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Die Halbwelt der Antike

»Na, kleine Lockenlotte, 'raus mit dem Namen!«

»'ck hab' keen' Namen.«

»Schön, verdienst ja auch keinen. Wie alt?«

»Aus mir kenn'se jaa nischt rauskriej'n, nee, noch lange nich. Da brauch'n se jaa nich erst lange meckern.«

Aber der Polizist, der sie verhaftet hatte, wußte Bescheid, wie er die gewünschten Auskünfte herausholen konnte. Die Anklage lautete auf »Herumtreiberei«. Das Mädchen war gerade alt genug, um lasterhaft, und gerade dumm genug, um unempfindlich zu sein, bei alledem so hübsch, daß sie Mitleid mit ihrer Liederlichkeit und Unwissenheit erweckte. Sie sperrten sie ein. Der Kapitän nahm die Anklage zu Protokoll und schmunzelte vergnügt über die Widerspenstigkeit der Inkulpatin, während der Herr von der Zeitung etwas über des Polizeiinspektors »Aufgabe, das soziale Elend zu lindern« und die Verhaftung einer »stadtbekannten Dirne« in sein Notizbuch eintrug. Er war ein Sensationsreporter und brachte in seinem Bericht das Wort »cyprisch« an, wahrscheinlich wegen seines sanften Zischens, das so suggestiv die Vorstellung sinnlicher Sünden erweckt. Aber es ist etwas wie ein Hauch von der Anmut der Antike um klassische Namen und klassische Erinnerungen, mögen sie einen auch noch so sehr an ungeheuerliche Ungerechtigkeiten denken lassen, und der Gebrauch, den der Reporter von diesem Wort machte, erschien mir peinlich unpassend.

Gewiß, die Städte Cyperns waren sündige Städte im Sinne unseres modernen Moralkodex; aber ihre Sünden waren prächtige Sünden, versüßt, würde Swinburne sagen, von den Düften des Opferweihrauchs, – verklärt durch hierophantische Riten in Tempeln aus schneeweißem Stein, – geschmückt mit solcher Pracht, daß der Name des Ortes, wo sie begangen wurden, unsterblich geworden ist, – Sünden, deren Glanz man in klassischen Zeiten pries, deren Ruhm schon alt war, als Homer von Aphroditens Altar auf Paphos sang. Die Anwendung des Epithetons cyprisch auf die armen Ausgestoßenen der modernen Gesellschaft erinnert uns zunächst daran, daß ältere Kulturen etwas, was wir heute für das schlimmste soziale Übel halten, eher gepflegt als eingeschränkt und es sogar in die Riten ihrer Religionen einbezogen haben. Dieser Gedanke wiederum führt zu interessanten Betrachtungen über den Venuskult und über das Alter jener sozialen Laster, welche die Gesetzgebung der christlichen Epoche nur schlecht verschleiern und verbergen konnte.

Als Aphrodite, die weißgliedrige und sonnenhaarige, in unsterblicher Schönheit der sanft aufrauschenden See entstieg, eilte sie, erzählen die Schriftsteller der Alten, »auf schimmernden Füßen« nach Cyprus der Schönen, und so kam es, daß die Insel in gewissem Sinne der Göttin heilig ward, und daß der Kult der Venus Anadyomene sein Zentrum in Paphos fand. Es gab zwei Städte dieses Namens auf der Insel, beide von hohem Alter, aber die ältere, von Homer genannte, war der große Wallfahrtsort für die Jünger Aphroditens auf der ganzen Erde. Fürsten aus dem fernsten Osten und aus den großen Königreichen der antiken Welt kamen von weit her, um die berühmten Heiligtümer anzubeten, und brachten Geschenke aus lauterem Golde.

Erlauchte phönizische Priester von hoher, göttlicher Abkunft dienten an ihren Altären; eine Million Pilger bevölkerte alljährlich die großen Straßen zu dem riesigen Tempel, dessen Ruinen noch heute stehen, und Tausende von Sklavinnen wirkten bei der Feier glanzvoller Zeremonien mit. Das moderne Cypern ist durch seine Weine berühmt, das alte war es durch seine Laster.

