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Saint Malo: Ein Pfahldorf in Louisiana

Seit nahezu fünfzig Jahren existiert in den südöstlichen Sumpfterritorien Louisianas ein ganz eigenartiges malayisches Fischerdorf; seine Bewohner sind Tagalen von den Philippinen. Auf Karten ist ihre Pfahlsiedlung nicht genau verzeichnet, und im allgemeinen wußte man bis vor wenigen Tagen in der Welt überhaupt nichts von ihrem amphibischen Leben. Nicht einmal der Postdienst der United States hat dorthin gefunden, und in der großen Stadt New Orleans, in einer Entfernung von nicht ganz hundert Meilen, wußte man mehr vom Karbon als von den Vorgängen in diesem Maniladorf. Gelegentlich drangen vage Gerüchte von seinem mysteriösen Dasein in die Hauptstadt, aber da sie ganz unwahrscheinlich klangen, dachte niemand daran, ihnen auf den Grund zu gehen. Ein paar zungenfertige Italiener brachten mit ihrem Lugger eine kleine Ladung Austern in die Stadt und eine große Geschichte von einer gottverlassenen »Chinesen«-Kolonie, die in den Riedsümpfen südlich von Lake Borgne versteckt liegen sollte. Viele Jahre hatten die Einwohner dieser Orientalenniederlassung in Frieden und Harmonie gelebt, da sie nicht eine einzige Frau bei sich hatten, bis sie eines Tages eine schrägäugige Schönheit von jenseits des Gelben Meeres importierten. Darüber erhoben sich die ersten Zwistigkeiten, es kam zu Schlägereien und zu blutigen Exzessen. Endlich stellten die Ältesten Ruhe und Frieden wieder her, indem sie das Weib in Stücke hauen und den Alligatoren des Bayou vorwerfen ließen.

Möglich ist die Geschichte; wahrscheinlich ist sie nicht. Teils um ihr auf den Grund zu gehen, hauptsächlich aber, um überhaupt einmal in diesen dunklen Winkel hineinzuleuchten, charterte der New Orleanser Times-Democrat einen italienischen Lugger und rüstete ihn für eine Reise zu der Fischerstation von Saint Malo aus. Und diese Reise war merkwürdig genug; nicht einmal die italienischen Matrosen wußten, wohin sie ging; keiner von ihnen hatte jemals das Maniladorf erblickt. –

Wir brechen von Spanish Fort auf; und mit nordöstlichem Kurs geht unsere Fahrt über den Lake Pontchartrain. Die Küste versinkt, nur die fetten Binsen und Sumpfgräser der Niederungen wellen sich unter der Brise. Ein wenig weiter, und das Wasser ist mit einer dicken Schicht saftigen Grüns bedeckt – den Myriaden von schwimmenden Keimen der Sumpfvegetation. Die Ufer verdämmern in zarten Konturen; das Gelbgrün des Rieds geht in blasses Blau über. Dann nur Himmel und Wasser, regloser Azur und atmendes Blau, bis, von dem breiten Schilfgürtel weit in den See vorgeschoben, der Leuchtturm von Point-aux-Herbes auftaucht. Über den Öden von Sumpfgras und Binsen steigt sein schlanker Bau auf zierlichem Maschenwerk hölzerner Pfeiler empor. Sieben Meilen trennen den Leuchtturmwärter von seinen nächsten Nachbarn, aber es ist ein gutes Klavier da, auf dem seine Töchter spielen können, behaglich eingerichtete Zimmer und eine schöne Bibliothek. Die Hauskatze hat im Kampf mit einer Mokassinschlange ein Auge verloren, und man muß sich vor Schlangen in acht nehmen, wenn man von der Galerie in das Sumpfland heruntersteigt … Weiter nach Nordosten. Die Sonne sinkt hinter die Schilfbänke; gegen das glühende Rot im Westen zeichnet sich dunkel ein Kreuz ab. Da liegt ein Kirchhof in der Einsamkeit: die vergessenen Gräber der Leuchtturmwärter. – Mit vollen Segeln fliegt unser Boot durch die Rigolets, die gewundene Durchfahrt zum Lake Borgne. Wir fahren unter den wehrlosen Mauern von Fort Pike vorüber, einer Festung ohne Geschichte, sehr malerisch, aber fast wertlos gegenüber moderner Artillerie. Die Besatzung besteht aus einem Sergeanten und seinem Hund. Vielleicht ist dieser Mann durch die lange Einsamkeit so still geworden, durch das unendliche Schweigen der Weite, das immer auf ihm lastet. – Dann blinken Lichter vor uns auf; wir nähern uns dem Zollhaus der United States und dem Riesenskelett der Rigoletsbrücke. Das Zollhaus steht auf Pfählen über dem Morast. (Der Aufseher hat eine hübsche Tochter, die es in ihrem Skiff mit dem erfahrensten Ruderer aufnimmt.) Wir horchen in die mondhelle Nacht hinaus. Vom Süden her kommt beständig ein dunkles Rollen wie das Donnern von tausend Wellen. Aber der ungeheuere dunkle See ist kaum bewegt; der Schein eines fernen Präriefeuers schimmert auf seinem schwärzlichen Schild. Es sind die Riesenchöre unzähliger Frösche, die auf den Tümpeln und Lagunen ihr eintöniges Lied in die Finsternis singen.

Östlich von den Rigolets, wie ein großes Kleeblatt zwischen seine fransigen Grasufer eingebettet, breitet sich der Lake Borgne – ein flacher tückischer See, aus dem die Fischerboote in wilder Eile herauszukommen suchen, wenn Sturm aufzieht. Kein Lugger kann sich im Anprall der kurzen stoßenden Wellen halten, wenn die Golfstürme rasen. Um zur Manilasiedlung zu gelangen, muß man südwärts fahren, bis wieder Binsensäume in Sicht kommen, diesmal hinter Schlammbänken von enormer Breite. Das Lot zeigt Tiefen von sechs Zoll bis dreieinhalb Fuß. Eine Zeitlang tappen wir uns unsicher an den Bänken entlang. Plötzlich öffnet sich die Mündung eines Bayou – »Saint Malo Paß«. Mit Stangen wird dem Fahrzeug über die Schlammbarre geholfen, und weiter geht es in vierzig Fuß tiefem grünem Wasser. Unter dem bleifarbenen Licht eines grauen Tages lag Saint Malo vor uns, fahl und gespenstisch wie die Landschaft in Edgar Allan Poe's Fragment Silence.

Über den immer unruhigen Halmen und Rispen des Röhrichts stehen auf schwankem Pfahlwerk die phantastischen Behausungen der malayischen Fischer, wie hochbeinige Kraniche oder Rohrdommeln nach schuppiger Beute Ausschau haltend. Hart vor das schlammige Maul des Bayou legt sich ein schwärzliches Pier, zerfressen, verfault, unwahrscheinlich wie die Hölzer des geisterhaften Schiffes in »The Rime of the Ancient Mariner«. Wunderliches Volk macht sich dort zu schaffen; wie Spinnweben spannen sich Fischernetze über das Holzgerüst. Grün sind die Bänke und grün ist das Wasser, grün vom Schwamm sind auch alle Pfosten und Planken und Schindeln an den Pfahlbauten. Alle sind im originalen Manilastil gebaut, mit Galerien und weitüberhängenden Dächern; es wird jedoch nur Holz verwendet, weil sich herausgestellt hat, daß Palmettoblätter und Rohrgeflecht den jähen Wetterstürzen dieses Klimas nicht standhalten. Aber dieses Holz mußte von weither zum Bayou geschafft werden, da in dem salzhaltigen Wasser keine starkstämmigen Bäume gedeihen. Der höchste Punkt des Landes bis zum drei oder vier Meilen weiten »Teufelsellbogen«, und noch darüber hinaus, liegt nur sechs Zoll über der Niederwasserlinie, so daß die Leute, die die Häuser bauten, beim Einrammen der Pfähle auf Leitern und Holzgerüsten stehen mußten, um nicht vom Sumpf verschluckt zu werden.

Unter den Häusern wachsen Grasbüschel zwischen Wasserpfützen und Flecken von grauem Schlamm, der die Spuren von Schweinehufen zeigt. Manchmal kreuzen Alligatorenspuren diese Hufabdrücke; dann fehlt gewöhnlich ein Schwein. Auch Hühner gibt es – traurige Kreaturen; manchen fehlt ein Bein, anderen wieder ein Fuß: die Krabben haben sie ihnen abgebissen. Alle diese Haustiere nähren sich von Fischen.

Hier ist der Moskito zu Hause, und alle Fenster im Sumpfland ringsum müssen mit Drahtnetzen geschützt werden. Bei Sonnenuntergang steigen die Insekten wie ein dichter Nebel über der Niederung auf; in der Dunkelheit verrät sich ihre Gegenwart durch eine Musik, die dem Summen unzähliger Kessel gleicht. Aber mehr als diese fürchten die Fischer die großen grünköpfigen Tappanoes. Bei warmem Wetter attackieren Sandfliegen die Kolonisten; Flöhe sind eine alltägliche Plage; riesige Spinnen wetteifern mit den Netzknüpfern Saint Malos und hängen ihr Gewebe an den Balken neben Schleppnetzen und allerlei Fischereigerät auf. Holzwürmer höhlen geschäftig das Pfahlwerk der Häuser aus, und Totenuhren rumoren in Pfosten und Balken. Aller Art Getier bevölkert die Sümpfe ringsum. Der prie-dieu – »Bittegott« – stößt seinen Sopranton aus; Wasserhühner und Regenpfeifer rufen im Schilf. Zahllose Schlangen haben im Ried ihre Schlupfwinkel; ihr einziger Feind sind die Wildkatzen, die ihnen erbittert und unablässig nachstellen. Manchmal verirrt sich ein Bär, manchmal ein Damwild in die Nähe des Bayou. Ottern und Bisamratten, Nerze, Waschbären und Kaninchen gibt es in Menge. Bussarde schwimmen im Blau, und ab und zu segelt ein Fischadler vorüber.

So ist das Land und so sind seine Menschen: eigenartig, wild, malerisch. Die meisten von ihnen sind zimmetfarben, einige glänzend gelb, wie Bronze, der der Former einen kleinen Zusatz von Gold gegeben hat. Ihre Gesichter sind unregelmäßig, ohne geradezu abstoßend zu sein; manche haben weit vorstehende Backenknochen, bei einigen sind die Augen leicht schräg gestellt. Ihr Haar ist gemeinhin tiefschwarz und schlicht, bei einigen gekräuselt und ins Bräunliche spielend. In Manila gibt es mehrere Spielarten der Malayenrasse, und diese Louisianasiedler repräsentieren mehr als einen Typus. Sie sind nicht groß, in der Mehrzahl untersetzt, aber gut gebaut und geschmeidig wie Aale. Ihre Hände und Füße sind klein, ihre Bewegungen rasch und leicht, aber gewissermaßen seemännisch, wie eben Leute sie haben, die bei rauhem Wetter auf schlingernden Decks zu gehen gewohnt sind. Sie sprechen Spanisch, untereinander auch einen Malayendialekt. Ein einziger Weißer lebt in der Siedlung – der Schiffszimmermann, den alle Malayen »Maestro« anreden. Er hat ihren orientalischen Dialekt erlernt und hat einigen von ihnen nach dem katholischen Ritus das Sakrament der Taufe erteilt; denn viele waren noch nicht Christen, als sie nach Louisiana kamen. Auch ein Schwarzer wohnt in diesem Seedorf – ein portugiesischer Neger, vielleicht ein brasilianischer Maron. Der Maestro erzählte uns, daß mit Manila noch Verbindung gehalten und häufig Geld dorthin geschickt wird, um Freunden zur Auswanderung zu verhelfen. Solche Emigranten lassen sich gewöhnlich von einem spanischen Fahrzeug, das für einen amerikanischen Hafen bestimmt ist, anheuern und desertieren bei der ersten Gelegenheit. Die Kolonie soll von solchen Deserteuren gegründet worden sein – vielleicht auch von desperaten Flüchtlingen, die der spanischen Justiz entlaufen waren.

Die Justizgebarung in der Kolonie selbst ist merkwürdig primitiv; es gibt weder Richter noch Sheriff, weder Gefängnis noch Polizei. Obgleich das Gebiet zum Sprengel von St. Bernard gehört, hat noch kein Offizial aus Louisiana sich dort sehen lassen; und noch nie hat ein Steuereinnehmer den Versuch unternommen, sich dort unbeliebt zu machen. In der Arbeitssaison leben an hundert hitzköpfige Männer in dieser feuchten Einöde nebeneinander, und dann muß es unter ihnen irgendein Gesetz geben. Wenn ein wirklich ernsthafter Streit sich erhebt, so wird die Sache dem ältesten Malayen der Kolonie, dem Padre Carpio, zur Entscheidung unterbreitet, und seinem Spruch fügen sich alle ohne Murren. Wenn aber ein unentwegter Krakeeler immer wieder grundlos Händel sucht, wird er schließlich in einen Fischkasten gesperrt, bis Hunger und Kälte seine Streitlust zähmen, oder das Steigen der Flut ihn gefügig macht. Natürlich sind alle diese Leute Katholiken; aber nur selten sucht sie ein Priester auf, denn es kostet ein schönes Stück Geld, den geistlichen Vater in das Herz der Sümpfe zu bringen, damit er unter den verräucherten Sparren von Hilarios Haus, unter den Reihen getrockneter Fische Messe liest.

Nicht eine Frau lebt in der Siedlung, und seit vielen Jahren hat man am Bayou den Klang einer weiblichen Stimme nicht mehr gehört. Die Männer, die Familie haben, bringen diese in New Orleans, Proctorville oder La Chinche unter; es wäre auch grausam, einer Frau ein Wohnen in dieser Wüstenei zuzumuten, ohne die geringste Bequemlichkeit und ohne Schutz in der langen Zeit, da die Fischerboote draußen auf Fang sind. Nur zweimal ist dieser Brauch durchbrochen worden, und die Fischer halten die Erinnerung daran hoch wie eine liebgewordene Tradition. Das erstemal ging die Frau nach dem Tode ihres Mannes weg; die andere verließ das Dorf, nachdem ein scheußlicher Mordanfall gegen ihren Mann verübt worden war. In der Stille der Nacht wurde der Mann plötzlich überfallen, seine Frau und sein kleiner Junge halfen ihm tapfer bei der Verteidigung. Der Angreifer wurde überwältigt, mit Fischerleinen an Händen und Füßen gefesselt und draußen im Sumpf an einen Pfahl gebunden. Am nächsten Morgen fand man ihn tot: die Moskitos und die Tappanoes hatten das Amt des Henkers versehen. Man regte sich nicht weiter auf; der Maestro grub tief in den weichen Schlammboden ein Grab und setzte ein rohes Holzkreuz darauf, dessen Silhouette sich noch heute über dem Saum des Riedgrases gegen den Himmel abhebt.

So erzählte uns El Maestro; Beteuerungen frommen Mitleids für die arme Seele und kräftige Flüche in vier Sprachen gingen wunderlich durcheinander. »Nur Moskitos leben noch da,« fügte er hinzu, indem er auf das zerfallende Haus zeigte, in dem der Tote gewohnt hatte.

Sieht man von dem Besitz moderner Feuerwaffen und einer betagten Uhr ab, so dürften die Leute von Saint Malo mit der Zivilisation des neunzehnten Jahrhunderts nicht viel mehr Zusammenhang haben als etwa die Bewohner der Schweizer Pfahlbauten in der Bronzezeit. Hier berechnet man die Zeit lieber nach der Zahl der auf den Markt gebrachten Alligatorhäute oder den denkwürdigsten Ereignissen glücklicher Fischzüge als nach den gewöhnlichen Zeitmaßen; und wenn der Maestro nicht die Wochentage mit einem Stückchen Kreide in Evidenz hielte, würde kein Mensch Sonntag und Montag auseinanderhalten können. Nicht ein Möbelstück gibt es in dem ganzen Dorf; in keinem Hause ist ein Stuhl, ein Tisch oder ein Bett zu finden. Auf breiten Pritschen, die gegen die Wand gespreizt sind, liegen mit »Spanierbart« gefüllte Matratzen; und dort schlafen die Fischer zwischen Mehlfässern, Segelballen und geräucherten Fischen. Die Kleider (in New Orleans oder Proctorville erstanden) bekommen in der feuchten Atmosphäre die gleichen wunderlichen Farbentöne wie die Dorfhäuser, und die grün verschossenen breitkrempigen Hüte korrespondieren in grotesker Harmonie mit den alten Dächern. Die Kunstschätze der Kolonie bestehen aus einer uralten Zirkusaffiche, die mit großer Ehrfurcht aufbewahrt wird, und zwei Photographien, die der Maestro in seiner Seemannskiste in eifersüchtiger Hut hält. Diese stellen ein kräftiges junges Weib mit Kreolenaugen und einen grimmig dreinschauenden Franzosen mit eisgrauem Bart dar – die Frau und den Vater des Schiffszimmermanns. Die Gefühle, mit denen er die Bilder zeigte, waren in ihrem Kontrast zu seinem rauhen Wesen ungemein rührend, und seine Augen, sonst hart und scharf wie die eines Adlers, verschleierten sich leicht, als er das Porträt des alten Mannes küßte und dabei murmelte: »Mon cher vieux père.«

Aber dieses Leben in der Sumpfwildnis steht in einer geheimnisvollen Verbindung mit New Orleans, wo die Wohltätigkeitsgesellschaft der Manilaleute – La Union Philippina – ihren Hauptsitz hat. Ein Fischer stirbt; er wird unter dem rauschenden Riedgras begraben, und ein Föhrenkreuz wird auf sein Grab gesetzt; aber wenn das Fleisch von seinen Knochen abgemodert ist, werden diese wieder herausgenommen, auf einem Lugger in die Metropole geschafft und dort in jenen merkwürdigen Nischengrüften beigesetzt, die an die römischen Columbaria erinnern.

