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Träumereien von einer Tierhandlung: Die Taube und die Schlange

Um fünf Uhr nachmittags an einem Oktobertag, wenn die großgesichtige Sonne ihr Kinn auf die Hügel im Westen legt, um mit einem letzten ruhigen Blick hundert schnurgerade Straßen zu umfassen, wenn sie zehntausend Fenster gleich geschmolzenem Metall erglühen läßt, die ganze Stadt mit rötlichem Glanze erfüllt, den dunstigen Purpur ferner Kirchtürme mit einem Schimmer von Gold übergießt und ein wogendes Meer weißer Wolken im Westen rot überhaucht, – dann gibt man sich wohl williger im Straßengetriebe Träumereien hin als zu anderen Stunden und anderen Jahreszeiten. Dieses zarte duftige Gold der Oktobersonnenuntergänge schenkt selbst häßlichen und anmutlosen Dingen eine traumhafte Schönheit und verleiht den Schaufenstern und der seltsamen Welt hinter dem Viereck der Spiegelscheiben einen ganz eigenen Reiz; Schaulustige bleiben in Scharen stehen. Man neigt um diese Jahreszeit dazu, über die alltäglichsten Dinge nachzudenken, und gibt sich schwerer als sonst damit zufrieden, seiner Neugier mit einem hastigen Blick zu genügen; niemand hat Eile. Und gerade an einem solchen Nachmittag verlockte uns das dolce-far-niente, das in dieser Stunde lag, über einige Kuriositäten aus der Tierwelt Betrachtungen anzustellen, zu denen die Fenster einer Tierhandlung uns anregten. Diese Fenster waren schmutzig und nur ganz armselig zur Ausstellung hergerichtet; aber das Sonnenlicht fiel auf einige wunderliche Dinge, die viele Neugierige anzogen. Da gab es Tropenvögel mit metallisch glänzendem Gefieder, karmin, smaragd und azur; Sänger und Schwätzer, Sittiche und Aras; Pirole und Kakadus; Finken und Kanarienvögel; phantastische schöne Täuberiche und Tauben; aber offenbar war es nicht das geflügelte Volk, das die allgemeine Neugier erregte.

Die sonderbar gestreifte Haut und die opalisierenden Augen einer gefangenen Abgottschlange und die widerwärtig flache Schnauze eines runzligen Alligators schienen die Aufmerksamkeit von der gefiederten Schönheit abzulenken. Und die reiche rötlichgoldene Glut der Abendsonne machte die bunten Ringe der Schlange golden, tauchte den Schuppenpanzer der Riesenechse in Bronze und goß einen tropischen Glanz über das üppig strahlende Federkleid der Papageien, – sie weckte Träume von wärmeren Himmeln, von exotischen Ländern, von Sandelbaum- und Palmenhainen, von fremdartiger Baukunst und fernen Völkern. Aber die unheimlich schillernden Schlangenaugen, der gespenstische Saurierschädel ergriffen die Phantasie tiefer, – jedes der Reptile konnte sich einer Ahnengeschichte rühmen, älter als die des Menschen; beide Kreaturen hatten einst göttliche Ehren vom Menschen selber empfangen; beide, Saurier und Schlange, waren von mächtigen, lange vergangenen Kulturen heilig gehalten worden; die Spur der Schlange gleißt auf den dunkeln Wegen aller Mythologien, und den Namen des Krokodils finden wir auf den Blättern der allerältesten Geschichte. So genügte ein Blick durch die schmutzige Scheibe, Gedanken wachzurufen an Homer und Hesiod, an die Veden und die Erbyggia Saga, an Feueranbetung und das Zendavesta, an ägyptische Hieroglyphen und die Bilderschrift der Azteken, an biblische Prophezeiungen und apokryphe Offenbarungen, und an die prähistorischen Zeitalter der Weltgeschichte, die auf den großen Steintafeln der Geologie verzeichnet stehen.