Viele von den Mysterien dieses antiken Kultes sind ganz unbekannt, auf andere läßt sich nur schließen; aber auch von denen, die uns in Werken der Antike überliefert sind, kann in diesem Zusammenhange nur andeutungsweise gesprochen werden; zum Beispiel von der feierlichen Prostitution junger Frauen innerhalb der Tempeleinfriedungen, die von den alten hierophantischen Bräuchen vorgeschrieben war.

Der Göttin wurden ähnliche Huldigungen an anderen Altären dargebracht, wenn auch unter weniger prächtigen Zeremonien. In Korinth war ihr Kult gekennzeichnet durch ganz zügellose Orgien der Wollust; tausend Buhlerinnen wurden in dem Haupttempel der Stadt als hierodulai (»heilige Sklavinnen«) unterhalten, und wenn man Strabo Glauben schenken darf, so waren diese Frauen schuld am moralischen und finanziellen Ruin Tausender von Fremden, welche die Stadt besuchten. Es war ein alter Brauch in dieser sybaritischen Stadt, bei feierlichen Anlässen so viel Kurtisanen, als man nur dingen konnte, im Gebet zur Göttin Aphrodite zu vereinigen, und sie die Zeremonien mit Gesängen und geilen Tänzen begleiten zu lassen. Als Xerxes gegen die Griechen segelte, versammelten sich alle Buhlerinnen Korinths im großen Tempel der Göttin und beteten um himmlische Hilfe gegen die Perser. Es scheint, als hätten die Bürger Korinths diesen Gebeten eine besondere Wirksamkeit zugetraut, denn nach dem Sieg über die Perser ließen sie unter großen Kosten Bilder jener Hetären von tüchtigen Künstlern malen, und hingen sie im Heiligtum der Aphrodite als Weihgeschenke auf. Fromme Leute machten damals den Göttern Gelübde, ganz wie im Mittelalter die Katholiken ihren Lieblingsheiligen; und bei den Gebeten zu Aphrodite war es Sitte, daß der Bittsteller, wenn ihn seine Lieblingsgöttin erhört hatte, eine bestimmte Anzahl von Kurtisanen in den Tempel brachte, um sie die Danksagungszeremonien feiern zu lassen. Athenäus erzählt uns, daß Xenophon, der Korinther, ehe er zu den olympischen Spielen aufbrach, der Venus ein Gelübde machte, weil er hoffte, mit ihrer Hilfe einen Preis zu erringen. Und als er nach glorreichem Siege fromm sein Gelübde einlöste, schrieb Pindar zu diesem Anlaß eine Ode.