Wie kommt es also, daß trotz der Verbindung mit der zivilisierten Welt die Malayensiedlung von Lake Borgne so lange unbekannt geblieben ist? Vielleicht ist die Verschwiegenheit, die diesen Leuten angeboren ist, der Grund dafür. Im ältesten Teil des alten Viertels von New Orleans gibt es ein in einem Hinterhof verstecktes Manilagasthaus, das fast ausschließlich von der Kundschaft spanisch-westindischer Matrosen lebt. Nur wenige Leute aus dem Geschäftsleben der Stadt wissen von seiner Existenz. Das Menu ist in spanischer und englischer Sprache gedruckt; die Verköstigung ist billig und gut. Jetzt wird es von Chinesen geführt, seit der Manilamann und seine schrägäugige graziöse Frau, die wie ein japanisches Vasenfigürchen aussah, weggezogen sind. Immer hatte er das Rauschen des Meeres in den Ohren, bei Nacht riefen ihn die Golfwinde, und eines Tages hielt es ihn nicht länger.

Der weitaus Intelligenteste in Saint Malo ist ein Malayenmischling namens Valentine; eine interessante Erscheinung: ein geschmeidiger zwergischer Bursche, fast so breit wie hoch, mit einer Haut, braun wie altes Kupfer, und strahlend hellen Augen. Er war in der Großstadt aufgewachsen, hatte aber früh seinen guten Posten in der Kanzlei eines Richters aufgegeben, um zu seinem dunkelhäutigen Vater in den wilden Sümpfen zurückzukehren. Der Alte lebt noch dort – Thomas de los Santos. Er war mit einer Weißen verheiratet, von der er zwei Kinder hatte, diesen Jungen und eine Tochter Winnie, die gestorben ist. Valentine ist der beste Pirogenruderer in der Siedlung, und ein Boot trägt seinen Namen. Aber noch ein Boot schaukelt vor dem Haus von Thomas de los Santos; es wird selten gebraucht, und in weißen Lettern prangt darauf der Name der toten Winnie. Menschen und Boote führen vorwiegend romanische Namen: Marcellino, Francesco, Serafino, Florenzo, Victorio, Paosto Hilario, Marcetto sind die üblichen Taufnamen. Die einzige Ausnahme ist der kreolische Name Aristide. Lugger und Schaluppen haben nicht weniger klingende Namen: Manrico de Aragon, Maravilla, Joven Imperatriz. Spanische Frömmigkeit hat einige andere mit heiligen Worten und Märtyrernamen getauft.

Von den dreizehn oder vierzehn größeren Pfahlhäusern ist wohl das malerischeste das des Carpio – des alten Carpio, der einmal im Jahre nach Mexico Monte spielen geht. Seine Behausung besteht aus drei Holzgebäuden, von denen zwei wie Flügel vorspringen; dem Mittelbau gegenüber erstreckt sich das Pier. Räucherfische, schwarz vom Alter, hängen vom Dach herab, Hühnchen piepen auf dem Fußboden und Schweine grunzen unter der Dielung. Der alte Carpio sieht aus wie seine Räucherfische, klein, plattgedrückt, schwärzlich, vertrocknet und schmutzig; aber seine Augen sind hell und flink wie die einer Eidechse.

In Hilarios großer casa kommen die Manilaleute an stürmischen Abenden zusammen, um Monte oder Spanisch-Kemo zu spielen. Wenn der cantador (der Sänger) die Nummern aussingt, begleitet er seine Ankündigungen jedesmal mit einem Sprüchlein aus dem Fischerleben oder der katholischen Lehre:

Pareja de uno;
Dos piquetes de rivero –

ein Paar von Einern (11); die zwei Pfähle, an denen der Fischkasten befestigt ist.

Número cuatro;
La casa del gato –

Nummer 4; das Haus der Katze.

Seis con su nueve;
Arriba y abajo –

die Sechs mit der Neun (69); rauf und runter.

De dos pareja;
Dos paticos en laguna –

ein Paar Zweier (22); zwei Entlein in der Lagune – die arabischen Ziffern erwecken durch ihre Gestalt bei den Fischern diese Vorstellung. Die 77 gibt ihnen ein ganz ähnliches Bild – dos gansos en laguna (zwei Gänse in der Lagune).

Tres y parejo
Edad de Christo –

Drei und nochmal Drei (33); das Alter Christi.

Dos con su cinco;
Buena noche pasado –

Fünfundzwanzig (Weihnachten); die »Gute Nacht« ist vorüber.

Nueve y parejo;
El mas viejo –

Neun und nochmal Neun (99); der Älteste. Fünfundfünfzig heißt »zwei Boote vertäut« – dos galibos amarrados. Mit angenehmer Stimme singt der cantador weiter, während er die Karten einer »Kalabasse« auf den Tisch schlägt:

Dos y nueve:
Veinte y nueve – 29.
Seis con su cuatro:
Sesenta y cuatro – 64.
Ocho y seis:
Borrachenta y seis – 86 ( betrunkene Sechsundachtzig).
Nina de quinze (ein Mädel von fünfzehn):
Uno y cinco – 15.

Sie sind höflich, diese finsterblickenden Männer; nicht ein einziger war im Zimmer, der uns nicht ein freundliches buenas noches geboten hätte. Unser Zeichner machte auf dem ungehobelten Bretterzeug, das als Spieltisch diente, eine Skizze von dieser grotesken Szene, beim gelb flackernden Licht einer mit Fischöl gespeisten Lampe.

Schnaps gibt es in der Siedlung nicht, und diese rauhen Fischer und Alligatorenjäger scheinen sich dabei nicht schlecht zu befinden. Ihr Fleisch ist hart wie Eichenholz; Krankheiten kommen selten vor, obgleich es an allem Komfort mangelt; man lebt von rohem Fisch, der mit Essig und Öl gewürzt wird. Nur ein Schornstein ist im Dorf zu finden, ein hölzerner; selten wird Feuer angemacht, und eine schwache Konstitution könnte die Kälte und die Nebel des Winters nicht lange aushalten.

Auf dem Balkon von des Maestro's Haus erlebten wir einen prachtvollen Sonnenuntergang. Das stählerne Blau des westlichen Horizonts verwandelte sich in ein grelles Gelb, dann fiel ein roter Glanz darüber, wundervoll warm und transparent. Der Bayou erschimmerte purpurn, das Grün der Tümpel, der bebenden Gräser und des verfallenden Balkenwerks färbte sich mit bronzenen Tinten, und das Antlitz der Sonne, unheimlich groß im abendlichen Nebel, glühte orangen und scharlachrot durch die hohen Binsen am Uferraum. Die Nacht kam mit ihren phantastischen Froschchören; die ganze Landschaft erbebte unter dem schauerlichen Gelächter – hier erklang der Gesang der Sümpfe tiefer und mächtiger noch als an den Ufern der Rigolets: es war, als wankte die Erde.

Als die Sonne im Osten wieder flammend emporstieg, rüsteten wir zum Aufbruch. Wolken schwammen wie riesige Fische durch das Blau, mit grünen Rücken und schillernden Bäuchen, ganz wie die Tiere im Wasser unter ihnen. Valentine rief uns vom anderen Ufer an und hielt ein zappelndes poule-d'eau in die Höhe, das er eben aus den Klauen einer Wildkatze befreit hatte. Pirogen schossen schon über den Bayou und kräuselten das Wasser, ein smaragdenes und orangegoldenes Leuchten hinter sich herziehend. Heller und heller erstrahlte das Feuer im Osten; ein stechendes Gelb verdrängte das erbleichende Rot, und düster ragte vor der lodernden Glut das Gerippe von Hilario's Pier. Ein Lebewohl-Schuß wurde abgefeuert, als wir in der Mündung des Bayou waren; ein Winken von aufgeregten Händen und Hüten; weit hinten schob ein Alligator seinen schuppigen Leib durch unsere Kiellinie, dem raunenden Schilfsaum am anderen Ufer zu.

Der letzte Fechtmeister von New Orleans

I

Wohl über keine Bevölkerungsgruppe in New Orleans – dem Marseille des Westens – ist man im allgemeinen so wenig orientiert wie über unser spanisches Element. Ich meine damit nicht die vielen Westinder und anderen Spanisch sprechenden Fremden, die in der Stadt wohnen – Cubaner, Manilaleute, Mexikaner, Venezuelaner, Leute aus Honduras usw. – auch nicht unsere eingeborenen Spanischkreolen, Nachkommen jener Kolonisten, die uns nur wenige Erinnerungen an die spanische Herrschaft hinterlassen haben: einige Proben lateinischer Architektur und ein paar klangvolle Namen, unter denen man noch manche Straßen und Distrikte kennt. Die alten spanisch-kreolischen Familien existieren zwar noch, sind aber von den Französischkreolen nicht mehr zu unterscheiden, weil sie deren Sprache, Sitten und Manieren angenommen haben. Das echte spanische Element des modernen New Orleans repräsentiert eine Gemeinschaft europäischer Einwanderer, die im Verkehr miteinander die verschiedenen Dialekte und Bräuche ihrer Heimat bewahren und eine Gesellschaft von etwa dreihundert Familien bilden. Sie sind zahlreicher als die griechischen Baumwolleinkäufer und Großhändler, die ihre eigene Kirche haben; zahlreicher als die Portugiesen, die über eine weitverzweigte Wohlfahrtsorganisation verfügen; aber nicht so zahlreich wie die Italiener und Sizilianer, die den ganzen Frucht- und Fischhandel kontrollieren und ihre eigenen Segelflottillen und Dampferlinien haben. Doch sind die Spanier in der Öffentlichkeit weniger zu sehen als die anderen Romanen; sie leben in den seltener frequentierten Teilen der Stadt, sie gehen besonderen Berufen nach und bilden eigene gewerbliche Organisationen; sie haben ihre Handelsverbände, ihre gemeinnützigen Gesellschaften, ihre Priester, Ärzte und Anwälte, und vor dem Jahr 1853 stellten sie ein ausgezeichnetes Milizkorps, die Cazadores. Diese schöne Truppe löste sich freiwillig auf, weil der Gouverneur ihnen nicht gestattet hatte, einen großen antispanischen Tumult albanischer Flüchtlinge zu unterdrücken. Der Gouverneur hatte es wohlweislich vorgezogen, diese Aufgabe der kaltblütigeren und ziemlich desinteressierten amerikanischen Miliz zu übertragen, weil er mit Recht Ausschreitungen der erbitterten spanischen Soldateska, meist Asturianer, Catalanier und Biscayer, befürchtete. Seit der Auflösung dieser militärischen Organisation hat sich die spanische Kolonie, obwohl an Zahl so stark wie zuvor, fast ganz aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen.

Fast alle diese Spanier, ob Catalanier, Biscayer, Gallegen, Asturianer oder Leute von den Balearischen Inseln, sind einander als Ordensbrüder verbunden, und das Catalanische ist der vorherrschende Dialekt. Bei ihren Zusammenkünften wird natürlich offiziell kastilianisch gesprochen; aber wenn die Diskussion stürmisch wird, geben sie unwillkürlich die geschliffene Sprache der Academia auf und greifen zur Waffe des roheren und ihnen im Wortgefecht geläufigeren Dialekts.

Die meisten sind Kaufleute auf eigene Rechnung; die nicht Selbständigen unter ihnen sind zum größten Teil neu Eingewanderte oder erwachsene Söhne, die sich eine Existenz begründen. Das übliche Gewerbe ist die Tabakmanufaktur; viele Spanier besitzen Faktoreien. Die jungen Leute heiraten, sobald sie sich ein gewisses Vermögen erspart haben – in der Regel ist es eine Kreolin aus bescheidenen Verhältnissen oder eine Europäerin, eine Irin, eine Engländerin oder eine Deutsche – und so kommt es, daß fast jeder unserer Spanier um die Dreißig herum Haupt einer großen Familie ist.

Der New Orleans-Spanier ist ebenso selbstbewußt, verschlagen, sparsam und nüchtern wie der Italiener; er ist vielleicht jähzorniger, und es ist gefährlicher, ihn zu reizen; aber trotzdem kommt es bei den Spaniern fast niemals zu Gewalttätigkeiten, während diese bei den Sizilianern, welche die Vendetta üben, gang und gäbe sind. Unter den Verbrechern wird man selten einen Spanier finden, und wenn er einmal, infolge eines ganz außergewöhnlichen Zufalls, vor Gericht kommt, dann hat er sicherlich zum Messer oder einer anderen Waffe gegriffen, aber nicht als Meuchelmörder, sondern als offener Feind. Colonel J. A. Fremaux, der viele Jahre Leiter des zweiten Polizeibezirks und auch lange Zeit Chef des Gefängnisses war, sagte mir, daß er sich aus seiner ganzen Praxis keines Verbrechens unter den spanischen Einwanderern entsinnen könne, von einigen Tätlichkeiten abgesehen, die aber samt und sonders hartnäckig provoziert waren. In einem Fall, den man zuerst für eine Ausnahme von dieser Regel halten mußte, stellte sich heraus, daß das verhaftete Individuum nicht ein Spanier, sondern ein Zigeuner war. Der Spanier ist hier wie überall zurückhaltend, gesetzt und friedliebend; wird er aber über das Maß des Erträglichen gereizt, so entwickelt er sich zu einem wahrhaft fürchterlichen Gegner. In der Regel verträgt er sich gut mit den Kreolen, begegnet jedoch den Cubanern und Mexikanern, die seinen Patriotismus nicht teilen, mit mehr oder weniger Antipathie.

Fast in jedem spanischen Haus in den älteren Stadtteilen kann man dasselbe Porträt sehen, das Bild eines kräftigen scharfäugigen Manns mit leicht gebogener Nase und breitem festem Mund, mit stark ausgeprägten Gesichtsmuskeln und jenem eigentümlich gewellten Bart, der das Zeichen einer eisernen Konstitution sein soll. Das Gesicht hat einen eigensinnigen, aber nicht harten Ausdruck, und je länger man es ansieht, desto sympathischer erscheint es. Findet man in einer der Wohnungen diese Photographie einmal nicht, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß sie im armoire oder sonst wo verwahrt wird; sie ist einer der spanischen penates geworden. Es ist erst wenige Jahre her, daß sie in Havana, vielleicht auch drüben in Madrid noch viel häufiger anzutreffen war, und die havanesischen Soldaten, die voluntarios, die Legitimisten und die spanischen Damen verkauften sie eifrig zu zwei Pesos per Stück. Viele Tausende fanden ihren Platz in den Besuchszimmern cubanischer Familien. Aber keinen Fürsten, Diplomaten oder Militär stellen diese Bilder und Stiche dar, sondern einen Privatmann aus New Orleans, ein Mitglied unserer spanischen Kolonie. Heute ist er nur noch selten in der Canal Street zu sehen, aber seine siebzig Jahre haben seiner Rüstigkeit und Aktivität nichts anhaben können. Er wird häufig »der Held« genannt, und dieser Ehrentitel ist wohlverdient: Virtus et Honor steht auf seinem goldenen Kreuz, und tatsächlich sind Mannhaftigkeit – die gute altrömische virtus – und Ehrenhaftigkeit die Eigenschaften, denen er seinen Ruhm verdankt.

II

Señor Don José Llulla oder Pepe Llulla, wie ihn seine Verehrer gemütlich nennen, ist schon vor seinem Tode zu einer legendären Figur geworden. Obwohl er seines zurückhaltenden Wesens wegen nur wenige nahe Freunde hat, dürfte es kaum einen Bürger geben, der ihm nicht wenigstens dem Namen nach kennt, und jeder Gassenjunge in New Orleans weiß zu erzählen, daß »Pepe Llulla ein großer Duellant ist, der seinen eigenen Friedhof hat«. Diese Auskunft ist zwar Wort für Wort richtig, – aber es wäre falsch, daraus auf irgendeinen Zusammenhang zwischen Pepe's Duellen und Pepe's Totenstadt zu schließen; in Wirklichkeit ruht keiner seiner Feinde auf dem Kirchhof in der Louisa Street, der ihm gehört. Kurz, der gegenwärtige und der frühere Beruf des Friedhofseigentümers stehen in keinerlei Beziehung zueinander; aber bevor ich von jenem spreche, möchte ich die Laufbahn dieses im vollsten Wortsinn außerordentlichen Charakters skizzieren, der sich Ruhm und Vermögen durch eine seltene Energie und Unerschrockenheit erworben hat.

Pepe kam in Port Mahon auf die Welt, der Hauptstadt von Minorca, einer der Balearischen Inseln, deren Bewohner im Altertum für ihre Geschicklichkeit in der Handhabung von Wurfgeschossen berühmt waren, und die im Laufe der Jahrhunderte so viele Herren hatten – Karthager, Römer, Vandalen, Mauren, Spanier, Franzosen, Engländer. Seine eigene ungewöhnliche Tüchtigkeit im Waffenhandwerk ist aber nicht das Erbe balearischer Vorfahren, denn er führt seine Abstammung auf maurische Ahnen zurück. Da Pepe kastanienbraunes Haar und graublaue Augen hat, klingt diese Behauptung zunächst unwahrscheinlich; wir müssen aber in Betracht ziehen, daß die Wüstenreiter, die als erste im Kampf für den Islam in Spanien eindrangen, größtenteils Berber waren, Verwandte jener merkwürdigen Nomadenstämme, die sich unter der Sonne der Sahara eine hellere Haut und blaue Augen erhalten haben. Ich kann nicht behaupten, daß Pepe wirklich ein Berber ist; aber er besitzt gewisse körperliche Merkmale, die sehr wohl den Kennzeichen entsprechen, welche Henri Duveayrier in seinem Werk Les Touaregs du Nord beschreibt; übrigens bietet Süd-Louisiana dem Ethnographen Überraschungen genug. Die so volkstümlich gewordene Photographie ist vor fünfzehn Jahren gemacht worden, aber Pepe hat sich seitdem nur wenig verändert. Sein Haar ist stärker ergraut, doch er geht noch immer kerzengerade, und seine Bewegungen sind agil und elastisch; er ist von mittlerer Größe, sehnig, aber nicht auffallend muskulös. Seine unverminderte Rüstigkeit verdankt er lebenslanger Abstinenz; nie ist ein Tropfen Alkohol über seine Lippen gekommen, und seine Nerven sind frisch und unverbraucht wie die eines Jünglings.

