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Winterreise nach Japan

I

– »Schlitten gefällig, Herr?«

Diese Frage – in einem starken englischen Akzent – leitet meine ersten Eindrücke in Montreal ein, – ich trete aus dem Bahnhof – nicht auf kanadischen Boden: – auf kanadisches Eis. Eis, viele Zoll dick, deckt das Pflaster; und lange Reihen von Schlitten warten statt Droschken vor der Station auf Fahrgäste. Außer einem Hotelomnibus zeigt sich kein Räderfuhrwerk; nur Schlitten kommen vorbei. Ein mir ganz neues, pittoreskes Bild. Der Kutschbock hat eine geradezu phantastische Höhe; hinter ihm hängt eine große Pferdedecke oder eine Büffelhaut, so breit wie das ganze Gefährt, herunter. Sie fängt den Wind auf, der einem sonst ins Gesicht blasen würde: über ihr ist nur die Pelzmütze und ein Stückchen Hinterkopf vom Kutscher zu sehen …

Es ist ziemlich kalt, aber herrlich klar; keine Wolke am blaßblauen Himmel; – grau und scharf zeichnet sich Montreal in der harten Luft. Über die weiße Weite des St. Lawrence ziehen Schlitten, – so fern sind sie, daß sie wie langsam krabbelnde Käfer aussehen; hinter dem jenseitigen Ufer, an dem Eisschollen sich zu einem hohen blanken Kamm reihen, stehen rote Hügel in den Horizont. Die Stadt ist massiv und ganz grau – eine Kalkstein-Stadt: behäbig, ein wenig nach Engherzigkeit aussehend. Nichts deutet darauf, daß man im Ausland ist – nur ein paar alte französische Häuser, die an New Orleans erinnern: die neuen, größeren Gebäude lassen an die älteren Stadtteile von New York oder Philadelphia denken.

Ich würde gar nicht auf den Gedanken kommen, in Kanada zu sein, wenn ich nicht auf der Suche nach dem Schlafwagen, der mich bis zum fernen Vancouver beherbergen soll, zufällig einen Auswandererwagen passierte. Wie ich die Tür öffne, sehe ich in der rauchgebeizten, lampendämmerigen Luft eine Reihe von Kojen schwimmen, gleichzeitig überfällt mich ein Schwall von merkwürdig klingenden französischen Worten – ein durch gutturale und eigentümlich nasale Töne verdicktes Französisch, ganz anders als das weiche Idiom der Kreolen. Vielleicht hat dieses nördliche Klima, in dem die Menschen so derb und kräftig werden, auch die Sprache rauh und hart gemacht.

… Es sind von hier nach Japan fast achttausend Meilen, und wenn das Wetter schön bleibt, kann ich in ungefähr drei Wochen in Yokohama sein. Mancher von uns kann sich noch der Zeit erinnern, da eine solche Reise eine Strapaze von vielen Monaten bedeutete. Aber trotzdem, was wir heute schnelles Reisen nennen, wird man in wenigen Jahren gewiß für sehr langsam halten. Schnellere Schiffe und schnellere Züge werden das Kunststück einer Reise um die Erde in dreißig Tagen noch zu unseren Lebzeiten durchaus möglich machen. Zur Verwirklichung dieses Traums bedarf es nur noch der Fertigstellung der russischen Transasien-Bahn nach Wladiwostok. Die folgenden Fahrtzeiten – London als Ausgangspunkt – werden wohl bald erreicht werden:

London–Liverpool, Eisenbahn 0 Tage 5 Stunden
Liverpool–Quebec, Schnelldampfer 6 " 0 "
Quebec–Vancouver, Eisenbahn (30½ Stundenmeilen) 4 " 0 "
Vancouver–Wladiwostok, Schnelldampfer (18 Knoten) 10 " 18 "
Wladiwostok–St. Petersburg, Eisenbahn (25 Stundenmeilen) 11 " 11 "
St. Petersburg–London 2 " 20 "
 
  35 Tage 6 Stunden

im ganzen fünfunddreißig Tage und sechs Stunden. Aber diese Aufstellung rechnet mit verhältnismäßig niedrigen Geschwindigkeiten. Bei einem Stundentempo von vierzig Meilen auf den beiden großen Transkontinent-Bahnen würden mehr als fünf Tage gewonnen werden; und der Welthandel wird diese Beschleunigung, weil sie für ihn eine Lebensfrage ist, zweifellos erzwingen. Schon läßt die Pacific-Linie Schiffe bauen, die den Atlantic-Dampfern an Schnelligkeit nicht nachstehen werden.

Die Bezwingung der Zeit durch die Technik bewirkt, daß die Erde uns immer kleiner erscheint. Vielleicht wird der Mensch, wenn sie einmal zu klein zu werden droht, sich darauf besinnen, daß in ihm selbst eine größere Welt der Erschließung harrt – unbetretene unerforschte Tiefen – Länder, deren Horizont in die Unendlichkeit mündet.

