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Ungewöhnliche Erlebnisse

Aus den Erinnerungen einer Geisterseherin

»Die Leute sagen immer, daß die Toten nicht wiederkommen,« meinte sie nachdenklich, »aber ich habe doch selbst so merkwürdige Dinge gesehen!«

Sie war ein gesundes, gut gebautes Landmädchen; auch der strengste Kritiker konnte nicht leugnen, daß sie hübsch war, und trotz aller Plackereien in einer Pensionsküche war sie kräftig und frisch geblieben; nur in ihren Augen war etwas seltsam Versonnenes, als gingen sie immer einem Wesen nach, das keinen Schatten warf und sich den Blicken der anderen verbarg. Spiritisten pflegten sie als starkes Medium zu bezeichnen, obgleich sie einen eigenartigen Widerwillen zeigte, als solches zu gelten. Sie hatte niemals lesen und schreiben gelernt, besaß aber von Natur aus einen erstaunlichen Wortschatz, ein mehr als gewöhnliches Gedächtnis und ein Plaudertalent, um das ein italienischer improvisatore sie beneidet hätte. Dies alles lernte ich an einem Sommerabend kennen, als ich eine müßige halbe Stunde mit ihr auf der Küchenstiege verplauderte, während die Gäste in der mondhellen Halle umherlungerten, der Lampenschein unruhige Schatten durch die Korridore warf und die hungrigen Ratten im dunklen Eßzimmer einen geräuschvollen Karneval abhielten. Den feierlichen Ernst, mit dem das Mädchen seine Geschichten vorbrachte, die Melodie ihrer tiefen, weichen Stimme und die ergreifende Anmut, mit der sie erzählte, lebendig erstehen zu lassen, ist unmöglich; ich werde auch nicht versuchen, ihre mysteriösen Erzählungen Wort für Wort wiederzugeben, ich will nur dem Leser die Eindrücke vermitteln, die diese in meinem Gedächtnis hinterlassen haben.

»Die ersten Geistersachen, an die ich mich erinnern kann,« erzählte sie, »erlebte ich als ganz kleines Kind. Es war in Bracken County, Kentucky, auf einer Farm zwischen Dover und Augusta – ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Städten –, denn ich erinnere mich an einen großen, schweren Stein, der auf der Straße gerade gegenüber der Farm aufgestellt war; er hieß der ›Halbewegstein‹, und ein großes H war auf ihm eingeritzt. Das Farmhaus lag abseits am Fluß, an einem einsamen Platz mitten in einem Buchenwäldchen; es war das unheimlichste alte Haus, das Sie sich vorstellen können. Es war gebaut worden, bevor man in Kentucky Nägel verwendete; Sie können sich also denken, wie alt es war; und ich habe gehört, daß die Familie, die zuerst da war, viele schreckliche Gefechte mit den Indianern hatte. Vor dem Haus lief ein steiniger Weg vorüber, der voller Furchen und Schmutzlöcher war; und dahinter gab es einen großen Obstgarten, in dem aber nur sehr wenig Äpfel wuchsen, weil niemand die Bäume pflegte. Große schleimige Schlingpflanzen waren an ihnen hinaufgewachsen und strangulierten sie; und die kleinen Wege waren fast ganz mit starkem Gras und hohem fettem Unkraut überwachsen; und Eulen lebten auf einigen Bäumen, aber die Familie schien Angst davor zu haben, sie zu erschießen. Am Ende des Obstgartens gähnte ein großer tiefer Brunnen; in das stinkende Wasser waren tote Hunde und Katzen und Kaninchen geworfen worden; die Steine waren ganz glitschig und grün vom Moos; auch auf dem Eimer war Moos gewachsen; und große schwarze Schlangen, die in den Löchern an den Brunnenseiten lebten, krochen heraus, wenn die Sonne schien, und blinzelten mit ihren bösen schimmernden Augen zum Haus hinüber. Dieser Brunnen war am Eingang einer großen Höhle, die versperrt war von Holunderbüschen und diesem Unkraut, das nicht umzubringen ist, und dort lebten allerhand Nattern und anderes Schlangenzeug. Nahe von der Höhle, auf der anderen Seite, floß ein kleiner Wasserarm vorüber, über ein Bett aus weichem Lehm, aus dem wir immer Griffel und Schmutzkuchen machten. Einmal wollten wir dort einen kleinen Teich machen, um ein paar Gänse hineinzusetzen, und wie wir so mit unserem Grabscheit im Lehm herumstocherten, fanden wir vier große dicke mexikanische Dollars, die da vergraben waren. Wir wußten damals nicht, was sie eigentlich waren, und brachten sie ins Farmhaus, und dort nahmen sie sie uns weg. Einige Zeit später kamen zwei Männer und kauften das Stückchen Boden, wo wir das Geld gefunden hatten, und machten sich ans Graben; aber es wurde dort nie mehr was gefunden.

