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»Guten Tag, Herr Redakteur!«

»Daß Sie mir niemand hereinlassen! Ich muß noch einen wichtigen Aufsatz über die Hitze schreiben«, sagte Redakteur Poltermann und zog den Füllhalter aus der Tasche.

»Und wenn ein Dichter kommt?« fragte Fräulein Siebenhaar, die Sekretärin.

»Jetzt kommen keine Dichter. Der Frühling ist vorbei und im Sommer sind die Köpfe ausgetrocknet.«

»Schön, ich lasse niemand herein.«

Die Tür klappte zu, Fräulein Siebenhaar ging ins Vorzimmer zurück an ihre Schreibmaschine.

Es klopfte. Fräulein Siebenhaar hörte nicht. Es klopfte wieder. »Herein!«

Kurt der Dicke stolzierte ins Zimmer. »Guten Tag!«

»Tag! Sie wünschen?«

Kurt wurde zum ersten Male in seinem Leben mit Sie angeredet. Das verschlug ihm den Atem. Er machte eine Pause und gab sich einen Ruck. Dann erfolgte eine tadellose Verbeugung. »Ich möchte den Herrn Redakteur sprechen.«

»In welcher Angelegenheit? Äh – der Redakteur ist übrigens gar nicht zu sprechen.«

»So? Es ist aber eine wichtige Sache.«

»Na, was Sie schon für wichtig halten, junger Mann!« bemerkte die Sekretärin spitz.

Kurt der Dicke ahnte, daß er hier nur schwer vorwärts kommen würde; das Fräulein schien schlecht geschlafen zu haben.

»Ja, es ist eine wichtige Sache.«

»Können Sie mir nicht sagen, worum es sich handelt?«

»Nein, ich muß mit dem Herrn Redakteur selbst sprechen.«

»Er ist nicht zu sprechen.«

»Gut, dann gehe ich zur Konkurrenz«, erklärte Kurt.

Die Sekretärin stand auf. »Zur Konkurrenz? Nein, bleiben Sie mal da! Ich muß Sie doch aber anmelden. Was soll ich denn sagen? Bringen Sie eine Nachricht?«

»Ja, eine Nachricht.«

»Über …?«

»Über – einen großen Einbruch.«

Fräulein Siebenhaar sprang auf. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« Sie riß die Tür zur Redaktion auf.

»Herr Poltermann, ein großer Rieseneinbruch!« Dann wandte sich das Fräulein auffallend höflich an Kurt: »Bitte, mein Herr, treten Sie näher!«

Kurt trat ein. »Guten Tag, Herr Redakteur!«

»Guten Tag, Herr – äh, Herr …«

Kurt kannte sich vor Staunen gar nicht aus; jetzt nannten sie ihn schon Herr. Alle Achtung! »Kurt heiße ich, Kurt Würstel«, stellte er sich vor.

»Nehmen Sie Platz und berichten Sie bitte über den Einbruch!«

Kurt setzte sich. Ihm wurde himmelangst. Es war ihm gelungen, bis zu dem Schriftgewaltigen vorzudringen, aber plötzlich verließ ihn der Mut. Er begann zu stottern.

Der Redakteur runzelte die Stirn. »Ich denke, es ist eingebrochen worden?«

»Nein, das – das stimmt nicht ganz. Es soll erst eingebrochen werden.«

»Was? Es soll erst eingebrochen werden? Und das wissen Sie schon? Tja, da muß ich doch gleich mal die Polizei verstän…« Er wollte nach dem Telephonhörer greifen.

»Nein, nein, Herr Redakteur, so ist es nicht gemeint.«

Herr Poltermann machte ein wütendes Gesicht. »Ja, zum Kuckuck, da sagen Sie doch endlich, was los ist!«

»Ich will es schon lange sagen, Herr Redakteur, aber Sie lassen mich ja nicht zu Worte kommen. Also, es soll eingebrochen werden.«

»Wo und von wem denn?« fragte Poltermann mit erzwungener Ruhe.

»In der Photofabrik Kühn. Ich bin der Einbrecher.«

Der Redakteur setzte seine Hornbrille auf, die vor ihm auf dem Tisch lag, und sah Kurt Würstel an. Dann stand er auf und ging auf den Dicken zu. »Hör mal an, mein Lieber, wenn du« – er sagte plötzlich du, was Kurt nach so viel Ehrerbietung fast beleidigte – »wenn du mich hier zum Narren halten willst, dann fliegst du verkehrt zur Tür hinaus. Jetzt faß dich kurz und mache diesem Hokuspokus ein Ende!«