So träume ich, indes der Zug durch die Nacht braust; die lange Reise hat begonnen.

II

Früher Morgen. Schwerer Schneefall aus trübem Grau. Weiße Wehen säumen unseren Weg. Hinter ihnen, zu beiden Seiten der Bahn, unendliche Flächen von Niederwald – junge Schwarzkiefern und Zwergbirken, starr wie Speere; die laublosen Birken mit ihren Silberrinden sehen vor dem Kieferndunkel wie Stangen aus, die im Schnee stecken.

Eintönig begleiten sie die Bahnlinie, die in langen, langsam durchfahrenen Abschnitten zwischen weißen Hügeln emporsteigt und dann wieder in weiße Täler sinkt. Von Zeit zu Zeit geht es an Siedlungen vorbei: Haufen von Hütten und Speichern aus rohem Kiefernholz, gelb im Schnee; oder eine Gruppe von Blockhäusern um ein Holzkirchlein. Ab und zu schiebt sich ein welliger Bergzug dunkel zwischen den bleifarbenen Himmel und die öde Schneefläche mit den schwarzen Kiefernstreifen.

… Viele von den Stationen, die wir passieren, haben französische Namen – Namen von Engeln und von Heiligen, dazwischen tauchen trockene und gewöhnliche englische Bezeichnungen auf: Sainte Rose, Sainte Thérèse, Saint Augustin, Sainte Scholastique, L'Ange Gardien; – auch Namen, die an Süd-Louisiana erinnern – Point au Chêne, Deux Rivières, La Chute, Sault aux Recollets, – wie hart dagegen »Thurso«, »Grenville«, »Rockland«, »Buckingham«!

… Und je weiter wir nach Westen kommen, desto dichter stehen die schwarzen Kiefernstämme längs der Strecke; und desto höher häufen sich die Schneewehen, – bis Nacht wieder alles den Blicken verbirgt.

III

Der zweite Tag … Zartblauer Himmel: Sonne über dem Schnee – eine fahle Sonne, und doch so willkommen!

Ganz eng drängen sich jetzt die Kiefern rechts und links der Bahn aneinander; ihren schönen bläulichen Schatten, dessen zackiger Rand auf dem Gleis liegt, zerbricht kein Sonnenstrahl. Wie flockige weiche Wolle schmiegt sich der Schnee an die Stämme … Wir nähern uns dem nördlichsten Punkt der Bahnlinie.

Hundert Meilen immer dieselbe lückenlose Kiefernwand zu beiden Seiten – immer derselbe bläuliche Schatten auf dem Schnee. Hin und wieder ein Einschnitt in dieser dunklen Mauer; ein weißes Band wie eine verschneite Straße läuft heran und windet sich wieder aus dem Gesichtskreis: ein zugefrorener Fluß – auf seiner Eisdecke liegt Schnee bis an die Schwellen der Brücke, die uns hinüberträgt.

Dann ein riesiger See – der Lake Superior; seine Inseln und seine Vorgebirge steigen aus schneeüberdecktem Eis auf; – der Himmel ist klar geworden und strahlt in tiefem Azur. Bald verbirgt sich der See, bald zeigt er sich wieder – jetzt verwehren Kieferngruppen, jetzt Verwehungen und beschneite Dämme die Aussicht. Aber immer, wenn der Durchblick sich öffnet, sehen wir Erhebungen in der Ferne – Vorgebirge hinter Vorgebirge, Insel hinter Insel.

An hohen Klippen fahren wir vorüber; wie Türme ragen sie, die der Schnee nicht erklimmen kann, zinnoberrot – steile Flammen im Weiß der Landschaft.

Dann wieder Bäume, Bäume … Fichten, Birken, Lärchen, – so nahe beieinander stehen sie, daß man sie im Rückschauen nur als geschlossene Mauer sieht, die den Horizont verstellt.

… Die französischen Namen auf den Schildern der Stationen werden seltener; indianische Namen drängen sich vor – Pogamasing, Metagama, Biscotasing, Missanabie …

Von Stunde zu Stunde wird es kälter. Eiskristalle, große wunderbare Traumblumen, überziehen die Fensterscheiben.

IV

Es wird Tag. Das Bild der Landschaft hat sich kaum verändert; dasselbe Hell und Dunkel: Schnee und Fichten; weiße Hügel, weiße Senkungen, weiße Wehen. Wenig Abwechslung, bis wir nach Winnipeg kommen, dem Herzen des Kontinents; hier haben wir eine ganze Stunde Aufenthalt.

Fünfundzwanzig Grad unter Null; ein eisiger Wind bläst von Norden. Ofengeheizte Straßenbahnwagen und Schlitten stehen vor dem Bahnhof; gewöhnlich benutzen die Reisenden den kurzen Aufenthalt dazu, sich diese wundervolle in wenigen Jahren großgewordene Stadt anzusehen. Aber der beißende Frost treibt uns zurück: wir bleiben lieber im behaglich warmen Waggon … Die Leute draußen haben plumpe, bis an die Knie reichende Pelzmäntel mit ungeheueren Kragen und Ärmelaufschlägen an. Außer diesem Eindruck habe ich nur noch eine Erinnerung an Winnipeg: einen Augenblick lang gefühlt zu haben, wie das Leben in den arktischen Regionen sein muß.