Die Schlange hat in der Tat eine sehr alte und wunderbare Geschichte, die ihren Ursprung in den frühesten Kulturen der alten Welt hat, ja sich zurückerstreckt in die grauen Zeiten, von denen uns die Mythologie allein sagenhafte Kunde gibt. Von diesen prähistorischen Zeiten an bis zur Geburt des Christentums und noch darüber hinaus wurde die Schlange über alle anderen Lebewesen verehrt. Ihr Bild, auf Obelisken gemeißelt, auf Ziegel gemalt, in Papyrusrollen geschrieben, in Ton oder Metall gegossen, in Elfenbein oder Erz graviert, auf königliche Siegel geprägt oder auf heilige Dokumente gezeichnet, zeigt sich in den ältesten Hieroglyphen ebenso wie in den modernsten Alphabeten. So bemerkt Massey in seinem Essay über das Schlangensymbol: »Es lebt und zischt in unserem Buchstaben ›S‹, der einzigen echten Hieroglyphe vielleicht im modernen englischen Alphabet.« Sie ringelt sich auf den Keilinschriften und sonderbaren Basreliefs der assyrischen Denkmäler; auf den fast magischen, in leuchtenden Farben gemachten Bildern in den Pyramidenkammern und Palasthallen des alten Ägyptens; auf den grotesken Götzentempeln Hindostans; in den unperspektivischen Malereien chinesischer Pagoden und in der phantastischen Kunst japanischer Tempelmaler. Ihre Ansprüche auf Göttlichkeit sind durchaus begründet; sie wird in den ältesten Schriften und den frühesten Religionen erwähnt – manchmal als Symbol des Bösen Prinzips, manchmal des Guten Prinzips, aber immer als ein Bild, erwählt von einer Gottheit, die gefürchtet oder verehrt wird. Sie war Isis und Kneph in den Hierophantenriten Ägyptens geweiht; sie erscheint im frühesten Phalluskult Ägyptens, Indiens und des »Östlichsten Ostens«; sie hat eine große Bedeutung in den ungeheuerlichen Mythologien des kannibalischen Ozeaniens; sie windet sich durch die Mythen von Mexiko und Peru, und von vielen der roten Rassen Amerikas; sie spielt eine Rolle in hebräischen Legenden als Symbol des Bösen Prinzips – (übrigens nicht in der Geschichte von der Ehernen Schlange in der Wüste!) – und in der alten chaldäischen Religion. Die frühen Sonnenanbeter scheinen sie als das lebende Sinnbild einer finstern und fürchterlichen Gottheit verehrt zu haben; in Rom und Griechenland finden wir sie dem Äsculapius geweiht, aber sie erscheint auch schreckenbringend in der Geschichte von den drei Gorgonen, von den Erinnyen, von Laokoon; sie tritt in der einen oder andern Form in den nordischen Edden auf – entweder als Jormungand die Erde umschlingend, oder um die Wurzeln Yggdrasils geringelt, oder Ströme von Gift speiend in der Schlangenhalle in Nastroud der Düstern; sie war zu allen Zeiten das Symbol der Weissagung, sie schmiegt sich um die schwarzen Flechten der pythischen Priesterinnen als eine lebendige Krone, – ein seltsamer, rätselhafter Brauch, dieses Krönen der Priesterinnen mit einer Schlange. Die Schönheit der Schlange scheint in den frühesten Zeiten erkannt worden zu sein; denn Schlangenmuster auf Schmuckstücken sind die gebräuchlichsten aller Vorwürfe bei den Goldarbeitern und Elfenbeinschnitzern der alten Kulturen gewesen, und erst vor kurzer Zeit hat der Verfasser dieser Zeilen ein Armband gesehen, das nicht sehr unähnlich dem war, das Oliver Wendell Holmes Elsie Venner, die Schlangenfrau, tragen läßt: eine Viper aus Goldgliedern, die sich in den Schwanz beißt und deren smaragdene Augen böse funkeln. Viertausend Jahre früher umschloß ein Armband gleicher Art das bräunliche Gelenk einer ägyptischen Schönen, die durchsichtige Gewänder aus gazeartigen Stoffen liebte; die Cobra wand sich golden durch das dunkle Haar indischer Tänzerinnen, ehe die Mongolen das Land eroberten, und die wollüstigen Mädchen Assyriens liebten es wohl, Schlangenschmuck aus Elfenbein oder Gold anzulegen. Und auch die alten Architekten würdigten die Formenschönheit der Schlange, wie die Ruinen toter Städte beweisen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß John Martins Plan eines Pandämoniums, in dessen höllische Architektur die Schlangenform so oft und so bewunderungswürdig eingeführt wird, etwas wie ein reales Vorbild in der Architektur gewisser gigantischer Städte des Ostens hat, die jetzt unter Schutthügeln begraben liegen. Bevor Konstantinopel von den Mohammedanern erobert wurde, – als diese Stadt an Schönheit selbst das kaiserliche Rom übertraf, als seine geraden Straßen Durchblicke auf Doppelportiken boten, die von endlos erscheinenden Kolonnaden getragen waren, als seine Herrlichkeiten denen der großartigsten architektonischen Phantasien eines Martin, eines Turner oder eines Doré ebenbürtig waren, – da befanden sich unter seinen berühmtesten Bauwerken zwei hohe Säulen aus geglättetem poliertem Porphyr, um die sich eherne Schlangen von ungeheuerer Länge und Größe wanden. Säulenkapitäle mit Schlangenmustern, wie sie Doré auf die Pfeiler seiner Höllentore zu setzen liebt, wurden, glauben wir, in gewissen orientalischen Ruinen entdeckt. Fabelhafte und groteske Schlangenhäupter aus Stein oder Holz sind in der gotischen Architektur und in phantastischen mittelalterlichen Schnitzereien nichts Ungewöhnliches. Antiker und mittelalterlicher Hausrat trug ebenfalls häufig das Schlangenmuster.