Das Farmhaus sah aus, als ob es vor hundert Jahren errichtet worden wäre, aber es war gut und fest gebaut worden, denn es war vom Dach bis zu den Grundmauern sehr gut erhalten. Viele von den großen Bäumen im Obstgarten, die die Erbauer gepflanzt hatten, waren verdorrt und abgestorben, und unter der abgeschälten Rinde hatten sich Asseln ihre Nester eingebohrt; aber das alte Haus stand noch immer fest da. Es war ein ganz verrückter, altmodischer Bau mit gespenstisch aussehenden Giebeln mit großen Rauchfängen aus Kalksteinen an jeder Ecke. Es waren vier große Zimmer drin, zwei oben und zwei ebenerdig, und eine kleine Küche, die an das Haus angebaut war, machte einen fünften Raum aus; es waren fünf altmodische Türen aus schweren Bohlen da und acht oder zehn kleine Fensterchen mit ganz dünnen Scheiben. Das Haus war aus Sarsaparillaklötzen gebaut, mit Fußböden aus Nußbaum, und die Wände waren mit Eschenholz verkleidet; es gab keine Gesimse, sondern nur kleine Vertiefungen in den Mauern, in denen Bücher und aller möglicher Krimskrams aufbewahrt wurden. Die Dachschindeln waren am Gerähm mit Holzpflöcken fest gemacht, und die Dielen waren an den Längsbalken angedübelt. Im oberen Südzimmer steckte zwischen der Bretterwand und den Balken eine alte Aufständischenmuskete in der Wand. Das Nordzimmer daneben wurde nie benutzt.

Ich kann mich sehr gut auf dieses Zimmer besinnen; denn die Tür war oft auf, wenn sich auch keiner von der Familie hineintraute, seit eine alte Dame – Frankie Boyd hieß sie – drin gestorben war, vor vielen Jahren, an der Auszehrung. Sie war lange bettlägerig und hustete fast den ganzen Tag und spuckte immer auf die Wand neben dem Bett. Das Bett war ein ganz altes Möbel mit Pfosten; und überhaupt war die ganze Einrichtung altmodisch. Da stand ein alter Kleiderschrank mit Füßen und ein alter Schaukelstuhl mit ganz schweren Kufen und ein altes Spinnrad. Ein Kleid von der alten Dame, ein schwarzes, hing noch an der Wand, da, wo sie es hingetan hatte, als sie es das letztemal auszog; aber es war so alt geworden und von den Motten so zerfressen, daß es wie verbranntes Papier auseinandergefallen wäre, wenn man es angefaßt hätte. Dicker Staub lag auf dem Fußboden, so dick, daß man mit dem Fuß Spuren drin machte; und die Fenster waren schon ganz gelb, so lange waren sie nicht sauber gemacht worden.