In Pepe's Vaterhaus in Port Mahon gingen die Matrosen aus und ein, und ihre Erzählungen machten auf die Phantasie des Jungen den größten Eindruck; seine Leidenschaft für die See wuchs von Jahr zu Jahr, so daß es konstanter Überwachung bedurfte, sollte er nicht eines Tages mit den Matrosen durchbrennen. Als schließlich ein amerikanischer Kapitän – es war, glaube ich, John Conklin aus Baltimore – in Port Mahon bekannt machte, daß er einen intelligenten spanischen Burschen auf sein Schiff brauche, hielten Pepe's Eltern es für das beste, ihn als Schiffsjungen heuern zu lassen. Er fuhr ein paar Jahre mit dem Kapitän, der den Jungen lieb gewann und sich sogar dazu entschloß, ihn auf eine Navigationsschule zu schicken, in der Hoffnung, daß einmal ein tüchtiger Seemann aus ihm würde. Aber der Zwang des Lernens behagte ihm nicht, er brannte durch und ging als gemeiner Matrose wieder zur See. Er kam mit Walfischfängern in die Antarktis, mit Sklavenschiffen an die Küste Westafrikas, und nachdem er sich überall in der Welt umgetan hatte, trat er in den Dienst einer Handelsgesellschaft, deren Schiffe zwischen New Orleans und Havana fuhren. Endlich beschloß er, den Seemannsberuf aufzugeben und in New Orleans seßhaft zu werden, als Angestellter eines Spaniers Namens Biosca, der ein Ballokal und Café betrieb. Da Pepe ein kräftiger und entschlossener Bursche war, übertrug man ihm die schwierige Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen; nach einigen unersprießlichen Zwischenfällen erkannten die Krakeeler sehr bald, daß sie ihren Meister gefunden hatten, und der Friede in Biosca's Etablissement wurde nie mehr gestört.

Bald begann Pepe die öffentlichen Fechtböden von New Orleans zu frequentieren. Er war schon seit jeher ein Meister im Messerkampf gewesen (welcher ganze Spanier wäre das nicht?), aber es dauerte nicht lange, bis er die besten tireurs durch seine Gewandtheit in der Führung des Floretts in Erstaunen setzte.

Damals galt das Fechten als mondäne Unterhaltung. Jeder kreolische Kavalier setzte seinen Ehrgeiz darein, als eleganter Fechter bekannt zu sein. Die meisten der kreolischen jungen Herren hatten während ihrer Erziehung in Paris diese Kunst unter großen Meistern erlernt; wieder in ihrer Heimat, legten sie Wert darauf, durch häufige Besuche in den salles d'armes sich in der Übung zu halten. Tatsächlich war das Fechten mehr als ein bloßes Vergnügen; es war fast eine Notwendigkeit. Wie in Paris, so wurden in New Orleans die hitzigen Affären der Gesellschaft durch das Duell entschieden, wenn nicht schon im Entstehen unterdrückt; und der Degen war die Waffe, mit welcher der Kavalier gewisse Meinungsverschiedenheiten aus der Welt zu schaffen hatte. Aber die Sitte des Duellierens nahm in New Orleans eine Ausdehnung an, die das nachrevolutionäre Frankreich nicht mehr kannte. Die kreolische Gesellschaft Louisianas bildete einen aristokratisch-feudalen Organismus, dessen Voraussetzung die Sklaverei war. Pflanzer und Kaufleute lebten und regierten wie Fürsten; die Gewohnheit des Befehlens und der Machtdünkel entwickelten Charaktere von beispielloser Unbeugsamkeit; die Leidenschaften, welche die Kraft dieser heißen Sonne in sich eingesogen hatten, wucherten mit einer Heftigkeit, die es im gemäßigteren Frankreich nicht gibt; und Reichtum und Müßiggang unterstützten den Gärungsprozeß. Drei oder vier Duelle am Tag waren nicht selten; oft wurde diese Ziffer überschritten; und es schien die wilde Lust des Fechtens an sich zu sein, die die jungen Leute reizte. Von einem Freunde hörte ich folgende sonderbare Anekdote aus dem alten Regime: »Eine Gesellschaft junger Kreolen ist leicht angeheitert auf dem Heimweg von einer Abendunterhaltung. Es ist eine helle warme Nacht; der Duft der Magnolien erfüllt die Luft; der Rasen ist glatt, eben und federnd wie auf einem englischen Turfplatz. Plötzlich bleibt einer aus dem Schwarm stehen, betastet prüfend mit dem Fuß den Boden, macht einen hohen Sprung und ruft: › Quel lieu pour se battre!‹ Sein Enthusiasmus wirkt ansteckend; ein Kamerad meint, man solle eine solche Gelegenheit nicht vorübergehen lassen. Man beginnt zu fechten; erst im Spiel; einer der Partner verliert die Ruhe, und mit einemmal wird es bitterer Ernst; die Sache endet mit einigen Toten.«

Die Fechtmeister waren zum größten Teil Fremde; es gab auch einige einheimische maîtres d'armes, aber nur noch wenige alte Bürger entsinnen sich ihrer Namen. Die berühmtesten waren: L'Alouette, ein Elsässer; Montiasse, auch Elsässer und Napoleonischer Veteran; Cazères, aus Bordeaux; Baudoin, aus Paris; die zwei Brüder Rosière, aus Marseille; Dauphin, der wegen seiner Gewandtheit berühmt war (er ist in einem Musketenduell gefallen, das er leichtsinnig provoziert hatte). Hinter diesen bleichen Gesichtern tauchen drei dunklere Geister auf: Black Austin, ein freier Neger, Lehrer im Stoßdegenfechten; Robert Séverin, ein schlauer Mulatte, der später in Mexiko ums Leben kam; und Basile Croquère (ich bin nicht sicher, ob ich den Namen richtig schreibe), ebenfalls ein Mulatte und der berühmteste farbige Fechtmeister Louisianas. Diejenigen unter meinen Lesern, die Vigeant's hübsches Büchlein Un Maître d'Armes sous la Restauration nicht kennen, werden mit Überraschung hören, daß der Begründer der modernen französischen Fechterschule, der größte Fechter seines Jahrhunderts überhaupt, ein Mulatte aus San Domingo war, jener berühmte Jean Louis, der in einer schrecklichen Kette von Duellen im Verlauf von nur vierzig Minuten dreizehn Meisterfechter der Italienarmee Napoleons zum Teil tötete, zum Teil kampfunfähig machte.

III

Pepe erhielt seine Ausbildung hauptsächlich unter L'Alouette; und als der Fechtmeister nach einiger Zeit sah, daß sein Schüler ihn übertraf, machte er ihn zu seinem prevôt, seinem Gehilfen. Seine Erfolge in einer ganzen Reihe von Waffengängen bewiesen, daß der junge Mann trotz eines oder zweier Rivalen mit dem Florett keinen wirklich überlegenen Gegner unter den maîtres d'armes hatte. Dann begann er sich in der Handhabung anderer Waffenarten zu üben: er wurde der gewandteste Säbelfechter im Süden, und mit dem Schläger meisterte er später manchen erfahrenen englischen Lehrer. Mit dem Florett, das lediglich eine Übungswaffe ist und ein rascheres Hin und Her ermöglicht, konnten es geschickte Gegner auf einige Punkte bringen; hatte er aber ein Rapier in der Hand, so war er fast unverwundbar. Seine Sicherheit im Gebrauch von Feuerwaffen war nicht geringer. Pepe's Freunde pflegten ihn auf ein Dollarstück schießen zu lassen, das sie zwischen den Fingern hielten, oder auf die Pfeife, an der sie rauchten. Es soll auch nicht selten vorgekommen sein, daß er seinen kleinen Sohn ein Ei auf dem Kopf balancieren ließ, und jedesmal zertrümmerte die auf dreißig Schritt abgefeuerte Colt Anm. d. Übers.: Nach Samuel Colt, dem Erfinder des Revolvers.-Kugel die Schale. Wenn er mit dem Gewehr nach in die Luft geworfenen kleinen Gegenständen schoß, nach einem Ball, einem Korken oder einer Münze, fehlte er fast nie.

L'Alouette und sein Schüler schlossen enge Freundschaft; nur einmal wurde ihre Harmonie durch einen unglückseligen Zwischenfall gestört. Als das Bowiemesser in New Orleans aufkam, bestand L'Alouette auf einem öffentlichen Wettkampf zwischen ihm und Llulla, mit Bowies, deren Schneiden aus Hickoryholz waren. Aber Pepe hatte in der Handhabung von Messern aller Arten nicht seinesgleichen; und als L'Alouette mehrere Male getroffen war und sich außerstande sah, auch nur einen Punkt zu machen, wurde er wütend und machte einen heftigen Ausfall gegen den jungen Spanier, der in der Parade so schwer zustieß, daß sein Meister mit zwei gebrochenen Rippen bewußtlos zu Boden stürzte. Aber die Freundschaft der beiden Männer wurde bald erneuert und hielt an, bis L'Alouette einige Jahre später starb. Llulla, der den Sterbenden in seinen Armen gehalten hatte, trat sein Erbe an, nicht nur als Fechtmeister, sondern auch als Schießlehrer. Den Messerkampf lehrte er nicht, aber er gab oft Proben seiner überraschenden Geschicklichkeit darin. Ein Herr, der mit den meisten Waffen recht gut umzugehen versteht, erzählte mir, daß er vor einigen Jahren Pepe als Partner für einen Scheinkampf gewonnen hatte. Fast schon mit dem ersten Stoß spürte er den Knopf von Pepe's Waffe direkt in der Halsgrube, und während er sich vergeblich abmühte, einen Stoß anzubringen, wurde er wiederholt an derselben Stelle getroffen. – Keine von Pepe's ernsthaften Affären dauerte länger als wenige Augenblicke; meistens erledigte er seinen Gegner gleich nach Beginn des Kampfes.

Obwohl damals der Beruf eines Fechtmeisters ein schönes Stück Geld abwarf, gab sich der unternehmungslustige Llulla damit nicht zufrieden. Er hielt seinen salle d'armes weiter, stellte jedoch Assistenten an und widmete dem Unterricht von seiner eigenen Zeit nur so viel, als ihm seine mehr geschäftlichen Aufgaben übrig ließen. Er hatte bereits den Grundstock zu seinem Vermögen gelegt, hatte Mutter und Bruder aus Minorca zu sich kommen lassen, hatte geheiratet und begann nun auf eigene Rechnung Geschäfte zu machen. Es gibt wenig Leute, die so vielerlei Dinge mit gleichem Erfolg angefaßt haben wie er. Er baute Schlachthäuser und spekulierte mit Vieh; er kaufte ganze Flotten von alten Kähnen auf und veräußerte sie als Baumaterial (dabei stand er den ganzen Tag schuftend bis an den Gürtel im Wasser, ohne daß seine Gesundheit dadurch Schaden litt); er erwarb Land auf der anderen Flußseite und baute Landhäuser darauf; er legte eine regelrechte spanische Arena an und ließ zum ersten Male Stierkämpfe sehen; er machte ein gutes Geschäft mit dem Kauf einer Sägemühle; und schließlich, als er schon ein Vermögen von einigen tausend Dollars beisammen hatte, erwarb er die Friedhöfe in der Louisa Street. Während des Krieges blieb er der Union treu; er erklärte, daß er den Eid, den er den United States geleistet hätte, nicht brechen könne. Nach dem Krieg kaufte er die Insel Grande Terre im Golf (selbstverständlich mit Ausnahme der staatlichen Grundstücke, auf denen Fort Livingstone und der Barataria-Leuchtturm stehen), ein wildes und windiges Eiland, das aber im Sommer ein beliebter Ausflugs- und Badeort ist; und Pepe hatte sich ja nie ganz von der See trennen können.

Während all dieser Jahre führte Pepe seine Fechtschule weiter, aber mehr zu seinem Vergnügen, als um Geld damit zu verdienen. Heute ist er der letzte der alten Fechtmeister, und wenn er sich auch de facto aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hat, erteilt er doch gelegentlich noch unentgeltlich Unterricht, wenn ihm seine persönlichen Freunde Schüler empfehlen. Fast ein halbes Jahrhundert lang war er der Vertraute und Einpauker der Duellanten von New Orleans und war in mehr als hundert Duellen Sekundant. Das duello ist heute im Süden fast ganz abgekommen; das kreolische New Orleans ist in dieser Hinsicht dem Einfluß der Amerikanisierung unterlegen. Es ist volle drei Jahre her, daß Pepe's Dienste das letztemal in Anspruch genommen worden sind.

Obgleich ihn der Ruf seiner außerordentlichen Gewandtheit im allgemeinen vor Unannehmlichkeiten und Gefahren bewahrte, denen jeder andere in seiner Stellung ausgesetzt gewesen wäre, hatte er doch einige zwanzig persönliche Affären abzuwickeln. In zehn von diesen kniffen seine Gegner im letzten Augenblick, indem sie entweder auf dem Kampfplatz revozierten oder überhaupt nicht erschienen, nachdem sie schon vorher aus der ihnen zustehenden Waffenwahl jeden möglichen Vorteil zu ziehen versucht hatten. Ein Individuum schlug vor, in einem dunklen Zimmer mit Dolchen zu kämpfen; ein zweiter wollte einen Messerkampf in einer großen Zuckertonne; wieder ein anderer wünschte ein Pistolenduell, bei dem die beiden Kontrahenten je einen Zipfel eines Taschentuches festhalten sollten; einer wollte die Pistolen auslosen – eine geladene und eine ungeladene; und ein Cubaner wollte mit machétes kämpfen, in der Meinung, diese Waffe sei in New Orleans nicht zu beschaffen; aber zu seinem Entsetzen hatte Pepe sofort zwei machétes bei der Hand und schlug vor, die Sache gleich an Ort und Stelle zu regeln; ein Anerbieten, das das augenblickliche Verschwinden des Cubaners zur Folge hatte. Nur einmal mußte Pepe selbst gewissermaßen zurücktreten; es handelte sich um die »Waffenwahl« eines havanesischen Flibustiers, der die Forderung stellte, Duellanten und Zeugen hätten »mit Giftpillen zu kämpfen«, die ausgelost werden sollten. Pepe war bereit, aber die Sekundanten erklärten, sie dächten nicht daran, Pillen zu nehmen, und würden es auch ihren Mandanten nicht gestatten. Einige von Llullas Duellen waren eigentlich Duelle seiner Freunde, denen er als Sekundant beiwohnte, und in die er aktiv eingriff, wenn einer der Kontrahenten versagte. Bei einer dieser Gelegenheiten erklärte der Sekundant der Gegenseite, ein deutscher Fechtmeister, sein Mandant sei außerstande anzutreten und er wolle für ihn einspringen. »Wir nehmen an,« erklärte Llulla auf der Stelle, »aber dann werden Sie nicht mit meinem Mandanten, sondern mit mir fechten.« Zehn Sekunden später lag der Deutsche am Boden, den Arm schwer verletzt und beide Lungenflügel durchbohrt. Aber es kam nur selten vor, daß Pepe es darauf anlegte, einen Gegner so schwer zu verletzen; und obgleich er mit Angehörigen der meisten europäischen Nationen Rencontres hatte, gingen nur zwei davon tödlich aus; in beiden Fällen ging es auch für Pepe auf Tod und Leben. Bei keinem seiner Duelle, auch in der Zeit, als der Zweikampf die Gesellschaft beherrschte, leiteten ihn andere Motive als Freundschaft und Stolz. Das einzige, womit er sich von seinen Freunden seine Dienste belohnen ließ, waren Waffen irgendwelcher Art; aber seine Bewunderer haben sich solche Mühe gegeben, daß Pepe heute ein komplettes Arsenal besitzt, das die verschiedensten Waffen enthält, nicht nur Degen, sondern auch Büchsen, Pistolen, Revolver, Dolche, Hirschfänger usw. Nach dem Kriege hatte Pepe keine persönlichen Händel mehr; wenn er den Degen zog, so geschah es aus patriotischen Motiven. Erst diese Kämpfe machten ihn weithin berühmt und sie sind die interessantesten in seiner einzigartigen Laufbahn.

IV

Im Jahre 1853 kam es in New Orleans, das schon lange das Hauptquartier der albanischen Flibustier gewesen war, infolge des unglücklichen Ausgangs der Lopez-Expedition zu schweren Ausschreitungen; die spanische Regierung forderte und erhielt Genugtuung von den Vereinigten Staaten. Damals rettete Pepe Llulla dem spanischen Konsul das Leben, indem er ihm zur Flucht aus der Stadt verhalf und ihn auf der Plantage eines Landsmanns sicher unterbrachte. Pepe war darauf seines eigenen Lebens nicht sicher; zwar wagte niemand ihn bei Tage anzugreifen, aber bei Nacht wurden einige Mordüberfälle auf ihn gemacht, aus denen nur sein Mut und seine Entschlossenheit ihn retteten. Nach den Lopez-Unruhen legte sich die Wut gegen die Spanier nach und nach, doch im Jahre 1869 flammte sie gelegentlich eines anderen albanischen Zwischenfalls von neuem auf. Da aber die Vereinigten Staaten eine starke Garnison in der Stadt hatten, nahmen die Unruhen diesmal keinen größeren Umfang an. Die Erbitterung der albanischen Revolutionäre machte sich damals mit Kundmachungen und blutrünstigen Reden Luft, man schrie »Nieder mit Spanien!« und belästigte wehrlose spanische Passanten. Pepe Llulla schickte einem der Hetzer seine Forderung, und als dieser sich nicht stellte, schlug man den Namen des Feiglings öffentlich an.