Aber die Schlange wurde nicht nur von Architekten und Bildschnitzern, Künstlern und Juwelieren als Form verwandt, sie spielt nicht nur in hierophantischen Mysterien und toten Religionen und in der Geschichte der Zauberei eine Rolle. Unter allen Tiergestalten taucht die der Schlange am häufigsten in Legende, Fabel und Geschichte auf – und fast immer in mystischem Sinne. Bei Moncure D. Conway, dessen Forschungen auf diesem Gebiet wohl umfassender gewesen sind als die irgendeines anderen Gelehrten, wird man sich am besten über die Geschichte der Schlange von der frühesten Zeit bis zur Ära der mittelalterlichen Drachenlegenden belehren. Sogar in die modernste Romanliteratur und Poesie ist die Schlange eingedrungen. Beweis dafür, aufs Geratewohl: Coleridges Geraldine Christabel., die Swinburne für eine größere Dichtung ansieht als The Ancient Mariner; Wendell Holmes Elsie Venner, eine der seltsamsten und entzückendsten Geschichten der amerikanischen Prosa; Lord Lyttons Nachtmahrerzählung The Haunted and the Haunters, – die Geschichte von einem Schlangenmann, in dessen Augen, leuchtend und grün wie Smaragd, eine übernatürliche und entsetzliche Kraft wohnt. – – Und die bedeutende Rolle der Schlange in Mythologie und Kunst, Geschichte und Literatur ist, wie wir vermuten, dem Geheimnis der Schlange zuzuschreiben – gewissen Rätseln ihrer Naturgeschichte, die zu lösen der modernen Wissenschaft nicht völlig gelungen ist. Den Alten war schon allein die Bewegung des Reptils Grund zur Verwunderung – seine Fortbewegung schien das unmittelbare Ergebnis einzig der Willenskraft zu sein, unheimlich wie das Gleiten der Geister; rätselhaft auch die tödliche Wirkung ihres Bisses; die hypnotische Gewalt ihrer Augen; die außergewöhnliche Fähigkeit, ohne Wasser und Nahrung zu leben; und vor allem die wunderbare Zähigkeit des Lebens in ihren blutlosen Windungen. Dann lag auch viel Geheimnisvolles in der Vorliebe der Kreatur für dunkle Schlupfwinkel, in ihrer ungemeinen Empfindlichkeit gegen Hitze, in ihrer Erstarrung während der kalten Jahreszeit. – Aus diesen Tatsachen vielleicht wurden so manche unfreundlichen Schlüsse auf höllische Abkunft der Schlange gezogen. Ihre eigentümliche Lebenskraft aber mag der Grund gewesen sein, daß sie zum Symbol der Ewigkeit erhoben wurde.

