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Schluß jetzt! Ich habe es satt, mich herumzuprügeln. Wenn ihr allein weitermachen wollt, meinetwegen.«
Paul sagte das. Paul war der Anführer von Krahneburg-Süd. Die andern Jungen schwiegen. Nur Emil lachte. »Nanu, Herr Kommandant, warum denn auf einmal kneifen?«
»Ich kneife nicht. Merkt euch das! Aber es ist albern, Tag für Tag auf der Lauer zu liegen, ob die Nordländer uns angreifen oder nicht; und das alles wegen eines lumpigen Fußballs.«
Die Jungen wurden unruhig.
Jetzt stand Ernst auf und rief dazwischen: »Was heißt lumpiger Fußball? Sie haben ihn geklaut, und wir haben monatelang gespart, ehe wir ihn kaufen konnten.«
Die andern stimmten ihm zu, und Emil sagte noch brummend: »Mein ganzes Geburtstagsgeld war dabei.«
Paul zuckte die Achseln. »Meint ihr, wir kriegen den Fußball wieder, wenn wir uns mit den Nordländern weiter so herumhauen? Kaum, meine Herrschaften. Wir wissen auch gar nicht, ob sie ihn wirklich geklaut haben oder ob er nicht irgendwo begraben liegt.«
Krahneburg-Süd hatte nämlich gegen Krahneburg-Nord Fußball gespielt. Der Ausgang blieb unentschieden. Es war vor acht Tagen gewesen. Die Nordländer, wie die Jungen aus Krahneburg-Nord von ihren Gegnern genannt wurden, borgten sich den nagelneuen Fußball zu einem Übungspiel und erklärten zwei Tage darauf, der Ball sei ihnen abhanden gekommen. Daran glaubten die Südleute nicht. Es kam zu heftigen Vorwürfen, und bald war zwischen den sonst so friedlichen Fußballern eine regelrechte Jungenschlacht im Gange.
Wenn es nur bei dieser einmaligen Auseinandersetzung geblieben wäre! Aber die Feindschaft ging weiter. Kein Nordländer durfte sich in Krahneburg-Süd sehen lassen, und umgekehrt wurden Angehörige der Südleute verprügelt, wenn sie es sich einfallen ließen, im Norden des Städtchens, das durch einen Fluß in zwei Hälften geschnitten wurde, aufzutauchen. Mehrere Male war es zu Schlachten gekommen, und man kann wohl sagen, daß beide Parteien zu gleichen Teilen mit Beulen und Schrammen das Feld räumten.
Das ging nicht mehr so weiter. Daheim gab es schiefe Gesichter wegen zerrissener Hosen, und wenn einer aus Nord eine Besorgung in Süd hatte, fühlte er sich hinter der großen Brücke nicht mehr sicher, von einer feindlichen Gruppe überfallen und in Gefangenschaft geschleppt zu werden. Weder Nord noch Süd war über diese Sachlage glücklich, jeder hätte sich Frieden gewünscht, aber keiner wollte nachgeben, die Nordländer nicht, weil sie sich unschuldig fühlten, und die Südleute, weil sie nach wie vor glaubten, man habe ihnen den Ball abgemogelt.
Um zu einer Einigung, zu einem entscheidenden Entschluß im eigenen Lager zu kommen, hatte Paul, der Älteste von den Südleuten, für diesen Tag zu einer Zusammenkunft aufgefordert. Alle Jungen waren erschienen, aber für den Plan, Frieden zu schließen, ließ sich nicht so leicht einer begeistern. Paul hatte seine liebe Mühe und Not. Gewiß, man fühlte sich unbehaglich, denn überfallen zu werden und Prügel zu beziehen, ist nun einmal keine angenehme Sache. Als aber Emil im Verlaufe der Unterredung die Frage aufwarf, wie sie überhaupt wieder zu einem Fußball kommen sollten, da grinsten alle den großen Paul an, denn sie wußten: der kann zwar gut reden, aber den Fußball wieder herbeischaffen, nein, das kann er auch nicht.
»Jedenfalls steht fest«, erklärte Paul hartnäckig, »daß wir ihn durch die fortwährenden Streitereien auch nicht bekommen.«
»Also?« fragte der kleine blonde Gerhard neugierig.
Alle sahen Paul gespannt an. Jetzt kam gewiß der gute Rat. Einige kicherten. Aber Paul winkte leicht mit der Hand ab. »Sehr einfach«, sagte er, »wir werden verhandeln.«
»Neee!« schrien die Jungen wie aus einem Munde.
Totenstille.