Solche Mädchen spielten bei den großartigen Zeremonien, die in den Tempeln der vielnamigen Göttin gefeiert wurden, eine wichtige Rolle; und viele dieser Tempel waren Venus der Buhlerin erbaut. Der atheniensische Gesetzgeber Solon, der wie viele moderne Legislatoren der Meinung gewesen zu sein scheint, die Prostitution sei gesetzlich zu konzessionieren und zu regeln, errichtete Bordelle und besteuerte die Inhaberinnen; mit den so gewonnenen Geldern erbaute er der Venus Publica einen Tempel. In Abydos war ein Tempel des gleichen Namens, den die Bürger dieser Stadt errichtet hatten, zur Erinnerung an ihre Befreiung aus Knechtschaft und Sklaverei durch die Tätigkeit einer Kurtisane. Auch zu Ephesus und an anderen Orten der alten Welt standen solche Tempel. Als Perikles mit seinem Heer gegen Samos zog, folgte eine Anzahl Hetären seinen Truppen; und die Damen wurden während der Belagerung so reich, daß sie nach dem Fall der Stadt eine Venusstatue machen ließen und sie vor den Mauern der Stadt aufstellten; diese Statue war als die Venus von Samos oder als die Venus im Schilf bekannt. Als einige thessalische Weiber, eifersüchtig auf die Schönheit der jüngeren Lais, diese berühmte Hetäre im Tempel der Aphrodite zu Tode steinigten, suchte die Göttin die Stadt mit einer fürchterlichen Pestilenz heim, die nicht früher zu wüten aufhörte, als bis der Erzürnten ein Tempel erbaut ward, zur Sühne für diese zwiefache Missetat, die Ermordung einer Venuspriesterin innerhalb der Tempelmauern. Denn die öffentlichen Frauen in jenen Tagen, die mancherlei Privilegien genossen, wurden oft mit diesem Titel geehrt. Ihre Lebensweise wurde eher für fromm als für etwas anderes angesehen. Die Folgen der Ausschweifung waren damals nicht so schrecklich wie heutigen Tages. Die Gesellschaft hatte keinen Grund, die Kurtisanen zu verfolgen; und in der Tat, die Sitten jenes Zeitalters waren in vieler Hinsicht so anstößig, daß die Laster dieser Frauen im Vergleich mit anderen damals beliebten Modesünden wie Tugenden anmuten. Und da man Unwissenheit für einen starken Schutz der weiblichen Tugend hielt, waren es gerade die Kurtisanen, die die Vorteile der Geistesübungen mit den Männern des philosophischen Griechenlands genossen, und deren Gesellschaft wegen des Charme ihrer Konversation von den Gelehrtesten gesucht wurde. Es waren oft gebildete Frauen, überaus geschickt in den Künsten ihrer Zeit, beschlagen in philosophischer Literatur und Lehre, in Musik und Tanz ausgebildet, und im Besitze all der körperlichen und geistigen Reize, die Männer bezaubern und erobern. Aspasia (versichern einige Schriftsteller) war die Lehrerin nicht nur von Perikles, sondern auch von Sokrates; die arkadische Lasthenia war eine Schülerin Platons; und die leichtfertige Leontion eine Schülerin Epikurs. Und wer hat nicht von Phryne gehört?

Phryne war vielleicht das schönste Weib, das je ein Dichter besungen, ein Maler auf seine Leinwand gezaubert, ein Bildhauer in unsterblichem Marmor nachgebildet hat. Nach Schilderungen, die uns erhalten sind, hatte sie goldenes oder kastanienbraunes Haar von ungewöhnlicher Länge und Üppigkeit, und einen so vollkommenen Körper, daß sie das lebende Abbild der Aphrodite selbst zu sein schien. Seltener aber als andere Hetären enthüllte Phryne ihre Schönheit, und niemals kleidete sie sich in die berühmten coae vestae, jene gazeartigen, durchsichtigen Gewänder, die die Flötenspielerinnen und Tänzerinnen ihrer Zeit so gerne trugen. Aber einmal während der Feier der eleusinischen Mysterien, als gerade die Poseidonia, die Festlichkeiten für Neptun, im Gange waren, entkleidete sich Phryne vor den Augen der versammelten Griechen und stieg mit gelöstem Haar zum Bad in die Fluten (diese Begebenheit machte später Turner zum Inhalt eines seiner bekanntesten Bilder). Der gefeierte griechische Maler Apelles war damals in Eleusis, und der Anblick Phrynens, wie sie aus dem Bade stieg, der Venus Anadyomene gleich, das salzige Naß sich aus den Haaren streichend und der wie rasend Beifall rufenden Menge zulächelnd, inspirierte ihn mit der Idee zu seinem großartigsten Gemälde – »Aphrodite der See entsteigend«. Die schöne Kurtisane wurde mit Freuden des Malers Modell; und ihr Bild als Venus Anadyomene ward so berühmt, daß man Hunderte von Meilen weit reiste, um es zu sehen. Später wurde es nach Rom gebracht, wo es blieb, bis das Alter es zerstörte. Der Bildhauer Praxiteles modellierte seine wundervolle Statue der knidischen Venus ebenfalls nach den geschmeidigen Gliedern Phrynens; sie stand ihm auch Modell zu der außerordentlich schönen bekleideten Venus. Die Bürger von Kos brauchten zu dieser Zeit eine Venusstatue; und Praxiteles ließ ihnen die Wahl zwischen beiden Werken, für die er denselben Preis forderte. Nach Plinius waren die guten Leute aus Kos von so übergroßer Bescheidenheit geplagt, daß sie die bekleidete Statue wählten, während die andere, die berühmtere, von der Bevölkerung von Knidos erworben wurde. Aber ein moderner Kommentator hat herausgefunden, daß die Annahme, das Volk von Kos hätte aus purer Bescheidenheit seine Wahl getroffen, nicht sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann; da nämlich gerade Kos weithin berühmt gewesen sei als der Ort, in dem jene bei den damaligen Kurtisanen so beliebten durchsichtigen Kleider hergestellt wurden, sei es viel wahrscheinlicher, daß die von ihnen erwählte Statue nicht bekleidet im eigentlichen Sinne des Wortes gewesen sei, vielmehr die Statue der Phryne in einem durchsichtigen Gewande, das die ganze Gestalt sehen ließ. (Ein Effekt übrigens, mit dem einige moderne Bildhauer sich einen Namen gemacht haben.) Die Statue der knidischen Venus wurde für die großartigste von Praxiteles' Arbeiten gehalten, und über die Wunder, die sie in dem kleinen Tempel wirkte, wo sie stand, erzählte man sich sonderbare Geschichten.

