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XVI
Der Prozess

Noch um die zehnte Morgenstunde des anderen Tages lagerte dichter, weißlicher Oktobernebel auf den Straßen der Stadt, nur ab und zu durch einen kalten Windstoß, der seit der vergangenen Nacht nichts an Heftigkeit eingebüßt hatte, zerteilt. Die wenigen Passanten beeilten sich, rasch die schützenden Häuser wieder aufzusuchen.

Nur vor dem Justizgebäude hatte sich, unbekümmert um die nasskalte Witterung, schon vom frühen Morgen an ein dichter Haufen Neugieriger angesammelt, der unausgesetzt das Einlassportal, durch welches der Zugang nach dem Schwurgerichtssaale führte, belagert hielt. Es war nicht das gewöhnliche Publikum, welches sich bei dergleichen Anlässen zusammenzufinden pflegt, sondern die Spitzen der Gesellschaft schienen sich vor der Pforte des Gerichtsgebäudes heute ein Stelldichein gegeben zu haben. Wenige Minuten nach der Eröffnung des Saales war der Zuhörerraum schon derart überfüllt, dass die Saaltüren geschlossen werden mussten.

Rudolph war schon um acht Uhr morgens zu seinem Klienten gegangen, um diesem Mut für die bevorstehenden schweren Stunden zuzusprechen. Er hatte Beck ziemlich gefasst und entschlossen gefunden, während er selbst nur schwer seiner niedergedrückten Stimmung Herr werden konnte. Als Rudolph das Gefängnis wieder verlassen hatte, traf er in dem geräumigen Säulenportale mit dem Polizeikommissär Grösser zusammen, der ebenfalls in dem Prozesse wider Beck als Zeuge vorgeladen war. Kaum wurde derselbe Rudolphs ansichtig, als er auch schon hastig auf denselben zueilte. »Ich suche Sie schon eine halbe Stunde hindurch vergeblich im ganzen Gerichtsgebäude«, meinte er in flüsterndem Ton, Rudolph ein wenig abseits hinter eine Säule ziehend. »Ich erlaubte mir schon heute Morgen bei Ihnen vorzusprechen, erhielt aber die Mitteilung, dass Sie bereits das Haus verlassen hätten.«

»Ist etwas Neues vorgefallen?« fragte Rudolph, erwartungsvoll und beunruhigt den Kommissär anblickend.

Dieser nickte eifrig mit dem Kopf. »Ich bin mir eigentlich bis zum jetzigen Augenblick noch nicht ganz klar darüber«, versetzte er, »aber die Sache kann jedenfalls derart unberechenbare Folge haben, dass ,–«

»Ich bitte Sie, reden Sie«, drängte Rudolph ungeduldig. »Es handelt sich doch sicherlich um den Trödler Schimmel?«

»Ganz recht. Ich wollte Ihnen nur den Namen des unbekannten Adressaten mitteilen, aber ich bitte Sie, erschrecken Sie nicht.«

»Was soll das heißen?« entgegnete Rudolph, während ein nervöses Zucken um seine Lippen erschien. »Es handelt sich doch nicht gar um ,–«

Der Polizeikommissär nickte ernst mit dem Kopf. »Der unbekannte Adressat heißt Baron Hugo von Engler!«

Rudolph wurde totenbleich im Gesicht. Seine Züge verkündeten die in ihm gärende, furchtbare Erregung. »So ist also der Verdacht in meinem Herzen doch nur zu wohl begründet gewesen!« rief er lauter, als er selbst wollte. »Kann es denn nur möglich sein?«

»Ich suchte immer noch nach Entschuldigungsgründen«, versetzte der Kommissär, »denn schon Ihretwegen, Herr Doktor, sind mir die Schlussfolgerungen, die Sie selbst eben gezogen haben, peinlich genug gewesen. Aber es tritt noch ein anderer Umstand hinzu, den ich Ihnen ebenfalls nicht verschweigen darf.« Der Kommissär zog den Erblassenden ein wenig beiseite, da er wahrgenommen hatte, dass einige der in der Säulenhalle umherstehenden Personen aufmerksam geworden waren.