»Es ist gar kein Hokuspokus, Herr Poltermann.« Kurt dachte, wenn er wieder du zu mir sagt, dann sage ich auch nicht mehr »Herr Redakteur«, sondern nur noch »Herr Poltermann«. »Es ist bestimmt kein Hokuspokus. Ich soll in der Fabrik einbrechen, und Charlie Chaplin fängt mich dabei. Charlie Chaplin ist nämlich mein Freund Karl Kiepenkerl. Wir machen einen richtigen Film. Karl hat eine Geschichte geschrieben, und wir andern spielen mit. Konrad Kühn dreht die ganze Sache; drehen heißt soviel wie Filmaufnahmen machen, falls Sie davon noch nichts gehört haben.«

»Jetzt verstehe ich. Ihr spielt Theater?«

»Nein, Film.«

»Film?«

»Ja, richtigen Film. Puder und Schminke haben wir auch schon«, sagte Kurt Würstel wieder kecker.

»Ihr Knirpse wollt einen Film machen? Ihr seid wohl nicht recht gescheit?« knurrte Poltermann halb belustigt. »Aber wenn schon, was soll denn die Zeitung dabei?«

Jetzt sah ihm Kurt fest in die Hornbrille. »Die Zeitung soll für unsern Film Reklame machen.«

Der Redakteur stand eine Sekunde lang auf und setzte sich wieder. »Reklame?«

»Ja, Konrad Kühn meinte, Reklame sei die Hauptsache beim Film. Wenn Sie nun in Ihrer Zeitung schreiben würden, daß in den nächsten Tagen? …«

»Wenn ich schreiben würde, daß eine Anzahl Jungen lieber spazieren gehen sollten, als solch einen Unfug stiften, nun, was würden die Leser dann sagen? Sie würden sagen: der ›Krahneburger Anzeiger‹ hat recht.«

Kurt war sprachlos. So hatte er sich die Reklame nicht vorgestellt, so nicht.

Der Redakteur fuhr fort: »Aber ich will euch nicht bloßstellen. Nimm deine Mütze und verschwinde geräuschloser, als du gekommen bist, mein Junge! Für euern Mumpitz haben wir keine Zeit und auch keinen Platz in der Zeitung.« Damit nahm er die Hornbrille wieder ab, griff nach dem Füllhalter, schielte noch einmal zu Kurt hinüber und schrieb den Aufsatz über die Hitze weiter.

Herr Poltermann war gewiß kein böser Mensch, im Gegenteil, er hatte schon oft durch freundliche Zeilen dem einen oder andern Bürger der Stadt geholfen, aber dieser Unfug ging ihm denn doch zu weit. Bilden sich da ein paar Jungen ein, sie könnten einen Film drehen! So etwas war noch nie da, solange die Welt steht. Er schüttelte den Kopf und vertiefte sich in seinen Aufsatz.

Kurt Würstel verließ traurig und niedergeschlagen die Redaktion. Er wollte gleich zu Paul gehen, um ihn von dem Mißerfolg seines Besuches bei Poltermann zu verständigen. Irgend jemand mußte er sein Herz ausschütten.

»So eine Behandlung! Frechheit! Dieser Zeitungsfritze!« schimpfte er vor dem Hause. Ein paar Straßen hindurch machte er seinem Zorn durch weitere Selbstgespräche Luft. Dann lief ihm einer von den Nordländern in die Quere. Es war Felix, der sich bei der Filmerei um Schminke und Perücken kümmern mußte; sein Vater war Theaterfriseur und konnte ihm die »Kunst des Schminkens« gut beibringen.

»Hallo, Felix!«

»Tag, Dicker. Was gibt's? Hast du schon fleißig geprobt?«

»Das auch. Aber hör mal, eben war ich auf der Redaktion des ›Krahneburger Anzeigers‹!«

»Na, und?« fragte Felix gespannt.

»Hinausgeworfen hat er mich, der Redakteur. Ja, ja, es stimmt schon. Mach nicht so ein dummes Gesicht! Er hat gesagt, unser Film sei Hokuspokus und Mumpitz.«

»Das hat er gesagt? Unerhört!«

»Ja.«

»Und was noch?«

»Er nimmt nichts in seine Zeitung, keine Zeile. Wir sollen den Unsinn sein lassen. So ungefähr sagte er und ließ mich sitzen.«

»Das ist eine Gemeinheit, Dicker. Aber warte, wir werden den Redakteuren in der ganzen Welt zeigen, daß wir einen Film drehen können!«

Kurt sah trübe vor sich hin. »Ich wollte doch Reklame machen!«

Felix klopfte ihm auf die Schulter; er dachte bei sich, daß der Dicke auch der unbeholfenste Mann zu so einer Sache sei, aber er sagte es ihm nicht, sondern meinte nur: »Reklame! Oft geht's eben schief. Das passiert auch den großen Filmleuten.«


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