… Und wieder weiter, in schneller Fahrt zwischen Reihen von Schwarzkiefern. Gegen Abend lichten sich die Bäume; – kurz vor Sonnenuntergang ist kein Stamm mehr zu sehen … Nur noch Schnee; einzig der Schatten des Zuges fällt auf das leuchtende Weiß.

V

Dann die Prärien.

Die Erde ist eine kahle weiße Scheibe, an der ungebrochenen Linie des Horizonts sich rundend: man empfindet Raum und Licht wie auf hoher See, wenn das Auge rings nur Wasser sieht.

Und je länger man hinausstarrt, desto mehr hat man das Gefühl, auf dem Meer zu sein und auf den Horizont zu blicken. Die unabsehbare Schneefläche ist vom Wind zerpflügt; – die Ränder der Furchen blinken im Sonnenlicht wie schaumige Wellenkämme; und unter all den milchweißen Wellchen ist ein großes langes Wallen, das dem schwellenden Wogen der Flut gleicht: alles scheint sich zu regen und zu strömen – stumm, gespenstisch. Unser Zug schaukelt wie ein Schiff auf sanft bewegter See; das rhythmische Rattern der Räder klingt wie das Rumpeln der Schiffsschraube; und liefen nicht die Schienen in einem Punkt zusammen, so gliche das weißgesprenkelte Gleis hinter uns dem Kielwasser des Schiffes.

… Als der Abend seine schrägen gelben Strahlen über das Schneemeer wirft, wird das Bild bis in alle Einzelheiten getreu Blau dunkeln die Schatten in den Wellentälern, nur auf den Kämmen liegt noch weiß-goldener Glanz. Das ist das Meer, – das Meer der Sommertage, wenn laue Brisen seinen Spiegel kräuseln und »die Erde unter dem Südwind schlummert«. Und die Wellen scheinen zu wandern, sie kommen und gehen, heben und senken sich – all das Blau und Weiß in der Runde wogt im späten Licht des schwindenden Tages.

… Dämmerung, Dunkel. Wir brausen über die unermeßlichen Ebenen, Wind brüllt uns entgegen. In der Nacht bebt der Zug und will nicht vorwärts: der Sturm, gellend wie entweichender Dampf, wirft uns um Stunden zurück.

VI

Wieder Morgen; das gleiche Schneerund – und wieder dieses Gefühl grenzenloser Meeresweite. In großen Intervallen ab und zu die Konturen von Häusern und Zäunen: eine Farm, ein Rauch. Wie muß das Leben der Menschen in dieser Einöde sein, angesichts des ewig kahlen Horizonts und dieser unendlichen wagerechten Landscheibe … Aber das wird nicht so bleiben; denn überall längs der großen Heerstraße nach dem Osten schießen Siedlungen empor; und aus den einsamen Farmen werden in ein paar Jahren Dörfer und Städte geworden sein.

Auf einer Station sehen wir ganz dicht an der Strecke vier kleine Beete unterm Schnee, die mit Büffelhörnern eingefaßt sind. Ich zähle die Hörner. Fünfzig um jedes Beet – im ganzen zweihundert: das ist alles, was von einer Büffelherde übrig geblieben ist. Nicht ein Büffel lebt mehr auf den Prärien: zu Hunderttausenden schlachtete man sie hin, um ihre Häute auf den Markt zu bringen. Schon ist eine Büffelhaut fünfundsiebzig Dollars wert; bald wird sie vierhundert oder gar fünfhundert Dollars kosten. Die einzigen Spuren, welche die ausgerottete Art hinterlassen hat, sind ihre Suhlen. Bis vor zwei oder drei Jahren waren die Prärien über Tausende von Meilen hin mit Bisonskeletten besät; Millionen Schädel bleichten längs der Bahn. Dann kam ein Spekulant und transportierte sie ab, um Dünger daraus herzustellen; durch Wochen und Monate wurden täglich ganze Zugladungen von Büffelknochen nach dem Westen gesandt. Und heute wird es sogar dem Indianer schwer, da, wo vor Jahren noch unabsehbare Herden weideten, auch nur einen einzigen Schädel zu finden.

Die Indianer suchen die Schädel der Hörner wegen, die sie abnehmen, glätten und roh verzieren; und selbst diese polierten Hörner sind so rar geworden, daß sie an Ort und Stelle für zwei Dollars das Paar verkauft werden. Der gute Mann, der seine Blumenbeete mit Büffelhörnern abgrenzte, ahnte wohl nicht, daß diese Einfassung bald Seltenheitswert bekommen würde.