Wir Menschen von heute geben der Schlange wenig Ehre. Manches aus ihrem geheimnisvollen Leben ist durch die Forschungen der Ophiologen während der letzten Jahrzehnte des Wunderbaren beraubt worden. Weir Mitchell stellt die Zauberkraft der Klapperschlange in Abrede, und Professor Nicholson, von Ihrer Britannischen Majestät Indien-Dienst, versichert neuerdings, die alte Geschichte von der Boa, die ihr Opfer zermalmt und begeifert, ehe sie es verschlingt, sei ein populärer Irrtum. Wie dem auch sei, es ist zum mindesten erbaulich, zu hören, daß beiden Behauptungen von ebenbürtiger medizinischer Autorität widersprochen wird; und der Verfasser dieser Zeilen hat vor wenigen Tagen erst mit professionellen Schlangenjägern sich unterhalten, die mit eigenen Augen gesehen haben, wie die Boa ihre Beute in der guten alten Manier über und über beschleimte; er kennt auch eine Dame, die dabei bleibt, von einer Schlange bezaubert worden zu sein. – Aber ein Geheimnis bleibt um dieses Reptil, dessen Lösung gefunden zu haben noch kein Ophiologe behauptet hat – das dunkle Geheimnis des Schlangengifts. Das läßt uns an Indien denken.

Sei es nun, daß unsere Giftschlangen weniger aktiv sind, oder nicht so giftig, vielleicht auch nicht so zahlreich, – jedenfalls kommen Todesfälle infolge von Schlangenbissen in den Staaten selten vor. In Hindostan bewegt sich die Zahl der jährlichen Opfer von Schlangenbissen hoch in den Zehntausenden. Todesfälle dieser Art sind in Australien häufiger als in Amerika, aber weitaus seltener als in Britisch-Indien. Das Gift aller australischen Schlangen, – der Mokassinschlange, der Geißel-, der Ginsterschlange, der grauen, der schwarzen, der Glieder- oder der Giftotter – scheint nicht tödlicher zu sein als das unserer Klapper- oder Mokassinschlange, und die physiologischen Symptome infolge des Bisses der verschiedenen Arten unterscheiden sich nur sehr wenig voneinander. Aber die Sonne Indiens scheint Gift zu ganz eigenartiger Virulenz zu erregen. Die Schnelligkeit, mit der der Tod eintritt, würde dem amerikanischen Grenzer, der die Klapperschlange für die Königin der Giftschlangen hält, fast unglaublich erscheinen. So schnell wirkt das Gift der Cobra, daß die wenigsten Fälle in die englischen Hospitäler eingeliefert werden; die Opfer sterben schon unterwegs. Das Weib eines armen Sudra war in einer Reisplantage von einer Cobra gebissen worden. Ihr Mann versuchte sie zum Haus zurückzutragen, aber seine Kräfte verließen ihn, und sie im Feld zurücklassend, rannte er um Hilfe. »Aber als ich zurückkam,« jammerte er, »hatten die Ameisen begonnen, ihr Gesicht anzufressen.« Die Wirkung des Cobragiftes gleicht der eines starken Narkotikums; tiefer Schlaf ist die unmittelbare Folge. Das Gift der Daboia oder Russellviper, eines anderen indischen Reptils, verursacht starkes Bluten aus allen Poren der äußeren und inneren Schleimhäute. Das Opfer blutet aus Mund, Nase, Auge und aus den inneren Organen, und stirbt, Blut speiend, in Krämpfen. Es scheint, daß das Viperngift das Blut zersetzt, so daß die Gefäße zerreißen. Das Gift anderer indischer Schlangen erzeugt vorübergehende Blindheit und Taubheit. Neben der ganz besonders giftigen Ophiophagus oder schlangenfressenden Schlange, einem Ungeheuer, das bis zu fünfzehn Fuß lang wird und alles Lebendige mit einer ihm eigenen Wildheit angreift, ist die Cobra das am meisten gefürchtete aller indischen Reptile. Nicholson versichert, das Gift der Cobra sei sechsmal giftiger als das irgendeiner australischen Schlange; und Cobras sind in Indien zahlreicher als Heuschrecken. Die englische Regierung versuchte der Plage dadurch Herr zu werden, daß sie eine Prämie auf jede getötete Cobra aussetzte; aber nachdem in einem Jahr 1 250 000 Cobras getötet worden waren, was die Regierung 80 000 $ kostete, wurde beschlossen, nur noch für Tiger Prämien zu zahlen. Amüsant ist es, daß die Regierung zu dieser Änderung mit durch die Entdeckung veranlaßt wurde, daß viele Eingeborene mit der Aussicht auf künftige Prämien tüchtig in Cobra-Zucht spekuliert hatten.