Dann beschloß er, die Sache Spaniens zu seiner eigenen zu machen und überschüttete die Stadt mit Affichen in englischer, französischer und spanischer Sprache, in denen er sämtliche albanischen Revolutionäre, in Westindien und in den Vereinigten Staaten, in aller Form forderte. Anfangs wurde diese Forderung von einigen angenommen, aber es waren wohl Leute, die Llulla nicht kannten; diese cubanischen Champions erschienen nicht zum Stelldichein, zum Teil erklärten sie, Pepe zu sehr zu achten, als daß sie die Waffe gegen ihn erheben könnten; doch wurden gleichzeitig Anstrengungen gemacht, ihn aus dem Wege zu räumen – es schienen auch Männer eigens zu diesem Zweck über den Golf gekommen zu sein. Glücklicherweise hatte Pepe immer gezeigt, daß er nicht leicht umzubringen sei; ja, er hatte sich an diese Gefahr so gewöhnt, daß es fast unmöglich war, ihn nicht auf der Hut zu finden. Sogar ganze Banden, die sich in sein Haus oder auf seinen Arbeitsplatz gewagt hatten, waren übel davongekommen; eine Horde von sieben betrunkenen Soldaten hatte versucht, sein Etablissement zu demolieren – fünf ihrer Leute wurden mit einer Eisenstange niedergeschlagen und blieben kampfunfähig liegen. Ein Mexikaner, der sich hinter einer Tür versteckt hatte, um mit einem Messer auf Llulla loszugehen, war entwaffnet und mit einer Tracht Prügel für seine Bemühungen belohnt worden. Den cubanischen Emissären im Jahre 1869 ging es nicht besser. Zwei Männer, die sich in der Dämmerung auf dem Friedhof verborgen hatten, sahen sich plötzlich den Pistolen Pepe's gegenüber, der ihnen befahl, um ihr Leben zu laufen, was sie auch schleunigst taten, in ihrer Angst über die Gräber setzend und über die Mauern kletternd. Eines Nachts überraschte der Spanier eine ganze Rotte von Mordgesellen vor seiner Tür und jagte sie zum Teufel. Ein andermal hörte er, daß sich in der Nähe ein Haufen Rowdies sammle, um unter dem Schutz der Dunkelheit sein Haus zu überfallen; Llulla ging sie allein an und zerstreute sie in alle Winde.

Endlich fanden die Cubaner einen Kämpfer, den sie dem gefürchteten Pepe gegenüberstellen konnten; es war ein ehemaliger österreichischer Offizier, der in den Dienst der albanischen Revolution getreten war, ein Glücksritter, aber sicherlich ein tapferer und beherzter Mann. Er war ein guter Fechter, aber in Anbetracht des furchtbaren Rufes, den sein Gegner genoß, wählte er die Pistole als die einzige Waffe, welche die Ungleichheit zwischen den beiden Männern wettzumachen versprach. Die Bedingungen lauteten: dreißig Schritte, vorgehen und nach Belieben schießen. Nach dem Kommando blieb der Spanier reglos wie eine Bildsäule stehen, das Gesicht von seinem Gegner abgewandt; der Österreicher ging Schritt um Schritt vor, ohne zunächst zu schießen. Als er nahe an Llulla herangekommen war, hob er den Arm zum Feuern; in diesem Augenblick drehte sich der Spanier plötzlich herum und schoß ihn durch die Lunge. Der Gefallene atmete noch, als man ihn aufhob; einige Monate später erlag er seinen Verletzungen. Sein Schicksal scheint anderen eine Warnung gewesen zu sein, denn die Cubaner fanden keinen Kämpfer mehr.

Das Schauspiel eines Mannes, der allein einer ganzen Revolution die Stirn bot, indem er allen Feinden Spaniens zurief, sich seinem Degen zu stellen oder Frieden zu halten, erweckte bei den Legitimisten Cubas und den Spaniern in New Orleans glühenden Enthusiasmus. Pepe fand sich bald von einer Schar entschlossener Anhänger umgeben, die bereit waren, die gleiche Sache zu verfechten; bald regnete es Telegramme aus aller Welt, Glückwünsche von Granden und Huldigungsschreiben. Die Art, wie die Spanier loben, hat etwas ungemein Elegantes und Sympathisches; und als ich die verblichenen Schreiben las, die jetzt unter Glas in Pepe's Wohnung hängen, packte auch mich der edle Enthusiasmus, der in ihnen lebendig ist: » Felicitamos cordialmente y afectuosamente al pundonoroso y valiente Señor Llulla; ofriciendole, si necesario fuere, nuestras vidas« (Voluntarios de Artilleria) … » Los Voluntarios de Cardenas admiran y abrazan al valiente Señor Llulla« (El Commandante La Casa) … » Felicitamos al Señor Llulla por su noble, generosa, y patriotica conducta, ofriciendole nuestra cooperacion en todos tiempos y lugares.«

Solche Telegramme kamen täglich wie havanesische Schmetterlinge herangeflogen; man bestürmte Pepe mit Bitten um eine Photographie, denen er sich auch nicht verschloß, und sein Bild wurde in Tausenden von Exemplaren in den Straßen der großen westindischen Stadt verkauft. Mittlerweile hielten die Cubaner Frieden, wie er verlangt hatte. Und am Ende kam aus Madrid ein huldvolles Ehrenschreiben, mit dem königlichen Siegel versehen und vom Regenten unterzeichnet, Don Francisco Serrano y Dominguez, el Regente del Reino, und mit dem Briefe das Goldene Kreuz des Karlsordens ( Carlos Terzero) und ein Dokument, das dem tapferen Sohne, der im fernen Louisiana so wacker für die Ehre Spaniens gefochten hatte, die Ritterschaft, libre de gastos, verlieh.

Aber ich darf die schönste Ehrung nicht vergessen. Wenn das spanische Herz liebt und bewundert, weiß es auch würdigen Lohn zu ersinnen. Aus Havana kam eines Tages ein zierliches Porträt Pepe Llulla's, das aus Seide gearbeitet schien, eingefaßt von einem Lorbeerkranz aus den gleichen feinen schwarzen Fäden; darunter stand in schwarzen Lettern auf goldenem Grunde folgende Widmung: »A DON JOSE LLULLA, DECIDIDO SOSTENEDOR DE LA HONRA NATIONAL ENTRE LOS TRAIDORES DE NEW ORLEANS.« Aber diese schwarze Seide war Frauenhaar, das glänzende Haar spanischer Damen, die ihre Flechten geopfert hatten, um daraus sein Bildnis zu fertigen. Es hängt im Empfangszimmer des alten Herrn neben dem Porträt seines verstorbenen Sohnes; und während ich es betrachtete, ergriff mich die zarte Anmut dieser Gabe wie die Entdeckung einer neuen überraschenden Schönheit des menschlichen Herzens.

Der letzte Voudoo

Von allen merkwürdigen Afrikanertypen, die in New Orleans von sich reden machten, war wohl Jean Montanet die interessanteste Erscheinung. Jean Montanet oder Jean La Ficelle, auch Jean Latanié, Jean Racine, Jean Grisgris, Jean Macaque, Jean Bayou oder der »Voudoo John«, »Bayou John«, »Doctor John« mochte mit Recht »Der letzte Voudoo« genannt werden; nicht als ob der seltsame Bund, dem er angehört hatte, mit seinem Tode erloschen wäre, aber er war die letzte wirklich bedeutende Gestalt in einer langen Reihe afrikanischer Zauberer und Zauberinnen, die hier die gleiche Ehrerbietung genossen wie in ihrer Heimat und auf die Farbigenbevölkerung einen starken Einfluß ausübten. Sicherlich werden auch in Zukunft die schwarzen Okkultisten sich immer wieder ihre »Königinnen« und Hohenpriester wählen, aber der Einfluß der Volksschulen drängt den Glauben an Zauberei mehr und mehr zurück, und schon heute gibt es keinen schwarzen Hierophanten mehr, der so viel mystisches Wissen zur Schau trüge und sich solchen Respekt zu verschaffen wüßte wie Voudoo John. Niemals wird es eine zweite »Rose«, eine zweite »Marie«, noch viel weniger einen zweiten Jean Bayou geben.

Die Carriere Jean Montanet's ist vielleicht die ungewöhnlichste, die je ein Neger afrikanischer Abstammung in den Südstaaten gemacht hat. Er war in Senegal geboren und behauptete, eines Fürsten Sohn zu sein; zum Beweis dafür pflegte er auf einige parallele Narben in seinen Wangen aufmerksam zu machen, die sich von den Schläfen zu den Mundwinkeln herunterzogen. Und dieser Schmuck zeugt dafür, daß seine Behauptung teilweise richtig ist; Berenger-Feraud erwähnt ausdrücklich, daß alle Bambara – vermutlich der vornehmste Negerstamm Senegals – auf diese Weise entstellt sind. Den Kindern werden die Wangen aufgeschlitzt, und die so entstandenen Narben gelten als Rassenzeichen. Drei parallele Schnitte kennzeichnen den freien Stammesangehörigen, vier den Gefangenen oder Sklaven. Nun hatte Jean drei Narben im Gesicht, was beweist, daß er ein freigeborener Bambara war oder mindestens zu einem freien Stamm gehörte, der mit den Bambara im Bündnis stand und auf ihrem Gebiet lebte. Jedenfalls besaß Jean alle körperlichen Merkmale, welche die französischen Ethnologen an den Bambara beobachtet haben. Er war mittelgroß, sehr kräftig gebaut, breitschultrig und muskulös, seine Haut war tiefschwarz, er hatte eine fliehende Stirn, kleine helle Augen, eine sehr platte Nase und einen wolligen Bart, der erst spät grau wurde; sein sonores Organ vertrug sich gut mit seinem herrischen Wesen.

In jungen Jahren wurde er von spanischen Sklavenjägern geraubt und in einem spanischen Hafen verkauft, von wo er schließlich nach Cuba gebracht wurde. Sein westindischer Herr machte einen ausgezeichneten Koch aus ihm, gewann ihn mit der Zeit lieb und schenkte ihm die Freiheit. Jean wurde dann Schiffskoch auf spanischen Fahrzeugen und kam in seinem neuen Beruf weit in der Welt herum. Schließlich behagte ihm die See nicht mehr, er ging in New Orleans an Land und begann auf einer Baumwollplantage zu arbeiten. Seine körperlichen Kräfte machten ihn seinen schwarzen Gefährten überlegen; seine Herren kamen auch dahinter, daß er eine eigentümliche, geheime Macht über die Neger hatte, die ihn als Aufseher und Schichtführer wertvoll erscheinen ließ. Kurz, Jean war im Besitz jener mysteriösen Obi-Kraft, deren Wirken in vielen Sklavengemeinschaften beobachtet worden ist, und die schon manchen westindischen Pflanzer zu Zugeständnissen gezwungen hat. So genoß auch Jean viele Privilegien, die andere Schwarze, auch wenn sie Freie waren, niemals zu beanspruchen gewagt hätten. Bald sprach es sich herum, daß er ein gewaltiger Seher sei und aus den Zeichen auf den Baumwollballen die Zukunft lesen könne. Ich habe niemals nähere Einzelheiten über diese sonderbare Methode des Wahrsagens erfahren können; aber Jean hatte so viel Erfolge in seiner Praxis, daß ihn Tausende von Farbigen um Weissagungen und Ratschläge angingen, und daß sogar Weiße, sei es nun aus Skepsis oder aus Neugier, zu ihm kamen und seine Prophezeiungen teuer bezahlten. Nach einiger Zeit hatte er Geld genug, um sich ein Grundstück an der Bayou Road kaufen zu können, wo er sich auch ein Haus baute.

Dort führte Jean seine Wahrsagerpraxis fort, verband sie jedoch mit der Tätigkeit eines Kreolendoktors und übte noch andere dunkle Künste. Allmählich wurde sein Ruf so groß, daß er ganz unglaubliche Honorare fordern konnte und auch bekam. Schwarze und Weiße, Männer und Frauen rissen sich darum, ihn zu konsultieren; viele kamen aus weit entfernten Kreolensiedlungen in abgelegenen Kirchspielen, und nicht selten klopften gut angezogene Frauen, sorgfältig verschleiert, an seine Tür. Seine Kunden zahlten zehn bis zwanzig Dollars für einen Rat, für eine Kräutermedizin, für ein Haarwuchsmittel, für wundertätige Umschläge, deren Spezifikum nichts weiter als eine Salbe aus zerriebenen Lederschnitzeln war, für die Empfehlung einer Nummer in der Havana-Lotterie, für Hilfe zur Entdeckung gestohlener Sachen, für Liebestränke, für Ratschläge in Familiensorgen, für Zauber zur Rache an Feinden. Einmal bekam Jean fünfzig Dollars für ein Tränklein. »Es war Wasser,« erzählte er einem kreolischen Vertrauensmann, »mit ein paar gewöhnlichen Kräutern aufgekocht. Ich tu' niemandem weh; aber wenn mir einer durchaus fünfzig Dollars geben will, sag' ich nicht nein.« Seine Sprechzimmereinrichtung bestand aus einem Tisch, einem Stuhl, einem Bild der Jungfrau Maria, einem Elefantenzahn, ein paar Muscheln, die aus Afrika sein sollten und ihm zum Wahrsagen dienten, und einem Spiel Karten, von denen jede ein kleines eingebranntes Loch hatte. An seinem Körper trug er stets in einer schwarzen Schlinge zwei kleine Knochen, die er tatsächlich als Fetische zu verehren schien. Während der Konsultationen pflegten Wachskerzen zu brennen; und da Jean bei gutem Geschäftsgang alle paar Tage ein ganzes Paket kaufte, kann man sich von der Zahl seiner Klienten ein Bild machen. Sie warfen ihm ihr Geld so freigebig in die Hände, daß er schließlich gut und gern seine fünfzigtausend Dollars beisammen hatte.

Nun begann dieser »Sohn eines Bambarafürsten« großartiger zu leben als irgendein schwarzer Potentat in Senegal. Er hatte Wagen und Pferde, die jedem Pflanzer Ehre gemacht hätten, und ein Vollblutreitpferd, das er auch zu reiten verstand; mit einem prunkvollen spanischen Kostüm angetan, saß er stolz in seinem reich verzierten mexikanischen Sattel. Zu Hause, wo er nur das Beste aß und trank – Claret, der weniger als einen Dollar kostete, war ihm zu schlecht –, fand er seine einfache Einrichtung gut genug für sich; Weiber aber hatte er mindestens fünfzehn – einen Harem, an dem Boubakar-Segou seine Freude gehabt hätte. Die Weißen werden nicht gerade Ehrentitel für sie gehabt haben, aber Jean nannte sie seine nach afrikanischem Ritual rechtmäßigen Frauen. Es war einer der paradoxen Züge moderner Sklaverei, daß freie Neger Menschensklaven aus ihrer eigenen Rasse besitzen konnten, und diese schwarzen Sklavenhalter waren meist rohe und unbarmherzige Herren. Das war Jean nicht; aber die meisten seiner Frauen, die ihm viele Kinder schenkten, waren gekaufte Sklavinnen. Schließlich ging er auch auf die Freite und gewann sich eine weiße Frau aus der niedersten Schicht, die gewissermaßen die Sultana-Validé dieses Serails vorstellte. Bei großen Gelegenheiten pflegte Jean unter die Farbigen seiner Nachbarschaft Essen verteilen zu lassen – Schüsseln mit gombo und Teller mit jimbalaya. Damals tat er es vielleicht, um sich populär zu machen; aber später, während der großen Epidemie, handelte er aus Barmherzigkeit, besonders als seine Verhältnisse sich schon so verschlechtert hatten, daß er das Essen, das er verschenkte, selbst kochen mußte.

Aber in all seiner Herrlichkeit hatte Jean Sorgen; er wußte nicht, wo er sein Geld unterbringen sollte. Zu den Banken hatte er kein Vertrauen, und er hatte zu viel von der Schattenseite des Lebens gesehen, um sich auf Menschen verlassen zu können. Jahre lang bewahrte er sein Geld unter der Erde auf, machte sich aber nur nachts damit zu schaffen, und manchmal versteckte er große Summen so gut, daß er sie selber nicht wiederfinden konnte; noch heute, nachdem viele Jahre darüber vergangen sind, glauben die Leute, in der Gegend der Prieur Street und der Bayou Road müßten noch Schätze vergraben liegen. Alle geschäftlichen Erledigungen ernsterer Natur bereiteten ihm die größten Schwierigkeiten, und da er merkte, daß so manche seine Unwissenheit auszunutzen versuchten, machte er sich über eigene zweifelhafte Unternehmungen vermutlich wenig Gewissensbisse. Er war ein notorisch schlechter Zahler, und schließlich wurde ein Teil seines Grundstücks zur Abdeckung von Schulden mit Beschlag belegt. Endlich bat er in einer bösen Stunde einen skrupellosen Menschen, ihm das Schreiben beizubringen, da er glaubte, sein Unglück in Geldangelegenheiten sei zum größten Teil darauf zurückzuführen, daß er nicht schreiben konnte. Als er es so weit gebracht hatte, seinen Namen kritzeln zu können, setzte er eines Tages, als man ihn darum bat, in aller Unschuld seine Unterschrift in die untere Ecke eines blanken Bogens Papier, und siehe! auf eine geheimnisvolle, schreckliche Weise entschwand ihm sein Grundbesitz. Es blieb ihm noch etwas Geld, und er machte heroische Anstrengungen, sein Vermögen wieder zu gewinnen. Er erwarb ein anderes Grundstück und kaufte verzweifelt Lotterielose auf. Der Zusammenbruch der Lotterie ging auf seine Kosten und trug mehr zu seinem endgültigen Ruin bei als seine Verluste an Lebensmittelgeschäften, Schusterwerkstätten und anderen Unternehmungen, in die er als stiller Teilhaber mehrere tausend Dollars gesteckt hatte, um schließlich von seinen Partnern begaunert zu werden. Er hätte sicherlich auch weiter sein gutes Auskommen gehabt, da die Leute nach wie vor seine Kräutermedizinen haben und sich von ihm weissagen lassen wollten; aber er dachte an nichts anderes als an seine Spekulationen. Nach einem Dutzend Konfiskationen und Enteignungen mußte er schließlich die Gastfreundschaft seiner Kinder in Anspruch nehmen; von allem, was er einst besessen hatte, waren ihm nur die afrikanischen Muscheln, der Elefantenzahn und das alte Nähmaschinengestell geblieben, an dem er im Licht der Wachskerzen gewahrsagt hatte.

Jean's religiöse Vorstellungen waren äußerst primitiv. Die Bekehrung der großen Stämme Senegals zum Islam erfolgte erst in jüngster Zeit, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sein Stamm noch dem rohesten Fetischismus anhing, als Jean von Sklavenjägern entführt wurde. Wenn er auch während seiner Arbeitsjahre in einer katholischen Kolonie einige christliche Ideen in sich aufgenommen hatte, so blieben sie doch stets den afrikanischen Anschauungen untergeordnet; das Bild der Jungfrau Maria diente ihm etwa lediglich als Hilfsfetisch bei seiner Zauberei, und er traute ihm weniger Macht zu als dem »Elefantenzeug«. Er war in mehr als einer Hinsicht ein Schwindler; aber er hat wohl an die Kraft von manchen seiner abergläubischen Riten wirklich aufrichtig geglaubt. Er sagte, daß er einen Herrn hätte, dem er zu Gehorsam verpflichtet wäre, und daß er den Willen dieses Herrn im Blinken der Sterne lesen könnte; in hellen Nächten sahen ihm die Nachbarn oft zu, wie er allein an einer Straßenecke stand, in den Himmel starrte und, seinen wolligen Bart krauend, mit einem Phantasiewesen in einer fremden Zunge Zwiesprache hielt. Immer, wenn Jean diese Dinge trieb, wußte man, daß er dringend Geld brauchte und am nächsten Tage wahrscheinlich den Versuch machen würde, sich von einem seiner Nachbarn einen oder zwei Dollars zu borgen.