… Häufig sehen wir Indianerzelte in der Nähe der Stationen. Einmal kommen Indianerinnen, hübsche, gut gewachsene Frauen, die in ihren gestreiften Decken nicht übel aussehen, in den Zug und bieten solche Hörner zum Kauf an … Welch erschütternde Tragik in diesem kleinen Zwischenfall: die Letzten eines sterbenden Volks, dem Gott die Herden wilden Viehs geschenkt hatte, daß sie ihm Nahrung, Kleidung und Wohnung gäben, verkaufen die Knochenreste ihrer Tiere als Kuriositäten. Die Ausrottung des Büffels bedeutete auch die Vernichtung einer Menschenrasse. Ich habe während der Reise in einer kanadischen Zeitung von Indianern gelesen, die der Hunger zu Kannibalen gemacht hat, – sie fraßen ihre eigenen Kinder! …

Dann wieder stundenlang nur Himmel und Schnee; – da und dort lange, dunkle Streifen auf dem Weiß – Stellen, die der Wind kahl gefegt hat. In der Ferne tauchen indianische Tepees auf; ein paar Präriehühner fliegen hoch; die schneefreien Flecke auf der Ebene werden immer größer und zahlreicher. Man spürt deutlich, daß es wärmer wird; die Temperatur im Zuge ist um einige Grade gestiegen. Die Eisblumen sind von den Fenstern verschwunden – und frei schweift der Blick über die vom Wind gerippten Schneefelder, die in der Abendsonne leuchten.

Über lange, sanft ansteigende Schrägen geht es allmählich bergan: wir nähern uns dem Gebirge. Weite gelbe Grasflächen ziehen vorüber. Während der Zug uns höher trägt, der untergehenden Sonne entgegen, wird es nicht kälter, sondern immer wärmer; wir sind in die Region der Chinook-Winde gekommen, jenen Landstrich östlich der Rockies, wo Schnee und Eis sich nicht lange halten, und wo man das Vieh das ganze Jahr über auf der Weide läßt.

Bei Anbruch der Dämmerung halten wir auf einer Station; hier kommt eine riesige Hilfslokomotive ans Zugende, um unsere Maschine während der Bergfahrt zu entlasten. Auf der steilen Strecke beginnt das Monstrum wie ein Sturm zu schnauben, und heulend und tobend stößt es uns bis zu einer Höhe von dreitausend Fuß vor sich her – der ganze schwere Zug scheint für dieses Ungeheuer aus Dampf und Eisen kein Gewicht zu haben.

VII

– Es wird hell. Wir fahren in die Felsentore des Westens ein – das Cap –, zwischen mächtig getürmten und hoch gegipfelten Bergen, an denen Fichten emporklettern. Keine sanften Wellen, keine glatten Linien mehr: nichts als ungeheuere, von Vulkanen emporgeschleuderte Steinmassen, zerklüftet, geborsten, in scharfe, zackige Winkel zerbrochen, drohend emporgereckt, nackt. Berge über Bergen – unten schiefergrau, weiter oben weiß gesprenkelt – steigen zu beiden Seiten auf und gleiten langsam vorüber – unheimlich langsam, als wären sie es, die vorüberreisen. Wir fahren durch ein enges Tal, das sich eben wie eine Prärie zwischen den Höhen dahinzieht. In dichten Kolonnen, Reihe um Reihe, erklimmen die dunklen Fichten die Hänge; ihr endloses feierliches Gepränge zwingt nieder, – es ist, als führe man durch einen unermeßlichen Friedhof – ohne Ende …

Unvergleichlich ist dieser erste Eindruck von den Rockies; – geheimnisvolle Riesenkräfte haben die Erdrinde gespalten und zerfetzt – in phantastischen Formen starren ihre Trümmer zum Himmel. Einer der Berge hat drei Gipfelzähne, zwischen denen tiefe Klüfte gähnen. Und immer neue Spitzen, in schwindelnde Höhe aufragend; wir sind jetzt mehr als viertausend Fuß hoch.

… Es wird steiler, in großen Schleifen windet sich die Bahn aufwärts; und während wir steigen, viele Stunden lang, steigen die Berge mit, näher und näher rücken sie heran, bis die Täler sich zu Canons verengen. Vor der grandiosen Majestät dieses Schauspiels verstummen alle, ganz still wird es auf der Plattform … Bis zu den Säumen des ewigen Schnees, sechstausend Fuß über uns, haben die Legionen der Fichten sich die Berge erobert – lotrecht wie Masten stehen sie an den Wänden, als spotteten sie der Schwerkraft. Hoch über ihren letzten Vorposten schimmern die Firne im sonnigen Blau. Aber wir können ihre Herrlichkeit nicht ganz fassen, so nahe sind wir ihnen. In Stephen sind wir auf dem höchsten Punkt der Fahrt, fast fünftausenddreihundert Fuß über dem Meeresspiegel – und immer noch schließen uns Mauern ein.

