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Der Film gedieh. Zwar gab es viel Ärger, denn es ging nicht alles so glatt, wie Konrad und Paul es sich gedacht hatten. Da fehlte eine Perücke, dann kamen manche Jungen zu den Proben zu spät, dann wieder regnete es, und ein ganzer Nachmittag verstrich, ohne daß auch nur ein Meter gedreht werden konnte. Aber sie verloren den Mut nicht.
Vor ein paar Tagen waren die fertigen Filmkopien eingetroffen, die in einer Berliner Fabrik hergestellt wurden. Konrad schickte nämlich die Aufnahmen sofort ab, damit die Szenen, die vielleicht aus irgend einem Grunde mißglückt waren, möglichst bald noch einmal gedreht werden konnten. Paul und Konrad sahen die Filmstreifen durch. Sie waren zufrieden. Fast alle Szenen waren gelungen. Nur über einer Aufnahme brüteten sie längere Zeit; sie waren sich unschlüssig, ob die Szene wiederholt werden müsse oder nicht. Es handelte sich immerhin um fünfundzwanzig Meter, also fast eine ganze Rolle. Konrads Vater hatte bereits sechzig Meter nachbewilligt, weil er sah, daß die Jungen mit allem Ernst bei der Sache waren. Da konnte man nicht schon wieder betteln. Überdies war Herrn Kühn durch den Einbruch für einige Zeit die Laune verdorben worden.
»Du hättest sofort einhalten sollen, als dir der Mann ins Bild lief«, meinte Paul.
»Das ging nicht; die Szene war fast zu Ende, und ich selber war heilfroh, daß Kurt glücklich in der Tonne stak. Abgesehen davon ist der Mann gar nicht durch den Vordergrund gelaufen. Wir können diese Szene ruhig lassen, wie sie ist. Meiner Ansicht nach schadet es nichts, wenn zufällig im Hintergrund ein Unbeteiligter auftaucht. Er hat auch nicht nach der Kamera gesehen; ich glaube sogar, er ist es gar nicht gewahr geworden, daß er gefilmt wurde. Also sieht die Sache ganz natürlich aus. Was meinst du?«
Beide ließen den Streifen noch einmal durch die Hand gleiten. »Wer ist es denn? Ein Arbeiter aus eurer Fabrik?«
»Glaube ich nicht, denn zu der Zeit, als wir gerade drehten, war schon lange Feierabend. Lassen wir doch die Aufnahme! Es fällt nicht auf«, riet Konrad kurz entschlossen; »fünfundzwanzig Meter werfe ich nicht gern weg.«
Paul gab ihm recht. So wurde der Filmstreifen zu den andern Rollen gelegt.
»Kann schon mal vorkommen, ist halt Pech, und wir werden bei den letzten Aufnahmen morgen und übermorgen doppelt aufpassen, daß uns nicht wieder jemand ins Spielfeld läuft.« –
Am nächsten Tage wurden die großen Verfolgungszenen gedreht.
Es ging alles gut; herrlicher Sonnenschein, die Verfolger – an die zwanzig Jungen – waren pünktlich zur Stelle. Konrads Vater hatte sogar ein Auto zur Verfügung gestellt, damit Regisseur, Kameramann und Hauptdarsteller rasch von einem Ende der Stadt zum andern gelangen konnten. Die Verfolgungszenen wurden an verschiedenen Stellen gedreht, die Konrad zuvor festgelegt hatte. Aus Konrads Bekanntschaft mit dem Kommissar zog Regisseur Paul seinen Nutzen; er bekam zwei echte Schupotschakos geborgt, mit denen die beiden Polizisten Max und Friedrich ausgestattet wurden. Die Tschakos paßten nicht recht, sie waren viel zu groß, aber es ließ sich Papier einlegen; so war dem Übel bald abgeholfen.
Gegen fünf Uhr nachmittags wurden die Aufnahmen beendet. Konrad schraubte den Apparat vom Dreibein und verstaute ihn in einem Koffer. Zuvor leerte er in der Dunkelkammer eines befreundeten Photographen die Kassetten, packte den Film lichtdicht abgeschlossen in ein Paket und schickte Emil damit zur Post. »In zehn Tagen ist die Geburtstagsfeier, da muß der Film fix und fertig zum Vorführen sein.«
»Wir haben auch nur noch ein paar Aufnahmen zu machen, ganz kurze Sachen; dann ist alles so weit«, sagte Paul. »Es war doch ein schweres Stück Arbeit, nicht die Filmerei allein, auch das Vorbereiten, Plätze aussuchen, Garderobe besorgen. Wenn man nicht an alles denkt, die andern kümmern sich gar nicht um die vielen Kleinigkeiten. Sie kommen einfach angelaufen, und sofort soll's losgehen.«
»Das ist wohl überall so; einer muß alles machen, und die andern schimpfen nur, wenn es nicht wie am Schnürchen geht.«
»Welche Szenen bleiben für morgen noch übrig?«
Konrad sah im Notizbuch nach. »Drei: erstens die Szene, in der Chaplin von den Polizisten für einen Nichtsnutz gehalten wird, zweitens, wie er ihnen auskneift, und die dritte Szene, wie der Verbrecherkönig, der sich in der Tonne versteckt hat, wegen seiner Dicke nicht mehr heraus kann und mit der Tonne um den Leib zu der Mauer rennt.«
»Weiter bleibt nichts übrig?«
»Nein.«
»Konrad, dann fehlt nur noch die Reklame, und wir sind berühmt«, rief Paul und sprang vor Freude wie ein Indianer umher.