Mit welchem Geschick er Kräuter anzuwenden wußte, davon können fast alle, die ihn gut gekannt haben, erzählen. Während der Epidemie von 1878, die den alten Aberglauben von der vollständigen Immunität der Neger und der Farbigen gegen das Gelbe Fieber gründlich ausrottete, wurden zwei von Jean's Kindern »erwischt«. »Geld hab ich keins,« sagte er, »aber ich kann meine Kinder kurieren,« was er auch unverzüglich mit ein paar Kräutern machte, die er an den Gossen in der Prieur Street ausgerissen hatte. Eines davon war, wie ich hörte, das Unkraut, das bei unseren Kreolen »Sonnenschirm« heißt. »Am nächsten Tag spielten die Kinder schon wieder auf dem banquette,« schloß mein Gewährsmann.

Die Farbigen in allen Stadtvierteln brachten Montanet, auch als er schon tief im Elend war, eine geradezu abergläubische Verehrung entgegen. Wenn er sogar auf der amerikanischen Seite von Canal Street auftauchte, um irgendeinen Patienten zu verarzten, gab es allenthalben unterdrückte Aufregung bei den Farbigen, die viel zu staunen und zu wispern hatten, sich aber hüteten zu laut zu werden, wenn sie sagten: »Da is Hoodoo John!«

Daß Jean Bayou, der ungebildete afrikanische Sklave, in einer zivilisierten Stadt mit seiner Tätigkeit es zu Reichtum und Ansehen bringen konnte, mag ein Beweis für die Leichtgläubigkeit breiter Massen, auch noch in unserer Zeit, sein; aber es zeigt auch, daß Jean's angeborene Intelligenz keine durchschnittliche gewesen ist.

Aberglauben in New Orleans

I

Die Frage »Was ist Voudooismus?« wird heute ein New Orleanser wohl schwerlich zu beantworten wissen, wenn er nicht das Leben an der westafrikanischen Küste oder die abergläubischen Bräuche auf Haiti kennt, sei es nun durch Studien oder aus persönlicher Anschauung. Die alte Pflanzergeneration, zu deren Zeiten der Voudooismus blühte und respektiert werden mußte – als eine der Kräfte, die zur Erhebung der Schwarzen führten, wurde er so gefährlich, daß man ernste Maßregeln gegen ihn ergreifen mußte – ist nicht mehr; ich habe nur einen Menschen gekannt, der – in seiner Kindheit und unter der Obhut seiner farbigen Amme – einem Voudoozeremoniell beiwohnte, und dieser ist vor drei Jahren im respektablen Alter von sechsundsiebzig Jahren gestorben. Als Religion, als fremder Glaube lebt der Voudooismus in Louisiana de facto nicht mehr; die Riten seines Schlangendienstes sind vergessen; den Sinn seiner seltsamen und wahnsinnigen Gesänge, von denen einige Fragmente noch als Refrains in Negerliedern erhalten sind, kennen nicht einmal die, welche sich ihrer Worte erinnern; und nur aus den zahlreichen Trümmern afrikanischen Aberglaubens, die er hinterlassen hat, kann man auf sein früheres Dasein schließen. Wir können uns hier nur mit diesen Fragmenten beschäftigen; denn was heute Voudooismus heißt, ist nicht der alte, aus Afrika herübergebrachte Kult, sondern ein kurioses Kunterbunt von Negerpraktiken, die zum Teil vielleicht aus ihm sich herleiten, zum Teil aber auch Ähnlichkeit mit der mittelalterlichen Magie zeigen. Müssen wir bei folgendem Brauch nicht ans Mittelalter denken: man knetet ein Herz aus Wachs, sticht Stecknadeln hinein oder läßt es langsam vor einem Feuer zergehen, in der Hoffnung, daß ein Feind sterben wird, wenn das Herz schmilzt oder zerbricht. Und was könnte uns mehr an Aberglauben des dreizehnten Jahrhunderts erinnern als das Abbrennen einer gewissen Anzahl Kerzen, um die Rückkehr eines Abwesenden zu erzwingen; bevor die letzte Kerze verzehrt ist, nötigt eine geheimnisvolle hypnotische Kraft den Wanderer, über Ströme und Gebirge seinen Weg zu verfolgen.

Die Angst vor den sogenannten »Voudoozaubern« ist in Louisiana weiter verbreitet, als Leute, die immer nur mit gebildeten Bürgern Umgang gehabt haben, glauben könnten; und ein sehr gewöhnlicher Aberglaube dieser Art ist der Glaube an etwas, was ich den Kissenzauber nennen möchte, das ist die vermeintliche Kunst, über eine verhaßte Person schwere Krankheit oder sogar den Tod zu bringen, indem man bestimmte Gegenstände in das Kissen seines Bettes steckt. Federkissen sollen sich besonders gut zu dieser Art Zauberei eignen. Man glaubt, daß ein »Voudoo« durch geheime Zauberworte aus den Federn des Kissens irgendein fabelhaftes Vogeltier oder ein anderes phantastisches Wesen erzeugen kann – etwas wie den tupilek des Eskimo- iliseenek (Zauberei). Es wächst sehr langsam und nur bei Nacht; wenn es aber fertig ist, muß die Person, die das Kissen benutzt hat, sterben. Eine andere Methode der Kissenzauberei besteht darin, daß man einen Vogel, meist einen Hahn, lebendig in Stücke reißt und Flügelteile in das Kissen steckt. Eine dritte Vorschrift der schwarzen Kunst verlangt, daß man bestimmte Zauber oder Fetische – Knochen, Haare, Federn, Fetzen, Fäden oder irgendeine verrückte Zusammenstellung solcher Kinkerlitzchen – in ein Kissen der Person, die man schädigen will, praktiziert. Daß dieser Brauch rein afrikanischen Ursprungs ist, liegt auf der Hand. Ein bestimmtes Prinzip dafür, wann man diesen oder jenen Zauber anwendet, habe ich nicht ermitteln können; und ich bezweifle stark, daß die Leute, die sich dieses Fetischismus bedienen, die ursprünglichen afrikanischen Glaubensvorstellungen kennen, auf denen er beruht. Manche sagen, daß Getreidekörner im Kissen eines Kindes dieses »am Weiterwachsen hindern«; andere wieder behaupten, daß ein Fetzchen Stoff im Kissen eines Erwachsenen schwere Krankheit verursache; aber alle, die ich fragte, schrieben der Anwendung gleicher Zauber verschiedene Wirkungen zu. Eine kleine Schere offen unter das Kissen zu legen, bevor man schlafen geht, gilt als ein Mittel, das allen Fetischen zum Trotz einen ruhigen Schlaf verbürgt; am besten aber schützt man sich dagegen, »verhoodoot« zu werden, wenn man von Zeit zu Zeit sein Kissen aufmacht. Findet man Zauber darin, so muß man sie zuerst mit Salz bestreuen und dann verbrennen. Eine Spanierin erzählte mir, daß ihre älteste Tochter wochenlang nicht schlafen konnte, weil ein gehässiger farbiger Dienstbote ihr einen Fetisch ins Kissen geschmuggelt hatte. Nachdem das Ding nach allen Regeln der Kunst besprochen und verbrannt worden war, hörte die Schlaflosigkeit der jungen Dame auf. Ein Freund von mir, der auf dem Lande lebt, fand einmal in seinem Kissen ein Stückchen Tau, in dem Federkiele steckten. Mein Freund wollte es sich als Kuriosität aufheben; aber als er es seinen Bekannten zeigte, behaupteten sie auch schon steif und fest, es wäre ein »Voudootrick«, und er mußte es auf der Stelle in Gegenwart von Zeugen verbrennen. Jedermann weiß oder sollte wenigstens wissen, daß Federn in einem Kissen auf ganz natürliche Weise sich zusammenballen und mehr oder weniger grotesk geformte Knötchen und Klümpchen bilden, aber in einem New Orleanser Haushalt genügt die Entdeckung solcher Gebilde, eine Panik hervorzurufen. Man hält sie für angehende Voudoo- tupileks. Katholiken schlagen das Kreuz darüber, und unverzüglich werden sie den Flammen überliefert.

Aber die Kissenmagie ist bei weitem nicht der einzige Zweig tückischer Negerzauberei. Zauber vor den Eingang eines Hauses oder eines Zimmers zu bringen, oder sie über Mauern in Höfe zu werfen, gilt als verderbenbringende Kunst. Um einen Zauber vor eine Zimmer- oder Flurtür zu legen, wird oft Öl auf den Boden vor der Schwelle gegossen. Wer über einen Ölstrich geht, soll der Macht der Voudoos verfallen. Will man einen Ölzauber brechen, so muß man Sand oder Salz auf die betreffende Stelle streuen. Erst unlängst erzählte mir ein sehr intelligenter Spanier eine solche Geschichte. Ganz kurze Zeit, nachdem er einen unehrlichen farbigen Dienstboten entlassen hatte, fand er eines Abends vor seiner Schlafzimmertür eine Ölpfütze; mitten darin lag ein Zauber, und daneben brannte eine Kerze. Der Zauber bestand aus ein paar Knochen, Federn, Haaren und Lumpen, mit einem Bindfaden zusammengewickelt, und einem Zehncentstück. Kein Abergläubischer hätte gewagt, dieses Zehncentstück anzufassen; aber mein Freund, der nicht abergläubisch ist, steckte es sofort ein.

Was die Münze dabei zu tun hatte, erhellt vielleicht aus einem anderen sehr interessanten Aberglauben, der im New Orleanser Fetischismus eine Rolle spielt. Die Neger glauben, daß man ein Opfer bringen müsse, um einem bösen Zauber Wirksamkeit zu geben. Wenn man will, daß der Fetisch jemand verhexen soll, läßt man gelegentlich Wein und Kuchen in einem finsteren Zimmer stehen, oder man wirft auf der Straße Zuckerwerk weg; man darf sich aber dabei nicht umsehen, sonst wird das Opfer hinfällig.

Oft gibt es ernsthaften Verdruß, weil ein Zauberer Kot vor die Tür geworfen oder mit Kreide gewisse Figuren auf die Hausmauer gemalt hat, oder weil man vor der Wohnung trockene Blätter findet, die jemand zwischen den Fingern zerkrümelt und dorthin gestreut hat. Aber es ist ein wahres Glück, daß diese Hexenmeister vor den Gegenzaubern fast ebensoviel Angst haben wie die abergläubischsten Leute vor ihren Schwarzkünsten. Davon konnte ich mich kürzlich in einer der Straßen des alten Stadtviertels, das gewöhnlich »Spanish Town« genannt wird, mit meinen eigenen Augen überzeugen. Ein kleines Negermädchen hatte ein paar Blätter ausgerissen und aus Bosheit oder aus Gedankenlosigkeit, vielleicht auch irgendwelchen geheimen Anweisungen gehorchend, vor der Villa einer französischen Familie auf das Trottoir geworfen. Kaum hatte sie die letzten Blätter fallen lassen, so stürzte auch schon die Französin wütend heraus, mit einem Besen und einer Hand voll Salz bewehrt, und machte sich daran, die Blätter wegzukehren, nachdem sie sowohl diese wie die kleine Negerin mit einer Portion Salz bedacht hatte. Die Schwarze stieß ein Angstgebrüll aus und heulte: »Oh, pas jeté disel après moin, madame! pas bisoin jeté disel après moin; mo pas pé vini icite encore.« (Ach, nicht mehr mit Salz schmeißen, Madame; Sie brauchen mich nicht mit noch mehr Salz schmeißen; ich will ja gar nicht wiederkommen.)

Ein Beispiel für einen anderen merkwürdigen Aberglauben, der mit diesen Praktiken in Zusammenhang steht, ist ein Geschenk, das mein Freund Professor William Henry von einem schwarzen Diener erhielt – er hatte dem Neger einmal mit irgendeiner Kleinigkeit geholfen. Das Geschenk war eine »Kräuselhenne«, eines jener spaßigen Hühner, deren Federn alle wie Locken aussehen. »Massa Henry, Du halten den Krauselhenn, und wenn welchen Niggahs werfen welcher Zauber in Dein Hof, der Krauselhenn wird freß der Zauber.« Es gibt aber Leute, welche behaupten, man sei erst sicher, wenn man sich zwei Kräuselhennen hält.

Die nichtsnutzige kleine Negerin, nach der die Französin das Salz warf, hat, scheint es, davor mehr Angst gehabt als vor dem Besen; vermutlich war sie in Dingen des Aberglaubens noch nicht sehr bewandert. Die Furcht der Neger vor einem Besen ist sehr alt, sie mag noch aus Afrika stammen. Schon Moreau de Saint-Méry erwähnt sie in seinem Buch über San Domingo, das im Jahre 1796 erschienen ist. »Ganz besonders bringt es den Neger auf,« schreibt er, »wenn jemand mit einem Besen über irgendeine Stelle seines Körpers fährt. Sofort fragt er, ob man ihn denn für tot halte, und er ist nicht davon abzubringen, daß sein Leben dadurch verkürzt werde.« In New Orleans findet man ganz ähnliche Vorstellungen. Einen Besen auf jemand richten heißt Unheil über ihn bringen; wer es tut, setzt sich der Gefahr aus, schwer beschimpft oder gar niedergeschlagen zu werden. Außerdem soll der Besen die übernatürliche Kraft haben, unliebsame Leute zu vertreiben. »Wenn Dich Gäste belästigt haben, die Du nie mehr wiederzusehen wünschst, so streue, nachdem sie gegangen sind, Salz auf den Boden, und kehre es durch die Tür, die sie benützt haben; sie werden nicht wiederkommen.« Einen Besen am Abend zu gebrauchen, bedeutet Unglück: balayer le soir, on balaye sa fortune (am Abend auskehren, heißt das Glück aus dem Haus kehren). –

In allen großen Zentren der Vereinigten Staaten sind Erkrankungen an Muskelschwund, jenem unheimlichen und rätselhaften Leiden, ebenso häufig wie bei uns in New Orleans; hier aber halten die Farbigen und auch viele Ungebildete aus anderen Rassen die davon Befallenen für Opfer der Voudoos. Es ist eine weit verbreitete Vorstellung, daß Negerhexen die Kenntnis eines Giftes besitzen, das auf der Stelle tötet oder ein langsames »Absterben« zur Folge hat, je nach der verabreichten Dosis. Ein Franzose, der Paralytiker ist, belehrte mich, daß seine Krankheit sicherlich das Werk von Voudoos sei, und daß auch an dem Tode seiner Frau und seines Kindes das verborgene Tun von Negerzauberern Schuld habe. Auch Irrsinn wird vielfach auf das Wirken schrecklicher Gifte zurückgeführt, deren Geheimnis aber nur wenige Neger kennen sollen. Kurzum, es gibt eine Menge Leute, die in ihrer abergläubischen Angst überall den Voudoo sehen, und wenn sie von der kleinsten Unpäßlichkeit befallen werden, verzaubert zu sein glauben. Daß man in Louisiana tatsächlich jene Gifte noch kennt, die im Blut keine Spuren ihres Wirkens hinterlassen, Gifte, deren Rezept früher einmal Sklaven aus Afrika mitgebracht haben mögen, scheint mir, so sehr auch das Gegenteil behauptet wird, nicht sehr wahrscheinlich. Während der letzten zehn Jahre wurden zwar ein paar Schwarze wegen verschiedener Giftanschläge abgeurteilt, aber keiner dieser Fälle hatte etwas Geheimnisvolles oder Merkwürdiges an sich; das verwendete Gift war immer wieder ein ganz gewöhnliches – Arsenik oder irgendein Arsenikpräparat in Form von Rattengift.

II

Die Geschichte von der Kräuselhenne bringt mich auf das Thema des Tieraberglaubens. Aus Afrika oder aus dem näheren San Domingo scheinen durch die Schwarzen Bruchstücke des Hahnenkults hierher verpflanzt worden zu sein, die sich unter mehrfachen Wandlungen bis heute erhalten haben. Um sich die Zuneigung des Geliebten zu erhalten, binden Negermädchen dem Vogel die Beine an den Kopf und werfen das arme Geschöpf lebendig in einen Kessel mit Gin oder anderen Spirituosen. Ebenso grausam ist ein anderer Zauber: Männer, die ihren Schatz magisch an sich fesseln wollen, reißen einen Hahn lebendig in Stücke. Hier wie auch anderswo in der Welt wird die Krähenhenne umgebracht, bedeutet das Schreien der Eule Tod oder Unglück; und das Krähen des Hahns am Tage kündet Gäste an. Den Zaunkönig ( roitelet) darf man nicht töten: c'est zozeau bon Dié (er ist der Vogel des lieben Gottes) – ein Glaube, der wohl aus Europa stammt.

Ausgekämmte Haare wegzuwerfen, statt sie zu verbrennen, ist gefährlich, weil sie von Vögeln beim Bauen ihrer Nester verwendet werden können; bis das Nest zerstört ist, muß die Person, von der das Haar stammt, unausgesetzt an Kopfschmerzen leiden. Eine Katze von einem Haus in ein anderes zu bringen, bedeutet Unglück; sieben Jahre Unglück das Töten einer Katze; und das Mädchen, das einer Katze versehentlich oder absichtlich auf den Schwanz tritt, darf nicht erwarten, noch im selben Jahr unter die Haube zu kommen. Ein weißer Schmetterling verkündet gute Nachrichten. Das Wiehern eines Pferdes vor der Tür prophezeit Unheil. Wenn einen eine Fliege besonders hartnäckig belästigt, kann man sicher sein, einen Bekannten, den man viele Jahre nicht gesehen hat, wiederzutreffen.