Erst wie wir talwärts fahren, beginnt die überwältigende Szenerie sich allmählich zu entfalten. Anfangs geht es langsam und vorsichtig bergab, dann schneller und schneller, in Sturmeseile – der Zug schlingert wie ein Schiff, während wir durch Canons, Schluchten und Täler hinunterrasen – ein Brüllen und Donnern und Klirren, zurückgeworfen und wieder aufgefangen vom Echo, kreist um die Berge. Wir schauen zurück: langsam ordnen sich die Massen, Gipfel reiht sich an Gipfel, bis wir endlich das mächtige Panorama ganz übersehen …

Über allem ragt leuchtend ein spitzer Kegel auf, geisterhaft weiß wie der apokalyptische Thron; höher und höher wächst er ins Blau, während der Zug uns weiter führt. In riesigen Spiralen schraubt sich das Gleis tiefer: schwindelnde Fahrt an steilen Wänden und jähen Abgründen, unaufhörlicher Wechsel von Schattendunkel und Sonnenhelle. Andere Berge heben ihre weißen Häupter auf und drängen sich zwischen uns und den strahlenden Gipfel in der Ferne; aber noch immer leuchten in weißer Ruhe seine ewigen Gletscher über ihnen, und gelassen scheint er auf unser fieberhaftes Hasten herabzusehen. Und mit einem tiefen Glücksgefühl, wie es die Offenbarungen der Traumgesichte uns schenken, erfasse ich den Sinn der Worte Hiobs: » Er machet Frieden auf seinen Höhen« …

VIII

Nun ist der weiße Kegel verschwunden; wir haben wenig Zeit, ihm nachzutrauern, denn schon tut sich ein weites sonniges Tal auf, und eine Bergwelt von unsagbarer Schönheit umfängt uns. Zur Rechten schroffe, drohende Felsen; zur Linken aber steigen in schimmernder Glorie Reihen von welligen, weißgescheitelten Bergen auf, ein göttlicher Heerzug, – traumhaft, unwirklich, von reinem violettem Licht umflossen. Von allen Kämmen tropft das Weiß der Gletscher und des Lawinenschnees, dicke zähe Ströme lecken die Hänge herunter und reißen dann plötzlich ab. Die ganze Kette ist in einen Mantel von Fichtenwäldern eingehüllt, die hinter den klaren Farben des Morgens in zartem blauen Dunst verschwimmen. Aber das schönste sind die edlen Maße, die wundervolle Symmetrie des Auf und Ab, das ruhige wellengleiche Steigen und Fallen.

Doch bald verengt sich der Ausblick: in feierlicher Prozession, funkelnde Diademe auf den Häuptern, ziehen die Berge fort. Und wieder sind wir im Düster der Cañons, eingezwängt zwischen finsteren zerklüfteten Felsmauern. Und noch einmal geht es im Zickzack bergan – durch die ungeheueren Öden der Selkirk Range.

IX

… Alles wächst ins Riesenhafte: jählings stellen Wände auf und reißen den Blick mit sich empor – schroff stürzen Schrunde ab, verlieren sich im grausigen Dunkel der Tiefe. Die Fichten, deren Stämme immer mächtiger werden, klimmen jetzt bis zu den Wolkensäumen; und über den Wolken leuchten die ewigen Gletscher. Da und dort laufen lange weiße Streifen an den Flanken der Berge herunter, durch die Wälder gefetzt wie Wildbachbetten: die Wege der Lawinen … Aber all das wird nur für Augenblicke sichtbar, durch die Lücken zwischen den meilenlangen Schneewehen, welche die Lawinenbahnen sperren. Wir blicken in tiefe Schluchten hinab, von deren Grund der Schnee niedergegangener Lawinen heraufschimmert.

Und hier, in diesen Cañons und über diesen Abgründen begreift man zum ersten Male ganz den großartigen Triumph des menschlichen Geistes, der diesen wundervollen Schienenweg über die nördliche Hälfte des Kontinents gespannt hat, – erst hier weiß man die enorme Arbeitsleistung voll zu würdigen. Die drei Millionen Dollars, die allein die Vermessungen gekostet haben, scheinen ein Nichts, wenn man sieht, welche Schwierigkeiten zu bewältigen, welch gigantische Naturkräfte zu bezwingen waren. Der Weg jeder einzelnen Lawine mußte studiert werden, man mußte Mittel finden, die rollenden und stürzenden Schneemassen durch hölzerne »Prellwände« und »Teilwände« aus ihren alten Bahnen zu lenken. Die einen halten den Schneerutsch vor der Strecke auf, die anderen zerschneiden ihn und leiten ihn ab. Außerdem schützen Schneewehren diese Partie der Bahn so gut, daß es bis jetzt auch in den strengsten Wintern noch zu keiner ernsthaften Absperrung gekommen ist. Aber Schneewehren und Wände allein hätten nicht immer genügt; es gibt gewisse Lawinenarten, gegen die besondere Vorsichtsmaßregeln getroffen werden mußten, – Lawinen, die mit so rasender Gewalt zu Tal fahren, daß sie am Gegenhang wieder hochrutschen. Gegen ihre Wucht mußten die Schneewehren selbst geschützt werden: man legte kolossale Bindewerke an, die sich in ganz flachen Winkeln zum First emporschrägen, damit die Lawine nicht auf eine steile Wand prallt, sondern ohne Stoß auf eine sanft geneigte Fläche gleitet. Aber diese Wände und Schneewehren und alle verwandten Bauten scheinen nur ein kleiner Teil des großen Werks, vergleicht man sie den Brücken und Tunnels, den Einschnitten an Felswänden, den Kunstbauten über Abgründe, den Durchbrüchen durch Bergnasen, tausend Fuß über der Talsohle.