Das Volk von Knidos hielt sie sehr wert, und als ihnen später der König Nikodemos das Anerbieten machte, ihre Staatsschulden zu bezahlen, wenn sie ihm als Gegenwert die Statue gäben, lehnten sie das Geschäft ohne Zögern ab. Praxiteles machte Phrynen eine Cupidostatue zum Geschenk, auf deren Piedestal folgende Zeilen geschrieben waren:

»Sorgsam bildeten hier Praxiteles Hände den Eros,
Wie sich das Urbild ihm tief in der Seele gezeigt.
Gab mich Phrynen zum Lohn: Die Liebe für Liebe; es ruhen
Pfeil und Bogen, doch trifft tiefer der Blicke Gewalt.«

Die knidische Venus stellte die Göttin dar, wie sie aus dem Bade kommt, ein Tuch in der Hand, zu ihren Füßen eine Vase; die entzückende Anmut der Gestalt legte Zeugnis ab für die Liebe des Künstlers, und das heitere Lächeln des Antlitzes schien von süßem Lohn für seinen Schöpfer zu erzählen. Bei einer großen Feuersbrunst, die unter Kaiser Justinians Regierung in Konstantinopel ausbrach, wurde sie gänzlich zerstört; und ob die knidische Venus im Vatikan wirklich eine Kopie ist, steht in Zweifel. Aber Kleomones soll in seiner Venus – die heute als die mediceische bekannt ist – eine Kopie des Meisterwerks von Praxiteles geschaffen haben; und wenn das richtig ist, können wir uns wenigstens einen schattenhaften Begriff von der Schönheit der berühmten Kurtisane machen.

Als Phryne ihren Cupido bekam, brachte sie ihn nach ihrem Geburtsort Thespiai und weihte ihn dort im Tempel. Die Thespier waren wohl sehr stolz auf sie, denn sie ließen sich von Praxiteles eine Statue Phrynens aus purem Golde machen, als Weihgeschenk für den Apollotempel in Delphi. Diese Statue war eine herrliche Schöpfung; sie trug auf ihrem Sockel die Inschrift: »Phryne aus Thespiai, des Epiktes Tochter« und stand zwischen der Statue des Königs Archidamus von Lacedaemonien und der Philipps von Macedonien, des Sohnes Amyntas'. Als der Cyniker Krates sie dort sah – viele Jahre später –, nannte er sie »ein Weihgeschenk griechischer Schamlosigkeit«, und vielleicht gibt es heute manchen, der einer Meinung mit dem alten Krates ist.

