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XV
Nächtliche Verfolgung

Schon frühzeitig war die Dämmerung auf die Straßen der Stadt herabgesunken, den Himmel bedeckte jäh dahinjagendes, graues Gewölk, ein rauher Wind durchfegte die Plätze und Gassen, schwere Regentropfen prasselten ab und zu gegen die Fensterscheiben. Morgen sollte die Schwurgerichtsverhandlung gegen den Fabrikanten Beck stattfinden.

Rudolph hatte den ganzen Tag über angestrengt seinen Berufsgeschäften nachgehen und bereits am Vormittag einen Verhandlungstermin in Sachen seines zukünftigen Schwagers wahrnehmen müssen. Der Prozess, welchen Doras Bruder gegen diesen angestrengt hatte, schien sich endlos in die Länge ziehen zu wollen, der gegnerische Rechtsanwalt brachte tausend Einwendungen hervor und machte einen umfangreichen Zeugenapparat notwendig. Die Stunden in Anspruch nehmende Verhandlung hatte ihren ermüdenden Einfluss auf den jungen Rechtsanwalt nicht verfehlt. Erleichtert hatte er aufgeatmet, als endlich der Vorsitzende der Zivilkammer die Vertagung ausgesprochen und einen neuen Termin anberaumt hatte. Der Besuch, welchen er nunmehr seinem Klienten im Untersuchungsgefängnisse abgestattet, war auch wenig geeignet gewesen, seine herabgestimmte Gemütsverfassung zu heben. Beck hatte nur in schwermütigem Ton von den geringen Aussichten, die ihm der nächstfolgende Tag bot, gesprochen.

Nach seinem im Innern der Stadt gelegenen Bureau zurückgekehrt, hatte Rudolph ungewöhnlich viel Klienten vorgefunden, die seine Zeit übermäßig lange in Anspruch nahmen. Erst bei hereinbrechender Dämmerung hatte er vermocht, die Prozessakten für die morgige Verhandlung vor dem Schwurgerichtshof nochmals vorzunehmen und nochmals in ernstem Studium derselben das Für und Wider abzuwägen.

Die Vorbereitungen für seine Verteidigungsrede hatten ihn vollends angegriffen und abgespannt. Durchaus nicht in rosigster Stimmung begab er sich endlich durch den winddurchwehten Herbstabend nach der Villa.

In Gedanken versunken, finster vor sich hinbrütend, schritt der junge Rechtsanwalt seine Straße weiter. Er atmete tief auf, als er endlich die väterliche Villa erreicht hatte und den schon in nächtliches Schweigen gehüllten Garten durchschritt.

Im Familienwohnzimmer traf Rudolph das Brautpaar an, welches auf ihn mit dem Abendbrot gewartet hatte. Es kostete Rudolph erheblichen Zwang, den Händedruck seines zukünftigen Schwagers zu erwidern; Hugo von Engler schien indessen gar nicht darauf zu achten; vielleicht hatte der junge Baron mit sich selbst so viel zu tun, dass er auf andere nicht gut achten konnte. Er sah zum Erschrecken verändert aus, die Augen lagen tief in den Höhlen, ein nervöses Zucken spielte beständig um seine schlaff herabhängenden Mundwinkel. Seine Augen strahlten ein unstetes, flackerndes Feuer aus, als ob ein Fieberbrand in seinem Innern loderte.

Auch Hildegard hatte viel von ihrer natürlichen Fröhlichkeit eingebüßt. Sie war ernster und stiller geworden, oft streifte ihr Blick mit inniger Besorgnis das bleiche Angesicht des geliebten Mannes.

»Es war heute Termin in Ihrer Angelegenheit«, wandte Rudolph, nachdem er Platz genommen hatte, sich an seinen zukünftigen Schwager.

»Nun, sind die Schwierigkeiten endlich gehoben?« stieß Hugo in erregtem Ton hervor. »Hat dieser Herr von Gerstenberg endlich klein beigegeben?«

»Ich kann Ihnen leider keine tröstlichen Aussichten eröffnen«, entgegnete Rudolph. »Von allen Seiten regnet es Einwendungen über Einwendungen. Es sind eine Menge einwandfreier Zeugen vorhanden, welche die Absichten des Verstorbenen genau anzugeben vermögen. Zudem ist es den Bemühungen der Gegenpartei gelungen, den früher bei dem Justizrat Braun bediensteten Schreiber, welcher das Testament damals in Reinschrift gebracht hat, ausfindig zu machen. Derselbe will es auf seinen Eid nehmen, dass weder Sie noch die Nichte des Erblassers sonderlich bedacht worden seien, dass Ihr Oheim vielmehr sein Vermögen fast ausschließlich wohltätigen Stiftungen zugewendet habe. Soviel ich weiß, hat ja das Moritzspital bereits ebenfalls Klage beim Landgericht erhoben.«