… Hier ist es kälter und rauher als in den Rockies. Aus dem Dunkel unter den Schneewehren fahren wir in das Dunkel der Nacht.

X

… Der letzte Tag unserer Bahnfahrt bricht an: die Luft ist wieder mild geworden. Wir haben bei Nacht große Gebirgsketten passiert und rollen jetzt durch die Cañons des Fraser River. Über uns noch immer die bewaldeten Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln; unter uns der Fluß, der wie ein schwarzes, weißgerändertes Band dahinläuft – schmale Eissäume ziehen sich an den Ufern hin.

In den tiefen Schluchten und engen Tälern liegen noch die violetten Schatten der Morgendämmerung, aber die weißen Gipfel der Berge erschimmern schon rosig-golden im Licht des frühen Tags. Wie es heller wird, können wir auf der anderen Seite des Cañons den alten Saumweg sehen, der sich wie ein dünner Faden um die Felsen windet, hier und da unterbrochen, von Lawinen zerrissen … Hier schwillt der Fluß zur Zeit der Schneeschmelze ungeheuerlich an; in manchen Jahren soll er hundertfünfzig Fuß hoch gestiegen sein.

Allmählich weiten sich die Cañons zu Tälern, die immer offener und flacher werden. Die Berge treten zurück, die Fichten werden seltener, und andere Höhenzüge stellen sich breit ins Blickfeld – bis zu den schneegefleckten Gipfeln hinauf grün bewaldet. Es ist nicht mehr kalt, die Luft weht lau wie an einem Frühlingstag. Wir nähern uns dem Stillen Ozean.

XI

Vancouver empfängt uns mit warmem Sonnenschein. Die Stadt sieht neu aus – große unbebaute Plätze, breit angelegte Straßen mit Trottoirs aus neuen Bohlen. Hier und da ist in einem kahlen Karree ein Gebäude zu sehen, das in Chicago oder New York stehen könnte – auf Grundstücken, die weitblickende Spekulanten aufgekauft haben. Denn als Endstation einer der wichtigsten Bahnen der Welt hat Vancouver eine große Zukunft. Was wir von der Stadt sehen, während wir durch die vom Bahnhof emporführenden Straßen gehen, ist nur der neue Teil; das alte Viertel, das auf diesem Gelände stand, hat eine Feuersbrunst zerstört. Immerhin stehen noch Teile der älteren Stadt – enge Geschäftsstraßen mit Läden und Warenhäusern, lange Zeilen von Backsteinbauten. Von der neuen Stadt, die sehr hoch liegt, hat man freien Ausblick auf den stattlichen Hafen und das Küstengebirge dahinter – schöne schneegekrönte Bergmassive. Dieses in weichen Farben leuchtende Bild prägt sich unauslöschlich ein, selbst dem, der es unter dem frischen Eindruck der Rockie Mountains sieht.

XII

… Siebzehn Tage auf dem Großen Ozean – graue farblose Tage, an denen nichts sich ereignet, einander so gleich, daß die Erinnerung sie nicht auseinander hält … Schwere grüne Seen und fahle Sonnen, eisiger Wind, der es unmöglich macht, an Deck zu bleiben, Krachen des Takelwerks und der Spieren im Sturm; – und unaufhörlich das rhythmische Stöhnen und Knarren der Spanten und Rippen, während das Schiff sich schlingernd durch die riesigen Wogen kämpft. Schwache helldunkle Reflexe von Wasser und Gischt, die wie Rauch über die weiße Kabinendecke spielen; – Versuche, im grün dämmernden Licht zu lesen, während gewaltige Wassermassen, die brüllend am Schiffsrumpf emporfahren, immer wieder die Luken verdunkeln. In der ungeheueren Weite nirgends ein Segel, nirgends ein Eiland, – nichts, worauf das Auge ruhen könnte. Nirgends eine Spur von Leben, weder im Wasser noch in der Luft, – nur manchmal, unwahrscheinlich weit von jeder Küste, eine einsame Sturmschwalbe, ein flitzendes Etwas in dieser Wüste von Wasser und Wind. Immer der gleiche verhangene Horizont – zuweilen bricht ein Sonnenstrahl durch die Wolken und läßt einen ferne niedergehenden Schneeschauer in morgendlichem Rot erglühen … Und immer Sturm, Nebel, Regen, Schnee; immer der schwere farblose Himmel; nur ganz selten, für kurze Augenblicke die Vision einer gespenstischen Sonne. – –

Doch an Bord gibt es interessante Dinge zu sehen.