»Der Baron ist nicht nur der gesuchte Adressat der bewussten Chiffrebriefe, sondern er befand sich auch seit gestern abend halb elf bis heute Früh dreiviertel vier Uhr in der Schimmelschen Wohnung, dann verließ er das Haus in ersichtlicher Eile. Ich wunderte mich noch, dass der sonst so vorsichtige Trödler die Haustür nicht wieder hinter ihm abschloss, sondern dass die Tür von da ab offenstehen blieb.«

Rudolph atmete schwer auf. »Dann freilich ist auch das letzte Bindeglied zur Stelle geschafft«, murmelte er gepresst. »Meine arme Schwester, wie wird sie es ertragen, von solch einem Elenden betrogen worden zu sein! ,– Aber was stehe ich müßig hier«, unterbrach er sich gleich darauf. »Meine Pflicht zwingt mich, sofort zu dem Gerichtspräsidenten zu eilen und ihn von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen!«

Aber der Kommissär fasste ihn beim Arme. »Lassen Sie das, Herr Doktor«, meinte er. »Sowohl Ihr zukünftiger Schwager als auch der Trödler werden als Zeugen zur Stelle sein. Es bleibt Ihnen unbenommen, dieselben im Verhör zur Rede zu stellen.«

»Aber ich darf im Interesse meines Klienten nicht schweigen«, fuhr Rudolph auf.

»Ich bitte Sie, werden Sie ruhig und kaltblütig«, ermahnte Grösser den jungen Rechtsanwalt. »Verderben wir uns nicht noch im letzten Augenblick durch irgend eine Unklugheit den ganzen Schlachtplan. Die Beweise, welche bis jetzt gegen den Baron von Engler vorliegen, würden uns nur zu leicht wie Wasser unter den Händen zerrinnen. Bedenken Sie: Was liegt eigentlich gegen Ihren zukünftigen Schwager vor? Aus mancherlei Anzeichen glauben wir schließen zu dürfen, dass nicht alles richtig mit ihm ist. Sein Chiffrebriefverkehr mit dem Trödler, sein heimlicher nächtlicher Besuch bei diesem wirken ja verdächtig, aber wir können diese Tatsachen noch in keinerlei Zusammenhang mit der Beck'schen Angelegenheit bringen.«

»Doch, doch, der unbekannte Aufgeber des Wertpakets und mein Schwager ,–«

»Sind unserer Meinung nach ein und dieselbe Person«, fiel der Kommissär ein. »Aber daraus folgert noch nicht die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere Personen uns dies ohne weiteres glauben werden.«

»Aber ich kann doch nicht zugeben, dass man in die Verhandlung gegen meinen Klienten eintritt, während mir der Name des eigentlichen Mörders auf den Lippen schwebt«, stammelte Rudolph.

»Bester Herr Doktor, ich begreife Ihre Erregung, aber ich kann sie nicht billigen«, meinte der Kommissär wieder. »Es sind nur Vermutungen, die wir beide nähren, Annahmen, die uns noch zu keinem bestimmten Vorgehen berechtigen. Ich bitte Sie, lassen Sie uns vorsichtig handeln und vor allen Dingen nichts überstürzen. Sie haben vollauf Gelegenheit, im Kreuzverhör dem Gerichtshofe und den Geschworenen reinen Wein einzuschenken, der Zufall spielt oft wunderbar, die Bestürzung, in welche Ihr zukünftiger Schwager geraten muss, wenn Sie ihm seinen nächtlichen Besuch bei dem Trödler vorhalten, kann für uns die besten Früchte zeitigen.«

Rudolph schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht daran«, murmelte er, »wir haben es mit einem zu hartgesottenen Verbrecher zu tun. Wenn Sie wüssten, mit welch einer seltenen Verstellungskunst dieser Mensch begabt ist!«

»Selbst auf die Gefahr hin, Ihren Klienten heute verurteilen zu lassen, dürfen wir nichts unternehmen«, unterbrach ihn der Kommissär in entschiedenem Ton. »Ein Urteil kann immer wieder aufgehoben, aber eine unverzeihliche Dummheit nie wieder gutgemacht werden. Ich sage Ihnen nochmals, wir haben es mit einem schlauen Fuchs zu tun, darum Vorsicht!«

Rudolph sann einen Augenblick nach. »Wie wäre es, wenn ich ihm den Verdacht auf den Kopf zusagte?« versetzte er alsdann. »Der Baron wäre dann wenigstens genötigt, sein Alibi in der Mordnacht nachzuweisen, das kann er aber offenbar nicht.«

