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Drei Träume

Aus dem Notizbuch eines Impressionisten

I

»… Das Land der Unwandelbarkeit, – das Land, aus dem keiner zurückkehren kann, – das Land der Toten, – das Reich des Gottes IR … das Land derer, die nach Staub hungern, die Schmutz fressen …«

»… Hoch häuft sich der Staub über den Türpfosten und den Toren, über den Schwellen und den Säulengebälken …«

Den Kopf schwer von den Bildern des alten assyrischen Textes, legte ich mich schlafen, – von Istar zu träumen … Aber der Traum wandelte sich:

Ich war ein Insekt – irgendein ängstliches vielfüßiges, gegliedertes Wesen mit Fühlern – vor dem Licht zurückschreckend, – in einer Mauerritze lebend.

Aber ich hatte nicht die dumpfen Sinne eines Insekts, ich dachte wie ein Mensch denkt; – ich träumte wie ein Mensch in den trägen Stunden der Krankheit oder der Muße; – ich erinnerte mich an Ereignisse des menschlichen Lebens, wie der Arhat sich an Präexistenzen erinnert; – ich kannte das unausmeßbare Leid der Metempsychose.

Die Gedanken, die Erinnerungen eines Menschen waren mein; doch ich fühlte, daß sonderbare Triebe in mir wirkten, – unwiderstehliche, vernunftlose, unverständliche Triebe, die mein Leben bestimmten; ich kannte einen Sinn der Furcht, – unerklärlicher, aber immerwährender Furcht; Furcht vor Schatten und Gestalten, – Furcht vor Licht und ungekannter Dunkelheit, – Furcht vor Geräuschen, – Furcht vor Schwingungen. Und immer beherrschte mich ein übermächtiger Trieb zu kriechen, mich zu winden, zu laufen, nicht so, als flüchtete ich vor etwas, das mir Angst machte, sondern wie auf der Suche nach etwas Unbestimmtem – nach einem Ding, das ich wünschte, ohne seine Natur zu kennen, das irgendwo im Dunkel sein mußte, das nur nach langen schweigsamen Wanderungen unter unsagbaren Gefahren erreichbar schien … Und ich dachte bei mir mit den Gedanken eines Menschen: » Das sind Instinkte, – das sind die trüben Empfindungen, die unbewußten Willensäußerungen, die durch die Erfahrungen vieler tausend Millionen von Jahren entwickelt sind, – die ererbten Ängste und Begierden unzähliger Larvengenerationen! …«

Ich zwängte mich bei Nacht durch die Türangeln und die Scharniere von Truhendeckeln; – ich schlüpfte zwischen den Seiten von Büchern hindurch; – ich wand mich durch widerliche und farblose Staubmassen, die sich unter Teppichen zu Klumpen ballten; – ich brachte in Kaminen unversehens Lawinen über mir zum Absturz; – ich glitt in die Verkleidung von Fensterrahmen und über das Bindewerk von Türen, und die Auskehlungen von Bilderrahmen entlang, und über all die Flächen, die nie gesäubert, nie gereinigt werden … Staub, Staub, Staub! – Grau, übelriechend, ekelhaft, – voll Keime, unsichtbar dem menschlichen Auge, aber sichtbar dem meinen, – wimmelnd von Leben, die nur das Mikroskop erkennt! … Staub, Staub, – dick, klebrig, erstickend! Und wie ich mit den Gedanken eines Menschen dachte, mit dem Gedächtnis eines Menschen mich erinnerte, – vernahm ich von ungefähr das Wort des assyrischen Fluches: – » Der Mörtel der Fundamente soll deine Speise sein! – aus den Lachen der Kloaken sollst du dich nähren, und kleiden mit dem Schatten der Mauer!