Wie die modernen Anonymas und Mabel Grays, deren Leben den Stoff lieferte für Boucicaults vielgeschmähte Formosa, für Charles Reades Terrible Temptation, und für Ouidas Puck, war Phryne niedriger Abkunft. In ihrer frühesten Jugend hat sie sich ihren Lebensunterhalt angeblich durch Kapernflücken verdient. Wer es war, der sie in die vornehme lasterhafte Gesellschaft einführte, über die als Königin zu herrschen ihr bestimmt war, ist uns nicht positiv berichtet, obgleich in Vergessenheit geratene Autoren, die von Athenaeus zitiert werden, ihr Leben in einer allgemeinen Geschichte berühmter Kurtisanen beschrieben haben sollen. Das Leben der Kurtisanen in jenen Tagen war oft interessant genug, um solche Aufmerksamkeit beanspruchen zu können; im alten Griechenland wurden ganze Bücher über die Bonmots und witzigen Streiche geistreicher Hetären geschrieben, als da waren Gnathera, Lais, Lamia, Timandra, Satyra, Myrrhina und andere mehr. Phryne scheint wohl mehr schön als geistreich gewesen zu sein; aber ihre Schönheit war so ungewöhnlich, daß alle, die sie sahen, sich in sie verliebten. Als sie von Enthias vor den Richtern des Areopags der Gottlosigkeit angeklagt wurde, verliebte sich der berühmte lasterhafte Anwalt Hyperides in sie und führte ihre Sache mit einer ganz außerordentlichen Beredsamkeit. Es kann als ziemlich sicher gelten, daß Phryne schuldig war – wie unsere modernen Anonymas, war sie wahrscheinlich sehr skeptisch in allen religiösen Dingen. Aber als Hyperides mit einer plötzlichen Bewegung Phrynens Gewand öffnete und den schönen Busen entblößte, den Praxiteles in parischem Marmor nachgebildet hatte, als er unter strömenden Tränen die Richter fragte, ob sie herzlos genug sein könnten, eine so schöne »Priesterin und Prophetin der Venus« zum Tode zu verurteilen, schmolz die Strenge des Gerichts in Mitleid dahin, und Phryne wurde freigesprochen. Aber fast will es scheinen, als wären die Richter von Gewissensbissen wegen ihres Verhaltens geplagt worden; denn unmittelbar nach der Verhandlung brachten sie ein Gesetz durch, welches anordnete, daß »in Zukunft kein Redner Anstrengungen machen dürfe, Mitleid für jemand zu erwecken; und daß kein Angeklagter, ob Mann oder Weib, bei der Spruchfällung anwesend sein dürfe«. Arme alte Richter! – Sie fühlten wohl, daß man die Gerechtigkeit in ihren geheiligten Personen durch unlautere Mittel geblendet und überwunden hatte. Die »Priesterin und Prophetin der Venus« lebte noch lange in großem Reichtum.

Einen Begriff davon, wie reich sie wurde, können wir uns machen, wenn wir hören, daß sie nach der Zerstörung Thebens durch Alexander sich erbot, die Stadtmauern aus ihrem Vermögen wieder zu erbauen, unter der Bedingung, daß ihrer Freigebigkeit Erwähnung getan würde durch die Inschrift: »Alexander zerstörte die Mauern, aber Phryne die Kurtisane baute sie wieder auf.« Doch die Thebaner wollten das Anerbieten nicht annehmen, wohl weil es ihnen peinlich gewesen wäre, ein Weib von Phrynens Beruf so zu ehren. Aber schließlich starb Phryne wie so viele schöne Frauen vor ihr und wanderte durch Gräberstaub in das Schattenreich – vor ungefähr zweitausend Jahren.