Der Kommissär lächelte. »Glauben Sie das ja nicht, Verehrtester«, meinte er. »Ich habe alles schon aus langer Hand erwogen und ins Werk zu setzen versucht. Ihr Schwager wohnt bekanntlich bei der verwitweten Frau Magistratssekretär Godesberger zur Miete. Unter einem unverdächtigen Vorwande gelang es mir, die Dame auszuhorchen. Es war mir darum zu tun, den Alibibeweis des Barons von vornherein zu unterbinden. Aber die Auskunft, die ich von der alten Dame erhielt, war niederschlagend. Sie erinnerte sich ganz deutlich, dass ihr Mieter in der Mordnacht zu Hause gewesen ist. Sie hat mit demselben sogar während der Nacht gesprochen, zwar erst zu einer Stunde, in welcher der Mord bereits geschehen war ,–«

»Wie wäre das möglich?« fragte Rudolph erstaunt.

»Einfach genug«, fuhr Grösser fort. »Der schlaue Fuchs war vermutlich eben erst von seinem nächtlichen Mordausfluge heimgekehrt. Er heuchelte Krankheit, wollte von einer heftigen Kopfneuralgie befallen sein und klagte der von ihm herbeigerufenen Wirtin, dass er sich schon durch Stunden im Bett schlaflos umherwälze. Dann ließ er sich von der Teilnahmsvollen, die darauf schwört, dass ihr Mieter wirklich krank die ganze Nacht im Hause zugebracht habe, allerhand Hausmittelchen verabfolgen. Aber das nur nebenbei«, unterbrach sich der Kommissär. »Ich wollte damit nur beweisen, dass ich bereits an alles gedacht habe. Hätten meine Nachforschungen bisher nicht ein solch negatives Resultat gehabt, dann würde ich meinen Vorgesetzten bereits pflichtgemäß Anzeige erstattet haben. So aber heißt es nach wie vor abwarten; bis der günstige Moment gekommen ist!«

Rudolph hatte die Stirn gerunzelt. »Ich muss Ihnen Recht geben«, meinte er nach einer Weile mit gepresster Stimme. »Lässt sich denn gar nichts mehr unternehmen, das uns rasch Klarheit schaffen könnte?«

Der Kommissär sann einen Augenblick nach. »Ich begreife freilich Ihre fatale Situation, aber wir dürfen unter keinen Umständen eine Unvorsichtigkeit begehen. Ich will sehen, was sich tun lässt, und mir die Erlaubnis zu verschaffen suchen, kurzer Hand eine Haussuchung bei dem Trödler Schimmel veranstalten zu dürfen, das wäre aber auch alles!«

Der Zeiger der großen Uhr, welche sich im Vestibül des Justizgebäudes befand, deutete eben auf Schlag zehn Uhr vormittags. Um diese Stunde sollte die wider Beck angesetzte Verhandlung beginnen. Beide Herren stiegen gemeinschaftlich die breite Treppe zum Verhandlungssaale empor, vor dessen Tür sie sich trennten. Rudolph eilte hastig in das Anwaltszimmer, um sich dort mit Robe und Barett zu bekleiden, während der Kommissär sich sofort in den Verhandlungssaal begab. Als Rudolph dann den Schwurgerichtssaal ebenfalls betrat, wurde gerade Beck in denselben geführt. Die Aufmerksamkeit der Kopf an Kopf gedrängt sitzenden Zuhörer war eine geteilte. Bald musterten sie die durch die lange Gefängnishaft niedergebeugte, hohlwangige Gestalt des Angeklagten, bald die schlanke, hochgewachsene Erscheinung des jungen Verteidigers.

Ein vielstimmiges Murmeln ging durch den Saal, als man wahrnahm, dass Rudolph auf den bereits in der Anklagebank stehenden Gefangenen zuschritt und herzlich dessen Hand drückte. Gleich darauf aber lagerte sich eine tiefe Stille über dem weiten Saale. Der Gerichtshof war eingetreten, und unter lautloser Stille des Publikums begann die Verhandlung.

Zuerst wurden, nachdem der Präsident, ein streng blickender Herr in vorgerückten Jahren, die Sitzung für eröffnet erklärt hatte, die Geschworenen ausgelost. Sowohl der Staatsanwalt, der zu den gefürchtetsten beim Landgericht zählte, als auch Rudolph machten von ihrem Ablehnungsrechte häufigen Gebrauch.