Über hundert Chinesen fahren im Zwischendeck mit; sie liegen fast den ganzen Tag in ihren harten hölzernen Kojen, seit es ihnen an Deck zu kalt geworden ist. Einige plaudern, andere schlafen, die meisten rauchen Opium; manche spielen. An einem niedrigen Tisch, über den eine Bambusmatte gebreitet ist, spielen sie bei Kerzenlicht Fan-Tan. Schweigende Zuschauer und Wettende drängen sich um den Tisch herum; andere sehen von ihren Kojen aus zu. In dem gelben Licht der Kerzen, das auf ihren unbewegten Gesichtern liegt, wird ihr ruhig-starres Lächeln geheimnisvoll wie das Lächeln der goldenen Götzen im Dämmer der Pagoden.

Tief unten im Schiffsraum stehen sechzig viereckige Holzkästen; sie sind mit chinesischen Lettern bedeckt und sehen wie Teekisten aus. Ihre Bretter umschließen die Gebeine Toter, die heimreisen, um in der Muttererde Chinas zu ruhen … Und sie, deren Knochen jetzt unten im Dunkel vom Schlingern und Rollen des stampfenden Dampfers durcheinandergerüttelt werden, auch sie fuhren einmal auf einem solchen Schiff über diesen Ozean – auch sie verrauchten und verträumten die Zeit in ihren Kojen, spielten das gleiche wunderliche Spiel bei gelbem Kerzenlicht, in der schweren, mit Opiumdünsten gesättigten Luft …

Noch immer schweigen die Spieler. Ob sie gewinnen, ob sie verlieren – kein Wort kommt über ihre Lippen. Fremder Gesang klingt hell vom Deck herunter – die chinesische Mannschaft singt. Erst ein scharfer Ruf, wie der Angstschrei einer Katze – Yow-yee! Dann alle in schrillem Chor – Yo-wo! Sie ziehen an den Tauen.

Die Himmelssöhne haben »Joß-Papier« umhergestreut, sicherlich um die Götter des fernen Ostens, der für uns im Westen liegt, zu versöhnen. Mögen die alten Götter die beharrlichen Gebete erhören und die Wogen der tobenden See glätten.

… Mittlerweile hat sich ein Tag aus unserem Leben fortgestohlen – ein Tag, den wir nur wiederfinden können, wenn wir auf demselben Wege zurückfahren, durch die eisengraue Wüste, in der dieser verlorene Tag unser wartet – vielleicht vergeblich.

XIII

… Wir sind im Kuro-Shiwo, dem großen pazifischen Strom, der Japans Küste erwärmt. Ich hatte erwartet, die tiefen, leuchtenden Farben des wundervollen Azurstroms im tropischen Atlantic auch hier zu finden: – die See ist tintenschwarz. Aber das Wasser ist um einundzwanzig Grad wärmer als die grauen Fluten des Ozeans, dessen unwirtlicher Öde wir nun endlich entronnen sind; und die Wogen haben sich fast ganz geglättet – ruhig zieht unser Schiff seine Bahn. Zarte blaue Schatten schwimmen am Rande der schwarzen Meeresscheibe: – die Berge Japans.

Den ganzen Tag über bleibt das Bild fast unverändert: der schwarze Schild der See, und am Horizont die lange Gipfelkette, vage Schatten, die sich im Näherkommen zu tiefen Farben verdichten. Der Himmel, ist klar; ein kalter scharfer Wind weht vom Lande her. Langsam gleiten die Berge näher: schon können wir mit dem Glas die Laubkronen mächtiger Bäume in der Glut der untergehenden Sonne sehen.

… Als es dunkel geworden ist, blitzt ein weißer Stern vor uns auf und verschwindet wieder, erstrahlt und erlischt in unaufhörlichem Wechsel: das Blinkfeuer eines Leuchtturms. Der Leuchtdienst an dieser Küste gilt für den besten der Welt.

XIV

… Bei Morgengrauen an Deck. Es ist kalt und klar, der Wind hat sich noch nicht gelegt. Steuerbord stehen Berge schwarz in den lichten Schimmer der Morgenröte. Jetzt taucht auch backbord ein langer Höhenzug auf, eine sanft geschwungene Kammlinie mit wenigen Gipfelzacken. Und dann, mit einem seligen Schauer des Entzückens, sehe ich ihn, – den lang Ersehnten, den meine Augen bange gesucht haben … Doch so unwirklich hoch, so traumhaft weiß schwebt er oben im Morgenblau, daß ich zuerst ins Leere zu schauen vermeinte: ein schimmernder Kegel, über alle Träume schön – Fusiyama. Seinen Fuß, der mit den Farben der Ferne verschmilzt, kann ich nicht sehen, nur den majestätischen Gipfel, der im Himmel hängt wie ein Phantom.