Zwischen Bewurf und Latte, – zwischen der Täfelung und der feuchten Wand, – zwischen Mörtel und nacktem Stein bewegte ich mich in Dunkelheit, – einer Dunkelheit, vollkommen für das Auge des Menschen, nicht aber für das meine. Denn alle Dinge waren mir durch ein schwaches Phosphoreszieren sichtbar; sogar die Poren des Ziegels und die Fasern des Balkens, – sogar die Blüte der mikroskopischen Vegetation und die wundersamen Schimmelgewächse: all das phantastische Leben des Verfalls, all die geheimnisvollen und trägen Zersetzungsprozesse. Und in den Labyrinthen von Bewurf und Latte, – in dem zerfallenden Schweigen zwischen den Decken, – in den unerwarteten Höhlen hinter Täfelungen, – in den von den Kiefern holzbohrender Termiten ausgenagten Gängen, – in den Finsternissen unter den Dielen, – in den Lücken zwischen Angeln und Pfosten, – da verlor ich meinen Weg.

Staub! – Staub! – giftig, stinkend, beißend! – Sümpfe der Fäulnis, Wüsten phosphoreszierender Verwesung, – und Millionen von Pilzgewächsen des Zerfalls! Staub! Staub! Staub! – schal, tödlich, schlammig, pesthauchend, gärend. Und immer beherrschte mich der fremde Trieb, zog mich vorwärts wie an einem stetig wirkenden Faden, – mit einem aus Begehren und Ekel gemischten Zwang, schneller und schneller dem Fremden entgegen, das ich suchte. Dann sagte mir mein menschliches Bewußtsein: » Das ist blinder Traumtrieb und Instinkt! … Gewalt des Insektenwillens! …« In Finsternis fiel ich.

… Ich fiel und fiel unaufhörlich, – überschlug mich und prallte manchmal auf, – aber sanft, leicht – wie ein Kügelchen mit trocken-elastischem Rascheln. Stunden, Tage glaubte ich zu fallen. Dann ein Schlag, ein plötzliches Halt; Staubmassen fingen mich auf, uralt und zäh, – Moder längst verwester Leichen! – und ich erstickte darin, in dem phosphornen Lichte nach Luft ringend, während eine Stimme von weitem mir befahl: »Iß!« … M. R.

II

… Ich war gestorben; ich sah meinen Leichnam unter den Händen der Leichenwäscher …

Er war grau von Blutleere, hager, und erschien mir merkwürdig lang … Der Tod mußte plötzlich gekommen sein; die Leiche war noch nicht starr; – die schlaffen Glieder gaben widerstandlos dem Druck der Hände nach, die sie wuschen.

… Sie legten mich auf ein riesiges von Pfeilern getragenes Bett, – das schwarz war wie ein Katafalk; – sie zogen ein großes Laken bis zu meinem Kinn herauf; – sie stellten brennende Kerzen um das Totenlager. Dann gingen sie; – und die Wächter kamen.

Mein Doppelsein erschien mir gar nicht sonderbar: es erschien mir so natürlich, wie mir Auf- und Untergang der Sonne oder der Wechsel des Mondes zur Zeit meines leiblichen Lebens natürlich erschienen waren. Ich wunderte mich nur über meine Entstellung. Hätte ich noch eine Stimme gehabt, ich hätte gesprochen, – hätte laut die Wächter gerufen, – hätte sie gefragt, wie die riesige Wunde in mein Gesicht gekommen sei … Und dann wunderte ich mich, daß mir die Erinnerung daran fehlte, wie ich zu Tode gekommen war. Ich beschloß aufmerksam zu horchen, was die Wächter sagen würden; – gewiß mußten sie von mir sprechen! …