Die moderne Chemie weiß wenig von organischen Giften, besonders von Schlangengift; weder kann sie es im Blut nachweisen, noch seine Wirkung auf die Gewebe erklären, – in der Tat, manche Schlangengifte hinterlassen keine Spuren ihrer Tätigkeit im Blut. Die Wirkung des Daboiagiftes ist eine Ausnahme; aber ob das Blut gerinnt oder sich auflöst, in keinem Falle ist das Gift mikroskopisch nachweisbar. Manche halten das Gift seiner Natur nach für septisch, andere wieder halten es nicht für fäulniserregend. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein Fortschritt der mikroskopischen Wissenschaft in absehbarer Zeit dieses Geheimnis aufklären wird; und es mutet einigermaßen merkwürdig an, daß die berufsmäßigen Giftmischer nicht mehr Aufmerksamkeit an ein tödliches Mittel gesetzt haben, das von solcher Virulenz und gleichzeitig im Blut oder im Magen eines Opfers so schwer nachweisbar ist wie Schlangengift. Ein exakteres Wissen von der Natur dieses sonderbaren toxischen Elements in den speichelartigen Sekreten der Schlangen wäre natürlich von unermeßlichem Wert für die medizinische Wissenschaft; und seit Jahren bemühen sich gelehrte Professoren der Heilkunde vergeblich, das Rätsel zu lösen. Nicholson, Fayrer und Short in Hindostan, Halford in Australien und Weir Mitchell in Amerika gehören zu den berühmtesten modernen Ophiologen; aber von den Rätseln des Schlangengifts scheinen sie ungefähr ebensoviel zu wissen wie die Schöpfer des griechischen Mythus, der uns erzählt, daß Schlangen den Blutstropfen vom Haupt der Medusa entsprossen, während Perseus auf Flügelsandalen hoch über die Wüsten Libyens enteilte. – –

Doch sicherlich verdienen die eifrigen Forschungen dieser Gelehrten Aufmerksamkeit, besonders wohl Weir Mitchells Untersuchungen über das Gift der Klapperschlange; die Ergebnisse, die das Smithsonsche Institut veröffentlichte, sind sehr interessant. Vor allem lernen wir von dem Professor, daß das Gift ohne Gefahr genossen d. h. geschluckt werden kann, – solange keine Verletzungen der Schleimhäute da sind; die Magensäfte scheinen es zu neutralisieren. Fünfzehn Tropfen des Giftes und mehr sind häufig in jedem Giftsäckchen verborgen; die Farbe der Flüssigkeit wechselt von Orange oder Strohgelb zu Smaragdgrün; es ist geschmack- und geruchlos, obgleich zweifellos eine Säure, da es Lackmuspapier rot färbt. Es verliert durch Gefrieren oder Sieden nichts von seiner giftigen Wirkung; im flüssigen Zustand hat es ungefähr die Konsistenz einer dicken Lösung von Senegalgummi und sinkt im Wasser unter; getrocknet hat es die Farbe und Dichte von Eiweiß, aber es trocknet in dünnen Schichten, durchzogen von kleinen Sprüngen, die Professor Mead für die Kanten der dem Sekret eigentümlichen Kristalle hält. Aber ob orangefarben oder smaragdgrün, ob getrocknet oder flüssig, es ist immer gleich tödlich. Sogar das Alter scheint keinen Einfluß auf seine Wirksamkeit zu haben. Ein trockenes, seit Jahren in einer Phiole aufbewahrtes Plättchen führt den Tod ebenso schnell herbei wie frisch den Zähnen entnommenes Gift. Es kann aber, wie es scheint, Zustände des Blutes geben, in denen es gefahrlos mit dem Gift in Kontakt gebracht werden kann; denn wie man sagt, werden in Cuba Impfungen mit Schlangengift zur Heilung des gelben Fiebers häufig mit Erfolg durchgeführt. Aber unter gewöhnlichen Umständen gehen Tiere ein, wenn sie mit dem Gift geimpft werden, auch Pflanzen sterben unter seiner Wirkung ab. Mitchells qualitative Analyse des Crotalusgiftes weist folgende Substanzen auf:

1. Ein eiweißartiger Stoff, den er Crotalin nennt, nicht zerfällbar bei 212 Grad Fahrenheit.

2. Ein eiweißartiger Stoff, zerfällbar bei 212 Grad Fahrenheit.

3. Lösbare Farbstoffe und unbestimmbare Substanzen.

4. Spuren von Fettstoffen; Salze, Chloride und Phosphate.

Das toxische Element des Sekrets befindet sich in der Substanz, die der Professor Crotalin nennt; aber der Chemie ist es noch immer nicht gelungen, Spuren davon im Blute damit getöteter Tiere nachzuweisen. So bewahrt also die Schlange auch nach einigen hundert chemischen Experimenten das Geheimnis ihrer tödlichen Macht. Die allerjüngsten Forschungen der Ophiologen haben immerhin etwas Licht auf die Lebensweise der Thanatophidia und ihre Geschichte in der Phallusverehrung und der Mythologie überhaupt geworfen.

Ob der Besitzer des gefleckten Ungeheuers, das unsere Betrachtung inspiriert hatte, den bemerkenswerten Kontrast in der Ermahnung der Schrift: »Seid klug wie die Schlange und sanft wie die Taube«, zu illustrieren wünschte, haben wir zu fragen unterlassen; aber gerade die Zurschaustellung eines solchen Gegensatzes im Fenster seiner Tierhandlung machte uns einen starken Eindruck. Über dem Glaskasten, in dem das verschlagenste und unheimlichste aller stummen Wesen zusammengeringelt auf Kissen aus rotem Stoff lag wie eine Schlangengottheit auf ihrem Thron, hing ein zierlicher grüner Käfig, in dem ein Paar Tauben, »mit Purpurkrausen um den Hals«, seinen immerwährenden Honigmond feierte; unschuldig liebelten sie vor unser aller Augen, – gar nicht zu reden von den Augen der Kanarienvögel, Aras, Pirole und Papageien –, drängten Busen an Busen, bissen einander zum Spiel in den Hals, schlossen erst ein Auge, dann das andere, um plötzlich die halb durchsichtigen Lider zu heben, genau so wie ein kokettes Weib die Augen schließt, damit ihr Liebhaber sie zärtlich quält, sie wieder zu öffnen. Die bedrohliche Gegenwart der Schlange da unten, die aufgeringelt im Schlaf lag, starren Blicks wie eine Hellseherin in Trance, schien sie gar nicht zu stören. Sie waren Adam und Eva im Paradiese, während Lucifer in der Nähe lauerte.