»Bitte, dann macht bessere Vorschläge!«
Es wurde hin und her geredet, aber viel Gescheites kam dabei nicht heraus, und als Paul am Schluß seinen Vorschlag wiederholte, stieß er auf weit weniger Widerstand. »Seid doch vernünftig! Wir schicken einen von uns mit einer weißen Binde um den Arm ins feindliche Gebiet; der muß mit Konrad Kühn sprechen. Konrad Kühn war nämlich der Führer der Gegner, gleichaltrig, wagemutig, der Sohn eines Fabrikanten aus der Nordstadt. –
Schon am nächsten Tage wanderte der Unterhändler Emil über die Brücke ins Feindesland. Zwei Jungen gaben ihm das Geleit und äugten dann hinter einem der dicken Brückenpfeiler, was wohl drüben geschehen würde. Nun, es geschah zunächst gar nichts. Der Feind war zwar auf der Hut, aber er achtete die weiße Binde, und so ließ man Emil ungehindert in den großen Fabrikhof, wo die übrigen Nordländer und ihr Anhang auf Kisten saßen und verwundert auf den eben angekommenen Gegner starrten.
»Ich komme in friedlicher Absicht und möchte mit euch verhandeln«, rief Emil, mit leichtem Zittern in den Beinen, schon von weitem. Er wies dabei immer wieder auf die weiße Binde an seinem linken Arm.
Konrad Kühn sprang mit einem Satz von dem Kistenstapel herunter und ließ Emil näherkommen. Die andern traten neugierig hinzu. »Verhandeln?«
»Ja, verhandeln.«
»Also schieß los!« sagte Konrad Kühn.
Emil hatte mittlerweile etwas mehr Mut bekommen, als er sah, daß er nichts zu befürchten brauchte.
»Ihr habt euch neulich unsern Fußball geborgt und ihn uns nicht mehr zurückgegeben.«
»Weil wir selber nicht wissen, wo er ist«, unterbrach ihn einer der Nordländer.
»Laß ihn ausreden!« meinte Konrad Kühn.
Emil wurde unsicher und wünschte sich Paul her, der konnte besser reden. Aber schließlich durfte er sich keine Blöße geben und fuhr fort: »Das ist natürlich schlimm für uns.«
»Kann ich verstehen; aber sollen wir aus einer leeren Kiste einen Fußball zaubern? Wir haben ihn nicht mehr, und wenn ihr euch auf den Kopf stellt und mit den Beinen in den Himmel wackelt. Mehr kann ich nicht sagen.«
Emil zuckte zweifelnd mit den Achseln.
»Du glaubst uns nicht? Ja, wenn wir euern Fußball hätten, dann würden wir doch damit spielen, denn frühstücken können wir ihn nicht. – Na, und haben wir seitdem gespielt?« wandte sich Konrad Kühn an seine Leute.
Die schüttelten einstimmig verneinend die Köpfe.
»Also muß er wohl regelrecht verschwunden sein.«
Jetzt wurde Emil diplomatisch und meinte, sein Zweifel sei zwar einigermaßen geschwunden, aber davon allein bekämen seine Freunde den Ball nicht wieder.
Man beratschlagte, sehr lange sogar. Die Verhandlung mit Emil wurde schließlich abgebrochen. Dafür wollte man aber am Tage darauf gemeinsam mit den Südleuten diese schwierige Frage besprechen.
Emil rannte ein paarmal hin und her über die neutrale Brücke; unterwegs verlor er zuletzt die weiße Binde, aber der Friede schien soweit gesichert; wenigstens wurde er im ehemals feindlichen Lager fast schon freundlich empfangen, wenn er von drüben eine Antwort brachte.
So kam am Tage darauf Paul Poller mit Konrad Kühn zusammen. Die Jungen von Nord und die von Süd standen sich weniger feindselig als neugierig gegenüber. Nur ein paar Meter waren sie voneinander entfernt. Eine gewisse Grenze mußte vorläufig gewahrt werden.
Paul legte den Fall noch einmal klar, und Konrad Kühn betonte abermals, nicht zu wissen, wo der Ball sei.
»So kommen wir aber nicht weiter«, meinte Paul. »Wenn jemand dem andern etwas borgt und es verschwindet spurlos – sehr einfach, dann muß er dafür bluten.«
»Wenn er aber nichts zu bluten hat?« rief einer der Nordländer.
Paul lachte; die andern Jungen lachten mit und Konrad Kühn sagte: »Da verprügelt man sich gegenseitig, weil davon der Fußball am allerschnellsten wieder herbeigeschafft wird. Ich mache euch einen Vorschlag: wir kaufen uns gemeinsam einen neuen Ball, der gehört beiden Parteien, und wir spielen gegeneinander. Wir Nordländer geben etwas mehr Geld dazu. Bis alles zusammen ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen, aber ich sehe nicht ein, weshalb wir uns bis dahin nicht wieder vertragen sollten.«
»Glänzend!« erscholl es aus der Runde. Das Eis war geschmolzen.
Konrad Kühn hielt Paul Poller die Hand hin; Paul schlug ein. Die Jungen riefen Hurra, und der Friede zwischen den beiden Parteien war geschlossen.