Endlich war die Geschworenenbank gefüllt und der Präsident begann mit dem Aufruf der Zeugen. Ihre Anzahl war keine große. Außer der Dienerschaft der Ermordeten nur noch der Kreisarzt, ein amtlicher Schriftvergleicher, Schlossermeister Walter, der Provisor der Marienapotheke, Hedwig Beck und einige nebensächliche, sowohl von der Staatsanwaltschaft wie von der Verteidigung vorgeschlagene Zeugen; auch waren der Untersuchungsrichter Alberti und Kommissär Grösser zugegen. Nur der Trödler Schimmel und Hugo von Engler fehlten.

»Ich muss vor allen Dingen auf dem Erscheinen des Zeugen Schimmel bestehen«, nahm Rudolph sogleich das Wort, der vergeblich von Hedwig einen Blick zu erhalten gehofft hatte.

Der Staatsanwalt erhob sich ebenfalls. »Auch ich stelle den Antrag, den ausgebliebenen Zeugen Schimmel durch einen Schutzmann sistieren und dem Gerichtshof vorführen zu lassen.«

»Bis zum Eintreffen des Sistierten«, nahm Rudolph wiederum das Wort, »stelle ich den weiteren Antrag, die Verhandlung zu vertagen.«

Die drei Richter beratschlagten eine kurze Weile mit flüsternden Stimmen. Der Präsident verkündete alsdann laut, dass der Antrag des Staatsanwalts, den Ausgebliebenen sofort sistieren und zur Stelle schaffen zu lassen, vom Gerichtshofe angenommen sei, dagegen unverzüglich in die Verhandlung eingetreten werden solle.

»Ich habe noch einen weiteren Antrag zu stellen«, nahm Rudolph sofort wieder das Wort. »Ich habe rechtzeitig beantragt, dass der Baron Hugo von Engler, der Neffe des Ermordeten, vorgeladen wird. Wie ich aus dem Zeugenaufruf zu meinem Erstaunen wahrgenommen habe, ist meinem Antrag keine Folge gegeben worden. Ich beantrage nunmehr nochmals, indem ich ausdrücklich betone, dass die Aussagen des Zeugen von entscheidendem Einfluss auf den Gang der Verhandlung sein werden, die sofortige Vorladung des Barons. Sollte sich eine solche nicht augenblicklich ermöglichen lassen, müsste ich auf Vertagung der Verhandlung überhaupt Antrag stellen.«

»Ich sehe keinen Grund zu solch einer Vorladung«, widersprach der Staatsanwalt allsogleich. »Der Herr Baron ist von dem gleichfalls als Zeugen hier anwesenden Untersuchungsrichter Alberti zu Protokoll vernommen worden, er weiß nichts, gar nichts von dem in Rede stehenden Verbrechen.«

»Das bestreite ich nicht«, entgegnete Rudolph. »Aber Baron Hugo von Engler hat, wie Ihnen der als Zeuge hier anwesende Herr Polizeikommissär Grösser bestätigen wird, von gestern zehneinhalb Uhr abends bis heute Morgen dreiviertel auf vier Uhr in dem Hause des Trödlers Schimmel, das gegenwärtig von diesem allein bewohnt wird, geweilt. Er hat sich dann eilig und verstört aus dem Hause entfernt, und der Trödler, der sonst als ein sehr vorsichtiger Mann bekannt ist, hat wider Erwarten die Haustür nicht hinter ihm abgeschlossen.«

»Ich wüsste nicht, in welcher Beziehung dieses Vorkommnis zu unserer heutigen Verhandlung stehen sollte«, entgegnete der Staatsanwalt. »Es scheint dem Herrn Verteidiger nur darum zu tun zu sein, eine Vertagung der Verhandlung herbeizuführen. Einer solchen aber widersetze ich mich entschieden, denn die Sache ist völlig sprachreif. Ich widerspreche dem Antrag daher!«

»Und ich spreche dem Herrn Staatsanwalt das Recht ab, einen in amtlicher Eigenschaft von mir ausgehenden Antrag einer Kritik zu unterziehen«, versetzte Rudolph gereizt. »Im übrigen halte ich meinen Antrag aufrecht und bemerke noch besonders, dass ich bei Ablehnung für den Fall, dass mein Klient verurteilt werden sollte, sofort daraufhin die Nichtigkeitsbeschwerde einreichen würde.«

Nach kurzer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Präsident abermals, dass der Antrag der Verteidigung abgelehnt und in der Hauptverhandlung fortzufahren sei. Rudolph wurde auffallend bleich und blickte wie ratsuchend auf den unweit von ihm stehenden Polizeikommissär. Aber dieser nickte ihm unmerklich wie tröstend und zum Ausharren auffordernd zu.

