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Nachtmahr und Nachtmahrsagen

Von allen Martern, die der Mensch erleiden muß, ist keine so peinigend wie die Folterqual der Angst; kein Entsetzen gibt es, das dem Grauen des Alpdrucks verglichen werden könnte. Unter diesem Incubus werden alle Gräßlichkeiten aus den Erzählungen von Verzauberung und Teufelsbesessenheit zum Erlebnis. Der Gepeinigte wird unter dem Schrecken buchstäblich gelähmt. Er findet sich festgebannt von einer unheimlichen, aus der Ferne wirkenden Kraft, die sich daran zu ergötzen scheint, die Qualen des ihr Preisgegebenen durch die Langsamkeit ihres gespenstischen Näherrückens zu steigern. Die ganze Zeit über ist er der Wirklichkeit seiner Umgebung sich seltsam bewußt. Oft weiß er halb und halb, daß er das Opfer eines Nachtmahrs ist; aber die fürchterliche Echtheit seiner Empfindungen und die grausige Natürlichkeit der Phantome um ihn lassen ihn argwöhnen, der Schlaf könnte doch ein Zustand der Hellsichtigkeit sein, in dem die Schrecken einer dem Sonnenlicht verborgenen Welt offenbar würden. Wie in einer skandinavischen Zaubersage oder in einer schottischen Gespenstergeschichte muß er nur ein bestimmtes Wort aussprechen, einen lauten Ruf oder Schrei ausstoßen, um den Zauber zu brechen; aber die Zunge klebt ihm am Gaumen. Er möchte dem näher und näher kommenden Gespenst oder Trugbild, das ihn hypnotisiert und gebannt hat, entlaufen, aber seine Füße sind wie angewurzelt. Die verzweifeltsten Anstrengungen zu schreien bringen es nur zu einem gepreßten Ächzen. Dann ist es höchste Zeit, den armen Träumenden zu wecken. Wenn das Entsetzen in den verborgenen Hallen des Gehirns seinen Höhepunkt erreicht, – wenn das imaginäre Phantom Hand an den Schläfer legt, bevor er aufwachen kann, – dann führt das unfaßbare Grauen unweigerlich zum Tode.

Durch die ungestüme Einwirkung der Furcht auf das Herz wird glücklicherweise der Schlafbann meistens gebrochen, bevor die Traumangst über die Grenzen der Erträglichkeit hinausgewachsen ist. Der Schlafende macht eine gewaltige Anstrengung, die Augen aufzureißen, um die Erscheinung nicht mehr sehen zu müssen – (eine merkwürdige und häufige Vorstellung im Alp) – er erwacht angstgelähmt und nach Atem ringend. Dann dauert es noch eine Zeitlang, bis er sich erholt. Die Schatten der Möbel, das Schimmern des Mondlichts, das Wehen der Vorhänge, – in allem sieht das keuchende Opfer gräßliche Erscheinungen eines gespenstischen Lebens; und als wäre sein Zimmer wirklich verwunschen, muß er Licht machen, um die Phantasmagorien des Schlafs zu vertreiben.

Es gibt natürlich mildere Formen des Alps, die uns alle heimsuchen, – die wohl lästig, aber nicht gefährlich sind. Ein Beispiel dafür ist der bekannte Traum, in dem der Schläfer sich einbildet, mit einem gefährlichen Feinde zu kämpfen und sich mit irgendeiner Waffe gegen ihn zu verteidigen. Ist die Waffe ein Messer, so findet der Träumende zu seiner Überraschung sich außerstande, seinem Feind auch nur eine tiefere Schramme damit beizubringen; seine Muskeln scheinen dem Willen den Gehorsam zu verweigern. Wenn die Waffe ein Gewehr oder eine Pistole ist, geht sie unglaublich langsam und mit einem ganz schwachen Knall los, die Kugel kriecht ganz, ganz träge heraus und fällt ein oder zwei Ellen weiter hämisch zu Boden; unterdessen nähert sich der wilde Mann oder die Bestie in rasender Geschwindigkeit, und es ist unmöglich zu fliehen. – Aber Leute mit lebhafter, durch die Lektüre schauriger Erzählungen gereizter Phantasie haben manchmal Träume, deren abnorme Grausigkeit tatsächlich den Tod zur Folge haben kann. Es ist merkwürdig, daß es nur wenige Berichte über solche Eindrücke gibt; doch muß bedacht werden, daß das Opfer eines Nachtmahrs beim Aufwachen immer bemüht ist, die Vorstellungen, bei denen er sich im Dunkel nicht aufzuhalten wagt, aus seinem Geist zu verbannen, – daß die Erinnerungsbilder also verblaßt sind, wenn das Licht des Tages den Mut, sie zu sammeln, bringt. Immerhin ist es vorgekommen, daß phantasiereiche Schriftsteller ihre Traumerlebnisse zu Papier gebracht haben; zum Beispiel Edgar Allan Poe. Der Schluß von Tell-tale Heart – wenn das Herz des Ermordeten weit unter der Kellersohle laut wird – die ganze Anlage und das scheußliche Ende von The Fall of the House of Usher, – Partien in Monos and Daimonos – in The Black Cat – in den fürchterlichen Phantasien von Ligeia und Morella, – sie alle sind nichts anderes als einfache und wahrheitsgetreue Berichte über Mr. Poe's Nachtmahrgesichte. Sie wirken so grausig, weil sie in allen Lesern, die diesen ungewöhnlichen Autor verstehen und begreifen, Erinnerungen an eigene Alperlebnisse wachrufen. Eine eifrige Lektüre von Poe's Schriften könnte leicht scheußliche Ausgeburten der Phantasie, wie sie oben besprochen wurden, zur Folge haben.

Im Rahmen dieser Betrachtungen über Alperscheinungen mag eine skandinavische Nachtmahrsage wiedergegeben werden. Das Wort Nachtmahr selbst ist skandinavischen Ursprungs. Es müßte eigentlich Nacht-Mara oder besser Mara der Nacht heißen. Seltsamerweise hielten die Skandinavier die Mara für einen bestrickend schönen weiblichen Geist. Trotz ihrer Schönheit erfreute sie sich boshaft daran, die Schläfer heimzusuchen und auf alle erdenkliche Weise zu martern. Wie andere Geister konnte die Mara einen Raum nur auf dem Weg verlassen, auf dem sie eingedrungen war; und wenn die Öffnung verschlossen wurde, während sie sich im Zimmer aufhielt, war sie gemäß den Gesetzen der Geisterwelt genötigt, sich sichtbar zu machen. So geschah es einmal, daß ein Norse nach schwerer Pein aus dem Schlaf erwachte und die einzige Öffnung, ein Schlüsselloch, verstopfte. Die Mara ward in all ihrer geisterhaften Schönheit sichtbar, und der Norse warb ritterlich um sie. Sie wurde sein Weib. Sieben Jahre lebten sie zusammen, und Kinder wurden ihnen geboren. Eines Tages war der Mann dumm genug, ihr zu sagen: »Liebling, nie im Leben würdest Du glauben, wie Du hereingekommen bist.« Neugierig erkundigte sie sich danach, und leichtsinnig zeigte der Gatte ihr das Schlüsselloch. »Aha,« sagte sie, »möchtest Du nicht einmal den Pfropfen herausziehen und mich durchschauen lassen?« Der dumme Bursche tat es; Mara verwandelte sich in einen dünnen Nebelstreif und entschwand auf immer durchs Schlüsselloch.


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