Aber es schien nicht von mir die Rede zu sein. Sie unterhielten sich müde über Dinge, von denen ich nichts verstand; – alle ihre Worte waren mir rätselhaft. Ich sah zu ihnen hinüber; und da erschienen mir auch ihre Gesichter unheimlich. Denn zuerst hatte ich gedacht, ich kennte sie alle; – nun wurde ich gewahr, daß sie meinem Erinnern gänzlich fremd waren. Es waren sieben: alles Frauen, – schwarz gekleidet, – mit verhaltener Stimme redend. Schließlich hörte auch ihr Flüstern auf. Ein Schweigen, bedrückend wie das Schweigen eines Grabgewölbes, lag über dem Toten und den Lebendigen, – die regungslosen Flammenzungen der Wachskerzen stachen in die schwere Stille …

Dann schien etwas Unsichtbares, wie Dampf unsichtbar der Luft sich vermengt, das Schweigen zu durchdringen und zu verdicken. Ich kannte seine Gegenwart von früher, aus bösen Träumen – und sagte zu mir: » Das ist Furcht

Die Wachenden sahen einander mit dem starren Blick des Schreckens an – keine wagte zu sprechen. Eine nach der anderen erhob sich, als die Last des Schweigens immer unerträglicher ward; – eine nach der anderen ließ ihre Wache im Stich und stahl sich auf den Zehenspitzen fort. Ich blieb allein mit dem Pomp und der unbestimmten Furcht vor meinem toten Selbst. Und die Furcht wuchs böse gegen mich heran …

Ich wollte den anderen folgen, aber ich konnte es nicht. Eine unheimliche Gewalt lähmte meinen Willen, – zog mich unwiderstehlich näher und näher zu dem bleichen Leichnam meines Selbst … Und als ich in mein totes Gesicht sah, schien es sich langsam zu strecken, in eine gespenstische Länge zu zerren wie ein Bild in einem Hohlspiegel … Mit Schaudern bemerkte ich, daß die dünnen Augenlider nicht ganz geschlossen waren, – ich sah ihre Ränder zittern; – und zwischen ihnen lauerten Blicke, tückische Blitze. Mit der Neugier eines namenlosen Argwohns, – in der Bezauberung eines schrecklichen Zweifels, – ging ich näher heran, sah schärfer hin und beugte mich immer tiefer über die unheimlichen Augenlider. Da öffneten sie sich weit, entsetzlich; und der Leichnam sprang auf; und ich selbst – mein totes Selbst – biß nach mir, packte mich, – heulte besessen vor Gier, die Zähne ins Fleisch zu schlagen, zu reißen und zu verschlingen! Und ich, rasend vor Furcht, toll vor Haß, wahnsinnig vor Ekel, – auch ich suchte zu zerstören, – die Augäpfel von den Nervensträngen zu reißen, – die Adern zu zerfetzen und die Wirbelsäule zu zertrümmern; aber ich kämpfte vergebens gegen die Raubtierzähne, gegen die wütenden Finger dieses gespenstischen Wesens; – seine Berührung lähmte mich, seine Verschlagenheit triumphierte, seine Stärke nahm im Kampfe zu. Da – ich weiß nicht wie – fühlte ich plötzlich in meinem verzweifelten Griff etwas Schweres, Scharfes, Mörderisches; und ich schlug zu, schlug blindlings darauf los, – ich zerschmetterte den Schädel und das Gesicht, die Knochen und das Hirn … MEINER SELBST!

W. H. H.

III

… Ich träumte von einer prunkvollen üppigen Wohnung in einer fremden Stadt, – von einem großen Tor aus Ebenholz, das einen hebräischen Namen in Buchstaben aus gesponnenem Golde trug, – von dem klagenden Silberton eines Glöckchens, – von finster geräumigen und düster prächtigen Gemächern, – von teppichbelegten Dielen und von purpurverhängten Durchgängen von Raum zu Raum, – und von einem Mann, der dort das Kommen eines Arztes erwartete, des Gelehrtesten unter den Juden: eines Großen der Wissenschaft, der aber zudem die verlorenen Geheimnisse von Abu'l-Kasem und Ibn Zohr, von Achmed Dhiaëddin und Ibn Roschd und Ibn Sina besaß, der Leib und Seele zu heilen wußte. Zwei Töne waren in der Stille, – das Ticken einer Uhr und der Schlag eines Herzens. Dann kam der Arzt, er trat aus dem Schatten eines Purpurvorhangs und stand grau und ernst und hoch vor dem Mann und grüßte ihn: » Shalom!«. Und der Mann versuchte zu sprechen; aber er konnte es nicht, – weil etwas in seinem Herzen nicht litt, daß er redete.