»Schändlich«, stieß Hugo, in dessen Angesicht Ärger und Ingrimm sich um die Oberhand stritten, gereizt hervor. »Was aber soll das alles? Der Wortlaut des Gesetzes liegt klar zu Tage ,– es ist kein Testament vorhanden, und ich bin der erste Erbberechtigte, folglich muss mir das Vermögen ausgeantwortet werden.«

Rudolph zuckte die Achseln. »Das Gericht scheint anderer Ansicht zu sein«, meinte er.

Hugo schaute ihn unfreundlich an. »Ich meine, Sie sollten auch ein wenig energischer vorgehen!«

Der junge Rechtsanwalt erwiderte gelassen: »Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, dass ich Ihren Auftrag seinerzeit nur mit Widerstreben übernommen habe. Es steht Ihnen natürlich jederzeit frei, ohne mich dadurch irgendwie zu kränken, sich einen anderen Vertreter auszusuchen.«

»Aber ich bitte euch«, wandte Hildegard ein, die bisher in ersichtlicher Unruhe dem Wortwechsel zugehört hatte. »Nun wollt ihr wohl gar zu zanken anfangen? Man kennt euch ja gar nicht wieder! ,– Einer ist gereizter wie der andere!« Ihre Augen füllten sich dabei unwillkürlich mit Tränen. »Es ist gerade, als ob plötzlich ein Fluch auf unserem Hause ruhe«, flüsterte sie mit zuckenden Lippen. »Der Vater ist nicht mehr zu genießen und von euch beiden hört man auch kein freundliches Wort mehr.«

Hugo wandte sich rasch nach ihr um und schaute ihr zärtlich in die Augen. »Du darfst nicht weinen«, bat er. »Du weißt, ich mag und kann keine Tränen in deinen Augen sehen.«

»Ich möchte es ja auch viel lieber nicht«, flüsterte das junge Mädchen, schon wieder unter Tränen lächelnd. »Schau, ich war vielleicht zu glücklich, ich wähnte, es könne nur Sonnenschein und Glück auf unserem Bunde ruhen! Aber wie der Dieb in der Nacht brach plötzlich das Verhängnis herein. Du bist der Alte nicht mehr ,–«

Rudolph war beiseite getreten, in trübes Sinnen verloren schaute er auf das junge Paar. Mit unverhohlenem Misstrauen streiften seine Blicke die Gestalt seines zukünftigen Schwagers, und als dieser nun zärtlich den Arm um Hildegard schlang, zu dieser sich niederbeugte und sie auf die Stirn küsste, da war es Rudolph zumute, als ob er hinzueilen und seine Schwester schützen müsse vor dem Mann, den sie doch über alles in der Welt liebte.

»Haben Sie für die morgige Schwurgerichtsverhandlung bereits eine Vorladung erhalten?« fragte Rudolph plötzlich.

Der Baron wandte sich hastig um, und Rudolph glaubte zu bemerken, wie ein jäher Schreck sein bleiches Gesicht durchzitterte. »Eine Vorladung?« wiederholte nach sekundenlangem Stillschweigen der Baron. »Sie meinen zu der morgen gegen Beck stattfindenden Verhandlung?«

»Gewiss. Ich bin genötigt gewesen, Sie vorladen zu lassen, und habe rechtzeitig meinen Antrag gestellt.«

»Aber ich bitte Sie, aus welchem Grunde?« rief Hugo in ersichtlich gereiztem Ton. »Es muss Ihnen doch bekannt sein, dass ich gar nichts von der ganzen Sache weiß.«

»Das behaupte ich ja auch nicht«, entgegnete Rudolph, »es geschieht auch nur auf Wunsch meines Klienten.«

Der Baron maß ihn mit einem langen Blicke, dann schüttelte er verständnislos den Kopf. »Ich kenne den Angeklagten gar nicht«, sagte er dann; »übrigens habe ich auch gar keine Vorladung erhalten.«

»Dann möchte ich Sie bitten, sich jedenfalls im Gerichtsgebäude einzufinden, da ich Ihre Vorladung dann wiederholen muss.«

Wieder glaubte Rudolph bei diesen Worten zu bemerken, wie ein nervöses, fahles Zucken über die Gesichtszüge des andern ging. Die eben eintretende Haushälterin gab dem Gespräch eine andere Wendung. Sie berichtete, dass der alte Herr Wichern sich bereits zur Ruhe begeben habe und die jungen Herrschaften ersuchen ließe, allein zu speisen.