Noch andere anmutige und zarte Schönheiten gab es in diesem durch den Meißel und die Feder unsterblich gewordenen Zeitalter. Leaina, die Löwin, eine kühne Athenerin, wurde trotz ihres Berufes zur Heldin. Unter der Tyrannis des Hippias in Athen trat der berühmte Verschwörerbund des Harmodius und Aristogiton ins Leben; der Tyrann Hipparchus fiel ihren Dolchen zum Opfer, aber die Verschwörer wurden gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet. Leaina kannte man als die Geliebte des einen der Verschwörer, sie wurde unverzüglich verhaftet und der Folter übergeben; sie starb, ohne die Lippen geöffnet zu haben. Als fünf Jahre später die Athener von der Tyrannis des Hippias befreit waren, als Harmodius' und seiner Freunde Heldenmut in Trinkliedern gefeiert wurde, die uns Athenaeus überliefert hat, vergaßen die Männer von Athen Leainens nicht. Man beschloß, ihr zu Ehren eine Statue aufzustellen; aber auf eine Art, die nicht offenbar werden ließ, daß die Athener einer Kurtisane ein Denkmal errichtet hätten. Sie beauftragten einen berühmten Bildhauer, eine schöne geschmeidige Löwin ohne Zunge in Erz zu gießen; und so erinnerte die eherne Statue einer zungenlosen Löwin noch lange die Nachwelt an den Heldenmut des Mädchens. Die Athener scheinen dem Laster nicht so in aller Öffentlichkeit gehuldigt zu haben wie die Korinther; sie erwiesen ihren Kurtisanen auch nicht soviel Ehren. Die öffentlichen Frauen Athens waren gehalten, eine jährliche Steuer zu entrichten; und jede Frau von guter Herkunft, die den Hetärenberuf erwählte – wie es Lais, des Kleanor Tochter tat – war öffentlich entehrt.

Diese Lais wird häufig auch die ältere Lais genannt, zum Unterschied von der hykkarrensischen Lais, der Tochter Timandras. Lais scheint ein braves kleines Mädchen gewesen zu sein, bis der Maler Apelles sie kennen lernte und in die große Welt einführte, in der sie später als Rivalin Phrynens gefeiert wurde. Lais fiel besonders durch die Schönheit ihrer Gestalt auf; aber im Gegensatz zu Phryne war sie nicht gerade wählerisch in der Gewährung ihrer Gunst. Wahrscheinlich war sie Korintherin von Geburt; und ihre Laster waren in dieser verwöhnten Stadt so berühmt, daß sie das Sprichwort erstehen ließen: »Wo Lais ist, da ist Korinth.« Sie besaß eine Zeitlang unermeßliche Reichtümer; aber mit Trinkgelagen und allerlei Unsinn verschwendete sie ihre Mittel, so daß viele behaupteten, sie sei als altes Weib in Elend und Armut gestorben. Aber das ist kaum wahrscheinlich; denn wurde nicht später in Korinth zu ihrem Gedächtnis ein berühmtes Monument errichtet, eine Löwin aus Erz, die einen Widder zerreißt?

Jedermann kennt aus Drydens berühmter Ode Thais, die zu Persepolis neben König Alexander saß, die Zerstörung der persischen Königspaläste veranlaßte und, eine zweite Helena, ein anderes Troja in Flammen aufgehen ließ. Aber es ist mir eine Freude, aus guter Quelle mitteilen zu können, daß moderne Altertumsforscher diese Geschichte für die boshafte Erfindung eines verantwortungslosen Geschichtsschreibers halten; und das ist um so wahrscheinlicher, als Thais später Ptolemaeus von Ägypten heiratete und eine durchaus tugendhafte und ehrbare Frau wurde, – sozusagen.