Aber wieviel Stoff zum Durchdenken bietet dieser Kontrast; der Zufall oder die Laune, die den Glaskasten und den grünen Käfig in so auffällige Nachbarschaft gebracht haben, weckte eine lange Reihe von historischen und mythologischen Betrachtungen. Wenn wir die Geschichte der Schlange durch all ihre zahllosen Verästelungen in dem Labyrinth der Sagen und Mythologien verfolgen, finden wir sie immer irgendwie, und sei es auch noch so lose, mit der Geschichte der Taube verknüpft. Wo immer die Schlange die Macht des Bösen, der Finsternis oder weissagender Zauberei versinnbildlicht; wo immer ihre Gegenwart von Menschenopfern, von Strömen Blutes, von finstern und barbarischen Riten Zeugnis ablegt, – überall da finden wir die Taube als ein Symbol der göttlichen Güte; der Tugend, der himmlischen Heiterkeit. In der Genesis bringt die weiße Taube den Ölzweig zu Noah; aber die Schlange bringt Eva den Apfel; und in allen heiligen Sagen bedeutet jene Barmherzigkeit und Güte, diese Bosheit und Übel; die erste die Güte des Schöpfers, die zweite die Bosheit Satans. Der große Drache, die mächtige Schlange der Schrift ist kein anderer als Satan selbst; aber die Taube ist der Geist Gottes, der »Heilige Geist«. So war die Taube den ersten Christen Roms ein Lieblingssinnbild, wenn sie die Platten vor den Gräbern ihrer Märtyrer in den Katakomben mit farbigen Bildern und Steinarbeiten verzierten. Während die Taube die Reinheit und Sanftmut der Unschuld und der Tugend versinnbildlichte, war die Schlange das Symbol der verschlagenen Klugheit, des Wissens, das nicht von Gott gegeben ist. Immer war sie das Zeichen der Finsternis; selbst als sie dem Äskulap geweiht war, schloß die ihr erwiesene Verehrung die Vorstellung dunkler Zauberei ein. Die Schlangen der Furien und der Gorgonen, und die in Plutos düsterem Reich, die sich um seinen finsteren Thron winden, scheinen am rechten Ort; aber die Taube sonnt ihren schneeigen Busen auf den kristallenen Zinnen der himmlischen Stadt und findet ein Heim im Olymp. Als das lebendige Sinnbild der Liebe, der vollkommenen Liebe, die ohne Furcht ist, errang die Taube die Freundschaft und Dankbarkeit der Menschen; aber die Schlange, Sinnbild des Hasses, genoß die Verehrung, die aus der Furcht stammt. Die klassische Mythologie weihte die Tauben der schönen Venus selber; sie waren die heiligen Tiere ihres Altars; über den schneeweißen Säulen ihrer Tempel kreisten sie in der Sonne; sie bauten ihre kleinen Nester in ihren Heiligtümern; und mit Zügeln von zartester Seide gelenkt zogen sie den göttlichen Wagen durch den blauen Äther. Vielleicht ist jene tiefpurpurne Zeichnung an ihrem Hals heiligen Ursprungs, ein Andenken an ihr himmlisches Zaumzeug. Sicherlich war die Taube bei den Alten, so wie heute bei uns, ein Haustier; denn immer wieder findet sie sich in den Fresken und Temperamalereien von Pompeji und Herkulaneum; und auf den tiefen Freskofarben, die die Maler der Antike bevorzugten, hob sich der blasse Ton ihres Federkleides wirksam ab. Auch in den Mustern des Leistenwerkes tritt sie häufig auf; oft ist sie die einzige Figur in einem weiten Feld, zart getupft auf einen Grund von tiefem Blau, Granatrot oder Dunkelgrün. Sich niederlassend auf einen hochzeitlichen Wagen, dessen Vorhänge nackte fackeltragende Cupidos zur Seite ziehen, versinnbildlicht die Taube auf einem berühmten Wandgemälde Herkulaneums die Heiligkeit der Ehe. Und die Taubendarstellungen der alten römischen Meister sind von besonderer Anmut. Der hervorragend ästhetische Geist der Antike begriff, daß von aller gefiederten Schönheit keine das Auge mehr entzücke als die der einfältigen Taube. Die Taube also, die sich ihrer lieblichen Geschichte rühmen wollte, – wäre sie nicht erhöht über die Schlange und ihre stolze Herkunft? An Schönheit zwar fehlt es der Schlange nicht, weder an Schönheit der Gestalt noch der Farben, – einer magischen Schönheit gleich der des Chamäleons; und unter den vielen Arten können wir Schlangen von allen Färbungen finden – goldgrün, brandgelb, sammetschwarz, aschgrau, leichenfahl, sattrot wie Fleisch unterm Messer des Metzgers, erzfarben, mit dem Schimmer phosphoreszierenden Schleims. Aber es ist eine höllische Schönheit, nicht zu vergleichen mit der hohen unschuldigen Anmut des Taubenpaares, das langsam über den Tisch stolziert, auf dem diese Blätter liegen; an sanftäugige Damen des Mittelalters gemahnen sie, die in enganliegenden Schleppkleidern aus reicher blasser Seide, rosa Schuhe an den Füßen, Hand in Hand durch eine alte Schloßhalle wandeln, im matten Licht der Erkerfenster. – Ovid nennt die Tauben cythereidae, nach Cytheria oder Aphrodite, der schaumgebornen Göttin der Liebe; aus dem gleichen Grunde wurden sie im Altertum paphiae genannt, paphische Vögel, nach der paphischen Venus.