Die Abendmahlzeit wurde aufgetragen. Das Brautpaar unterhielt während derselben ein Gespräch, in welches Hildegard vergeblich ihren Bruder hineinzuziehen trachtete. Dieser war auf einmal zerstreut und wortkarg geworden. Als Hugo von Engler nach beendigter Mahlzeit mit seiner Braut sich vom Platze wieder erhob, blieb Rudolph nachdenklich sitzen, zündete sich eine Zigarre an und versank, die blauen Rauchringel vor sich hinblasend, in düsteres Nachsinnen.

Das Brautpaar nahm auf einem kleinen Ledersofa Platz und fuhr in flüsterndem Ton in seiner Unterhaltung fort. Der junge Baron sprach wieder von seinem Prozess und gab seinem Unmut über dessen Verschleppung in scharfer Weise Ausdruck. »Ich möchte am liebsten gar nicht den Ausgang des Prozesses abwarten«, äußerte er auf einmal. »Wenn ich meiner Herzensneigung folgen dürfte, dann möchte ich dich bitten, unsere erst zu Weihnachten projektierte Hochzeit schon jetzt recht bald stattfinden zu lassen. Oh, wie gewaltsam drängt es mich fort aus diesen mir so verhassten Verhältnissen hier in der Stadt.«

»So sprichst du immer«, klagte Hildegard. »Begreifst du denn gar nicht, du wilder, ungestümer Mann, dass mich tausend Bande des Herzens und der Gewöhnung an diese Stätte fesseln? Du wirst dir so etwas aus dem Sinne schlagen müssen, ich darf meinen Vater nicht verlassen, er ist ohnehin recht vereinsamt und würde es mir nie verzeihen können.«

»Nein, nein, ich meine es im Ernst«, entgegnete Hugo, unmutig die Stirn verziehend. »Ich werde dich schon noch zu meiner Meinung bekehren. Schau, ich weiß ein stilles, sonniges Plätzchen am Adriatischen Meere. Dort blühen die Blumen immer, dort ist ewiger Frühling und dort lässt sich das Leben süß und angenehm verträumen. Du wirst es sicherlich nicht bereuen, wenn du mir dorthin folgst. Dort, Hildegard, will ich nur deinem Glück allein leben, aber hier ,–«

Er brach kurz ab und schaute verstimmt vor sich hin, als das junge Mädchen zu seinen Worten schwermütig den Kopf schüttelte. »Du darfst nicht undankbar sein, Hugo«, flüsterte sie dann leise. »Hat dir der Himmel nicht auch hier manches geschenkt? Wir lernten uns hier kennen, die Stätte unserer jungen Liebe sollte dir ein geheiligter Boden sein. Du weißt, wie gut es Papa mit dir vorhat, du sollst als Teilhaber in die Fabrik eintreten, du sollst sie späterhin, wenn du dich eingearbeitet hast, allein verwalten. Ist das nicht ein stolzer, ehrenwerter Beruf? Und überlass es mir«, setzte sie flüsternd hinzu, ihm liebevoll in die Augen schauend, »dir ein trautes, liebegeschmücktes Heim zu bereiten! Gewiss, du wirst dich auch hier glücklich fühlen.«

Wie von einer plötzlichen Eingebung hingerissen, beugte sich der Baron plötzlich noch tiefer zu seiner Braut hernieder. »Sage, Hildegard«, flüsterte er, »wenn nun mein Glück daran hinge, von hier fortzukommen, wenn ich plötzlich vor dich hinträte und bäte: Komm mit mir und sei im fremden Lande meine Frau, ich will dich auf Händen tragen, mein Leben soll deinem Dienste gewidmet sein! Würdest du, sprich, diese heiße, innige Bitte unerfüllt lassen können?«

Es lag soviel angstvolles Flehen in seinen Zügen, dass die zu ihm Aufschauende ahnungsvoll erschauerte. »Hugo, was ist mit dir, du sprichst so ganz anders, so gar seltsam zu mir. Was ist es, das dich von hier forttreibt?«

Ein trüber Schatten glitt über das Angesicht des Barons, eine herbe Entgegnung schien ihm auf den Lippen zu schweben. Er richtete sich plötzlich straff auf und schaute nach seiner Uhr. »Du hast Recht, ich bin ein unklarer Schwärmer«, versetzte er mit zuckenden Lippen. »Wie doch beim Plaudern die Zeit vergeht! Es ist schon gleich halb zehn Uhr, da ist es höchste Zeit für mich, aufzubrechen. Verzeihe, liebe Hildegard, wenn ich heute nicht länger bleiben kann.«

Erschreckt schaute ihn das junge Mädchen an. »Du willst schon gehen? Jetzt schon?« flüsterte sie. »Nein, nein, das darfst du nicht! Komm, ich sehe deine Stirn umwölkt. Ich weiß es; ein heimlicher Gram nagt an deinem Herzen, offenbare dich mir, deiner liebenden Braut. ,– du darfst mir alles sagen«, setzte sie leiser hinzu, während sie ihm klar und voll in die Augen schaute.

