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Achtung! Aufnahme!

Ein tolles Leben herrschte auf dem Fabrikhof an diesem Sonnabendnachmittag. Etwa zwanzig Jungen waren da, Mitspieler und Zaungäste. Konrad rannte hin und her. Eben hatte er einen Spieler zu Felix geschickt, zum Umschminken. Es handelte sich um den Helfershelfer des Verbrecherkönigs, der sich selbst geschminkt hatte, die Backen natürlich rot, wie im Theater. Solch ein Blödsinn! Rot wirkt auf dem Filmstreifen dunkel; das geht doch nicht.

»Theater und Film sind auch beim Schminken zweierlei«, erklärte Felix, der Filmfriseur, sachkundig und puderte dem Helfershelfer das Gesicht mit Reispuder völlig weiß. Dann zog er mit einem schwachroten Stift die Augenbrauen nach und mit einem tiefroten die Lippen. Hierauf brachte er ihm noch ein paar »Narben« quer über die Stirn bei. »Sieh dich im Spiegel an, Franz! Wie gefällst du dir?«

Franz, der Helfershelfer, sah hinein. »Um Himmels willen, so kann ich doch nicht bleiben!«

»Doch, so mußt du sogar bleiben. In Wirklichkeit sieht es scheußlich aus, aber auf dem fertigen Filmband wird aus dem kalkweißen Gesicht mit den roten Strichen ein ganz natürliches Verbrechergesicht mit echten Narben.«

»Ich glaub' nicht daran.«

»Du wirst es sehen; zum Spaß mache ich doch aus dir nicht eine Kalkwand.«

Helfershelfer Franz trollte sich davon.

Paul stand am Aufnahmeapparat und gab Obacht, daß keiner an das schwere dreibeinige Gestell stieß. Bei dem Wirrwarr konnte so etwas leicht möglich sein.

Dem dicken Verbrecherkönig Kurt wurde gerade eine Zahnlücke geschminkt.

»So«, rief Felix, »Kurt ist fertig.«

Konrad lief zur Filmkamera und bat Paul, er möge den Platz absperren, damit nicht Unberufene in die Szene gerieten. Paul trieb die Neugierigen zurück. Einige kletterten auf die Fabrikmauer.

Konrad sah durch den Sucher des Filmapparates, eine kleine Glasscheibe, die das Spielfeld so einteilte, wie es später auf dem Zelluloidstreifen zu sehen ist. Er hob die Hand. »Hallo, ihr müßt von der Mauer heruntergehen, sonst kommt ihr mit ins Bild!«

»Könnten wir nicht mitmachen?« rief einer von ihnen zurück.

»Nein, bei dieser Szene nicht. Vielleicht später bei der Verfolgung.«

Die Jungen waren vernünftig und stiegen herab. Sie ließen sich von Paul in eine Ecke drängen, wo sie die Aufnahmen gut beobachten konnten, ohne selbst ins Spielfeld zu geraten. Die Hauptsache war ihnen ja, dabei zu sein, wenn gefilmt wurde.

»Wo ist Chaplin?« erkundigte sich Konrad nach Karl Kiepenkerl.

Doch Karl war auf einmal spurlos verschwunden.

»Wo steckt er denn? Jetzt soll es losgehen, und nun fehlt der großartige Herr Chaplin.«

»Ist schon da«, rief eine Stimme hinter Konrad, der sich umschaute und plötzlich hell auflachte.

Karl Kiepenkerl kam herangewackelt. Seine Füße staken in übergroßen Schuhen, die vorn aufgerissen waren; die Haare, hochgekämmt, trugen ein schwarzes steifes Hütchen gerade so, daß es nicht herunterfallen konnte. In der rechten Hand schwenkte Karl einen kleinen, leichten Spazierstock. Felix hatte ihm einen wunderschönen Bart – gestutzt natürlich – zwischen Nase und Oberlippe gemalt.

Alle Jungen, von den Hauptdarstellern bis zum letzten Zaungast, wurden von Konrads Lachen angesteckt.

»Fabelhaft echt siehst du aus«, meinte Paul. »So müßte dich Chaplin sehen; er würde dich für seinen Sohn halten.«

Paul führte Regie. Er las die Szenen vor, die aufzunehmen waren, und gab den Darstellern Ratschläge, wie sie ihre Rollen am besten spielen könnten.