Betreffs der Ehe gibt es eine Menge Aberglauben, die wahrscheinlich aus Europa stammen, darum aber nicht weniger interessant sind. Das Sprichwort »Zweimal Kranzjungfer, niemals selber unterm Kranz« bedarf keines Kommentars. Die Braut soll nicht die Nadeln aufbewahren, mit denen sie ihr Hochzeitskleid gesteckt hatte. Der Mann darf seinen Trauring nicht vom Finger ziehen, will er nicht bösen Verdruß bekommen. Läßt ein Mädchen, das verlobt ist, zufällig ein Messer fallen, so ist das ein Zeichen dafür, daß der Geliebte in der Nähe ist. Sonnenschein oder Regen am Hochzeitstage sagen Freude oder Tränen in der Ehe voraus.

Die Aberglauben, die sich auf den Tod beziehen, mögen alle eingeschleppt sein, aber bei keinem von ihnen konnte ich die Herkunft ermitteln. Man darf die Melodie, die eine Kapelle beim Begräbnis gespielt hat, nicht pfeifen oder summen. Wenn ein Leichenzug vor einem Hause hält, so wünscht der Tote Gesellschaft. Durch einen Leichenzug zu gehen oder seine Wagen zu zählen, hat schlimme Folgen; wenn man sie zählt, muß man darauf vorbereitet sein, nach ebensoviel Wochen, wie Wagen in dem Zuge waren, zu sterben. Stellt sich auf dem Friedhof bei der Beisetzung aus unvorhergesehenen Gründen eine Verzögerung ein, erweist sich zum Beispiel das Grab als zu klein für den Sarg, so bedeutet dieses Hindernis, daß der Tote sich aus der Trauerversammlung einen Gefährten wählt, und daß einer der Leidtragenden bald sterben muß. Einen Spaten durch ein Haus zu tragen, bringt Unglück. Ein Bett darf man nie mit dem Fußende zur Straße stellen, weil die Toten mit den Füßen voraus das Haus verlassen. Man soll nicht mit einem Priester reisen; diese Vorstellung scheint mir spanischen Ursprungs zu sein, und dieselbe Wurzel möchte ich für den merkwürdigen, in den Tropen verbreiteten Bananenaberglauben annehmen, obwohl es ein Italiener war, durch den ich ihn kennen lernte. Man soll eine Banane niemals schneiden, sondern einfach zerbrechen, weil man mit einem Messer »das Kreuz zerschneidet«. Es gehört keine besondere Phantasie dazu, auf der Schnittfläche der Frucht so etwas wie ein Kruzifix zu sehen.

Andere Kreolenaberglauben haben eine naive Poesie. Man soll das kleine rote Fünkchen am Docht einer ausgeblasenen Kerze nie mit den Fingern ausdrücken: denn gerade so lange, als es glimmt, darf sich eine arme Seele im Fegefeuer von ihren Qualen ausruhen. Sternschnuppen sind Seelen, die dem Fegefeuer entfliehen; wenn man, noch ehe der Stern verschwunden ist, einen Wunsch dreimal tun kann, geht er in Erfüllung. Gibt es einmal Sonnenschein und Regen zu gleicher Zeit, dann sagt die farbige Amme zu den Kindern: » Gadé! djabe apé batte so femme« (Guck, der Teufel haut sein Weib.)

Ich will diesen kleinen Essay mit der Aufzählung einiger sehr volkstümlicher Aberglauben schließen, die ich nicht ihres immerhin fraglichen kreolischen Ursprungs halber anführe, sondern lediglich wegen ihrer Verbreitung in New Orleans; vergleichende Studien darüber kann ich den Spezialisten überlassen.

Plötzliches Umkippen des Fußes beim Gehen bedeutet je nachdem Glück oder Unglück: beim rechten Unglück, beim linken Glück. Dieser Aberglaube stammt aus Afrika, wenigstens hat Moreau de Saint-Méry dies behauptet. Unglück bedeutet es auch, um das Haus herum zu gehen, wenn man nur einen Schuh an hat, oder »c'est appeler sa mère ou son père dans le tombeau«, wie mir ein Kreole erklärte. (Seine Mutter oder seinen Vater ins Grab rufen.) Jucken in der rechten Hand prophezeit Gewinn, Jucken in der linken Verlust.

Gehst Du aus einem Haus, so benütze dieselbe Tür wie beim Hineingehen, sonst »trägst Du das Glück aus dem Haus«. Wohne nie in einem Haus, das nicht mindestens schon ein Jahr vermietet war. Wenn alte Leute ihr Haus ausbessern lassen, müssen sie bald sterben. Reiche nie ein Kind durch ein Fenster; es wächst nicht mehr. Dieselben Folgen hat es, wenn Du über ein Kind steigst; und wenn Du es aus Unachtsamkeit getan hast, mußt Du zurückgehen, um den bösen Zauber zu brechen. Stoße nie einen Schaukelstuhl an, wenn niemand darauf sitzt. Erzähle niemals einen schlechten Traum vor dem Frühstück, sonst »wird er wahr«; und schneide Dir Montag früh nicht die Nägel, bevor Du eine Tasse Kaffee getrunken hast. Für einen sehr spaßigen Fensteraberglauben gibt es folgende Redensart: »Il ne faut pas faire passer un enfant par la fenêtre, car avant un an il y en aura un autre.« (Man darf ein Kind nicht durch ein Fenster reichen, sonst hat man, ehe ein Jahr um ist, noch eins.) Dieses Sprichwort ist natürlich nur für Leute von Interesse, die ihre Familien klein erhalten wollen, nicht aber für die Kreolen, die sich große Familien wünschen und ihre Kinder zärtlich lieben.

Werden zwei Hochzeiten zu gleicher Zeit gefeiert, so muß einer der Gatten bald sterben. Heirate bei abnehmendem Mond, und Dein Glück wird schwinden wie der Mond. Wenn zwei Personen denselben Gedanken haben und ihn im gleichen Augenblick aussprechen, wird eine von beiden noch vor Ablauf des Jahres sterben. Wenn Dir die Ohren klingen, spricht jemand schlecht von Dir; Du mußt dann die Namen aller, die Du im Verdacht hast, aussprechen, und wenn das Klingen bei einem von ihnen aufhört, weißt Du, wer es ist. Kämmen zwei junge Mädchen eine Freundin, so wird die jüngste von den dreien bestimmt nicht mehr lange leben. Um dem Regen ein Ende zu machen, mußt Du mitten im Hof ein Kreuz aufrichten und es mit Salz bestreuen. Wenn das Wasser im Kessel nicht kochen will, kann eine Kröte oder Krötenlaich daran schuld sein. Töte eine Spinne niemals am Nachmittag oder Abend, aber bringe unbarmherzig die Unglückliche um, die sich Dir am frühen Morgen zeigt:

»Araigné du matin – chagrin;
Araigné du midi – plaisir;
Araigné du soir – espoir.«

(Spinne am Morgen – Kummer und Sorgen; Spinne am Mittag – Freude am Drittag; Spinne am Abend – erquickend und labend) Anm. d. Übers.: Dem Amerikaner scheint ein entsprechendes Sprichwort zu fehlen, denn Hearn gibt lediglich eine erklärende Übertragung..

Schon aus diesem ganz kurzen Abriß über New Orleans' Aberglauben kann der Leser ersehen, daß dieses interessante Thema wohl einer eingehenden Behandlung durch Spezialforscher wert ist. Man könnte es vielleicht in drei Hauptteile gliedern: 1. Negeraberglauben, die nur unter Schwarzen und Farbigen vorkommen; 2. Negeraberglauben, die auch auf die ungebildeten Schichten der Weißen übergegriffen haben; 3. Aberglauben lateinischen Ursprungs, die aus Frankreich, Spanien und Italien herübergekommen sind. Auf die aus englischen, irischen und schottischen Quellen herrührenden Aberglauben bin ich nicht näher eingegangen, weil sie bei uns keine eigene lokale Färbung zeigen.

All diese abergläubischen Vorstellungen gedeihen unter der Oberfläche des New Orleanser Lebens; oben zeigen sich nur einige anmutige Blüten weiblichen Verlobungs- und Hochzeitsaberglaubens, und ein paar zarte Triebe von Kinderlehren, gepflegt von den farbigen Ammen, die uns erzählen, daß die kleinen Hühnchen beim Trinken den Kopf zum Himmel recken, um dem lieben Gott für das Wasser zu danken.

Leben am Flußdamm

An den Flußufern, zu beiden Seiten der Dammböschung, dort wo alljährlich das braune Wasser zu dem verwahrlosten Pflaster emporsteigt und in die Keller der Speicher dringt, spielt sich ein seltsam buntes Leben ab, das Leben einer Gemeinde innerhalb einer Gemeinde – einer Gemeinschaft von Wanderern, die Unterschlupfe, aber kein Zuhause haben und mit der sie umgebenden bürgerlichen Gesellschaft nur durch die gemeinsamen staatlichen und städtischen Gesetze verbunden sind. Es ist ein sehr primitives Leben; seine Freuden und Leiden haben ein naives, fast barbarisches Wesen; seine Seligkeiten und seine Nöte sind fast immer sinnlicher Natur; seine Wonnen gehören ganz der Stunde, nie steigert oder trübt sie ein Gedanke an das Morgen. An einem kühlen Frühlingsabend, wenn das Mondlicht auf dem Damm liegt, wenn die reine Luft unter dem Gebrumm der tieftönenden Dampfpfeifen vibriert und das wilde Schrillen der Banjos durch die offenen Türen der Tanzhäuser klingt, kann man das Roustaboutleben Anm. d. Übers.: Dem Terminus Roustabout entspräche im Deutschen ungefähr »Herumschufter«. mit all seinen wunderlichen Seltsamkeiten am besten beobachten.

Höchstens ein Drittel unserer Stauer und Hafenarbeiter rekrutiert sich aus Weißen; aber der Beruf gehört auch von Rechts wegen den Negern, die weitaus die besten Roustabouts sind und als Heizer nicht ihresgleichen haben. Die weißen Stauer sind zum größten Teil Tramps tramp = Landstreicher., die nur die Angst vor dem Arbeitshaus zum Arbeiten bringt, oder Leute, die keine andere Beschäftigung finden und froh sind, so Geld verdienen zu können. An Bord der Boote essen die Weißen und die Schwarzen getrennt und arbeiten unter verschiedenen Maaten; auf jedem Boot, das am Cincinnatidamm löscht, arbeiten durchschnittlich fünfundzwanzig Roustabouts. Die Baumwollboote, die auf dem unteren Mississippi fahren, haben oft sechzig oder siebzig Leute an Deck, die in manchen Seasons fünfundvierzig bis sechzig Dollars im Monat verdienen. Auf den Ohiobooten beträgt der Lohn der Roustabouts durchschnittlich nicht mehr als dreißig Dollars pro Monat. Hafenarbeiter bekommen je nach der Season fünfzehn oder zwanzig Cents für die Stunde. Häufig werden sie von irischen Unternehmern geheuert, die das Löschen eines Boots zu einem festen Preis per Ballen übernehmen; aber erstklassige Boote schließen gewöhnlich durch ihren Maat direkt mit den Hafenarbeitern ab und bezahlen ihnen manchmal fünfundzwanzig Cents pro Stunde. »Vor der Freiheit,« wie die Farbigen sagen, arbeiteten fast nur Weiße als Roustabouts auf den Dampfbooten; aber jetzt monopolisieren die Neger den Beruf allmählich, vor allem wegen ihrer hervorragenden Eignung für ihn. Die Neger sind überhaupt die besten Träger der Welt; und in den Baumwollstaaten ist es gar nichts Seltenes, wie mir erzählt wird, daß Neger einer Wette wegen fünfhundert Pfund schwere Baumwollballen auf dem Rücken zum Kai schleppen. Heute weiß man, wie wertvoll der Neger als Arbeiter für die Flußschiffahrt ist, und behandelt ihn, wahrscheinlich aus diesem Grunde, besser als früher. Auch die Gesetze gewähren ihm jetzt mehr Schutz. Früher einmal war es gang und gäbe, daß irgendein roher Maat sechzig oder siebzig Stauer an Bord nahm und sie, wenn das Boot überall seine Fracht eingeladen hatte, auszahlte und in einer kleinen Stadt oder sogar in den Wäldern, einige hundert Meilen von ihrer Heimat, an Land setzte. Das kann heute niemand mehr ungestraft tun.

Das eigentliche Roustaboutleben spielt sich in den Rows Anm. d. Übers.: row = Reihe, Häuserreihe; im Amerikanischen feststehender Ausdruck für ärmliche Gassen. und einem Teil von Bucktown ab, wo Schwarze und Mulatten aus allen Teilen der Staaten ihre Quartiere haben; sie stammen zum größten Teil aus Kentucky und Ostvirginia – dort haben sie wohl vor der Freiheit auf den Plantagen geschuftet, und Erinnerungen daran sind auch noch in ihren Liedern und in ihren Vergnügungen lebendig. Auf den Dampfbooten erklingen nachts alte Sklavenlieder aus Kentucky in jener wilden, halb melancholischen Tonart, die der primitiven Musik der afrikanischen Rassen eigen ist; und in den Tanzhäusern von Sausage Row und den »Ballokalen« von Bucktown werden alte Sklaventänze aus Virginia aufgeführt. Ihre Lieder, die niemals gedruckt worden sind, handeln zumeist vom Flußdammleben in Cincinnati, von all den jedermann bekannten Dampfbooten, die auf dem »Muddy Water« (Schmutzwasser) fahren, und den Lieblingsplätzen der Roustabouts am Stromufer und in Bucktown. Es würde eine Arbeit von Monaten sein, auch nur die populärsten dieser Songs zu sammeln, und eine um so mühevollere, als die farbigen Roustabouts gegen jeden, der ihnen mit Bleistift und Notizbuch in die Nähe kommt, äußerst mißtrauisch sind. Aber wenn man Glück hat, kann man gelegentlich einen intelligenten Dampfbootmann finden, der sich durch eine Zigarre oder einen Drink dazu bewegen läßt, ein paar Flußlieder zum besten zu geben – jedenfalls habe ich diese Methode an ein paar freien Abenden mit Erfolg angewandt. Leider lassen sich gerade einige der originellsten aus naheliegenden Gründen nicht wiedergeben; aber es bleiben noch genug andere übrig, die unsere Leser interessieren werden. Das erste davon, Number Ninety-Nine, war seinerzeit bei den Dampfbootleuten außerordentlich beliebt; das Lokal, das darin besungen wird, existiert heute nicht mehr. Wir geben das Lied mit einigen Textverbesserungen, die wir für notwendig hielten, Anm. d. Übers.: Die folgenden Roustabout-Lieder sind nicht eigentlich Nigger-songs. Sie zeigen in ihrer sprachlichen Zusammensetzung ein Gemisch von korrektem Englisch, Nigger-Platt und verschiedenen Slangs. Im Deutschen einen entsprechenden Stil zu finden – etwa aus Schriftdeutsch in Verbindung mit diesem und jenem Dialekt – erschien nahezu unmöglich. Auch würde wohl keine Nachdichtung an die gewitzte Primitivität der Originale herankommen. Aus diesen Gründen hat der Übersetzer die englischen Texte eingesetzt und sich darauf beschränkt, möglichst wortgetreue Übertragungen zu geben, wobei er das Versmaß der Vorlagen, soweit es sich tun ließ, beibehalten hat. wieder.

»You may talk about yer railroads,
Yer steamboats and can-el;
If't hadn't been for ›Liza Jane‹,
There wouldn't bin no hell.

Chorus – Oh, ain't I gone, gone, gone,
Oh, ain't I gone, gone, gone,
Oh, ain't I gone, gone, gone,
Way down de ribber road.

»Whar do you get yer whisky?
Whar do you get yer rum?
I got it down in Bucktown,
At Number Ninety – nine.

Chorus – Oh, ain't I gone, gone, gone, etc.

»I went down to Bucktown,
Nebber was dar before,
Great big niggah knocked me down,
But Katy barred the door.

Chorus – Oh, ain't I gone, gone, gone, etc.

»She hugged me, she kissed me,
She told me not to cry;
She said I wus de sweetest thing
Dat ebber libbed or died.

Chorus – Oh, ain't I gone, gone, gone, etc.

*

»Yonder goes the Wildwood,
She's loaded to the guards,
But yonder comes the Fleetwood,
An' she's the boat for me.

Chorus – Oh, ain't I gone, gone, gone, etc.

»Red' nur über Deine Railroads,
Die Dampfer und Kanäl';
Denn wär's nicht für die ›Liza Jane‹,
So gäb' es keine Höll'.

Chor – Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn,
Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn,
Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn,
Den Weg am Fluß entlang.

»Wo kriegst Du Deinen Whisky?
Wo kriegst Du Deinen Rum?
Ich kriegt' ihn dort in Bucktown,
Im Neunundneunzig-Haus.

Chor – Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn, usw.

Ich kam hin nach Bucktown,
War vorher noch nie da,
Grosser Niggah knockt' mich down,
Doch Katy riegelt zu.

Chor – Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn, usw.

Sie herzte mich, sie küßte mich,
Sie sagt', ich soll nicht schrein,
Sie meint', ich wär' der liebste Kerl,
Der lebte oder starb.

Chor – Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn, usw.

*

Dorten geht die Wildwood,
Bis zu den Schützern voll,
Doch dorten kommt die Fleetwood,
Und die ist's Boot für mich.

Chor – Oh, mußt' ich gehn, gehn, gehn, usw.«

An die Stelle der Refrainzeile »Den Weg am Fluß entlang« tritt oft »Den Weg nach Rockingham«.

Einer der jetzt am Ohio verbreitetsten Roustabout-songs ist der von Molly. Die Melodie ist leise und melancholisch, ergreifend in ihrer fremden traurigen Süßigkeit, wenn die farbige Mannschaft eines Schiffes, das sich dem Hafen nähert oder ihn verläßt, das Lied einstimmig im Chore singt. Der zwiespältige Charakter der armen Molly, gut und schlecht in einem, ist einigermaßen typisch für den Schatz des Stauers.

»Molly was a good gal and a bad gal, too.
Oh Molly, row, gal.

Molly was a good gal and a bad gal, too.
Oh Molly, row, gal.

I'll row dis boat and I'll row no more,
Row, Molly, row, gal.