Es hieß, daß die alte Dame in dem Zimmer umgeht, und daß man deshalb nicht drin schlafen kann. Türen gingen auf und knallten zu, ohne daß eine Menschenhand sie anrührte; und jede liebe Nacht hörte man durchs ganze Haus, wie der Schaukelstuhl schaukelte, und wie das Spinnrad schnurrte. Das war es, warum überhaupt niemand in das Zimmer gehen wollte. Aber der Geist von Frankie Boyd war nicht das einzige Gespenst, das da war. Das Haus hatte einmal der Paddyfamilie gehört, und Lee Paddy, der ›Alte‹, und alle seine Kinder waren in dem Zimmer gestorben, das als Küche benützt wurde, als ich da war, und lagen im Familienfriedhof auf der Nordseite vom Haus, unter dem Schatten eines großen Akazienbaums. Als Frankie Boyd tot war, kam das Haus an ihren Neffen, einen Mann, der Bean hieß, und der einen reichen Vater hatte, einen gelehrten alten Herrn, in Lewis County. Beide, der Alte und der Junge, waren Querköpfe, und den Alten kostete seine Verrücktheit einmal beinahe sein Leben. Irgend jemand brachte eine riesige Natter auf seiner Farm um, und der gelehrte Mr. Bean hatte sie zum Essen gekocht, wie man einen Lachs zubereitet. Dann lud er sich einen Nachbar, mit dem er befreundet war, zum Essen ein. Der Nachbar hat sich angeblich das Essen gut schmecken lassen, und nachher soll er erklärt haben, daß er noch nie in seinem Leben so einen guten Lachs gegessen hat. Aber als ihm dann der alte Bean erzählte, daß das eine Natter war, die der John gestern früh erschlagen hatte, rührte ihn fast der Schlag, und er taperte nach Hause um seine Flinte. Bean traute sich danach wochenlang nicht aus dem Haus.

Nach dem Tod von Frankie Boyd wurde das alte Farmhaus in Bracken County natürlich noch viel unheimlicher und verspukter wie früher – die Neger aus der Umgebung nannten es immer den ›Erschreckplatz‹. Überall im Haus krachte es fürchterlich, und man konnte die alten Stiegen nicht 'runtergehen und sich überhaupt nicht rühren, ohne ein schreckliches Knarren und Knacken zu machen. Und zu allen Tag- und Nachtstunden knackten und knarrten die Stufen, und Türen gingen auf und schlugen zu, und Schritte hallten über einem in den Zimmern oben. Ich war damals ein ganz kleines Mädel und hatte einen kleinen Jungen zum Spielkameraden, der sich mit mir immer auf der ganzen Farm herumtrieb: wir buddelten im Schmutz, rannten den Hühnern nach und guckten den großen Schlangen zu, die um den stinkenden Brunnen herumkrochen, und kletterten auf die erwürgten Apfelbäume und suchten verdorrte und verschrumpelte Äpfel, oder wir schmissen mit Kieselsteinen auf die großen häßlichen Uhus, die meistens mitten in den Schlingpflanzen saßen und ihre großen gelben Augen auf und zu machten. Wir wußten nicht, warum es in dem Haus so wunderliche Geräusche gab; und den alten Negerdienstboten war es streng verboten, uns irgendwas über die unheimlichen Dinge zu erzählen, die da umgingen. Aber trotzdem hatten wir eine ausgiebige Angst vor dem Haus; wir trauten uns nicht, allein drin zu bleiben; schon wenn es schön war, gingen wir nur zum Essen hinein, und wenn wir wegen schlechtem Wetter uns drinnen aufhalten mußten, fanden uns die Leute oft, wie wir in einem Winkel hockten und vor Angst heulten. Zuerst konnten wir überhaupt nicht sagen, warum wir weinten, höchstens, daß wir uns vor etwas fürchteten, das wir nicht erklären konnten, – eine unbestimmte Angst lag immer auf uns wie ein Alp. An einem Abend nach Dunkelwerden schickten sie uns hinauf, und wir mußten ohne Licht hinaufgehen. Irgend etwas kam uns nach und stieg auf die Stufen hinter uns und faßte uns am Kopf an und ging uns in das Zimmer nach und schien zu schluchzen und zu stöhnen. Wir schrien vor Angst, und die Leute kamen mit einer Laterne heraufgelaufen und nahmen uns wieder mit sich hinunter. Dann war einer da, der immer mit der alten verrosteten Muskete herumspielte, die in der Wand steckte, und der wollte auch immer unter den schwarzen Nußboden kommen und klopfte deshalb oft laut; und die ganze Zeit knarrte im Nordzimmer der Schaukelstuhl und bumste auf. Alle diese Sachen hatte Bean benutzt; aber er kam selten hinauf, und die Bücher in den alten Nischen wurden unter den dicken Staublagen ganz schwarz, und die Spinnen zogen starke klebrige Netze über die Fenster.