Nach Konrads Meinung hatte Paul einen sicheren Geschmack; er spielte die Rollen mit großem Geschick vor. Zuerst wurde nämlich geprobt, jede Szene einzeln, denn das Filmband wäre bald verbraucht worden, wenn man jeden mißglückten Versuch sofort aufgenommen hätte.

Konrad gab während der Probe acht, daß die Darsteller nicht aus dem Spielfeld gingen. Zur Sicherheit ließ er Kreidestriche auf dem Erdboden anbringen; da konnte jeder feststellen, wie weit er sich bewegen durfte, um in der Aufnahme zu bleiben.

»Alles an die Plätze!« rief Paul. »Ich lese die nächste Szene vor. Ruhe! Hör doch endlich her, Franz! Nachher machst du es wieder falsch wie gestern. Also: die beiden Verbrecher – Kurt und Franz, ihr beide – stemmen ein Loch in die Fabrikmauer, um in den Kassenraum zu kommen. Chaplin liegt währenddessen in einer alten Regentonne und sieht, was die Gauner anstellen. Die beiden Verbrecher werfen abgehauene Ziegelstücke fort, die zufällig vor der Tonne Chaplins niederfallen. Chaplin wirft ein Ziegelstück nach dem andern wieder zurück. Jedes trifft abwechselnd den einen und den andern Einbrecher, aber die beiden glauben, sich gegenseitig bombardiert zu haben, und geraten sich deshalb in die Haare. Während der Prügelei bemerken sie jedoch plötzlich den eigentlichen Urheber und schleichen auf ihn zu. – Bis dahin filmen wir vorläufig. Habt ihr alles begriffen?«

»Ja.«

»Los, Karl, in die Tonne gekrochen!« befahl Regisseur Paul dem Darsteller des Chaplin.

Karl Kiepenkerl zwängte sich in die der Länge nach am Boden liegende Regentonne. Es war zwar sehr unbequem da drinnen, aber als Chaplin hatte er ein zufriedenes Gesicht zu machen. Zudem ließen sich die Beine nach hinten hinausstrecken, denn der Tonne fehlte der Boden. Kurt der Dicke, der Verbrecherkönig, ging mit seinem Helfershelfer Franz zur Mauer und begann dort mit einem Hammer gegen die Ziegelsteine zu klopfen. Das tat dem festgefügten Mauerwerk nicht weh, aber es sah echt aus, aus der Entfernung wenigstens, in der die Aufnahme gedreht werden sollte.

»Achtung, Prooobeee!«

»Halt!« rief Konrad dazwischen. »Ich will erst etwas abblenden; wir haben zu viel Sonne auf dem Hof.« Er schob den kleinen Zeiger eines Zahlenkreises um ein paar Striche weiter. »Fertig!«

»Achtung, Prooobeee!«

Es war alles still. Die Spannung ließ jedes Gespräch verstummen. Karl blinzelte, wie es seine Rolle vorschrieb, aus der Tonne und warf Ziegelstücke nach den beiden Einbrechern. Vorsichtshalber hatte Felix diese Ziegelstücke aus starkem Pappkarton gefertigt und rot angestrichen, denn sie mußten treffen und durften dabei doch nicht verwunden.

»Einhalten! – Franz, du gehst bei euerm Zweikampf zu weit nach rechts; ich habe dich nicht mehr im Bild. – Los, nochmal von vorn!«

Die Szene wurde wiederholt, nochmals, ein drittes und sogar noch ein viertes Mal, bis es klappte. Nun kam die Aufnahme.

Konrad riet, noch eine Minute zu warten, es stehe gerade eine Wolke vor der Sonne, und er möchte diese Szene wegen des dunkeln Hintergrundes bei Sonnenschein drehen. Man wartete ungeduldig. Endlich kroch die Sonne aus dem Wolkenknäuel hervor. Paul trat seitlich hinter die Filmkamera. Konrad faßte nach der Kurbel. Die Spannung erreichte den Höhepunkt.

»Achtung, Achtung, Aufffnahmeee!« hallte es über den Platz.

Konrad drehte mit ruhiger Hand. Der Meterzeiger, der den Filmverbrauch genau angab, wanderte langsam vorwärts – ein Meter, eineinhalb, zwei Meter.

Eben griff Chaplin nach einem Ziegelstück. Krach! flog es dem einen Verbrecher an den Kopf. Dieser schaute sich verwundert um, hämmerte aber weiter an der Mauer. Da traf ihn ein zweites Stück.