Und von den paphischen Tauben schweifte der Gedanke zu den paphischen Mysterien; und ich dachte noch darüber nach, ob diese Riten wirklich so ausschweifend waren, wie berichtet wird, und ob wohl der Venuskult von weißgekleideten Volksmengen mit all dem Pomp gefeiert wurde, den Alma Tademas Bilder schildern, und was für Leute die Priester und vor allem jene Priesterinnen der Venus waren, – da wurden meine Betrachtungen durch den Alligator hinter dem Schaufensterglas sehr plötzlich unterbrochen. Er hatte seine häßliche platte Schnauze durch die Stäbe des Käfigs gezwängt, aber der Inhaber des Ladens begrüßte ihn mit einem kräftigen Stockhieb. Der Schädel zog sich rasch zurück; aber alle ägyptischen Gottheiten im Hades müssen finster die Stirn gerunzelt haben über diese Schändung, wenn auch der Alligator nur ein Vetter des dem Heiligen Nil geweihten Krokodils ist. Auch die vielköpfigen und vielarmigen Gottheiten, die in den Felsentempeln Vorderindiens und an den Wassern des Ganges wohnen, hätten den Vorfall nicht ohne Kommentar auf sich beruhen lassen; denn die heilige Geschichte des Krokodils reicht so weit in die graue Vorzeit zurück, daß sicherlich jedes Glied der weitverzweigten Familie mit Fug einige Ehrerbietung fordern kann. War das Krokodil nicht den alten Kulturen heilig? – war nicht in Ägypten die Stadt Crocodilopolis zu seinen Ehren erbaut und benannt? – wurden ihm nicht Paläste zur Wohnung errichtet, und Pyramiden und Katakomben zur Begräbnisstatt? – finden wir es nicht in Ägypten in Gräbern von unausdenkbarem Alter durch die Kunst der Einbalsamierer bis auf den heutigen Tag konserviert? Ja, die Geschichtsschreibung behauptet, daß der ganze Nil ihm einst zu eigen war, – so daß man nur unter Lebensgefahr in dem heiligen Fluß baden oder Wasser schöpfen konnte. Herodot berichtet noch mehr Phantastisches über die Eigentümlichkeiten des Reptils und seiner Verehrung, behauptet auch unter anderem, es sei nicht imstande, seinen Unterkiefer zu bewegen, was aber, wie heute jedermann weiß, nicht richtig ist. Unter den Kuriositäten, die man in Ägyptens Ruinen zu Tage förderte, fanden sich Spielzeug-Alligatoren aus bemaltem Holz, deren Zweck es wohl war, von unartigen kleinen Ägypterkindern zerbrochen zu werden; und bei diesen Puppen ist der untere, nicht der obere Kiefer beweglich, ein Beweis dafür, daß nicht einmal die alten Ägypter Herodots anatomischen Irrtum geteilt haben. Aber diese kleine Verleumdung des alten Griechen war nicht annähernd so schändlich wie der Stockhieb, den der Händler der geheiligten Schnauze des Krokodilsvetters versetzte. Das Geräusch dieses Stockschlages war es, das mich jäh aus meinen Träumereien riß.


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