Unter den üblichen Rechtsvermahnungen wurden dann die Zeugen in das Wartezimmer entlassen. Hedwig schied nicht, ohne mit langem Blicke von ihrem Vater Abschied genommen zu haben; fast geflissentlich schaute sie dabei an Rudolph, der sehnsüchtig einen Blick von ihr erharrte, vorüber.

»Angeklagter, erheben Sie sich«, wandte der Präsident, nachdem die Zeugen abgetreten waren, sich an den Verhafteten. »Sie heißen Karl Beck, sind sechsundvierzig Jahre alt, evangelischer Konfession, Sie sind verwitwet?«

Ein schmerzliches Zucken ging bei den letzten Worten des Präsidenten über das bis dahin unbewegliche Angesicht des Angeklagten. Dieser ließ das Haupt leicht auf die Brust herabsinken. »Ja, meine Frau ist tot,« murmelte er, »sie starb am Tage meiner Verhaftung.«

»Sie sind Vater einer Tochter, unvermögend und bis zu Ihrer Verhaftung Kunstschlosser gewesen?« Sämtliche Fragen beantwortete der Angeklagte, dessen Gesicht glühend rot wurde, als der Vorsitzende noch die übliche Schlusspersonalfrage, ob er bereits vorbestraft sei, an ihn richtete.

»Sie wissen«, nahm dann der Präsident das eigentliche Verhör auf, »welche Anklage wider Sie erhoben ist. Bekennen Sie sich schuldig?«

Im weiten Saale trat lautlose Stille ein. Aller Augen hingen an dem Munde des Verhafteten, der sich stolz und selbstbewusst aufrichtete. »Nein, ich bin unschuldig, so wahr Gott mir helfe«, versetzte Beck feierlich, beteuernd die linke Hand gegen das Herz pressend.

Der Präsident sah ihn scharf und durchdringend an. »Angeklagter, das behaupten Sie schon von der Stunde Ihrer Einlieferung an, obschon die Schuldbeweise geradezu niederschmetternde zu sein scheinen«, ermahnte er. »Ich gebe Ihnen zu bedenken, dass nur ein reumütiges, unumwundenes Geständnis Ihnen für den Fall Ihrer Verurteilung das Wohlwollen und die Nachsicht Ihrer Richter sichern kann. Was haben Sie darauf zu erwidern?«

»Ich bin unschuldig«, versicherte Beck von neuem, standhaft den Blick des Präsidenten aushaltend. Ein leises Murmeln durchlief den weiten Saal. Die Meinungen im Zuhörerraum schienen dem Angeklagten nicht ebenso günstig zu sein.

Der Präsident fuhr im Verhör fort, aber bei all seinen Fragen, welche denjenigen ähnelten, die Alberti in der Voruntersuchung an Beck gerichtet hatte, blieb dieser bei der Behauptung seiner völligen Unschuld.

»Sie wissen also nichts von der Herkunft der Banknoten, nichts von dem Amethystschmucke?« fragte der Präsident eindringlich, die bezeichneten Gegenstände, die nebst dem verhängnisvollen Grabstichel, einem Glase und anderen Belastungsgegenständen auf dem grünen Tische ausgebreitet lagen, einzeln emporhebend. »Sie beharren auf Ihrer Behauptung, dass ein Unbekannter, während Sie bei offenem Fenster schliefen, dieselben durch dieses an Ihren Arbeitstisch praktiziert haben müsse?«

Beck neigte bejahend das Haupt. »Ich kann nur wiederholen, Herr Präsident, dass mir jene Mordtat ebenso ein Rätsel ist wie Ihnen«, versetzte er mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme. »Ich gebe Ihnen ohne weiteres zu, dass der Schein in vielen Punkten gegen mich sein mag, aber ich bin unschuldig, und wenn jener Trödler Schimmel nicht einen Meineid geschworen hätte, so ,–«

»Angeklagter, ich kann nicht dulden, dass Sie den abwesenden Zeugen in irgend welcher Beziehung verunglimpfen«, unterbrach ihn der Präsident allsogleich. »Haben Sie sonst noch etwas hinzuzufügen?« Auf die Verneinung Becks erklärte der Präsident das Personalverhör für geschlossen und es begann nun die Zeugenvernehmung, die verhältnismäßig lange Zeit in Anspruch nahm. Zuerst wurde der Diener vorgeführt. Derselbe musste all die grausigen Einzelheiten, die sich bei der Entdeckung des Doppelmordes abgespielt hatten, den Geschworenen berichten.