Da glüht die Sonne auf, und die Erscheinung wird Wirklichkeit. Der fleckenlose Scheitel erschimmert rosig wie die Spitze einer wundersamen Knospe, bald strahlt der ganze Berg weiß und golden; scharfe dunkle Linien werden sichtbar: die Wege der Sturzbäche. Nun ist er ganz in Sonne gehüllt – lange bevor die zackigen blauen Ketten unter ihm aus dem Dunkel der Nacht emportauchen. Aber auch im vollen Licht des Tages bleibt seine Schönheit geisterhaft rein, unirdisch zart – und noch immer würde man glauben, ein Gebilde aus weißem Dunst und Wolkenvließ zu sehen, wären nicht die Konturen klar ins Blau gezeichnet. Und von seiner unsagbaren Anmut gebannt, können wir den Blick nicht von ihm wenden – schon ziehen die anderen Berge weiter, aber der himmlische Kegel verharrt unbewegt.

Viereckige Segel mit sonderbaren Mustern – schwarzen und roten Zeichen – gleiten draußen vorbei. Bis zum Horizont ist das Meer weiß übertupft: unzählige Segel, die alle dieselbe eigentümliche Form haben, leuchten auf.

Im zunehmenden Glanz des Tages öffnet sich mit einemmal das Land zu unserer Linken: hinter einer weiten Bucht erscheint eine schöne kleine Stadt – bräunliche Häuser unter graublauen Ziegeldächern, helles Laub vor einem dunkelgrünen Wall niedriger Hügel – Yokohama. Hoch oben im wolkenlosen Blau schimmert der Schneekegel des himmlischen Fusi … Durch einen Schwarm ankernder Hochseeschiffe fahren wir ein; andere mit japanischen Namen, die alle auf »Maru« enden, kommen vorbei – so nahe, daß wir die schlitzäugigen Gesichter der Offiziere auf Deck erkennen.

Unausdenkbar schön ist der erste Anblick des Hafens, in dem wir, eine Meile vor der Küste, Anker werfen: das weiche Licht, die durchsichtig-helle Weite, die zarten blauen Töne, in denen alles badet, – sie schaffen ein Bild von ungekanntem, unbeschreiblichem Reiz. Keine Schärfen, trotz aller Klarheit – nichts wirkt erdrückend, über allem der Hauch einer fremden Anmut: es ist die sanft leuchtende Farbigkeit eines beglückenden Traums. Und das Wunder dieser Stunde wird gekrönt durch den göttlichen Berg, der über der Stadt und über den blauen Ketten der Vulkane hinter ihr silbern im Licht schwebt.

Plötzlich wird der Ausblick unterbrochen: eine wirbelnde Wolke von Möwen, ein lebendiger Vorhang flatternder Flügel ist zwischen uns und der Landschaft – man kann die Vögel mit der ausgestreckten Hand berühren. Hartnäckig bleiben sie uns zur Seite – das unablässige Schwirren und Sausen der schlagenden Flügel macht einen ganz wirr. Sie sind gekommen, um sich mit lautem Kreischen ihren Tribut einzufordern. Ich werfe kleine Stückchen Brot über Bord: eine nach der anderen nimmt ihre Krume im Flug vom Wasser auf, ohne eine Feder einzutauchen. Die Möwen versehen hier das wichtige Amt der Hafenreinigung und stehen deshalb unter dem Schutz des Gesetzes; sie haben gar keine Scheu vor Menschen und machen jedem einlaufenden Schiff ihren Besuch.

Unterdessen hat sich eine Menge wunderlicher Fahrzeuge um unser Schiff geschart – japanische Sampans, lange flache Kähne mit hohem Bug, von zwei großen Rudern, die durch Dollen geführt sind, vorwärtsgetrieben. Man könnte die Bootsleute, die bei ihrer Arbeit stehen, auf den ersten Blick für junge Frauen mit kurzgeschorenem Haar halten; sie sind bartlos und tragen dunkelblaue, bis an die Füße reichende Wintergewänder mit sehr weiten Ärmeln. Aber es sind Männer – sehr kräftige Männer, so zierlich sie auch dem Fremden erscheinen. In manchen Sampans sind ganze Familien, und es dauert nicht lange, bis man die Unterschiede in der Kleidung der Geschlechter kennen gelernt hat. In den Booten hängen kleine Holzkohlenöfchen, auf denen die Japaner jetzt ihr Frühstück kochen, und bald sehen wir sie geschickt mit ihren Eßstäbchen hantieren. Wenn sie gegessen haben, werden sie an Bord unseres Dampfers klettern und alle die zierlichen Kuriositäten, denen die Reisenden so schwer widerstehen können, auf dem Kajütdeck ausbreiten.

Ein Sampan bringt mich mit meinem Gepäck an die Hatoba – die Landungsstelle. Die beiden Schiffer, Vater und Sohn, legen in jeden Ruderschlag die ganze Kraft ihrer geschmeidigen Körper, und wie ein Pfeil schießt das leichte Fahrzeug durch das Wasser; in einem Augenblick haben wir den Hafen durchquert … Ich stehe auf japanischer Erde.

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