Und in der feierlichen Stille des hohen düstern Raumes war das Schlagen des Herzens zu hören wie der Klang eines gedämpften Widerhalles von weither, – wie ein Echo von pulsendem Klopfen, erstickt, schnell, unregelmäßig … Der Arzt hörte es und stand lauschend, staunend; – lange stand er so da. Dann trat er zum Kranken, deckte seine Brust auf, legte seinen Finger darauf und murmelte:

– » Kann auch dieses Ihr Werk sein? – ist auch er Ihr Opfer? Wie konnte ich glauben, Ihre Macht sei im Schwinden? … Welch schreckliche Töne! diese Zuckungen des Krampfes! … So quält sich der Fisch, den man aufs Land geworfen hat …«

Und er tastete, und er klopfte, und er flüsterte: –

– » Älter als die Welt ist Ihr Name, – alt wie die Nacht; selbst die Rabunim haben Ihr Geheimnis vergessen … Aber ich vergaß nicht! … Derselbe rasende Stoß, – dieselbe Kontraktion des Apex, die ich immer feststellte: wie die Präcordien zittern und zucken! Ja! Ihre Schlinge sitzt fest! … Da: dieselben Hemmungstöne – dasselbe verzweifelte Arbeiten der Kammern: Verengungen der Blutbahn, der Luftwege, – in der Herzklappe, – im Dreispitz! … Langsames Ersticken, – zunehmende Tension: die Zeugnisse, die Zeugen! Er kann es nicht wissen, aber ich weiß es, – die Diagnose sagt es, – wie sie würgt, die feine Schlinge, die aus lebendigem Gold gemacht ist, das niemals zerbricht, stark wie der Tod, – und stärker noch als er vor dieser meiner Wissenschaft! … Der Bruch der Lunulae muß kommen – die Zerstörung des Herzmechanismus! Vergebliche Zuckungen! – sinnlose Krämpfe! … Dünner als ein Sonnenstrahl ist ihre Schlinge, – leichter denn Spinnenwebe; aber gibt es einen Stahl, der sie zerschneiden, eine Kraft, die sie zerreißen kann? … Die Wissenschaft vermag hier nichts, – weder die Geheimnisse der Araber, noch die von den Juden Spaniens hinterlassene Weisheit: nur unser Glaube kann helfen! …« Und er rief mit lauter Stimme: – » Sprich, wenn du kannst, die Formel aus, oder versuche wenigstens im Geiste die Worte zu wiederholen, die ich Dir vorsprechen werde!« …

Doch in der gleichen Sekunde ward ein dumpfer Ton hörbar, ein schwappendes Geräusch, wie wenn ein Weinschlauch platzt; und ohne einen Seufzer sank der Mann schwer zurück, – und seine Seele verließ ihn …

Dann rief der Arzt seine Diener herbei; und sie hoben den Toten auf und legten ihn nackt auf einen Marmortisch.

Und wortlos setzten sie die Messer an und öffneten ihm die Brust und nahmen das Herz heraus.

Und noch zuckte es schwach in ihren Händen, und das dunkle Blut tropfte warm aus seinen geborstenen Höhlen und gerann auf dem Stein. Und siehe! rings um das Herz, verflochten in die roten Stümpfe seiner Arterien und seiner Venen, war etwas Leuchtendes, Feines, Glitzerndes geschlungen, dünn wie eine Seidenfaser, – ein lichter Faden aus gesponnenem Golde, – ein langes blondes Frauenhaar.


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