Lamia, die Geliebte des Demetrius Poliorketes, war wohl die verschlagenste, geistreichste und verschwenderischste Hetäre ihrer Tage; sie übertrumpfte ihren fürstlichen Liebhaber mit dem Glanze ihrer Gelage und der Kostspieligkeit ihrer Gastmähler. Aber sie machte dies alles wieder gut, indem sie einen herrlichen Portikus für die Bürger von Sikyon erbaute. Sie war über ihre erste Jugendblüte schon weit hinaus, als sie Demetrius bezauberte; aber keine andere Frau erlangte jemals so großen Einfluß auf ihn. Von diesem Demetrius, der den Athenern so manchen Tort antat, wird erzählt, daß er der ganzen Stadt eine Steuer von 150 Talenten – gegen 200 000 $ – auferlegte und den Ertrag, der nur unter den größten Schwierigkeiten und Entbehrungen hatte aufgebracht werden können, seiner Lamia als »Seifengeld« zu Füßen legte. Die Athener sollen sich dadurch gerächt haben, daß sie erzählten, Lamia wäre gewiß das schmutzigste Weib der Welt, da sie für 150 Talente Seife brauchte. Aber Thais und Lamia waren nicht die einzigen Kurtisanen dieser Zeit, die an eines Königs Tisch saßen. Hieronymus, der Tyrann von Syrakus, verliebte sich in eine Hetäre namens Pinto, heiratete sie und machte sie zur Königin von Syrakus. Der Lyder Gyges liebte eine Hetäre und soll über ihrem Grab einen Gedenkhügel errichtet haben, der so hoch war, daß er von allen Teilen seines Gebietes aus gesehen werden konnte; dieser Hügel war bekannt als das Grabmal der lydischen Kurtisane.

Solche Erzählungen können uns einen Begriff von der Stellung geben, die Frauen dieser Art in der Gesellschaft der Antike einnahmen. Rom hat einen ähnlichen Typus nicht hervorgebracht; aber in der Moderne können wir gelegentlich Parallelen finden in Charakteren, wie es Ninon de Lenclos und gewisse Damen des siebzehnten Jahrhunderts waren, – schön, verderbt und voller Witz, – deren Paris sich noch erinnert. Aber durchaus nicht in der ganzen hellenischen Welt zollte man den Kurtisanen als Priesterinnen der Venus soviel Ehrerbietung; und im eigentlichen Hellas war es nur Korinth, das Paris der griechischen Mode und des griechischen Luxus, das seiner Kurtisanen halber ebenso wie wegen seiner Künste berühmt war. Sparta war unter den Gesetzen, die Pausanias der Stadt gegeben hatte, viel zu tugendfest, um sich um derartige Dinge auch nur zu kümmern; und in Athen achtete man sehr darauf, in den Ehren, die man den Hetären erwies, nicht zu weit zu gehen. Themistokles fuhr einmal in einem Triumphwagen voll Kurtisanen durch die Stadt, genau so, wie es noch heute flotte junge Leute in trunkener Laune tun; aber die Athener scheinen seinen Lebenswandel als entehrend empfunden zu haben; ein antiker Schriftsteller führt mit beißender Ironie als Entschuldigung an, daß Themistokles selbst der Sohn einer Kurtisane wäre. Athenaeus schildert, wie alte verblühte Hetären, die einst berühmte Schönheiten gewesen waren, auf dem Marktplatz der Stadt vom Pöbel und den Bummlern jener Zeit verhöhnt und beschimpft wurden. In Athen hatten die Hetären eine jährliche Steuer zu entrichten; aber sie waren wenigstens nicht wie in Rom gehalten, safranfarbene Kleider zu tragen; sie hatten einige Privilegien; und überall in der hellenischen Welt hatte die demi-monde ihre besonderen Feiertage, wenn der Dienst der Aphrodite von ihren »Priesterinnen« mit großem Prunk gefeiert wurde. Wenn wir davon absehen, daß ihr Leben durch die sinnenfrohe Religion jener Zeit gewissermaßen verklärt wurde, so finden wir, daß die gewöhnliche Prostituierte Athens oder Korinths in fast keiner Hinsicht über unseren modernen nymphes du pavé stand. Sie stahlen sehr oft, auch während sie in den Heiligtümern ihr Amt als Prophetinnen der Venus versahen. Sie suchten sich ihre Kavaliere, wo sie sie fanden, und der alte Xenarchus erzählt uns, daß sie nachts in den Straßen herumgingen und die Passanten anredeten: »Na, Kleiner?«, »'n Abend, Alterchen!« – genau so, wie es die junge Straßendirne tat, deren Verhaftung ich mit angesehen hatte. Ein Volk, dessen Religion mit Recht die Religion der Schönheit genannt worden ist, ein Volk, das körperliche Vollkommenheit und erotische Kunst im höchsten Maße kultivierte, das sich vor allem seiner geistigen Überlegenheit rühmen durfte, ein solches Volk mußte große, durch Geist und Schönheit ausgezeichnete Hetären zeitigen; aber die niederen Klassen ihrer Freudenmädchen scheinen ebenso liederlich und – abgesehen von ihren Fertigkeiten als Tänzerinnen und Flötenbläserinnen – ebenso gemein gewesen zu sein wie unsere modernen Moll Flanders! Alles in allem erscheinen uns die Sünden jener Zeit etwas glanzvoller, gewissermaßen besser vergoldet oder dicker versilbert als unsere eigenen, und auf keinen Fall kann das London oder Paris des neunzehnten Jahrhunderts Anonymas hervorbringen, die sich an Geist mit den griechischen Hetären vergleichen ließen.