I'll row dis boat and I'll go on shore,
Row, Molly, row, gal.

Captain on the biler deck a-heaving of the lead,
Oh, Molly, row, gal.

Calling to the pilot to give her, ›Turn ahead‹,
Row, Molly, row, gal.«

*

»Molly war ein gut Ding und ein schlecht Ding auch.
Oh Molly, zieh, Schatz.

Molly war ein gut Ding und ein schlecht Ding auch.
Oh Molly, zieh, Schatz.

Ich ruder dies Boot und dann keines mehr,
Zieh, Molly, zieh, Schatz.

Ich ruder dies Boot und dann geht's an Land,
Zieh, Molly, zieh, Schatz.

Captain auf dem Packerdeck, der lotet mit dem Blei,
Oh Molly, zieh, Schatz.

Ruft zum Steuermann rüber, Gib ihr ›ein Schlag vor‹,
Zieh, Molly, zieh, Schatz.«

Hier ein anderes mit einer langsamen gefälligen Melodie; besonders hübsch ist der Chor, wenn er gut gesungen wird.

»Shawneetown is burnin', down,
Who tole you so?
Shawneetown is burnin', down,
Who tole you so?

Cythie, my darlin' gal,
Who tole you so?
Cythie, my darlin' gal,
How do you know?

Chorus – Shawneetown is burnin', etc.

How the h – l d'ye 'spect me to hold her,
Way down below?
I've got no skin on either shoulder,
Who tole you so?

Chorus – Shawneetown is burnin', etc.

De houses dey is all in fire,
Way down below.
De houses dey is all in fire,
Who tole you so?

Chorus – Shawneetown is burnin', etc.

My old missus tole me so,
Way down below.
An' I b'lieve what ole missus says,
Way down below.«

Chorus – Shawneetown is burnin', etc.

*

»Shawneetown brennt ab, brennt ab,
Wer sagt Dir das?
Shawneetown brennt ab, brennt ab,
Wer sagt Dir das?

Cythie, mein süßer Schatz,
Wer sagt Dir das?
Cythie, mein süßer Schatz,
Wie weißt Du das?

Chor – Shawneetown brennt ab, usw.

Wie zum Teufel soll ich sie tragen,
Weit weg, weit weg?
Hab' keine Haut mehr auf den Schultern,
Wer sagt Dir das?

Chor – Shawneetown brennt ab, usw.

Die Häuser alle stehn in Feuer,
Weit weg, weit weg.
Die Häuser alle stehn in Feuer,
Wer sagt Dir das?

Chor – Shawneetown brennt ab, usw.

Meine Missus sagt mir das,
Weit weg, weit weg.
Und ich glaub' was alt Missus sagt,
Weit weg, weit weg.«

Chor – Shawneetown brennt ab, usw.

Die schwermütigste all dieser klagenden Weisen ist die Melodie von »Let her go by«. Das Lied wird gewöhnlich beim Verlassen des Hafens gesungen, während die Schätze der Sänger dem stromab gleitenden Fahrzeug nachblicken.

»I'm going away to New Orleans!
Good-by, my lover, good-by!
I'm going away to New Orleans!
Good-by, my lover, good-by!
Oh, let her go by!

She's on her way to New Orleans!
Good-by, my lover, good-by!
She bound to pass the Robert E. Lee,
Good-by, my lover, good-by!
Oh, let her go by!

I'll make dis trip and I'll make no more!
Good-by, my lover, good by!
I'll roll dese barrels, I'll roll no more!
Good-by, my lover, good by!
Oh, let her go by!

An' if you are not true to me,
Farewell, my lover, farewell!
An' if you are not true to me,
Farewell, my lover, farewell,
Oh, let her go by!«

»Ich fahr' nun nach New Orleans hin!
Leb' wohl, mein Lieb, leb' wohl!
Ich fahr' nun nach New Orleans hin!
Leb' wohl, mein Lieb, leb' wohl!
Oh, laß fahr'n dahin!

Sie schwimmt schon nach New Orleans hin!
Leb' wohl, mein Lieb, leb' wohl!
Sie muß am Robert E. Lee vorbei,
Leb' wohl, mein Lieb, leb' wohl!
Oh, laß fahr'n dahin!

Ich mach' den Trip, und dann keinen mehr!
Leb' wohl, mein Lieb, leb wohl!
Ich roll' die Fässer, dann keine mehr!
Leb' wohl, mein Lieb, leb' wohl!
Oh, laß fahr'n dahin!

Und hältst Du mir die Treue nicht,
Fahr' wohl, mein Lieb, fahr' wohl!
Und hältst Du mir die Treue nicht!
Fahr' wohl, mein Lieb, fahr' wohl!
Oh, laß fahr'n dahin!«

Das nächste hat einen fröhlicheren Charakter. Es ist, wenn ich mich recht erinnere, in einer etwas anderen Fassung in manchen Liederbüchern abgedruckt; aber so, wie es hier steht, wird es in den Broadway-Saloons gesungen.

»I come down the mountain,
An' she come down the lane,
An' all that I could say to her
Was, Good-by ›Liza Jane‹.

Chorus – Farewell, ›Liza Jane‹!
Farewell, ›Liza Jane‹!
Don't throw yourself away, for I
Am coming back again.

I got up on a house-top,
An' give my horn a blow;
Thought I heerd Miß Dinah say,
»Yonder comes your beau.«
(Chorus.)

Ef I'd a few more boards,
To build my chimney higher,
I'd keep aroun' the country gals,
Chunkin' up the fire.«
(Chorus.)

»Ich komm' den Berg herunter,
Sie kommt herab die lane,
Ich könnt' ihr grad' noch sagen
Leb wohl, ›Liza Jane‹.

Chor – Fahr wohl, ›Liza Jane‹!
Fahr wohl, ›Liza Jane‹!
Halt Dich recht fest und brav, denn ich
Komm bald zurück zu Dir.

Ich stieg 'rauf auf ein Hausdach
Und stieß 'mal in mein Horn;
Dacht' ich hört Miß Dinah schrein,
»Dorten kommt Dein Beau.«
(Chor.)

»Hätt' ich paar Bretter mehr,
Ich baut' mein' Rauchfang höher,
Und holt' mir alle Mädels 'ran
Mit dem großen Feuer.«
(Chor.)

Die nächsten Strophen sind Fragmente ziemlich langer Lieder, die ähnliche Texte, aber ganz verschiedene Melodien haben. Das erste wird kräftig und mit abgemessener Langsamkeit gesungen wie ein Schifferlied beim Ankerlichten, das zweite geht rasch und munter.

»Bella-a-Lee's got no time,
Oh, Belle! oh, Belle!
Robert E. Lee's got railroad time,
Oh, Belle! oh, Belle!

Wish I was in Mobile Bay,
Oh, Belle! oh, Belle!
Rollin' cotton by de day,
Oh, Belle! oh, Belle!«

*

»I wish I was in Mobile Bay,
Rollin' cotton by de day,
Stow'n sugar in de hull below,
Below, belo-ow,
Stow'n' sugar in de hull below!«

*

»De Natches is a new boat; she's just in her prime,
Beats any other boat on de New Orleans line.
Stow'n sugar in de hull below, etc.

»Engineer, t'rough de trumpet, gives de firemen news,
Couldn' make steam for de fire in de flues.
Stow'n' sugar in de hull below, etc.

»Cap'n on de biler deck, a scratchin' of his head,
Hollers to de deck hands to heave de larbo'rd lead.
Stow'n sugar in de hull below, etc.«

»Bella-a-Lee wollt' gar nicht vor,
Oh, Belle! oh, Belle!
Robert E. Lee legt mächtig vor,
Oh, Belle! oh, Belle!

Wollt' ich wär in Mobile Bay,
Oh, Belle! oh, Belle!
Rollte Baumwoll' unterm Tag,
Oh, Belle! oh, Belle!

*

»Ich wollt' ich wär in Mobile Bay,
Rollte Baumwoll' unterm Tag,
Staut' Zucker in den Rumpf hinab,
Hinab, hina-ab,
Staut' Zucker in den Rumpf hinab!«

»Die Natchez ist ein neues Boot, funkelnagelneu,
Schlägt jedes andre Boot auf der New Orleans-line.
Staut' Zucker in den Rumpf hinab, usw.

»Maschin'maat schreit durchs Sprachrohr alle Heizer an,
Kriegt' nicht Dampf genug, da half kein Feuern was.
Staut' Zucker in den Rumpf hinab, usw.

»Cap'n auf dem Packerdeck, der kratzt' sich hinterm Ohr,
Holt sich seine Mannschaft zum Backbordloten vor.
Staut' Zucker in den Rumpf hinab, usw.

*

Das hübscheste von allen diesen Liedern ist vielleicht The Wandering Steamboatman; wie viele andere Roustabout-songs zeugt es für die lockere Moral dieses Berufs.

»I am a wandering steamboatmann,
And far away from home;
I fell in love with a pretty gal,
And she in love with me.

She took me in her parlor
And cooled me with her fan;
She whispered in her mother's ear:
›I love the steamboatman‹«

»Ich bin ein wandernder Dampfbootmann,
Und weit von hier zu Haus';
Ich bin verliebt in ein hübsches Ding,
Und sie, sie liebt mich auch.

Sie nahm mich in ihr Zimmer,
Kühlt mit dem Fächer mich;
Sie flüstert in der Mutter Ohr:
›Ich lieb' den Dampfbootmann.‹«

Die Mutter bittet ihre Tochter, sich nicht mit dem Stauer einzulassen. »Du weißt,« sagt sie, »daß er ist ein Dampfbootmann, und hat ein Weib in New Orleans.« Aber der Dampfbootmann erwidert ganz nonchalant:

»If I've a wife at New Orleans,
I'm neither tied nor bound;
And I'll forsake my New Orleans wife,
If you'll be truly mine.«

»Hab ich ein Weib in New Orleans,
Das hält und bind't mich nicht;
Und ich verlaß' mein New Orleans-Weib,
Wenn du in Treu'n wirst mein.«

Ein anderer nicht gerade moralischer Song ist bei den liederlichen Weibern der Rows sehr beliebt; wir können leider nur eine Strophe bringen:

»I hev a roustabout for my man –
Livin' with a withe man for a sham,
Oh, leave me alone,
Leave me alone,
I'd like you much more if you'd leave me alone.«

»Ich hab' einen Roustabout zum Mann –
Leb' mit einem weißen Mann nur so,
Ach, laß' mich in Ruh'.
Laß' mich in Ruh',
Du bist mir viel lieber, wenn Du läßt mich in Ruh.«

Aber am liebsten singen die Roustabouts den Limber Jim oder Shiloh. Nur sehr wenige können ihn ganz auswendig, was nicht weiter verwunderlich ist, denn es dauert zwanzig Minuten, wenn der Limber Jim vollständig gesungen wird. Der einzige in der Stadt, der den Song »durchsingen« kann, ist ein farbiger Arbeiter, der viele Jahre »auf dem Fluß gefahren« ist und sich als Limber Jim-Sänger einen solchen Ruhm erworben hat, daß man ihn selber so taufte und nur noch mit diesem mythischen Namen ruft. Er führt eine kleine Kneipe in Bucktown, die allgemein »Limber Jim's« heißt und als gemütliches Lokal bekannt ist. Jim hatte vor ein paar Nächten die Freundlichkeit, uns das Ganze vorzusingen, und zum Besten unserer Leser brachten wir die eindrucksvollsten Verse zu Papier. Die Melodie ist sehr munter und fröhlich, und der Chor wirklich aufregend. Der Vorsänger singt die einzelnen Strophen und die Stichworte des Refrains; das Shiloh wird gewöhnlich von zwanzig oder dreißig mächtigen Bässen wie auf Kommando hervorgestoßen und dröhnt wie das Brüllen von zwanzig Chinesengongs, die mit kolossaler Wucht und Präzision geschlagen werden. Ein großer Teil des Limber Jim ist sehr ordinär und eignet sich deshalb nicht zum Druck; wir können nur ungefähr ein Zehntel des Liedes bringen. Beim Chor schlagen sich die Neger häufig auf Schenkel und Hüften – das bekannte »Jubaklopfen«.

Nigger an' a white man playing seven-up,
White man played an ace, an' nigger feared to take it up;
White man played ace an' nigger played a nine,
White man died, an' nigger went blind.

Limber Jim,
(All.) Shiloh!
Talk it agin,
(All.) Shiloh!
Walk back in love,
(All.) Shiloh!
You turtle-dove,
(All.) Shiloh!

Nigger und ein Weißer spielten seven-up,
Weißer spielt' ein Aß, und Nigger sich nicht stechen traut;
Weißer spielt' ein Aß, und Nigger spielt' 'ne Neun,
Weißer starb, und Nigger wird blind.

Limber Jim,
(Alle) Shiloh!
Sag's noch einmal,
(Alle) Shiloh!
Lieb' immer zu,
(Alle) Shiloh!
Du Täubchen Du,
(Alle) Shiloh!

Went down the ribber, couldn't get across;
Hopped on a rebel Anm.d.Übers.: rebel = Aufrührer; wohl eine Reminiszenz an Sklavenaufstände. louse; thought 'twas a hoss; Anm. d Übers.: Ein Doppelsinn, der im Deutschen nicht wiederzugeben ist; hoss (horse = Pferd) heißt im Amerikanischen auch »handfester Bursche, Hauptkerl«.
Oh lor', gals, 't aint no lie,
Lice in Camp Chase big enough to cry, –

Limber Jim, etc.

Lief lang am Ufer, könnt' nicht übern Fluß;
Hoppt' auf 'ne Putscherlaus; dacht' 's wär ein Roß;
Ja, Mädels 's ist schon wahr,
Camp Chase-Läus' sind groß genug zum Schrein.

Limber Jim, usw.

Bridle up a rat, sir; saddle up a cat,
Please han' me down my Leghorn hat,
Went to see widow; widow warn't home;
Saw to her daughter, – she gave me honey-comb.

Limber Jim, etc.

Zäum auf'ne Ratz', Sir; sattl, auf'ne Katz,
He, lang mir meinen Strohhut her,
Ging zu der Witwe; Witwe war nicht da;
Kam zu der Tochter, – die schnitt mir Honig ab,

Limber Jim, usw.

Jay-bird Anm. d.Übers.: jay = Häher hat die Nebenbedeutung »leichtfertiges Ding«. (Im Deutschen: Zeisig – »lockerer Zeisig«.) sittin' on a swinging limb,
Winked at me an' I winked at him.
Up with a rock an' struck him on the shin,
G–d d–n yer soul, don't wink again.

Limber Jim, etc.

Vöglein saß auf einem Schaukelast,
Blinzelt' mir, und ich blinzelt' ihm.
Rauf mit 'nem Ruck und bumst' ihn auf das Bein,
Verdammtes Aas, wink' nicht noch 'mal.

Limber Jim, usw.

Some folk says that a rebel can't steal,
I found twenty in my corn-fiel',
Sich pullin' of shucks an' tearin' of corn! –
Nebber saw the like since I was born.

Limber Jim, etc.

Wer sagt, daß 'n Putscher nicht stehl'n kann?
Ich fand zwanzig in meinem Feld,
Was rupften herum und zupften am Korn! –
Hab' mein Lebtag so was nicht gesehn,

Limber Jim, usw.

John Morgan come to Danville and cut a mighty dash,
Las' time I saw him, he was under whip an' lash;
›Long come a rebel at a sweepin‹ pace,
Whar 're ye goin', Mr. Rebel? »I'm goin' to Camp Chase.«

Limber Jim, etc.

John Morgan kam nach Danville und tat sich mächtig groß.
Das letztemal noch hatt' er vor der Fuchtel Angst;
Es kam ein Putscher schnell vorbeigerannt,
Wohin willst Du, Mr. Putscher? »Ich will zum Camp Chase gehn.«

Limber Jim, usw.

Way beyond de sun and de moon,
White gal tole me I were too soon.
White gal tole me I come too soon,
An' nigger gal called me an ole d – d fool.

Limber Jim, etc.

Jenseits weit von Sonne und Mond,
Weiß' Mädel sagt, da bist Du schon.
Weiß! Mädel sagt, Du kommst zu früh,
Und schwarz' Mädel schimpft mich ein blödes Vieh.

Limber Jim, usw.

Eighteen pennies hidden in a fence,
Cynthiana gals ain't got no sense;
Every time they go from home,
Comb thar heads wid an ole jaw bone.

Limber Jim, etc.

Achtzehn Pennies in 'nem Zaun versteckt,
Cynthiana-Mädels sind verdreht;
Immer wenn sie 'runtergehn,
Machen sie die Haare mit 'ner Kinnlade schön.

Limber Jim, usw.

Had a little wife an' didn' inten' to keep her;
Showed her a flatboat an' sent her down de ribber;
Head like a fodder-shock, mouf like a shovel.
Put yerself wid yaller gal, put yerself in troubble.

Limber Jim, etc.

Hatt' 'n kleines Weib und wollt' sie nicht mehr haben;
Steckt' sie in 'nen Kahn hinein und ließ sie 'runter schwimmen;
Kopf wie ein Strohgebund, Maul wie 'ne Schaufel,
Spielst Du Dich mit gelbem Schatz, spielst Dich mit dem Deiwel.

Limber Jim, usw.

I went down to Dinah's house, Dinah was in bed,
Hoisted de window an' poked out her head;
T'rowed, an' I hit in her de eyeball, – bim;
»Walk back, Mr. Nigger; do'nt do dat again.«

Limber Jim, etc.

Kam ich hin zu Dinah's Haus, Dinah war im Bett,
Machte das Fenster 'rauf und sucht' mir ihren Kopf;
Schmiß, und ich traf sie mitten im Auge, – bim,
»Geh weg, Mr. Nigger; tu das nicht nochmal.«

Limber Jim, usw.

Gambling man in de railroad line,
Saved my ace an' played my nine;
If you want to know my name,
My name's High-low-jack-in-the-game.

Limber Jim,
Shiloh!
Talk it again,
Shiloh!
You dancing girl,
Shiloh!
Sure's you're born,
Shiloh!

Spielt' da wer in der Railroad-line,
Spart' mein As und spielt' die Neun;
Willst Du wissen, wer ich bin,
Ich bin der Ober-unter-Bub-in-dem-Spiel.