Paul, der immer noch hinter der Kamera stand, legte die Hände zum Trichter geformt vor den Mund und rief im Flüsterton – um Karl im Spiel nicht zu stören – nach der Tonne hinüber: »Herr Chaplin, langsamer werfen, noch langsamer! – So ist's gut. Ausgezeichnet!«

Konrad nickte zustimmend. Der Meterzeiger war bereits über die Zahl zwölf hinausgewandert, als sich die beiden Einbrecher an den Schultern packten und einander kräftig zu schütteln begannen. Franz war so bei der Sache, daß er seinem Partner eine richtige Ohrfeige gab.

Ein paar Jungen aus der Ecke klatschten Beifall.

»Ruhe dort hinten!« donnerte Paul.

Inzwischen hat auch den dicken Verbrecherkönig Kurt die Wut gepackt. Er nimmt seinen Gegner beim Schopfe, beide fallen hin, sehen jedoch in diesem Augenblick Chaplin und rennen auf die Tonne zu.

Chaplin springt mit einem Satze hinaus.

»Halt! Abblenden!« rief Paul. Konrad hörte auf zu drehen. Das schnarrende Geräusch verstummte.

»Wieviel Meter?«

Konrad sah auf die Skala. »Achtundzwanzig. Nur noch zwei Meter sind in der Kassette; da lohnt es sich nicht erst, eine neue Szene anzufangen.«

»Was machen wir mit den zwei Metern?«

»Schlage vor: Großaufnahme von Chaplin, wie er plötzlich die Einbrecher auf sich zukommen sieht.«

»Gut. – Karl, du mußt noch einmal in die Tonne kriechen.«

Karl Kiepenkerl machte ein säuerliches Gesicht. »So schön ist es dort gerade nicht.«

»Schadet nichts. Wir wollen nur zwei Meter Großaufnahme kurbeln. Weißt du, den Augenblick, in dem du die beiden Einbrecher auf dich zukommen siehst. Du hast also weiter nichts zu tun, als ein sehr erstauntes und dann plötzlich ein erschrockenes Gesicht zu machen. Das kannst du doch.«

»Natürlich.«

»Also wieder hinein in die Tonne!«

Konrad trug die Kamera bis auf knapp zwei Meter an die Tonnenwohnung Chaplins heran, stellte die neue Entfernung ein und schraubte den Apparat so niedrig, daß er fast den Boden berührte, jedenfalls aber in gleicher Höhe zu Chaplins Kopf stand.

»So, lieber Karl, nun mach dein erstauntes und erschrockenes Gesicht!«

»Achtung, Proobeee!«

Karl mimte aus Leibeskräften, aber Paul war nicht zufrieden. »Du trägst zu dick auf. In einer Großaufnahme braucht man nicht so viel Gesten zu machen; dein Bild kommt überlebensgroß auf die Leinwand, und wenn du so herumfuchtelst, wissen die Leute nachher nicht, was es bedeutet. Ganz ruhig! Erstaunt sein – so, ja – jetzt erschrickst du. – Gut – gut, schon gut; mehr nicht. Das genügt.«

Es wurde noch einmal geprobt. Konrad ging mit dem Filmmaterial sparsam um. Dann hörte man wieder Pauls Stimme: »Achtung, Achtung, Aufffnahmeee!«

Konrad kurbelte die zwei Meter noch herunter.

Karl mimte über Erwarten echt, so daß die Jungen ihn nach der Aufnahme mit Lob überschütteten.

Einer der Zaungäste meinte, so schwierig habe er sich das Filmen in Wirklichkeit allerdings nicht vorgestellt. Im Kino sehe alles viel einfacher und selbstverständlicher aus.

Konrad und Paul lachten. »Wir haben uns auch gründlich vorbereitet. Übrigens: Brezeln essen ist auch einfacher als welche backen.« –

Felix kam heran. »Für die nächsten Aufnahmen ist alles geschminkt. Da braucht ihr mich wohl jetzt nicht mehr? Ich soll nämlich heute zeitig daheim sein. Vater hat viel zu tun, und wenn ich zu spät komme, gibt er mir morgen die Perücke für den Polizeikommissar nicht.«

»Schön. Also morgen um zwei Uhr! Auf Wiedersehen!«

»Wiedersehn!« Felix winkte den andern zu und verschwand. Konrad legte eine neue Kassette ein und wickelte die alte mit den verfilmten dreißig Metern in ein schwarzes Tuch.

Paul rannte schon wieder umher.

»An die Plätze! Nächste Aufnahme!«


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