»Ein anderes Mal«, versetzte der junge Baron. »Ich kann jetzt wirklich nicht länger bleiben, dringe nicht in mich, ich muss fort.«

Es lag so viel Ungeduld in seinem Wesen, dass Hildegard betroffen zu ihm aufschaute, sie konnte sich nicht helfen, Tränen verdunkelten plötzlich wieder ihre Augen. »Du bist nicht mehr offen zu mir, Hugo«, stammelte sie. »Sage mir, was dir fehlt, warum bist du nicht mehr so wie früher? Ach, Hugo, du weißt nicht, wie gar glücklich ich war!«

In offenbar tiefer Ergriffenheit beugte sich der Baron zu ihr nieder. »Es wird alles wieder besser werden, wenn ,–« Er wollte anscheinend noch etwas hinzusetzen, schwieg aber plötzlich, während seine Augen unstet durch den Raum schweiften und endlich auf dem Gesicht Rudolphs haften blieben, der sich umgewendet hatte und den Baron mit einem forschenden Blicke betrachtete. »Ich muss fort«, sagte Hugo nochmals.

Vergeblich blieb das fernere Bitten Hildegards. Er brach gleich darauf auf. Als er gegangen war, drang ein leises Schluchzen über die Lippen des jungen Mädchens. Erschreckt sprang Rudolph auf und eilte auf sie zu. »Was ist dir, Hildegard, du weinst?« rief er in weichem Ton, beide Hände der Schwester ergreifend.

Diese fiel ihm plötzlich um den Hals. »Ach, Rudolph, ich bin so unglücklich«, schluchzte sie auf. »Eine furchtbare Ahnung kommenden Unheils foltert mein Herz. Ich kann dir nicht sagen, Rudolph, wie gar elend ich mich fühle.«

Da ging ein schmerzliches Zucken auch über die Lippen des jungen Rechtsanwaltes. Es war, als ob er in jäher Aufwallung etwas sagen wolle, aber kein Laut kam über seine Lippen. Sich bezwingend, beugte er sich zur Schwester nieder und berührte leicht ihre Stirn. »Beruhige dich, Hildegard, es kann ja nur ein Trug, eine Täuschung sein«, murmelte er dann ergriffen. Plötzlich, wie von einer übermächtigen Bewegung erfasst, wandte er sich ab und verließ das Zimmer.

Draußen herrschte noch immer die gleiche unfreundliche Witterung. Die Nacht hatte sich vollends auf die Erde herabgesenkt, nur ab und zu zerriss der Wolkenschleier und dann lugte der Mond sekundenlang auf die Landschaft hernieder und überzog diese mit silbernem Lichte.

Eilends ging Hugo von Engler nach der Stadt zurück. Er hatte es nicht wahrgenommen, dass unmittelbar nach seinem Heraustreten aus dem Gartenportal der Villa sich von einem der davorstehenden Bäume ein dunkler Schatten losgelöst hatte, der ihm nun in einiger Entfernung folgte. Als Hugo die noch immer stark belebte Kaiserstraße erreicht hatte, in welcher er wohnte, hielt sich der Verfolger sogar dicht hinter dem Baron.

Als dieser dann in dem Hause Numero 37 der Kaiserstraße verschwand, schritt der Kommissär Grösser über den Straßendamm nach der gegenüberliegenden Häuserreihe und blieb dort in einer durch ein zurückweichendes Haustor gebildeten Nische unbemerkt stehen.

Etwa eine Viertelstunde später verließ Hugo, in einen dunklen Mantel gehüllt, das Haus wieder und verfolgte eilig die Straße in der Richtung nach der inneren Stadt. Der Polizeikommissär folgte abermals dem hastig Vorwärtsstrebenden, ohne von ihm wahrgenommen zu werden. Nach etwa einviertelstündigem scharfem Gange, als eben die Kirchturmglocke halb elf Uhr verkündete, bog Hugo in die Linkstraße ein. Am ersten Laternenpfahle stand wartend ein Mann in gewöhnlicher bürgerlicher Tracht, gemütlich eine Zigarre rauchend. Als der junge Baron achtlos an ihm vorübereilte, drehte er sich wie zufällig um und schaute ihm anscheinend neugierig ins Gesicht. Indessen schien der Vorübereilende sein besonderes Interesse nicht wachgerufen zu haben, denn er schmauchte nach wie vor seine Zigarre und blieb unbewegt neben dem Laternenpfahle stehen. Hugo von Engler aber eilte quer über die Straße und verschwand gleich darauf in der offenstehenden Haustüre des Trödlers Schimmel.

