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Karl muß vor den Vorhang treten

In der Zeitung, an den Anschlagsäulen, in vielen Schaufenstern, auf Plakaten, die durch die Stadt getragen wurden, überall war zu lesen, daß der Krahneburger Jungenfilm im Apollotheater zum ersten Male öffentlich aufgeführt werde. Der Titel des Films, die Namen der Hauptdarsteller waren angegeben, ferner daß die Mitwirkenden vom Regisseur bis zum letzten Statisten in der ersten Vorstellung persönlich anwesend sein werden.

Im »Krahneburger Anzeiger« erschien inzwischen ein langer Bericht, in dem über Einzelheiten von den Aufnahmetagen, vor allem aber über den Zwischenfall mit dem Einbrecher ausführlich berichtet wurde. Die ganze Stadt sprach nur von dem Film. Kein Wunder, daß sämtliche Plätze für die erste Vorstellung im Handumdrehen ausverkauft waren. Herr Blumenthal rieb sich vor Freude die Hände und rechnete sich aus, was er bei der Sache verdienen werde; ein schönes Stück Geld jedenfalls. –

Direktor Kühn hatte seine Geschäftsreise beendet. Bei seiner Rückkehr fand er den Brief Doktor Robertsens vor. Er hielt den Inhalt zunächst für einen Witz. Erst durch Konrad erfuhr er, was inzwischen vorgefallen war. In einem Telegramm an Doktor Robertsen erklärte er sich mit dem Vorschlag einverstanden und versprach, in Verbindung mit den Eltern der kleinen Filmschauspieler für eine gerechte Verteilung des Honorars zu sorgen.

Paul Poller, Konrad Kühn und Karl Kiepenkerl aber waren die Helden des Tages. In der Schule mußten sie zu Rektor Bendler kommen, der selbst eine Reihe Jungenstücke und Märchen geschrieben hatte und etwas vom Theater verstand. Er freute sich mit ihnen über ihren großen Erfolg und versprach, am Abend im Apollokino zu sein. Karl überreichte ihm sogar eine Freikarte. –

Das Lichtspielhaus war überfüllt. Die Schupo mußte absperren, denn die Zuschauer standen Kopf an Kopf bis in die Seitengänge hinein. Oben im ersten Rang saßen die Ehrengäste. Die große Loge vorn war für die Darsteller freigehalten worden.

Zunächst lief ein Liebesdrama, dahinter ein Trickfilm, an dritter Stelle Naturaufnahmen aus der Schweiz. Den Schlager des Abends, »Chaplin auf der Verbrecherjagd«, hatte Herr Blumenthal absichtlich ans Ende des Programms gesetzt.

In der großen Pause reckten sich die Zuschauer die Hälse aus nach der Loge, wo Regisseur Paul mit seinen Mitarbeitern saß. Operngucker und Lorgnetten wurden gezückt. Der Oberbürgermeister der Stadt begrüßte die Jungen sogar persönlich. Sie konnten vor Herzklopfen kaum eine gescheite Verbeugung machen und waren froh, als das Licht erlosch und der Film begann. Das Orchester spielte eine lustige Melodie.

Ungeheure Spannung. Die Titel waren vorüber, ebenso die erste Verbrecherszene, Chaplin tauchte auf. Da gab es die ersten Lachsalven. Sie nahmen kein Ende, im Gegenteil, sie schwollen immer mehr an. An der Stelle, wo Chaplin seiner Schwester das Stöckchen wieder wegnimmt, das er ihr eben erst geschenkt hat, klatschte der ganze Saal Beifall. Nun lösten Händeklatschen und Lachen einander ab bis zum Schluß. Die Leute standen auf und schlugen sich die Hände heiß. »Charlie Chaplin, Karl Kiepenkerl, bravo, braaavooo!« Der Saal trampelte wie besessen.

Schwitzend keuchte Herr Blumenthal heran, hochfeierlich im Frack. »Herr Kiepenkerl – Herr Karl – Herr Chaplinkerl« – er versprach sich fortwährend und wischte sich den Schweiß von der Glatze – »Sie müssen vor den Vorhang kommen. Sie müssen!« Er zerrte den kleinen Karl, der bleich auf seinem Logensessel saß, durch die Reihen der Begeisterten hinunter in den Saal und auf die Bühne. Ein Scheinwerfer flammte auf.

»Hallo! Karl! Karlchen! Kiepenkerl! Chaplin der Zweite, hoch, hoch, hoch!« brüllte die Menge. Kein Mensch verließ den Saal.

Karl stand im grellen Lichte des Scheinwerfers und verbeugte sich unbeholfen.

Wieder kam Blumenthal in die Loge. Diesmal holte er sich Paul und Konrad. Als sie vor der Rampe standen, hob er den Arm. Für einen Augenblick trat Stille ein. Blumenthal stellte vor: »Paul Poller, der Regisseur – Konrad Kühn, der Kameramann.«

Wieder brach der Beifall los. Er ebbte nicht ab, bis nach und nach alle Darsteller, voran Kurt der Dicke, die Rampe erklettert und sich verbeugt hatten.

In einer Ecke des Saales saß eine Frau, die niemand kannte, und weinte vor Freude. Es war Karl Kiepenkerls Mutter.


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