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Meldung des »Krahneburger Anzeigers«:
Einbruch in der Photofabrik
Gestern kurz vor Mitternacht wurde in dem Kassenraum der Photofabrik Kühn & Co. ein dreister Einbruch verübt. Es steht noch nicht fest, wer der oder die Täter sind, jedenfalls müssen sie mit den Örtlichkeiten genau vertraut gewesen sein. Es gelang ihnen, den Tresor aufzuschweißen und mit 15 000 Mark Bargeld, das zu Lohnauszahlungen verwandt werden sollte, unerkannt zu entkommen. Die Polizei hat bisher noch keine Spur von den Einbrechern entdecken können. (Nähere Einzelheiten im Beiblatt.)
*
»Ich bin offen gestanden ratlos, Herr Kommissar. Die Türen zum Kassenvorraum und zur Kasse selbst sind nicht aufgebrochen. Also haben die Einbrecher Nachschlüssel gehabt.«
Kommissar Pelke machte sich Aufzeichnungen. »Natürlich, Herr Direktor. Ich sagte Ihnen schon heute morgen, die Diebe müssen genau Bescheid gewußt haben. Es sind immerhin drei Türen bis zum eigentlichen Tresor zu öffnen. Nicht so leicht, denn die Schlösser sind keineswegs einfach. Haben Sie einen Verdacht?«
Herr Kühn zuckte die Achseln. »Verdacht? Schwer zu sagen; ich wüßte augenblicklich niemand.«
Der Kommissar trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wer hält sich denn nach Fabrikschluß noch auf dem Hof, überhaupt auf Ihrem Grundstück auf?«
»Nur der Pförtner.«
»Der Pförtner? Hat er Familie?«
»Nein, es ist ein alter Mann; seine Frau starb vor drei Jahren. Er lebt ganz einsam. Seit zwanzig Jahren habe ich ihn im Hause. Er kann nichts weiter angeben, als daß er auf seinem Kontrollgang …«
»Danke, danke, ich habe ihn schon vernommen. Er sah den Täter auch gar nicht. Der Bursche hat ihm eine Blendlaterne vors Gesicht gehalten und ist im selben Augenblick hinter den großen Schuppen gesprungen, dann über die Fabrikmauer und heidi fort. Das war alles, was der Pförtner angeben konnte. Von dort aus ist also kaum eine Aufklärung zu erwarten. Eins weiß ich, Herr Direktor, es muß ein schwerer Junge sein, verstehen Sie, einer von den Berufseinbrechern.«
»Ja, das scheint mir auch so, aber wer?«
»Nun, wir haben da eine ganze Reihe von Spezialisten, Geldschrankknacker großen Formats. – Aber ehe ich vergesse – kommt sonst noch jemand auf den Hof?«
»Meine Frau, mein Sohn Konrad, das Dienstmädchen.«
»Weiter niemand?«
Direktor Kühn dachte nach. »Nein, weiter keiner. – Doch, in den letzten Wochen mehrere Schulkameraden meines Jungen, aber das wird Sie wohl kaum interessieren.«
»Doch, doch, es interessiert mich alles, was vorgegangen ist. Was machen die Jungen auf dem Fabrikhofe?«
»Filmaufnahmen.«
»Filmaufnahmen?«
Direktor Kühn lächelte. »Ich habe Konrad einen Aufnahmeapparat geschenkt. Er soll sich schon als Junge für mein Fach interessieren, verstehen Sie; das kann nichts schaden. Nun hat er sich eine ganze Anzahl Kameraden zusammengetrommelt, und jetzt arbeitet die Horde ernsthaft an einem Film. Einer mimt den Chaplin, ein anderer den Verbrecherkönig, ein dritter den Polizeikommissar. Sie sehen, auch Ihr Beruf ist vertreten.«
Kommissar Pelke lachte herzlich. »Großartig! Vielleicht kann ich da noch etwas lernen. Aber im Ernst, ich finde die Sache sehr nett.«
»Ist sie auch. Ein ernstes Spiel, bei dem auch nachgedacht werden muß. Wenn es Ihnen Spaß macht, Herr Kommissar, lade ich Sie zu meinem Geburtstag ein. Es ist bloß eine kleine Feier, bei der Konrad seinen Film zum erstenmal vorführen will. Aber nur, wenn Sie, wie gesagt, Spaß daran haben.«
»Großen Spaß sogar. Ich komme gern. Auf solche Dinge wären wir in unserer Jugend doch kaum gekommen.«
»Da gab es noch keinen Film. Kasperltheater haben wir auch gespielt.«
»Richtig. – Doch wir sind von unserer eigenen Verbrechergeschichte abgekommen. Hier wird der Täter sicherlich nicht so schnell zu finden sein wie in dem Film.«
»Herr Kommissar, ich stelle Ihnen für Ihre Ermittlungen selbstverständlich mein Haus zur Verfügung, aber wenn ich Sie bitten darf, ich habe sehr gewissenhaftes Personal und …«
»Da können Sie unbesorgt sein. Uns Polizeileuten liegt nichts an unnützen Schnüffeleien. Nach meinen bisherigen Feststellungen sind die Diebe auch nicht in Ihrem Hause zu suchen.«
»Wahrscheinlich stammen sie aus der Berliner Verbrecherwelt. Sie wissen, daß wir uns schon manchmal solcher Besuche erfreuen durften. Nur ist diesmal keine Spur zu finden. Die Kerle müssen sehr schlau zu Werk gegangen sein, mit Handschuhen, um Fingerabdrücke zu vermeiden, und so weiter. Es wird schwerhalten.«
Der Kommissar erhob sich.
Direktor Kühn stand ebenfalls auf. »Hoffen wir auf glückliche Zufälle!« sagte er.
»Unsichere Sache, Herr Direktor, diese glücklichen Zufälle. Verbrecherfang im Film verläuft programmäßig, in Wirklichkeit sieht die Geschichte nicht so einfach aus. Die Öffentlichkeit schimpft gewöhnlich schneller auf die Polizei, als es unbedingt nötig ist.«
Herr Kühn begleitete den Kommissar zur Tür. In diesem Augenblick stürmte Konrad herein. Er blieb verdutzt stehen.
»Also das ist der große Filmregisseur?« fragte Pelke.
Konrad schüttelte den Kopf. »Nein, Regisseur ist Paul Poller. Ich bin der Kameramann.«
»Herr Kommissar Pelke wird sich wahrscheinlich euern Film auch ansehen«, sagte Herr Kühn.
Hocherfreut hielt Konrad dem Kommissar die Hand entgegen. Dieser schüttelte sie kräftig.
Ein Kommissar, ein richtiger Polizeikommissar sieht sich unsern Verbrecherfilm an! Das mußte Konrad gleich den andern bekanntgeben. Augenblicklich stürmte er die Treppe wieder hinunter. Von unten rief er noch: »Auf Wiedersehen!« Dann knallte die Haustür zu.
»Jugend!« sagte Herr Kühn. Es klang wie eine leise Entschuldigung für Konrads Ungestüm.
»Das werden die tüchtigsten Leute«, widersprach der Kommissar. Die Herren verabschiedeten sich.