Nun, die Welt der Antike wurde immer weiser und immer lasterhafter, bis schließlich das Unkraut ihrer Lasterhaftigkeit sich erhob und den Weizen ihrer Weisheit erstickte, den Boden, auf dem es gewachsen war, trockener trank denn Wüstensand und verwelkt eine Wildnis hinter sich ließ. Hellas verging mit all seinen Herrlichkeiten, mit seiner Religion der Schönheit und mit seinen schönen Sündern und Sünderinnen. Rom gab in seiner Kaiserzeit seinen Faustinen und Heliogabals Leben und ging auch dahin; aus dem fernen Osten, von der Wiege der Völker und der Religionen, kam ein neuer Glaube, auf den Ruinen des alten zu herrschen, und der Kult der Venus erlosch in der Asche von tausend verfallenden Altären. Die neue Priesterschaft machte der Aphrodite schönste Heiligtümer dem Erdboden gleich und lehrte die Gemeinden, daß die Venus der Antike nichts weiter als ein Teufel in Weibesgestalt gewesen sei. Venus war es, die den Ritter Tannhäuser verlockte, die den unglückseligen Jüngling der mittelalterlichen Legende mit fürchterlichem Alp verfolgte, sie war es, die lässig ihren bannenden Ring auf dem Finger einer ihrer Statuen ließ.

… Der Kapitän stürzte plötzlich mit einem Fluch aus dem Zimmer, der Sensationsreporter faßte plötzlich nach seinem Notizbuch; unter den Gefangenen in den Zellen herrschte große Erregung. Die kleine Lockenlotte hatte den Versuch gemacht, sich an ihrem Shawl zu erhängen, und ohne die Wachsamkeit des Schließers wären diesem Leben weitere Kümmernisse erspart geblieben. Mitleid rührte den Reporter und er schrieb »stadtbekannte Dirne« in »unglückliche Dirne!« um. Armes Mädchen; vor zweitausend Jahren hättest Du berühmt sein können – und heute bist Du ein dreifältiges Ärgernis, der Gesellschaft, der Religion und der Natur. Noch einige mänadische Orgien, noch einige Jahre voller Schmach, noch einige Besuche im Arbeitshaus, und dann der letzte Schlaf, aus dem auch das Klopfen eines Aufseherknüppels an der Kammertür Dich nicht wecken kann; und dann – der Seziersaal.


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