift, welches wir kennen, und wird von den Tikuna-Indianern aus einer Liane, welche auf der im oberen Amazonenstrome liegenden Insel Mormorote wächst, bereitet. Es wirkt augenblicklich tödlich, indem es das Rückenmark lähmt, bildet farblose Kristalle, wird an der Luft braun und schmierig, reagiert alkalisch und bildet mit Säuren kristallisierbare Salze, so dass also eine chemische Untersuchung des Mageninhaltes seine Anwesenheit zweifelsohne feststellen wird.«
»Aber warum sollte jene Person sich mit diesem Gift, das also doch einen verhältnismäßig leichten und schmerzlosen Tod bereitet, nicht selbst getötet haben können?« warf der Untersuchungsrichter ein.
»Ich glaube nicht daran«, widersprach der Arzt. »Erstlich ist Tikunagift in unseren Arzneischatz nicht aufgenommen und deshalb auch in keiner Apotheke erhältlich; nur selten bringt es ein Reisender, welcher die unwirtlichen Gegenden des oberen Amazonenstromes durchstreift hat, in kleinen, getrockneten Kürbissen mit.«
»Sie könnte das Gift aber doch durch Zufall erhalten haben.«
»Im Selbstmordfalle würde die Körperlage, in welcher wir sie aufgefunden haben, eine andere gewesen sein. Es widerstrebt der weiblichen Natur, im Stehen zu leiden oder gar zu sterben; sie würde sich zu solchem Zwecke entweder niedergesetzt oder gelegt haben. Aber ganz abgesehen davon, es müsste doch ein Trinkgeschirr vorhanden sein, aus dem sie den Todestrank getan hat.«
»Kann sie dasselbe nicht beiseite geschafft haben?«
»Kein Gedanke daran! Wie ich schon sagte, ist die Wirkung des Tikunagiftes eine augenblickliche. Zwischen Trinken und Niedersinken liegt kaum eine Sekunde. Ein sich mit Tikunagift selbst Tötender hat nicht mehr die Kraft, das Glas von den Lippen zu nehmen, geschweige denn es irgendwo niederzusetzen.«
Er blickte suchend im Zimmer umher. »Hier steht freilich ein Glas«, setzte er dann hinzu, auf das auf dem Tische befindliche Kristallglas zeigend, »aber es ist völlig leer und anscheinend noch ungebraucht. Doch nein!« unterbrach er sich gleich darauf, prüfend das Glas ergreifend und, nachdem er daran gerochen, es gegen das Licht wendend. »Es ist ein schwach säuerlicher Geruch im Glase, dann aber befinden sich hier im Innern kleine Fäserchen. Das Glas ist mit einem Tuch ausgewischt worden.« Er schaute schärfer hin. »Irre ich mich nicht, so befinden sich sogar noch auf dem Boden Spuren mineralischer Substanz!«
Alberti hatte seinen Ausführungen mit größter Aufmerksamkeit gelauscht. Jetzt schaute er das Glas ebenfalls prüfend an. »In der Tat, Sie mögen Recht haben«, versetzte er alsdann. »Das Weitere wird Sache einer chemischen Untersuchung sein.«
Er händigte dem Kommissär das Glas mit dem Bedeuten ein, es sorgsam aufzubewahren. »Also, auf keinen Fall hat die Verblichene Zeit gehabt, selbst das Glas auszuwischen«, wandte er sich an den Arzt zurück.
»Es ist ganz unmöglich. Ich berufe mich in dieser Beziehung auf das Gutachten unserer ersten Autoritäten.«
Der Untersuchungsrichter nickte nachdenklich. »Wir stehen vor einem vollständigen Rätsel«, wandte er sich dann an den näher herangetretenen Polizeikommissär. »Es ist keine Spur äußerer Gewalt sichtbar. Sie haben auch nichts Auffälliges weiter bemerkt, Herr Grösser?«
Dieser schüttelte den Kopf, »Ein so dunkler Fall ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen. Wir müssen es mit einem überaus raffinierten Verbrecher zu tun haben und überdies mit jemandem, der in der Wohnung ungehinderten Ein- und Ausgang gehabt hat.«
Der Untersuchungsrichter wandte sich plötzlich an den Diener. »Sie sind im Stande, Ihr Alibi nachzuweisen?« fragte er unvermittelt.
Eine flammende Röte stieg in den Wangen des Mannes auf. Bittere Kränkung spiegelte sich in seinen Gesichtszügen wieder. »Herr Untersuchungsrichter, ich bin ein armer Mann, aber ein ehrlicher Mensch«, sagte er mit vor innerer Erregung zitternder Stimme. »Ich war meinem armen gnädigen Herrn aufrichtig zugetan ,– zudem befand ich mich heute nacht in größerer Gesellschaft und ,…«
»Schon gut. Ich wollte Sie nicht kränken«, unterbrach ihn der Beamte. »Ist etwa jemand hier im Hause ungehindert aus und ein gegangen?«
»Nicht dass ich wüsste«, versicherte der Diener. »Der Arzt kam freilich täglich, sonst verkehrte der Herr mit niemandem.«
»Auch Verwandte ließen sich nicht sehen?«
»Der Herr stand so ziemlich allein; außer Fräulein Dora hatte er nur noch einen Neffen, den Herrn Baron Hugo von Engler; aber dieser ist seit länger als einem halben Jahre nicht mehr hier gewesen, er ist ein flotter junger Herr und hat sich mit seinem Oheim überworfen.«
»Es muss sich aber doch ein Unberufener eingeschlichen haben! Haben Sie denn gar keine eigene Vermutung?«
»Mir ist das ganze schreckliche Ereignis unfassbar!« stammelte jener. »Das Fräulein war die Vorsicht selbst; sobald es Abend wurde, mussten auf ihren Befehl sowohl die Haustür als auch die nach dem Hofe führende Pforte geschlossen werden. Gestern abend begleitete sie mich selbst bis an das Portal und blieb stehen, bis ich von außen zugeschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte. Sie selbst hatte vorher in meiner Gegenwart die Hintertür abgeschlossen. Die Fenster des Erdgeschosses sind mit eisernen Läden verwahrt, es kann gar niemandem möglich gewesen sein, in das Haus einzudringen.«
»Es könnte höchstens mit Einverständnis des Fräuleins geschehen sein«, forschte der Untersuchungsrichter wieder.
Der Diener schüttelte den Kopf. »O nein, das glaube ich nicht«, entgegnete er. »Das Fräulein verkehrte mit niemandem. Noch dazu, wo sie allein im Hause war, hätte sie sicher keinen Menschen eingelassen.«
»Aber es fiel Ihnen doch selbst auf, dass Sie nun schon zu wiederholten Malen zugleich mit der Köchin beurlaubt wurden.«
»Ich wunderte mich freilich darüber«, bestätigte der Diener, »aber ich dachte mir nichts Schlimmes dabei.«
Alberti brach das Verhör ab, denn eben trat ein Schutzmann ein und meldete, dass der gerichtliche Sachverständige, Schlossermeister Walter, angelangt sei.