Limber Jim,
Shiloh!
Sag's noch einmal,
Shiloh!
Tanzmädel he,
Shiloh!
Bist mal auf der Welt,
Shiloh!

Grease my heel with butter in the fat,
I can talk to Limber Jim better'n dat.

Limber Jim,
Shiloh!
Limber Jim,
Shiloh!
Walk back in love,
Shiloh!
My turtle dove,
Shiloh!

Schmier' mir die Füße ein mit Butter in dem Faß,
Ich erzähl' dem Limber Jim was Besseres als das.

Limber Jim,
Shiloh!
Limber Jim,
Shiloh!
Lieb' immer zu,
Shiloh!
Mein Täubchen Du,
Shiloh!

(Patting Juba) – And you can't go yonder,
Limber Jim!
And you can't go yonder,
Limber Jim!
Ant you can't go – oo – o!

(Juba schlagend) – Und Du kannst nicht gehn dort,
Limber Jim!
Und Du kannst nicht gehn dort,
Limber Jim!
Und Du kannst nicht gee – ehn!

Sehr bemerkenswert ist es, daß diese Negersänger den irischen Akzent mit einer Vollkommenheit nachahmen können, die ein Amerikaner, ein Engländer oder ein Deutscher nie erreichen würde. An dem Abend, als wir Limber Jim interviewten, trug Jim Delaney, ein ganz dunkler Mulatte, auf Bitten des Schutzmanns Tighe und seines Begleiters das berühmte irische Liedchen »The hat me fahther wor-re« (Das ist der Hut von Vatern) geradezu vollendet vor, obwohl er trotz seines Namens wahrscheinlich nicht einen Tropfen irisches Blut in den Adern hat; ebensowenig wie sein Freund Jim Harris, der in den ausgelassenen Chor einfiel:

»'Tis the raylics of ould dacency,
The hat me fahther wor – r – re.«

»Was vom guten alten Anstand blieb,
Das ist der Hut von Va – ahtern.«

Jim Delaney würde in einer Sängertruppe als irische Spezialität sicherlich Ehre einlegen; er kopiert den Tonfall des Irischen mit vollkommener Treue und hat einen schmiegsamen und umfangreichen Baß. Er »fährt« auf dem Fluß.

Gegenüber dem Lokal, wo wir uns dank Limber Jim und seinen Freunden so gut unterhalten hatten, liegt das beliebteste Tanzhaus der farbigen Dampfbootleute und ihrer Mädels; der Eintritt kostet zehn Cents. Der Besitzer hat wohlweislich für einen Schutzmann gesorgt, der die nicht immer leichte Aufgabe hat, die Ruhe und Sicherheit im Lokal zu gewährleisten. Die Frequenz der Kundschaft hängt fast ganz vom Flußverkehr ab; während des größeren Teils der Woche ist der Zuspruch gering, doch wenn die New Orleans-Boote anlegen, sind die Räume zu klein für den Andrang. Die Männer müssen außer dem Eintrittsgeld noch ein Zehncentstück für jeden Tanz erlegen – soviel muß man sich das »Engagieren einer Dame« kosten lassen. Sind die Zeiten schlecht und das Geld knapp, so bezahlen oft die Mädchen für ihre Kavaliere, um zum Tanzen zu kommen.

Mit seinen ungeputzten und fensterlosen Wänden, seinem sandbestreuten Boden und seiner verwahrlosten Decke, halb Bretter, halb rissiger Bewurf, mit der schmierigen schwarzen Kasse in der einen Ecke und den rohen Bänken an den Wänden machte dieser Tanzsaal einen ziemlich merkwürdigen Eindruck auf uns. In der Ecke gegenüber dem »Bufett« war eine lange Bank umgekehrt an die Wand gestellt, mit der Lehne nach außen; auf dieser saßen die Musiker, die Füße innen auf die Sitzfläche gestützt. Eine kleine stämmige Negerin, der Polizei als Anna Nun bekannt, die nachlässig angezogen war und einen Nachtschal um den Kopf gewickelt hatte, spielte recht anständig Cello; ein Mulatte zupfte Banjo, und ein etwas hellerer Musiker führte das Orchester mit seiner Geige, die er gut und mit großem Feuer spielte.

Das Publikum war eine ganz buntscheckige Gesellschaft: die Mädchen alle in netten, sauberen Kleidern, die ärmeren Roustabouts ziemlich zerlumpt; die Kostümierung mancher von diesen armen Teufeln bestand nur aus Hemd, Hose und einem fürchterlichen Hut. Ein paar hübsche Weiber rauchten unförmige Zigarren. Bill Williams, ein gutmütiger, schwarzer Riese, der einen Saloon in Bucktown hat, spielte eine Zeitlang den Zeremonienmeister. Der Tüchtigste auf dem »Parkett« war ein kleiner, untersetzter Roustabout, ein wunderbarer Gigue-Tänzer; Walzer tanzte er mit einem vollen Glas auf dem Kopf, ohne einen Tropfen zu verschütten. Ein Viertel der Frauen bestand aus Weißen; darunter waren zwei Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren, deren Gesichter die Spuren frühen Lasters zeigten. Das hübscheste Mädchen im Lokal war eine schlanke, geschmeidige Quarteronin, Mary Brown, mit kastanienbraunem Haar, schönen grauen Augen und einer Haut von untadelhafter Reine; sie sah aus wie die Unschuld selbst. Ein kleines bewegliches Mulattenmädchen mit einem blauen Bändchen im Haar, die für ihre tollen »Kehraus-Tänze« berühmt war, hatte eben erst eine Strafe wegen schweren Diebstahls abgesessen. Aber unsere Aufmerksamkeit wurde bald von einer anderen Frau in Anspruch genommen, einer riesigen, malerisch in ein rotes Tuch gehüllten Negerin, die einen wahren Wald krauser Haare auf dem Kopf hatte. Man erzählte uns, daß sie eine gewitzte Diebin sei, der Polizei wohlbekannt, und daß es zu ihren Spezialitäten gehöre, ihrem Partner beim Tanzen die Taschen auszuräumen und das gestohlene Geld im Haar zu verstecken.

»Was meinen Sie, wie viele von den Leuten haben wohl Messer bei sich?« fragten wir den Schutzmann Tighe.

»Alle,« war die Antwort. »Alle Männer, und auch die Frauen, haben Messer oder Rasiermesser bei sich; und viele auch noch Pistolen. Aber sie streiten sich selten, wenn sich's nicht um ein Mädel handelt. Ihr Hauptlaster ist Stehlen; und an den Keilereien hier unten sind gewöhnlich weiße Strolche schuld, die hier bei uns nur auftauchen, wenn sie ein Ding drehen wollen.«

Die Musik spielte »Des Teufels Traum«, eine tolle, stürmisch-ausgelassene Melodie, die »die Verfolgung eines Rattengespensts durch einen musikalischen Katzengeist« mit einer Folge von »Miau's« und »Quiek's« auf der Geige schildert. Dazu wurde eine Doppel-Quadrille getanzt, erst schweigsam und schnell; aber bald, vom wilden Tempo der Musik gepackt, sprangen und schrien die Tänzer, schwangen einander vom Boden hoch und hielten dabei mit solcher Präzision Takt, daß das ganze Gebäude im Rhythmus der Musik erschüttert wurde. Bei diesem Schwingen schlangen die Weiber ihre Hände um die Nacken ihrer Partner, während die Männer sie um die Taille faßten. Manchmal traten die Burschen vor, sprangen hoch und kreuzten die Beine in einer doppelten Schlinge, so schnell, daß man es kaum noch sehen konnte. Dann ging die Musik in eine alte Virginiaweise über, und der Tanz wurde zum denkbar groteskesten Schauspiel. Immer zügelloser wurde getanzt; die Männer schlugen Juba und brüllten, die Negerweiber tanzten mit geradezu phantastischer Grazie – ihre Körper bogen sich in fast unwahrscheinlichen Kurven vor- und rückwärts – Glieder verschlangen sich rasch in einem Ringen miteinander nach dem Takt der Musik – den ganzen Raum füllte eine Flut schwingender Leiber, rudernder Arme und fliegender Haare. Die weißen Tänzerinnen wirkten neben ihren dunklen Gefährtinnen ungeschickt, plump, schwer; der Geist der Musik war nicht in ihnen; sie paßten nicht in das Leben um sie. Noch einmal wechselte die Musik – in ein populäres Negerlied mit dem Refrain:

»Dont get weary,
I'm goin' home.«
(»Werd' nicht böse,
Ich geh' ja schon.«)

Die Musikanten begannen zu singen; die Tanzenden fielen ein, und der Tanz endete mit einem Getöse von Singen, Füßestampfen, Jubaschlagen, Brüllen, Lachen, Wirbeln. Sogar die Zuschauer klopften unwillkürlich mit den Füßen den Takt mit; es war ein richtiges Trunkensein von Musik, eine Art Tanzvergiftung. Bei solchen Szenen ist der Roustabout in seinem Himmel, und dieser Himmel ist durchaus nicht zu verachten.

Der Haupttanzplatz der Dampfbootleute war früher »Picket's« im Sausage Row gewesen; aber alljährlich kam der Fluß herauf und überschwemmte die schmutzigen Saloons im Row. So vermietete Picket sein altes Lokal, teils als Barbierstube, teils als Schießstand, und zog in die Front Street. Im Souterrain seines neuen Hauses wird getanzt, aber der Raum ist sehr klein und faßt nicht halb soviel Leute wie der Saal im Sausage Row. Das Obergeschoß vermietet der Alte an Flußleute und ihre Frauen oder Geliebten, und im zweiten Stock hat er hübsche und saubere Eßräume. Was Picket auch auf dem Kerbholz haben mag, er hat ein Herz voll selbstlosester Nächstenliebe, die alles wieder gut macht. Jahr für Jahr, ob es ihm gut oder schlecht geht, verköstigt er täglich fünfzig bis sechzig unterkunftslose, bedürftige Dampfbootleute. Wenn der Flußhandel gut geht und alle Boote vollauf zu tun haben, kommt es vor, daß ein dankbarer Kostgänger seinem Wohltäter etwas zurückzahlt – aber das ist ein sehr seltener Fall. Und der alte Mann fragt nicht und erwartet auch nichts, er sagt nur: »Jungs, wenn ihr Euer Geld ausgeben wollt, dann gebt's bei mir aus.« Obwohl er alt und infolge eines Bruchs ziemlich schwerfällig ist, braucht er doch nur auf den Schanktisch zu schlagen, um in seinem Saloon augenblicklich Ruhe zu schaffen. Den Roustabouts wird der alte Mann fehlen, wenn er einmal die Augen zugemacht haben wird – dann wird es vorbei sein mit der warmen Ecke zum Schlafen, mit der tüchtigen Portion Gratisessen, und auch die freundliche Grobheit werden sie vermissen, mit der er die Bitte um Kost und Quartier zu beantworten pflegte: »Hol' Dich der Teufel, Du verdienst es nicht; aber komm rein und benimm Dich anständig.« Und der Tag, da man am Damm um ihn trauern wird, ist nicht mehr fern.

Die Roustabouts bleiben, wenn sie nicht gerade in Ryan's Tanzhaus oder in eines der zwei Bucktown-Logierhäuser gehen, in den Rows, hauptsächlich im Sausage und im Rat Row; das berühmtere ist wohl Sausage Row. No. 1 gehört dem alten Barney Hodke, der in großem Ansehen steht, weil er in sehr liederlicher Umgebung ein tadellos ordentliches Haus führt. No. 2 ist Cottonbrooks Kleiderladen, alias »American Clothing Store«, dessen Eigentümer mit dem Verkauf billiger Kleidungsstücke an die Negerstauer ein Vermögen gemacht haben soll. No. 3 Mrs. Sweeney's Saloon und Herberge, ein anständiges Unternehmen zur Aufnahme von Flußleuten. No. 4 ein Kost- und Logierhaus für Roustabouts, von einem Weißen, Frank Fortner, geführt. No. 6 eine Barbierstube für Farbige, daneben ein Kleiderladen. No. 7 ein berüchtigtes Haus, geleitet von einer Weißen namens Mary Pearl, die ein paar arme weiße Mädels »beherbergt«; es wird von Farbigen frequentiert. No. 8 ist »Maggie Sperlock's«. Maggie hat noch einen Saloon in Bucktown. Sie ist eine fette, alte Mulattin mit einem guten Herzen; in ihrem Haus wächst ein halbes Dutzend unehelicher Kinder auf, um die sich die Eltern nicht kümmern. Eines davon, ein auffallend hübscher Junge, soll der Sohn einer weißen Dame der Gesellschaft und eines Mulatten sein.

No. 9 heißt jetzt »Chris. Meyer's«; als Meyers Frau noch lebte, war es allgemein als »Schwabe Kate's« bekannt. Hier verkehren hauptsächlich deutsche Tramps.

Dann kommen eine Barbierstube und ein Schießstand – »Long Branch« und »Saratoga«. Das sind die Räume, die Picket früher innegehabt hat.

Ein paar Häuser weiter östlich folgt Chas. Redman's Saloon, den ein Invalide führt – ein Lieblingsplätzchen der Roustabouts, an dem schon mancher Neugierige ausgeraubt worden ist. Nicht weit davon steht Picket's neuer Gasthof. In den beiden Rows haben die Wachtmeister Brazil und Knox in den zwei letzten Jahren nicht weniger als zweihundertsechsundfünfzig Verhaftungen vorgenommen. Das unruhigste Element stellen natürlich die weißen Tramps.

Unter den Farbigen gibt es viele gewandte Diebe; sie arbeiten gewöhnlich zwei bis drei Monate und »feiern« dann, bis das ganze Geld seinen Weg in die Whiskybuden und Bordelle gegangen ist. Fast täglich wird von solchen Burschen, die sich ausgezeichnet auf die »Arbeit zu zweien« verstehen, in den kleinen Schuh- und Kleiderläden am Damm etwas gestohlen. Da geht zum Beispiel einer mit einem kalten Zigarrenstummel in einen Schuhladen und sagt: »Hör mal, Bohss, gib mal 'nem Burschen Feuer.« Während nun der »Bohss« dem Burschen, der sich die ganze Zeit sorgfältig zwischen Eigentümer und Eingang hält, Feuer reicht, macht sich ein Bundesgenosse mit einem Paar Schuhen aus dem Staub. Ein Tunichtgut, der »China Robinson«, ist für solche Tricks berühmt. Aber die Polizei erlaubt keinem, den sie als Müßiggänger oder Dieb kennt, sich länger als einen Monat stellungslos am Damm herumzutreiben. Für Arbeitswillige gibt es immer etwas zu tun, und Roustabouts, die sich vom Faulenzen und vom Dreck durchaus nicht trennen wollen, werden nach ein oder zwei freundlichen Verwarnungen ins Arbeitshaus gesteckt.

Die meisten farbigen Hafenarbeiter haben bis vor kurzem Sommer und Winter nur Rock und Hose getragen; jetzt achten sie etwas mehr auf sich, wohl auch, weil sie Angst haben, zur Säuberung ins Arbeitshaus zu kommen. Infolgedessen hat es Wachtmeister Brazil nur selten nötig, einem schmutzigen Kerl aus dem Row ein zweites Mal zu bedeuten, er solle sich ein Hemd und eine Garnitur Kleider zum Wechseln anschaffen.

Die Frauen machen im allgemeinen wenig Scherereien. Einige der weißen Mädels, die jetzt bei Picket oder in Bucktown-Bordellen wohnen, sind aus guter Familie. Alle diese Weiber sind Morphinistinnen und leben in ständiger Angst, ins Arbeitshaus zu kommen und dort das geliebte Gift entbehren zu müssen. Manche sind, wie es heißt, darin gestorben, weil sie sich kein Morphium verschaffen konnten. Aber so oder so sterben die weißen Mädels im Row früh; der giftige Fusel und das ausschweifende Leben am Damm bringen sie meist nach zwei oder drei Jahren um. In der Regel behandeln die Roustabouts, die von Natur aus gutmütig sind, ihre Frauen nicht schlecht; viele von den Weibern werden wirklich geheiratet. Aber einem Roustaboutgatten treu zu bleiben, gilt am Damm als eine ganz unmögliche Tugend. Die Stauer sind fast immer zu leichtsinnig und zu träge, ihre Mädels zu unterhalten. Während die Männer unterwegs sind, schwatzen die Mädels ununterbrochen herum, was sie sich alles kaufen können, »wenn mein Mann zurückkommt – wenn er Geld hat«. Aber wenn der Geliebte dann da ist, oft nachdem er einen ganzen Monat weggewesen war, schenkt er seinem Mädel vielleicht fünfzig Cents oder höchstens einen Dollar und glaubt dann noch, weiß Gott wie nobel gewesen zu sein. Das gilt natürlich nur für die große Masse der farbigen Roustabouts, die ihr ganzes Leben »auf dem Fluß fahren« und keinen anderen Beruf haben. Selbstverständlich gibt es auch sparsame und fleißige Stauer, die sehr gut für ihre Familien sorgen und schließlich den Fluß verlassen, wenn sie eine einträglichere Beschäftigung gefunden haben.

So sind sie, diese Roustabouts; und so ist ihr Leben. Ein anderes kennen sie nicht; für andere Wonnen haben sie keinen Sinn. Ihr ganzes Dasein ist ein traumhaftes Ineinanderfließen von triebhafter Lust und sinnlicher Not; von Mühsal unter den sengenden Strahlen der Sommersonne und Mühsal unter dem eisigen Glanz des Wintermonds; von wildem Trinken und trunkenen Träumen; vom Rausch der Musik und der Ekstase phantastischer Tänze; von weißen und schwarzen Geliebten, deren bunt-leuchtende Kleider im Winde flattern, wenn sie auf den Dämmen den Ankommenden entgegenwinken; von dem tiefen Klang der großen Dampfpfeifen; vom Schein der Pechfeuer, der rot über das schwarze Wasser tanzt, den weißen Sternen, die am Himmel segeln, den Lichtern bekannter Hütten, die an den dunklen Flußufern zurückbleiben, und dem mächtigen Schlagen des Eisenherzens im Schiff, das sie Tag um Tag und Nacht um Nacht an stets neue Schauplätze des menschlichen Elends bringt, – immer näher dem düstern Ufer zu, wo geisterhafte Boote ewig gespenstische Fracht ausschiffen und leer wieder scheiden.


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