Ungefähr sechs Monate, nachdem uns die Toten in das obere Zimmer nachgegangen waren, kam ein schwerer Sturm durch die Wälder herunter, fuhr in die alten Bäume, riß die Schlingpflanzen im Garten herunter und machte aus den kleinen Wässerchen Wildbäche, und das alte Farmhaus krachte in allen Fugen. Die großen Kalksteinrauchfänge und das Hauptgebäude hielten alles recht wacker aus, aber der kleine Küchenanbau, in dem alle von der Paddyfamilie gestorben waren, ging von oben bis unten in Stücke. Er war ganz komisch gebaut gewesen, wie man es heute gar nicht mehr kennt; und die ganze Kunst der modernen Baumeister konnte ihn nicht nachmachen. Da rissen sie es gleich rattenkahl ab, Klotz für Klotz, und räumten ohne Gnade und Erbarmen ganze Spinnenkolonien und Mausnester und Schlangenverstecke weg; auf seinen Platz setzten sie ein neues Gebäude aus Kiefernholz hin, mit modernen Türen und Fenstern. Und mit dem Tag hörten die unheimlichen Geräusche auf, und die Toten schienen ihre Ruhe gefunden zu haben, nur nicht in dem Zimmer, in dem die gelbe Spucke auf den Wänden eingetrocknet und der alte Möbelkram vom Staub grau geworden war. Die Schritte auf der Stiege blieben auf immer weg, und auch das Klopfen unter dem Fußboden.

Aber ich muß Ihnen noch etwas viel Merkwürdigeres von dort erzählen. Da war ein Hühnerstall ganz nahe beim Grab der Paddyfamilie; Hennen gab es eine ganze Menge, und sie legten die Eier zu Hunderten. Aber, weiß der liebe Himmel, wir kriegten trotzdem kaum ein paar Eier heraus. Die Hennen waren mager wie richtige Gespenstervögel und sahen aus, als ob sie vor lauter Kummer und Angst nichts fressen würden. Irgendwer mußte die Eier wegstehlen, wenn sie noch warm vom Legen waren; aber wer das eigentlich war, das wollte keiner wissen. Der alte Negerkoch machte solche Andeutungen, daß die Geister der Paddyfamilie die Eier austrinken; aber wir konnten nie eine Eierschale finden, und deshalb gaben wir nichts drauf. Fallen wurden ausgelegt auf Iltisse, auf Wiesel, auf Waschbären und solches Diebszeug; aber nicht mal von weitem haben die Fallen eins gesehen, und die Hühner gingen langsam ein, und immer mußten neue 'rangeschafft werden. Ich habe keine Ahnung, ob das alte Farmhaus noch steht, und ob der Bachelor Bean noch lebt oder ob er inzwischen schon zu seinen Vätern versammelt ist, denn es ist viele Jahre her, daß ich von dort weggegangen bin, zu Freunden nach Dover.

Ein anderes Erlebnis, das noch ein gutes Stück ungemütlicher war, glaube ich, hatte ich während der Zeit in Dover. Das ganze Land rund herum ist dort hüglig; und es gab zwei Landstraßen, die aus der Stadt herausgingen – die eine hieß Maysvillestraße, die andere Doverstraße. An der einen Straße hatte sich einer aufgehängt, und auf der anderen war einer erschlagen worden; und auf beiden spukte es. Das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen – und die sind, das kann ich ruhig sagen, sehr gut.

Ungefähr vier Meilen von Dover geht die Maysvillestraße einen Hügel hinauf und führt auf einer Brücke aus Steinen und Balken über einen reißenden Fluß und macht dort eine Biegung wie ein riesiges Hufeisen. Diese Stelle heißt ›Hufeisenbogen‹; sie ist von zwei Bergen eingepreßt und ist über die Maßen wild und gruslig. Seit dem Malheur, nach dem der Hufeisenbogen sein Gespenst hat, trauen sich nur wenig Leute in der Nacht dort vorbei; und die, die schon nicht anders können, geben ihrem Pferd die Sporen und galoppieren durch, als ob ihnen der Teufel im Nacken sitzt; dort spukt nämlich der Geist von einem Selbstmörder.

