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»Zur Uraufführung lädt ergebenst ein …«

Vier Tage, jeden Nachmittag bis zum Abendbrot, saßen Paul und Konrad beisammen und schnitten die Filmstreifen zurecht. Fast von jeder noch so kleinen Szene mußten am Anfang und am Ende ein paar Zentimeter Film weggeschnitten werden, weil bei der Aufnahme die erste Kurbelumdrehung gegenüber den folgenden noch nicht gleichmäßig ausfällt. Deshalb sind auch die ersten Bildchen länger belichtet als die des übrigen Szenenabschnittes. Hin und wieder gab es auch regelrechte Fehlaufnahmen, die ebenfalls beseitigt werden mußten.

Dann ging es an die langwierige, mühevolle Arbeit des Klebens. Szene wurde an Szene gereiht. Von einem Bildchen kratzte Paul ein Drittel der Photoschicht weg, so daß nur das Zelluloid zu sehen war. Konrad tauchte den Pinsel in die Filmklebmasse und bestrich die gesäuberte Stelle, während Paul das erste Bildchen des nächsten Filmstreifens haargenau auf die Stelle preßte. Es dauerte nur einige Sekunden, dann klebten die Bänder fest aneinander. So flocht sich eine Szene an die andere. Die Schrift – fachmännisch nannte sie Konrad Filmtitel – war ebenso wie die Kopien in der Berliner Fabrik hergestellt worden. Der Reihe nach wurden auch die Titel in den Film aufgenommen, der allmählich zu einer recht umfangreichen Rolle anschwoll. Am letzten der vier Klebetage hingen nur noch einige Filmstreifen an der Wand. Auch sie waren bald eingeklebt. Als Paul den Schlußtitel »Ende« an die letzte Spielszene klebte, atmete er auf und sagte: »So, jetzt habe ich für eine Weile genug. Mir tun schon die Augen weh von der ewigen Kleberei. Die Hände sind schwarz wie beim Kohleneinschaufeln.«

Konrad sah sich Paul von der Seite an. Paul merkte es nicht. Er korkte gerade die Flasche mit der Klebmasse zu und rollte den Film vollends in eine große Blechspule. »Meiner Berechnung nach können es ungefähr dreihundertzwanzig Meter sein. Dreihundert Meter Negativfilm hatten wir ursprünglich, dann kamen noch sechzig Meter dazu; fünfzehn haben wir verpfuscht, das andere ist Abfall, ungefähr fünfundzwanzig Meter. Bleiben also rund dreihundert bis dreihundertzwanzig Meter. Das ist ein ganz schöner Akt, so wie die richtigen älteren Chaplinfilme, die kleinen Lustspiele.«

Konrad ließ ihn ausreden, dann ging er zu Paul und nahm seine Hand. »Weißt du noch, Paul, daß wir vor gar nicht langer Zeit grimmige Feinde waren wegen des Fußballs?«

Paul lächelte vor sich hin. »Ist ja fast nicht mehr wahr.«

»Du warst damals der einzige Vernünftige von uns allen. Ja, Paul, lach nur nicht! Wenn du Emil nicht geschickt hättest, wer weiß, wie lange die Nordländer und die Südleute Feinde geblieben waren!«

»Einmal mußte der Streit doch aufhören; oder habt ihr euch wohlgefühlt dabei?«

»Ganz und gar nicht«, sagte Konrad überzeugt.

»Na also!«

»Wer weiß aber auch, ob wir ohne euch, ohne dich den Film hätten drehen können!«

Paul wusch sich die Hände. »Hör auf, Konrad! Wir wollen erst einmal abwarten, wie das Ding aussieht, wenn es vorgeführt wird.« – Eine Pause entstand.

»Du, der Karl Kiepenkerl hat den Chaplin doch tadellos gespielt. Ich habe mir oft das Lachen verbeißen müssen, wenn ich kurbelte.«

»Karl hat entschieden große Begabung. Schade, daß seine Eltern blutarme Leute sind. Weißt du übrigens, der große Charlie Chaplin, der richtige, war von Haus aus auch ein ganz armer Junge. Er stammt aus dem Londoner Arbeiterviertel. Erst durch den Film ist er etwas geworden, und heute spricht die ganze Welt von ihm und seinen Filmen.«

Die beiden Jungen schlossen den Vorführungsraum der Fabrik ab und gingen hinunter in den Hof. Eben kam Chauffeur Brennecke vom Autoschuppen. »Fertig?« fragte er die beiden.

»Alles fertig. Sagen Sie doch bitte Herrn Baumeister Bescheid, er möchte den Film gut aufbewahren.«

»Wird besorgt«, sagte Brennecke und tippte an den Mützenrand.

»Wer ist denn Herr Baumeister?« fragte Paul.

»Der Vorführer von der Fabrik. Wir stellen außer Photo- und Filmkameras auch Vorführungsapparate her. Du kennst sie doch vom Apollo-Kino. Solche sind es. Bevor sie weggeschickt werden, muß sie Herr Baumeister nachprüfen. Er führt nächsten Sonntag auch unsern Film vor.«

»Unsern Film!« sagte Paul langsam vor sich hin. »Manchmal bekomme ich Herzklopfen, wenn ich an Sonntag denke.«

»Lampenfieber.«

Sie waren am Fabriktor angelangt.

»Leb wohl, Paul! Ich will heute noch die Einladungen absenden.«

»Einladungen?«

»Ja, für die Uraufführung. Alle Mitspieler und verschiedene Bekannte werden eingeladen. Du bekommst selbstverständlich auch eine, und zwar mit Goldrand, weil du der Regisseur bist. Auf Wiedersehen!«

»Du, wenn du mich veralbern willst, mein Lieber!« drohte Paul gutmütig.

Konrad winkte durch das Torgitter und lief ins Haus zurück. Paul ging über die Brücke nach der Südstadt. Er dachte wieder an Karl. Damit seine Mutter lacht, spielt Karl ihr den Chaplin vor, hatte Felix gesagt, als sie im Auto saßen. Und wie er ihn spielt! Ob sich aus ihm vielleicht etwas machen läßt? Kaum. Karl war wohl noch zu jung, um seine Begabung richtig verwenden zu können. Das war jammerschade.


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