Der Kameramann war nicht so überzeugt wie der Regisseur. »Du hast doch gesehen, wie es Kurt ging, als er beim ›Krahneburger Anzeiger‹ Reklame machen wollte.«
»Warum schickst du auch ausgerechnet den Dicken hin?«
»Hab' ihn gar nicht hingeschickt; er kam von selbst auf den Gedanken. Wenn ein anderer von uns hingegangen wäre, du vielleicht, wäre er sicherlich nicht so schnell vor die Tür gesetzt worden.«
»Na, ich weiß nicht, Konrad; so sicher glaube ich das nicht. Die Zeitungsleute haben eben Schrullen. Im Grunde genommen wußte der Redakteur damals tatsächlich nicht, ob es Unsinn ist, was Kurt ihm erzählte, oder ob wir wirklich einen Film drehen. Jetzt haben wir es bewiesen.«
»Du meinst, wir sollten noch einmal den Versuch machen, zur Redaktion zu gehen und …«
»Nein«, unterbrach ihn Paul, »wir wollen erst die Geburtstagsfeier abwarten und sehen, wie der Film wirkt, ob er überhaupt was ist. Wir kennen zwar die Szenen vom Durchsehen, aber so ein Film, im Ganzen vorgeführt, mit Musik dazu, das ist schon etwas anderes.«
»Du kannst einen ganz mißmutig machen«, sagte Konrad verstimmt.
»Gar nicht, ich bin bloß entsprechend vorsichtig. Zur Zeitung würde ich jedenfalls nicht gehen, lieber abwarten.«
Konrad nahm den Koffer mit dem Apparat und Paul das Dreibein. Sie brachten beides ins Auto, wo Chaplin und die beiden Verbrecher friedlich nebeneinander saßen.
Kurt hatte sich schon abgeschminkt. Er gab gerade seinem Helfershelfer Franz die Vaselineschachtel, und dieser rieb sich mit der fetthaltigen Salbe Puder und Schminke vom Gesicht. So wurden aus den beiden Verbrechern in wenigen Minuten zwei anständige Jungen.
»Willst du dich nicht auch abschminken?« fragte Paul den kleinen Chaplin.
Karl Kiepenkerl schüttelte den Kopf.
»Warum nicht? Du kannst doch so nicht durch die Stadt fahren, im offenen Auto.«
»Ich kann schon. Bin vorhin auch so gefahren«, beharrte Karl.
»Da sind wir durchs Außenviertel gekommen. Karl, sei vernünftig!«
Karl rührte sich nicht vom Fleck.
»Los, Felix, schmink ihn ab!« Paul wandte sich an den Filmfriseur.
Felix zögerte. Er kannte Karl und besuchte ihn oft, wenn er in der Nordstadt zu tun hatte. »Laß ihn doch! Er spielt zu Hause so gern Charlie Chaplin.«
»Zu Hause, warum zu Hause?«
»Da übe ich doch die Schritte und Sprünge«, erklärte Karl.
Felix sah Karl Kiepenkerl, den kleinen lustigen Charlie Chaplin, so sonderbar an. Dann sagte er leise zu Paul und Konrad: »Das allein ist es auch nicht. Seine Mutter arbeitet den ganzen Tag in der Fabrik. Wenn sie abends nach Hause kommt, macht Karl den Chaplin nach, schon lange; deshalb spielt er ihn auch so gut. Daß euch so etwas nicht längst aufgefallen ist!«
Konrad begriff. »Deine Mutter mag es wohl sehr gern, wenn du solche – wenn du Chaplin nachmachst?«
Karl Kiepenkerls Augen leuchteten. »Ja, sie lacht dann immer so sehr. Sonst lacht sie gar nicht.«
Der Chauffeur, Herr Brennecke, sah sich plötzlich um, als Karl das erzählte. Paul schwieg. Brennecke nickte Karl zu. Konrad setzte sich still auf seinen Platz. »Herr Brennecke, können wir losfahren?«
»Jawohl.«
Der Motor sprang an und der Wagen verschwand.