Wann es passiert war, kann ich nicht mehr genau sagen, aber es wird wohl nicht mehr als fünf oder sechs Jahre her gewesen sein; und auch den Namen von dem Mann habe ich vergessen. Ich weiß nur noch, daß es ein verheirateter Mann war, dem es recht gut ging, und daß er bei Rock Springs wohnte, in der Nähe von Augusta. Eines schönen Tags ging er von zu Hause weg, wegen Geschäften, und mußte länger in der Stadt bleiben als sonst. Es war eine helle kalte Winternacht; die Chaussee war weiß und eisenhart, und die Hufe von seinem Pferd klapperten fröhlich nach Hause. Und schon sah er sein Farmhaus, und durch die Fenster schien die blutrote Glut vom Holzfeuer im Kamin heraus. Da muß ihm plötzlich was durch den Kopf gefahren sein: er steigt ab und bindet sein Pferd an einen Baum und schleicht sich ganz heimlich ans Fenster an. Beim Feuer sitzt seine Frau, aber bei ihr ist einer; er hat den einen Arm um ihre Taille gelegt, und mit den Fingern streichelt er ihr übern Kopf. Dem am Fenster gibt es einen Stich ins Herz, er dreht sich um und kriecht im Schatten bis zu seinem Pferd zurück, setzt sich auf und jagt davon, halb verrückt vor Wut, wie er ist. Die Leute, die ihn aus ihren Fenstern haben vorbeigaloppieren gesehen, haben damals gesagt, daß noch nie einer so geritten ist. Wie das Pferd so losging, schlug es mit seinen eisernen Hufen Feuer aus der Straße, und der Reiter fluchte wie ein Teufel, und die großen Wachhunde in den Farmhäusern heulten, als wie wenn es der Gottseibeiuns wäre. Das Pferd und den Mann sah keiner wieder. Ein paar kleine Schulkinder, die am nächsten Morgen bei der ersten schönen Frühsonne durch den Hufeisenbogen durchkamen, sahen den Farmer an seinem Pferdezügel hängen: und das Pferd lag neben der Straße, tot und steif gefroren wie sein Reiter. Der Prediger Holton und Sam Berry haben die Leiche abgeschnitten; aber der Geist von dem Selbstmörder hat die Stelle nachher nie verlassen. Die einzige Möglichkeit, wie man einem Selbstmörder zu seiner ewigen Ruhe verhelfen kann, soll sein, daß man die Leiche mit einem durchgesteckten Pfahl begräbt. Ob das wahr ist, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich immer, wenn ich durch den Hufeisenbogen durchkam, den Farmer sah, wie er an einem Baumstamm lehnte, er hatte seinen grauen Winteranzug an, und das Pferd lag neben der Straße. Sie konnten jeden Faden am Anzug sehen und jedes Haar auf dem schwarzen Pferdefell: aber gerade, wenn Sie nahe genug kamen, daß Sie das Gespenst mit der Hand hätten anfassen können, flackerte es weg, wie wenn Sie eine Kerze auspusten. Ich habe das oft gesehen.

Bei dem Gespenst, das auf der anderen Straße spukte, weiß ich nicht genau Bescheid; ich habe den Namen vergessen, aber ich habe das Ding dort oft umgehen gesehen. Ungefähr drei Meilen von Dover, auf dem Weg nach Minerva, ist eine Zollschranke, und ungefähr anderthalb Meilen über die Zollschranke hinaus ist ein Platz, der heißt Firman's Woods, mit Hügeln und Bäumen. In einem Loch neben der Straße an dieser Stelle war ein Farmer wegen seines Geldes erschlagen worden, und seine Leiche haben sie ins Gebüsch geschmissen. Er war wohl an die hundertmal auf der Straße geritten, und er hatte so manches liebe Mal seinen Zoll am Zollgatter bezahlt; jedes Kind kannte seinen Grizzlybart und seinen alten Hut mit der breiten Krempe, den er immer aufhatte. In der Mordnacht hatte er ein hübsches Sümmchen bei sich und ritt mit einem wohlgefüllten Taschenbuch nach Haus, und da begegnete er einem anderen Reiter, der auch nach Minerva wollte. Vielleicht war er unvorsichtig mit seiner neuen Bekanntschaft und zeigte ihm in seiner Dummheit sein schmieriges Taschenbuch, das ganz vollgepfropft war mit lauter Rollen von grünen Scheinen; jedenfalls hat ihn der andere mit einem Bowiemesser ins Herz gestochen und die Leiche im Loch versteckt, dann machte er sich mit dem Geld aus dem Staub. Der Ermordete hat nie die Ruhe des ewigen Schlafes gefunden. Ein Reitergespenst galoppiert in der Nacht immer auf der Straße lang, manchmal saust es unsichtbar durch das Zollgatter, und in kalten Nächten machen die Hufe von seinem Pferd einen lauten und scharfen Lärm, und wenns regnerisch ist und das Pferd durch den Kot spritzt, dann schmatzt es so. Aber zu sehen ist es nur bei Firman's Woods – ein Ding wie eine Nebelwolke ohne Kopf, und erschreckt einen. Ich habs gesehen und habe gesehen, wie es weggeflackert ist wie ein Licht im starken Zug.