In demselben Augenblick trat der Kommissär an den Wartenden bei dem Laternenpfahle heran. »Ist der Trödler zu Hause, Pohl?« fragte er, anscheinend diesen um Feuer ersuchend.

»Jawohl«, berichtete der Angeredete. »Wenn ich mich nicht irre, Herr Kommissär, so begab sich soeben der Baron von Engler in das Haus des Trödlers.«

»Ganz recht. Behalten Sie diesen Posten inne. Ich werde ebenfalls in der Nähe bleiben. Sollte ich zufällig abwesend sein und der Baron wieder heraustreten, dann folgen Sie ihm unauffällig und berichten mir genau, wohin er sich begibt.«

»Jawohl, Herr Kommissär.« Vorübergehende hätten es sicherlich nicht geahnt, dass hier ein höherer Polizeibeamter mit seinem Untergebenen sprach, so anscheinend gleichgültig und jede dienstliche Haltung vermeidend, standen sich die beiden gegenüber. Der Kommissär lüftete, wie für eine empfangene Gefälligkeit dankend, leicht den Hut und ging nun ebenfalls über den Straßendamm. Als er dessen Mitte erreicht hatte, hörte er, wie von innen das Haustor abgeschlossen wurde. Ein schmaler Lichtstreif fiel dabei unten durch eine Ritze bis auf das Straßenpflaster, der sich indessen gleich wieder verlor.

Als der Kommissär an dem Hause vorüberkam, lag dieses völlig im Dunkeln da. Die Ladentür und das Schaufenster, welche die ganze Front des Erdgeschosses einnahmen, waren sorgsam verwahrt. Kein Lichtstrahl konnte durch sie von innen heraus auf die Straße dringen. Der Kommissär schritt weiter, aber nur bis zur nächsten Ecke, dann wandte er sich und ging auf die andere Straßenseite hinüber. Er nahm hinter einem Mauervorsprunge, der ihm freien Ausblick nach der Tür des Trödlers gestattete, Aufstellung.

Stunde um Stunde verfloss. Eintönig durchheulte der Herbstwind die immer stiller werdende Straße. Sowohl der Mann bei der Laterne wie Grösser auf der anderen Seite blieben unbewegt auf ihren Posten. Endlich verließ der Kommissär seinen Standort, um die halberstarrten Glieder wieder etwas zu regen. Er schritt in der Linkstraße einige Male auf und nieder, ohne die Haustür des Trödlers aus den Augen zu verlieren.

Wieder verstrich Stunde um Stunde. Eben hatte es dreiviertel vier Uhr morgens von der nahen Kirchturmuhr geschlagen ,– der Kommissär hatte seinen früheren Standort wieder eingenommen ,– da wurde ein schwaches Geräusch vernehmbar. Mit einem jähen Ruck wurde ein Türschloss aufgeschlossen, die Haustür des Trödlers öffnete sich, eilfertig trat Hugo von Engler auf die Straße hinaus. Er musste es sehr eilig haben, denn er zog nicht einmal die Tür hinter sich ins Schloss; diese, durch ihr eigenes Schwergewicht getrieben, fiel mit leisem Anprall gegen das Schloss zurück und blieb dann spaltbreit offenstehen.

Hugo eilte denselben Weg zurück, den er am Abend vorher gekommen war. Der Mann an der Laterne war plötzlich wie verschwunden, wenigstens nahm der junge Baron, obwohl er hart an dem in dem Torweg stehenden Kriminalbeamten vorüberschritt, diesen nicht wahr. Kaum war der offenbar heimwärts Strebende um die Straßenecke gebogen, da kam auch der Kommissär schon eilfertig herbei. Er gewahrte den im Torbogen verborgen Stehenden, der nun auch hervortrat.

»Bleiben Sie hier, Pohl«, befahl Grösser im Vorübergehen. »Es interessiert mich zu wissen, wann das Haustor zugeschlossen wird. Schimmel ist doch sonst ein vorsichtiger Mann; es wundert mich, dass es bis jetzt noch nicht geschehen ist.« Damit eilte er auch schon weiter und bog im nächsten Augenblick ebenfalls um die Ecke, den unablässig vorwärts Strebenden scharf im Auge behaltend.


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