Sowohl der Staatsanwalt wie auch Rudolph stellten verschiedene Zwischenfragen. »Sie haben geraume Zeit bei dem Ermordeten gedient?« fragte Rudolph.

Der Diener bejahte. »Ich stand schon seit nahezu zwanzig Jahren in den Diensten des Herrn Barons«, antwortete er.

»War auch Fräulein von Gerstenberg schon so lange um die Person Ihres Herrn?«

»Oh nein, die Dame führte die Haushaltung erst seit sechs Jahren.«

»War Herr von Engler freigebig gegen dieselbe? Es ist mir berichtet worden, dass die Dame immer über große Geldmittel verfügt haben soll.«

Der Diener schüttelte energisch den Kopf. »Oh nein, im Gegenteil«, versicherte er, »Fräulein Dora ist von dem alten Herrn sehr knapp gehalten worden. Der Herr Baron hielt sogar ihre Schmucksachen unter Verschluss, sie hatte weiter nichts als das Haushaltungsgeld von ihm, freilich zwackte sie davon ab, was sich nur irgendwie ermöglichen ließ. Sie hatte so ihre kleinen Leidenschaften.«

»Verkehrte sie öfters mit dem Trödler Schimmel?«

Der Diener nickte eifrig. »Gewiss, darauf wollte ich eben zu sprechen kommen«, berichtete er. »Sie machte oft kleine Geschäfte mit dem Trödler, an dessen Gewölbe sie ja tagtäglich vorüberkommen musste. Sie besaß eine wahre Leidenschaft für alte, echte Spitzen, da kaufte sie oft ganze Stücke.«

»War der Trödler auch einmal im Hause des Barons anwesend?«

»Nein. Dagegen hielt sich Fräulein Dora mit Vorliebe in seinem Laden auf, ich musste sie sogar manches Mal herüberholen, wenn der alte Herr ihres langen Ausbleibens wegen ungeduldig geworden war.«

»Der junge Baron von Engler verkehrte nicht mehr im Hause seines Oheims?«

»Nein!«

»Ist Ihnen die Ursache seines Ausbleibens bekannt?«

»Jawohl, der gnädige Herr hatte ihm das Haus verboten.«

»Aus welchem Grunde?«

»So genau weiß ich das nicht. Ich vermute, der junge Herr hat Geld haben wollen. Der Herr Baron hatte sich schon öfters mit ihm deshalb gezankt, und als es zwischen den beiden zum Bruch gekommen war, da sagte mein Herr abends in größtem Unmute zu mir, ich dürfe den jungen Herrn niemals wieder vorlassen, er sei ein Verschwender und unnützer Pflastertreter, der keinen Pfennig Unterstützung verdiene.«

»Wann geschah dies ungefähr?«

»Das weiß ich zufällig ganz genau«, entgegnete der Zeuge. »Es war am letzten Geburtstage des gnädigen Herrn, am 24. Januar dieses Jahres.«

»War Fräulein von Gerstenberg bei der Streitszene zugegen?«

»Dessen kann ich mich nicht erinnern.«

»Wissen Sie vielleicht, ob das Verhältnis zwischen dem Fräulein und Herrn Hugo von Engler ein gutes gewesen ist?«

»Der junge Herr Baron machte sich immer lustig über Fräulein Dora, wenigstens schien es mir so. Das Fräulein aber hielt offenbar große Stücke auf ihren Verwandten, sie gönnte sonst selbst dem alten Herrn kaum ein Glas Wein aus dessen eigenem Keller, aber wenn der junge Baron kam, musste ich immer die teuersten Weine heraufholen, da spielten ein paar Flaschen mehr oder weniger gar keine Rolle.«

Rudolph nickte befriedigt. Der Zeuge durfte sich nach der Zeugenbank begeben.


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