Das fürchterlichste Erlebnis, das ich überhaupt gehabt habe, – wenigstens hat es mich am meisten erschreckt, – das war in Minerva. Ich diente dort bei einer Herrschaft als Köchin, und mein Zimmer war eine dunkle Kammer, nach hinten heraus. Es war ein Fenster drin, aber das gab kaum Licht, weil es auf ein höheres Haus vis-à-vis ging, und außerdem wars schon viele Jahre nicht geputzt worden. Ich dachte mir gleich, mit dem Zimmer ist was nicht richtig; nämlich am ersten Tage, an dem ich in das Haus kam, nahm mich Joe mit einer Kerze hinauf und sagte zu mir: ›Sie werden doch keine Angst haben, da zu schlafen, nicht wahr?‹ Na, ich sagte: ›Nee.‹

(Auf unsere Frage, wer eigentlich dieser Joe wäre, verweigerte sie nähere Auskünfte, »aus privaten Gründen«, wie sie sagte; und so können wir von dieser wichtigen Persönlichkeit nur vermelden, daß sie Hausbesitzer und Familienvater war.)

Ich war dort nur einen Tag in Stellung. Als das Abendbrot vorüber war, und als ich abgewaschen und überall Ordnung gemacht hatte, ging ich hinauf schlafen. Ich erinnere mich noch ganz genau, daß ich Angst vor dem Auslöschen hatte – warum, könnte ich nicht sagen; aber ich dachte, vielleicht werden die Leute mit mir schimpfen, wegen Lichtvertun, und machte aus und kroch in die Federn und wollte mir das Bett über die Ohren ziehen. Ich zog und zog, aber es wollte nicht, als wie wenn das Ding festgenagelt war. Dann machte ich noch einen ganz starken Ruck und kriegte das Deckbett 'rauf, aber ich mußte so fest ziehen, als ob was Schweres drauf liegen würde. Auf einmal merkte ich einen scharfen Ruck zurück – Irgendwer riß das Deckbett vom Bett 'runter. Ich, nicht faul, zogs wieder 'rauf, und die zogens wieder 'runter. Ich hatte natürlich eine fürchterliche Angst, aber ich hatte ja schon vorher allerhand gesehen und gehört, und da dachte ich mir, bleib ruhig liegen und laß die Decken Decken sein; ich dachte mir nämlich, läßt Du das Ding in Ruhe, dann läßt's Dich auch in Ruhe. Und drüber schlief ich ein.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe; aber ich hatte schreckliches Alpdrücken und fuhr keuchend in der Finsternis hoch, weil ich ganz genau spürte, wie etwas bei mir im Zimmer war. Eine Minute später fuhr es mir mit den Fingern über den Mund, und dann über die Nase. Ich wollte mich aufsetzen, aber ich war viel zu erschreckt, als daß ich mich hätte rühren können; dabei spürte ich eine riesige Hand auf meiner Brust, und die drückte mich zurück auf das Bett – und die war so groß, daß sie mich über beide Schultern zudeckte, und schwer war sie wie Eisen. Vor lauter Angst konnte ich nicht einmal schreien oder in Ohnmacht fallen, und ich hatte nicht die Kräfte, mich zu regen, eingepreßt, wie ich war. Mit einemmal ging die Hand weg, und ich schrie los wie eine Verrückte im Tollhaus. Alle hörten das Schreien, und sie kamen mit Lichtern und blassen Gesichtern über die Stiege heraufgerannt. Sie zeigten mir, daß alle Türen und Fenster fest zugemacht waren, und daß außer mir selber kein Menschenwesen im Zimmer war; aber das mußten sie mir gar nicht erst erzählen. Am nächsten Tag machte ich, daß ich aus dem Haus fortkam.

So einen Spuk gab es auch in einem Haus in Lexington; dort war ich nämlich eine Zeitlang. Früher einmal hatte es eine Dame gehabt, eine Sklavenhalterin, vor dem Krieg; aber die war schon längst in eine andere Welt gegangen, und ihr Haus gehörte anderen Leuten. Für ihre Sünden war sie verdammt, daß sie in dem Haus spuken mußte. Sie sollte in einer Winternacht, es ist schon sehr lange her, einen Negersklaven totgepeitscht haben mit ihren eigenen Händen, für irgendeine dumme Sache. Er war ein kräftiger Kerl, und sie hatten ihn ausgezogen und nackend festgebunden, daß er sich nicht wehren konnte, und das Frauenzimmer schlug auf ihn ein mit einem Lederriemen, den sie im Wasser naß gemacht hatte, acht Stunden ununterbrochen hintereinander. Und der arme Neger verreckte, und sie gruben ihn unterm Boden ein, und die Leiche verfaulte; aber sein Geist ging um und jammerte und sekkierte alle Leute im Haus. Die Frau saß in jeder Nacht auf ihrer Türschwelle und wimmerte im Mondschein dazu, wenn drinnen der Geist jammerte. Dann ist sie ausgezogen und in der Fremde gestorben und verdorben; aber auch noch, wie ich da war, zog das Gespenst das Bettzeug immer bis über die Stiegen runter, wenn sich einer unterstand, dort zu schlafen.

Ich habe eine ganze Menge so komische Dinge gesehen und gehört, und einmal habe ich ja auch gesehen, was die Leute einen Doppelgänger nennen; aber das wird Sie wohl nicht so interessieren wie das, was ich zuletzt in einem Haus hier in Cincinnati erlebt habe. Es war in West Fifth Street, und ich war dort Köchin und Stubenmädchen zugleich. Es war da irgendeine Geschichte mit dem Haus, aber die konnte ich nie genau erfahren, und deshalb will ich gar nichts weiter von ihr erzählen, außer, daß ein junges Mädchen drin gestorben war und nachher immer wiederkam. Aber ich wußte nichts davon, bis ich schon eine Weile dort in Stellung war. An einem Abend, so um die Dämmerung herum, mußte ich in ein Schlafzimmer hinaufgehen etwas holen; und da sah ich eine schlanke junge Dame, die ganz weiß angezogen war, vor dem Spiegel stehen, und die sagte nichts. Die Sonne war an dem Abend rot wie Blut und schien noch hell genug ins Zimmer, daß man alles deutlich unterscheiden konnte. Weil ich doch alle Gäste unten beim Essen gelassen hatte, dachte ich natürlich zuerst beim 'reinkommen, die Gestalt vor dem Spiegel ist ein Besuch, den ich nicht kommen gehört habe. Ich blieb einen Augenblick stehen und guckte sie mir an, aber ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil sie mir den Rücken zudrehte. Plötzlich fiel mir ein, in den Spiegel zu schauen, und da war die ganze Figur, aber ein Gesicht konnte ich da auch nicht sehen. Ich ging 'ran und wollte den weißen Schatten anfassen, aber er verschwand, wie eine Kerzenflamme verschwindet oder wie der Hauch, den man auf einen Spiegel geatmet hat.

Die Leute nennen mich manchmal ein Medium und wollen von mir, ich soll mich mit ihnen in ein finsteres Zimmer setzen und ihnen Geister rufen helfen. Ich habe immer nein gesagt – wundert Sie das? Ich kann Ihnen sagen, lieber Herr, und das können Sie mir glauben, ich lasse die Toten nur zu gern in Ruhe – wenn sie mich bloß auch in Ruhe lassen würden.«


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